Heroin vom Staat?
Die staatliche Drogenpolitik ist gescheitert. Die Zahl der Toten durch harte Drogen nimmt seit ein paar Jahren wieder deutlich zu. Ein Grund, bisherige Dogmen zu hinterfragen und neue Wege zu wagen.
D. war 17 oder 18, also ein oder zwei Jahre älter als ich. Wir spielten in einer Rockband. Er war unser Drummer und seine Soli dauerten manchmal 20 Minuten und länger. Es dauerte einige Monate bis ich begriff, dass die richtig genialen Soli immer nach seinem kurzen Verschwinden kamen. Wir probten unregelmäßig in einer Garage und irgendwann war er weg. Er hatte eine Bank überfallen und die Scheine im Heroinrausch in die Luft geworfen, was die Passanten erfreute und ihn in die Psychiatrie brachte. Ich habe nie mehr was von ihm gehört.
C. lernte eine Frau kennen, die ihn zum Kokain brachte. Solange er genug Geld hatte, war das kein Problem für ihn. Er erbte einen sechsstelligen Betrag und nachdem auch diese Kohle durch die Nase verschwunden war, nahm er noch einen Kredit auf, er konsumierte, er funktionierte im Job, aber als das Geld weg war und die Bank ihm nichts mehr leihen wollte, verarschte er einen Dealer. Als der dann Druck machte, überfiel er alte Damen und raubte sie aus. Dann landete er im Knast.
K. wurde nach langer Heroinsucht mit Polamidon substituiert, er fand langsam aus der Szene, es wäre fast gut gegangen. Irgendwann wurde er von einem Drogenabhängigen erstochen. Einfach so. Ohne Streit, ohne Grund.
J. war eine liebe Kindergärtnerin. Sie fragte mich einmal, ob ich ihr mein Wohnmobil für ein Wochenende leihen könne, weil sie mit ihrem neuen Freund nach Paris fahren wollte. Offenbar nutzte sie die Tour, um Drogen einzuführen. Später erfuhr ich, dass sie an einer drogeninduzierten Psychose erkrankt war. Sie lebte im Dämmerzustand jahrelang in einem Hospiz, erkannte niemanden mehr. Ob sie noch lebt, weiß ich nicht.
Die Zahl der Drogentoten durch Opiate hat nach einem Rückgang seit rund drei Jahren wieder kräftig angezogen und lag 2016 bei 1333. Die Politik scheint dem Thema nicht mehr allzuviel Aufmerksamkeit zu widmen. Das ist traurig. Sind die vielen Toten nicht Grund genug, die Drogenpolitik zu ändern?
Kriminalisierung von Kranken
In den 80er Jahren arbeitet ich als freier Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium an einer Betäubungsmitteldatenbank, wo ich tausende Urteile in BtM-Sachen auswerten durfte. Tausende Zeugnisse des Versagens, tausende Verurteilungen kranker Menschen, tausende Schicksale vor Gericht. Kriminalisierung von Kranken. Ist das nicht krank?
Als junger Strafverteidiger lag es daher nahe, mich in diesem Gebiet zu spezialisieren. Die Mandanten aus dieser Zeit, alle heroinabhängig, sind mittlerweile tot oder in Pflegeheimen. Einige wurden ermordet. Nur eine hat den Absprung von der Droge endgültig geschafft und ist heute in der Drogenberatung tätig. Warum überhaupt jemand bestraft wird, der etwas kauft, um es selbst zu konsumieren, habe ich eh nie verstanden. Zunächst schadet er damit ja nur sich selbst. Und Selbstschädigung ist auch sonst nicht verboten, sei es durch legale Drogen wie Alkohol und Nikotin, durch fettes oder zuckerhaltiges Essen, Extremsport oder Bewegungsmangel. Wie man seinen eigenen Körper behandelt, geht den Staat nichts an. Jeder hat das Recht, sich zugrunde zu richten.
Zunächst war ich ein überzeugter Anhänger der Methadonsubstitution bei Heroinabhängigkeit, mittlerweile bin ich, was den Erfolg dieser Methode angeht, reichlich desillusioniert. Die allermeisten meiner Mandanten, die im Methadonprogramm waren, kamen irgendwann nicht mehr ohne Beikonsum hin, konsumierten alles mögliche nebenher, flogen dann aus dem Programm und sahen sich wieder vor das Problem gestellt, sich ihre tägliche Dosis Stoff zu besorgen. Bei einem Tagesbedarf von 2-300 € auf dem Schwarzmarkt kann sich das aus legalen Geldquellen nur eine ganz kleine Gruppe von Reichen gönnen (und die bekommen auch noch sauberen Stoff).
Die Frauen versuchten es oft auf dem Strich, die Männer zum Teil auch, der Rest mit Diebstählen und Raubüberfällen.
Ein Teufelskreis
Alle Jahre wieder wird deshalb von einzelnen Politikern oder Parteien eine Entkriminalisierung des Drogengebrauchs vorgeschlagen – und ebenso reflexhaft wird dieser Vorschlag bisher von der Mehrheit im Bundestag empört abgelehnt. Oft mit dem Argument, der Staat dürfe nicht zum Dealer werden. Bei Waffenexporten ist man da nicht so konsequent. Es ist ja vielleicht auf den ersten Blick verständlich, dass dieses No-Dealer-Argument bisher eine wesentliche Änderung des Betäubungsmittelgesetzes verhindert hat, vernünftig ist das aber nicht.
Ein Heroinsüchtiger, der seinen Stoff in standardisierter Qualität kostenlos aus der Apotheke oder einer staatlichen Abgabestelle bekäme, hätte keinerlei Suchtdruck mehr. Er könnte sich wieder an einen normalen Tagesablauf gewöhnen und im Idealfall sogar arbeiten. Er bekäme keine durch Verunreinigung von Straßendrogen und mehrfach verwendeten Spritzen verursachten Krankheiten und er käme gar nicht auf die Idee, andere Menschen bestehlen oder berauben zu müssen.Er könnte der Subkultur des Drogenmilieus entkommen. Er hätte auch nicht mehr das Risiko einer überraschenden Überdosis, weil die Qualität der Drogen gleichbleibend wäre. Kranken Menschen würde geholfen, Opfer auf beiden Seiten vermieden, der organisierte Drogenhandel und damit ein wirklich großes Verbrechen an der Menschheit würde systematisch ausgetrocknet. Wenn die organisierten Drogenhändler keinen Gewinn mehr mit illegalen Drogen machen könnten, würde sie den Drogenhandel bleiben lassen. Die denken wirtschaftlich.
Leidtragende wären die Strafverteidiger, denen eine dauerhafte Einnahmequelle genommen würde, die Dealer und die Drogenkartelle. Die Strafverteidiger würden mehrheitlich liebend gerne auf diese Einnahmequelle verzichten. Drogenabhängige, also Kranke, mit den Mitteln des Strafrechts zu bekämpfen, erscheint mir ohnehin als reichlich perverse Veranstaltung.
Neues wagen
Aber – das wäre ja ein unglaublicher Skandal, eine Aufgabe von hehren Werten, harte Drogen vom Staat, unmöglich, Sie sind doch verrückt, bekomme ich zu hören, wenn ich das vorschlage. Das sind die üblichen Reaktionen von Gesprächspartnern, oft auch von braven oder weniger braven Stammtischbrüdern, die regelmäßig ihre legalen Drogen konsumieren – Alkohol und Nikotin. Sie schauen einen an, als wäre man mit dem Teufel im Bunde oder habe versehentlich etwas falsches geraucht. Die deutsche Leitkultur kennt halt nur den Suff. Die damit verbundene Leidkultur der Alkoholiker oder der im Suff angegriffenen Menschen verschweigt man lieber, und mit Drogen hat man ja gar nichts zu tun.
So kategorisch ablehnend kann eigentlich nur reagieren, wer die Probleme von Süchtigen nie wirklich gesehen hat, wer nie das Leid eines Heroinabhängigen und dessen Familie erlebt hat, wer glaubt, die Gesetze seien ein reiner Selbstzweck und nicht für die Menschen da oder wer glaubt, eine Freigabe von Drogen solle dazu führen, dass jedermann demnächst Heroin am Kiosk kaufen können soll, um sich zu berauschen.
Das ist natürlich absurd und – soweit ich das überschauen kann – auch von niemandem geplant.
Was aber keineswegs absurd wäre, wäre eine Erfassung aller Drogenabhängigen zu einem bestimmten Stichtag. Jeder Abhängige erhielte die Gelegenheit, sich z.B. ohne Sanktionen fürchten zu müssen, beim Gesundheitsamt registrieren zu lassen und könnte von diesem Zeitpunkt an eine Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte zum legalen Erwerb von bestimmten Drogen in Tagesdosen für seinen Eigenbedarf erhalten. Wer nach diesem Stichtag mit illegal erworbenen harten Drogen erwischt würde, könnte wesentlich härter bestraft werden, weil es für den illegalen Erwerb von Drogen ja überhaupt keine Rechtfertigung mehr gäbe. Dasselbe gilt für Dealer, die dann ja wirklich nur noch bisher drogenfreie Menschen in verbrecherischer Absicht anfixen würden.
Wer den Entschluss gefasst hat, von seiner Sucht wegzukommen, hätte so eine bessere Erfolgsaussicht, weil der Sumpf der Illegalität wegfiele.
Machbar
Eine solche Erlaubnis für die Süchtigen ist nichts Utopisches sondern – jedenfalls theoretisch – bereits im Betäubungsmittelgesetz vorgesehen , wo es in § 3 heißt:
§ 3 Erlaubnis zum Verkehr mit Betäubungsmitteln
(1) Einer Erlaubnis des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte bedarf, wer
1. Betäubungsmittel anbauen, herstellen, mit ihnen Handel treiben, sie, ohne mit ihnen Handel zu treiben, einführen, ausführen, abgeben, veräußern, sonst in den Verkehr bringen, erwerben oder
2. ausgenommene Zubereitungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3) herstellenwill.
(2) Eine Erlaubnis für die in Anlage I bezeichneten Betäubungsmittel kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nur ausnahmsweise zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken erteilen.
Ein „im öffentlichen Interesse liegender Zweck“ ließe sich mit der Bekämpfung der Beschaffungskriminalität und der Entkriminalisierung von Kranken zwanglos begründen. Der Gesetzgeber müsste nur die Worte „nur ausnahmsweise“ streichen und schon könnte es losgehen.
Die Abgabe der Drogen könnte wie bei gewöhnlichen Medikamenten über die Krankenkassen finanziert werden, die ja auch sonst die Behandlung der erkrankten Abhängigen bezahlen müssen. Die Drogen selbst ließen sich recht preiswert von den Pharmaunternehmen herstellen – Bayer hat das Rezept ja vor gut 100 Jahren bereits erfunden. Die hohen Preise der Drogen sind ja nur der Illegalität geschuldet.
Gleichzeitig könnte man einen weiteren illegalen Handel mit Betäubungsmitteln wesentlich effektiver bekämpfen, da die Ermittlungsbehörden sich künftig auf die Jagd nach den großen Dealern konzentrieren könnten und nicht mehr unzähligen kranken Menschen nachjagen müssten oder gar die durch V-Männer in weitere Straftaten verwickeln würden. Auch viele Kleindealer dealen ja nur, um ihren eigenen Konsum zu finanzieren. Der Wegfall tausender Raubtaten mit traumatisierten oder schwer verletzten Opfern würde für mehr Sicherheit auf den Straßen vor allem für alte und wehrlose Menschen sorgen.
Diese Chance für tausende Drogenopfer und deren Opfer aus ideologischen oder parteipolitischen Gründen zu verschenken, ist eine durch nichts zu entschuldigende Schande.
D. könnte noch trommeln, C. seinem Beruf nachgehen, K. noch leben, J. im Kindergarten arbeiten und viele, viele Menschen wären nicht überfallen worden.
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