In der Haft verhungern lassen
Im Haftkrankenhaus Fröndenberg in NRW verhungerte ein Häftling. Das NRW-Justizministerium meint, das sei okay. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Bild von Gia Conte-Patel auf Pixabay
Der Mann hatte seine Frau getötet, angeblich weil sie ihn beleidigte hatte. Das war zwar ein nichtiger Anlass, aber das Landgericht verurteilte ihn nicht etwa wegen Mordes, sondern „nur“ wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten.Der Mann, der bereits Rentner war, aber immer noch als Diplom-Ingenieur Aufträge erledigte, war durch die Coronakrise erstmalig zur Arbeitslosigkeit verdammt gewesen und grübelte zunehmend über seine eigene Bedeutungslosigkeit. Der im Hauptverfahren zuständige Gutachter bescheinigte ihm eine depressive Episode. Am Tag der Tat hatte der Verurteilte dann ordentlich Bier getrunken. Das Gericht sah infolgedessen und wegen der depressiven Episode eine verminderte Schuldfähigkeit. Gegen die Höhe der Strafe kann man nicht viel einwenden.
Verhungern lassen
Also kam der Mann in Haft. Kurze Zeit später, am 13.12.2020 war er tot. Verhungert. In einem Haftkrankenhaus.
Für das Justizministerium ist das scheinbar in Ordnung so. In der JVA Aachen habe der Mann Essen und Trinken eingestellt. Die JVA meint, da habe man nichts machen können. Eine Zwangsernährung sei ausgeschlossen gewesen, weil der Mann bei seinem Entschluss nichts mehr zu sich zu nehmen „voll einsichtsfähig“ gewesen sei. Ja, wenn das denn so wäre, dann hätte der selbstverständlich das Recht gehabt, sich durch Nahrungsverweigerung das Leben zu nehmen. Suizid ist nicht nur erlaubt, er darf auch nicht gegen den Willen eines einsichtsfähigen Menschen unterbunden werden. Nicht mal, damit der sich nicht so einfach seiner Freiheitsstrafe entziehen kann.
Zwangsernährung ist ein Grundrechtseingriff, der begründet werden muss. Gegen den Willen des Gefangenen ist er unzulässig, aber eben nur dann, wenn der Gefangene das tatsächlich frei entscheiden kann, also nicht, wenn er sich in einem krankhaften Wahn befindet. Dann geht der Lebensschutz vor.
Hätte der Mann also im vollen Bewusstsein dessen, was er da vorhat, geäußert, dass er nichts mehr zu sich nehmen werde, weil er sterben wolle, ja, dann hätte man ihn sogar verhungern lassen müssen und nicht nur dürfen.
Vergiftungsangst
Nun hatte der Mann aber – nach Recherchen des Kölner Stadtanzeigers – zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass er sterben wolle. Das soll sich so auch in einem Bericht des Ministeriums finden. Seine Begründung für die Nahrungsverweigerung sei gewesen, dass er geglaubt habe, das Essen sei vergiftet und die Bediensteten der JVA wollten ihm Böses.
Wer seine Nahrung nicht essen mag, weil er meint, sie sei vergiftet, der möchte nun in aller Regel gar nicht sterben, sonst könnte er das ja beschleunigen, indem er das Essen zu sich nimmt. Aber so weit müsste erst einmal jemand denken.
Nun ist das Essen in einer JVA in aller Regel nicht vergiftet. Mag sein, dass da schon mal ein Kartoffelsalat verdorben ist und sich die Scheißerei verbreitet, aber dass das Essen wirklich vergiftet wird, ist nahezu ausgeschlossen. Komisch also, dass niemand in der JVA, nicht einmal die konsiliarisch hinzugezogene Psychiaterin, auf die naheliegende Idee gekommen sein soll, dass der Mann unter einer paranoiden Psychose leiden könnte. Ich habe massenweise MandantInnen, die meinen, jemand wolle sie vergiften oder wolle ihnen etwas Böses und, Wunder über Wunder, es war noch niemand dabei, bei dem diese Angst auf einer realen Bedrohung beruhte. Bei den meisten lässt sich eine wahnhafte Störung auch durchaus erfolgreich medikamentös behandeln. In Aachen jedoch erkannte niemand der Verantwortlichen einen Grund, an der Entscheidungsfähigkeit des Gefangenen zu zweifeln, und so ließ man ihn konsequenterweise verrecken.
Klapse
Dabei hatte der Mann selbst noch gesagt, er gehöre in die Klapse. Auch das soll in dem Bericht des Ministeriums stehen. Aber he! – wie soll der denn beurteilen können, ob er in die Klapse gehört? Das können die Verantwortlichen doch viel besser. Wenn Ihnen mein Sarkasmus nicht gefällt, dann kann ich das nicht ändern. Mir gefällt nicht, dass ein Mensch in staatlicher Obhut stirbt und von verantwortlicher Seite so getan wird, als sei das alles gar kein Problem.
Wenn der Verteidiger des Mannes, Rechtsanwalt Carsten Rubarth aus Bonn, sagt:
Aus meiner Sicht hat der Strafvollzug hier vollkommen versagt. Die JVA ist verantwortlich für den Tod dieses Mannes.
dann ich kann ich diese Einschätzung des Kollegen nicht nur sehr gut nachvollziehen, sondern auch uneingeschränkt teilen. Und wenn die Konsiliarpsychiaterin tatsächlich Gründe, die eine zwangsweise Ernährung hätten rechtfertigen können, ausgeschlossen hat, dann sollte auch deren Expertise auf den Prüfstand.
Aufklärung nicht erwünscht
Soweit mir bekannt ist, wurde bisher kein Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen der JVA oder die Psychiaterin wegen des Verdachts der (fahrlässigen) Tötung durch Unterlassen oder auch wegen unterlassener Hilfeleistung eingeleitet. Das wäre allerdings erforderlich, um diesen ungeheuerlichen Vorgang aufzuklären. Dass Justizminister Biesenbach und sein Haus offenbar die Sache gerne unter den Tisch fallenlassen würden, sieht man daran, dass man der für die parlamentarische Kontrolle zuständigen Vollzugskommission im Landtag nur unvollständige Informationen übermittelte. Laut Recherche des Kölner Stadtanzeigers
hatte das Ministerium ihnen lediglich mitgeteilt, dass der Mann die Nahrungsaufnahme eingestellt und an multiplem Organversagen gestorben sei. Über die Hintergründe seines Sterbewunsches, seine psychische Vorgeschichte und den dramatischen Haftverlauf aber seien die Abgeordneten weitestgehend im Unklaren gelassen worden.
Kann man ja mal so probieren. Wie schön, dass es Journalisten gibt, die derartigen Dingen auf den Grund gehen. Hier ist Aufklärung dringend von Nöten, damit nicht noch mehr Menschen in staatlicher Obhut im wahrsten Sinne des Wortes „den Löffel abgeben.“