Salman Rushdie und vielerlei Freiheit
In einer knackigen Rede kritiserte Salman Rushdie eine Allianz zwischen Linken und Islam – zu Recht. Auf 700 Seiten Autobiografie bekommt auch die konservative und marktradikale Rechte ihr Fett weg. Deren Rolle in der „Rushdie-Affaire“ wird gern vergessen.
„Ohne die Meinungsfreiheit gibt es keine anderen Freiheiten“ – Dieses Fazit zog Kolumnist Tilo Spahl vergangene Woche aus der mitreißenden Freiheitsrede Salman Rushdies zur Buchmesse. Und wirklich! Scharf wie selten zuvor ging Rushdie mit Feinden der Freiheit ins Gericht, unter denen er insbesondere den grassierenden Wahn politischer Korrektheit identifizierte. Auch jene kleinen Freiheiten, mit denen Rushdie schon früher so verlockend wie es jene, die bei jeder Gelegenheit das große Wort im Munde führen, nur selten vermögen, umriss was den Reiz des Westens bis heute ausmacht, wären ohne Meinungsfreiheit rasch hinfällig:
„Küssen in der Öffentlichkeit, Schinken-Sandwiches, offener Streit, scharfe Klamotten, Kino, Musik, Gedankenfreiheit, Schönheit, Liebe.“
Nicht abzustreiten ist auch, dass wie Rushdie festellt „eine merkwürdige Allianz zwischen Teilen der europäischen Linken und radikalen Denkern des Islams“ existiert und im Zusammenspiel aus radikaler Koranauslegung und rassistisch-kulturalistisch verstandenem „Respekt“ die Einschränkung des freien Wortes befördert.
Bankrott der Linken
Nicht umsonst arbeitet Rushdies Weggefährte Kenan Malik beinahe jedes Jahr zum Jahrestag der als Rushdie-Affaire nur zu verharmlosenden Todesfatwa Khomeinis und der darauf folgenden Serie von Anschlägen auf Verleger des Autoren heraus, wie 1989 einen bedeutenden Moment der Wende der Europäischen Linken vom Internationalismus früherer Jahre hin zu einem kulturrelativistischen Antiimperialismus markierte. Die so entstehende Leerstelle, so heute ein verbreitetes Narrativ von Rushdie über den 11. September bis hin zu den Attentaten auf Charlie Hebdo, hatte zur Folge, dass allein das konservative und liberale Bürgertum wieder zu jenem Verteidiger westlicher Werte und zuvorderst der Freiheit wurde, die es im 19. Jahrhundert schon einmal gewesen sei.
Doch so wenig an der völkischen Wende der Linken zu beschönigen ist, so wenig lässt sich das makellose Selbstbild liberal-konservativer Freedom Fighters aufrecht erhalten. Sein schärfster Widersacher: Der wohl leider noch viel zu selten gelesene Autor Salman Rushdie. Nicht nur ist dessen Die Satanischen Verse, das Werk, dass die „Rushdie-Affaire“ ins Rollen brachte, einiger Seitenhiebe auf naive Antirassisten zum Trotz, ein Roman, der von einer noch immer linken Kritik an politischer Repression, rigiden Einwanderungsgesetzen und der Heuchelei des britischen Establishment durchzogen wird (wie auch in Rushdies späteren Romanen sich wenig finden dürfte das bei Rettern des Abendlands auf Beifall stoßen dürfte). Auch die 2014 veröffentlichte Autobiografie Joseph Anton will sich dem Bild, das heutige Freedom-Fighter zeichnen, nicht wirklich fügen.
Linke Front deutscher Günter?
Als Rushdies größte Verbündete treten da unter anderem auf: Günter Grass und Günter Zint, sowie vor allem Günter Wallraff, der dem Autoren trotz nicht zu unterschätzender Gefahr für das eigene Leben in Deutschland Unterschlupf gewährt (Gegenthese: Es war weniger die deutsche Linke als die Front deutscher Günter, die Rushdie unterstützte). Weiter der ehemalige tschechische Ministerpräsident Havel, der anders als sein konservativer Gegenpart Klaus ein Treffen mit Rushdie anstrengte, die linksliberale Publizistin Susan Sonntag, Edward Said, Harold Pinter, J.M. Coetzea, Norah Gordimer, die Taz (nicht die FAZ, nicht die Welt, nicht die Bild) und, was Rushdie sehr am Herzen liegt, Michail Gorbatschov:
„Er aber war es, und nicht Jelzin, Reagan oder Thatcher, der die Welt veränderte, als er der Roten Armee verbot, auf die Demonstranten in Leipzig, oder sonst wo, zu schießen“.
Und als die britischen Verlage beinahe geschlossen Rushdie den Rücken kehrten war es ein Zusammenschluss linker und linksliberaler Unterstützer, der es ermöglicht Die Satanischen Verse dennoch zu publizieren.
Verfassung gegen Thatcher-Regierung
Hart ins Gericht dagegen geht Rushdie mit Thatcher-Liberalen und Konservativen. Thatcher selbst und ihr Außenminister Howe, ebenso wie der Erzbischof von Canterbury, hätten offiziell Verständnis für die beleidigte Haltung der Islamisten bekundet, erklärt er in Joseph Anton. Überhaupt sei die britische Regierung (wie auch die Deutsche, bei der Rushdie von „vorrauseilendem Gehorsam“ gegenüber dem Islam schreibt) sehr von Sorgen um die wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran geprägt gewesen. Nicht der mitfühlender Humanismus sei es gewesen, der in bester westlicher Tradition das Individuum vor dem wütenden Mob schützte, sondern diese vermaledeite Verfassung, die die Regierung zwang dem murrenden Volk zum Trotz Millionen zum Schutz eines Querulanten auszugeben. Doch sparte die Thatcher-Administration hierbei, ganz mit sich im Reinen, wo es nur ging: Von seinen polizeilichen Bewachern wird Rushdie angehalten, lieber nicht zu spekulieren wie sicher er wäre, könnte er sich nicht als erfolgreicher Autor regelmäßig neue Häuser und Mietwohnungen leisten.
Es stimmt, auch einige Labour-Abgeordnete attackierten Rushdie, und unter den prominenten Linken, die den Autor zum Abschuss freigeben hebt Rushdie in Joseph Anton besonders John le Carré und den heute zum Islam konvertierten Cat Stevens hervor. Doch bleiben diese, während das Trommelfeuer der Murdoch-Presse mehrfach Erwähnung findet, zumindest nach Joseph Anton eher Ausnahmen.
Lehren für heute und morgen?
„Na und“, mag man nun sagen. Damals war damals und heute ist heute. Und niemand wird bestreiten wollen, dass die kulturalistische Linke heute irgendwo zwischen Mavi Marmara und antisemitischen Lyrikpamphleten als fortschrittliche Kraft abgewirtschaftet hat. Dennoch gibt die Frontstellung in der Rushdie-Affäre Hinweise, die für die heutige Lage angesichts des oft doch recht wahllosen Geredes von Freiheit nicht übergangen werden sollten. Es stehen nicht linke Freiheitsfeinde geeint mit Islamisten der guten alten bürgerlichen Welt gegenüber. Die Freiheit des Andersdenkenden war sowieso nie wirklich in Mode, und immer wieder wird vor allem ein rhetorischer Popanz aufgebaut, wärend besonders in Deutschland Rushdies Westen mehr und mehr hinter dem „Abendland“ zu verschwinden droht. Auf große Teile des konservativen und liberalen Spektrums ist da ebenso wenig Verlass wie auf viele Linke – damals waren die wirtschaftlichen Beziehungen zu Khomeini zu wichtig, heute mag es dann Putin, morgen Orban oder Erdogan sein (und Iran bleibt natürlich ein nicht zu unterschätzender Player).
Das hätte man wissen können: Wo waren die Freedom-Fighters denn etwa, als im Sommer ein linker Schüler für sein politisches Engagement Verweise erhielt? Als für einen linken Lehrer ganz im Sinne der Ära Strauß ein Quasi-Berufsverbot durchgesetzt werden sollte?
Freiheit oder myfreiheit™?
Die Lage ist finsterer, als sich mit Lagerdenken erfassen lässt. Nicht Licht und Schatten kämpfen, sondern Interessensgruppen, die unter Freiheit myfreiheit™ verstehen. Auch die Rushdie-Affäre, die doch alles Recht hätte, Dreh und Angelpunkt eines Nachdenkens darüber zu sein, was nicht zuletzt Rushdies Westen noch ausmachen könnte, verkommt dabei immer mehr zum Platzhalter für Bauchgefühle. Gewiss gibt es in allen Lagern einzelne Köpfe, die sich von politischen Agenden nicht dumm machen lassen. Doch wie schon 1989 könnte die allerdings auch immer wackliger werdende Macht der Verfassungen, die der Tagespolitik Fesseln anlegen, noch deren sicherster Verbündeter sein. Freedom Fighters und Mavi-Mamara-Linken sei derweil geraten, bis zum nächsten Jahrestag der Fatwa im Februar doch bitte wenigstens mal ein Buch Rushdies zu lesen, ehe man Reden schwingt.
Es müssen ja nicht die schrecklich komplizierten Satanischen Verse sein. Joseph Anton ist recht zugänglich. Und Rushdies gerade neu erschienenes Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte soll geradezu leichte Lektüre sein. Wenn auch womöglich nicht gerade sein stärkster Roman.
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