Bordellverse
Lyrische Annäherung an ein altes Gewerbe. Oder: es gibt viele Gründe, ein Bordell zu besuchen. Illustration: Gabriele Prade
Hineingeschlittert in das Gedicht, mit dem Dichter durch die Gassen und Spelunken gezogen, mit ihm getrunken und getanzt, nicht an morgen gedacht
Gabriele Prade
In einer Kolumne, die mit Bordellverse überschrieben ist, kann man als Autor Gedanken darüber anstellen, weshalb Männer einen Puff betreten: weil sie im normalen Leben keine Frauen kennenlernen, die schnelle Außerhaus-Nummer oder den bizarren Mitternachtskick suchen? Vielleicht arbeitet eine Bekannte dort, mit der sie in der Mittagspause eine Tasse Kaffee trinken wollen, oder sie haben ihr Herz – und in der Konsequenz das Bankkonto – an eine Hure verloren. Alles schon zigmillionenfach passiert. Man kann aber auch einfach ein Gedicht darüber schreiben und das von einer Künstlerin illustrieren lassen.
Die zeichnerische Interpretation des Gedichtes „Bordellverse“ von Henning war mir ein großes Vergnügen. Seine direkte Sprache führt mich Zeile für Zeile in seine Welt. Die Bilder, die dabei entstehen, schaffen eine magische Verbindung zwischen Künstler und Poeten.
Gabriele Prade
Bordellverse
Um drei Uhr nachts
wimmelten noch zwanzig Huren
im Kontakthof des Eroscenters rum
taxierten jeden Neuankömmling
mit professionellem Geierschnabelblick
auf die Dicke der Brieftasche
und seine möglichen sexuellen Wünsche
Eine Gruppe besoffener Vorstadtbewohner
in bunten Windjacken lümmelte an der Bar
rief den vorübergehenden Frauen
Pöbeleien zu und lachte laut
eine fette Nutte im pinken Badeanzug
kippte dem Anführer
einem feisten, aknezerfressenen Fünfundvierzigjährigen
ihren Piccolo ins Gesicht
Bevor er Luft holen
und die Kumpels ihm zu Hilfe eilen konnten
waren sie bereits von zehn Huren umringt
die schworen, ihre Pfennigabsätze
in die Augen der Männer zu dreschen
wenn diese nicht in derselben Minute
den Kontakthof verließen
Trotz ihrer Beschränktheit begriffen die Idioten
den Ernst der Lage und wankten
sich gegenseitig unterhakend
aus dem Raum , während sie
mehrmals wiederholend riefen
dass sie sich in diesen abgefuckten Laden
bloß versehentlich
verirrt hätten und die hässlichen Weiber
nicht mit der Kneifzange anpacken würden
Ich setzte mich auf einen der freigewordenen Hocker
bestellte beim dürren Pitter
einen Filterkaffee, der hier noch
übler schmeckte als die Plörre, die ich
in meiner eigenen Küche aufsetzte
und beobachtete die Szene
Um diese fortgeschrittene Stunde
bevölkerten noch zwei Dutzend Freier
den Kontakthof. Die Hälfte glotzte auf
einen TV-Apparat in der linken Ecke
in dem asiatische Pornos liefen
die restlichen zwölf unterhielten sich mit den Nutten
und feilschten um die Preise
das altgewohnte Bild
»Willst du mit hochkommen, Junge?«,
eine schwere Hand mit fleischigen Fingern
an denen billige Ringe prangten, legte sich
von hinten auf meine Schulter
ich drehte mich um. »Nein danke«, sagte ich
leise lächelnd und schaute die Frau,
die den fünf Schwachköpfen
vor wenigen Minuten noch Prügel angedroht hatte
freundlich an
Sie blinzelte und fauchte: »du bist der Kleine,
der vier Klassen unter mir auf der Schule
war; stimmt‘s?«
ich nickte stumm mit dem Kopf
»wartest du auf sie?«
»ja«
»sie wird bestimmt gleich kommen. Ist schon vor
über einer Stunde mit einem alten Sack aufs Zimmer.
ewig kann es nicht mehr dauern.«
»danke. Dann werde mich noch ein wenig gedulden«
Pitter stellte einen doppelten Jägermeister vor mich hin
in dem zwei bläuliche Eiswürfel klimperten
»ist nicht gut, so’n später Kaffee«
einen Moment zögerte ich, dann schüttete ich
die braunklebrige Flüssigkeit in einem Schwung
in meine gierige Kehle
es brannte kurz in der Speisröhre
dann verbreitete sich eine angenehme Wärme
vom Bauch ausgehend durch meine Adern
Ich wollte nicht besoffen vor ihr erscheinen
bei jeder anderen wäre es mir egal gewesen
nicht jedoch mit ihr
deshalb hatte ich bereits um Mitternacht
mit dem Trinken aufgehört
eine Flasche Bourbon musste ausreichen
später zu Hause konnte ich nachtanken
»Bist du schon lange hier?«
unbemerkt wie ein leichter Lufthauch
hatte sie neben mir Platz genommen
und strich wie zufällig mit ihrem Lackstiefel
über meine Wade
»ein paar Minuten … möchtest du was haben?«
»nein, von dem vielen Sekt wird mir sonst noch schlecht«
»ich bin auch nicht so durstig«
»tatsächlich? Mal ganz was Neues«. Sie heftete
Ihren spöttischen Blick auf meinen Mund
und ich hätte ihr in dieser Sekunde am
liebsten die Lippen blutig geküsst
»Bist du hier, um zu labern oder
lässt du ein paar Mäuse für eine Nummer springen?«
ihre Augen funkelten jetzt kalt
»reden ist völlig okay für mich«
»such dir eine andere. Meine Zeit ist
dafür zu kostbar«
sie tat so, als ob sie aufspringen wollte
blieb jedoch sitzen
»ich zahle«
»ein Fuffi wird nicht ausreichen«
ich legte schweigend drei blaue Scheine auf die Theke
»tu noch einen drauf und ich gebe dir eine
komplette Therapiestunde«
»Wirklich nur quatschen? Gefalle ich dir nicht mehr?«
»doch. Aber du wurdest heute schon zu oft angerührt«
»etwa eifersüchtig?«
»nein«
»hast Probleme mit meinem Job?«
»auch nicht«
»sondern?«
»das was ich suche, willst du mir nicht geben.
Also unterhalten wir uns. Das reicht mir«
»bist ein komischer Vogel. Aber von mir aus«
Der dürre Pitter rief uns hinterher:
»wenn’s spät wird, wisst ihr, wo der Notausgang ist«
auf der schmalen Treppe roch es nach Linoleum
und Desinfektionsmittel
ein grimmiger Herkules mit ölpolierter Glatze
in körperbetontem, schwarzen Lederjackett
stierte uns nach, als wir
in Zimmer 348 verschwanden
An der Wand Lederkorsagen, Peitsche,
Hundeleine, die ich nicht kannte
auf dem Bett drei Teddybären
»neue Sachen?«, fragte ich
»wie lange warst du nicht mehr hier?«
»vier, fünf Wochen«
»vor einem Monat angeschafft.
die alten Herren fahren voll darauf ab.
willst du es ausprobieren?«
»nein«
»bist immer noch derselbe kleine Schisser
wie früher in der Pfarrdisco«,
höhnte sie
ihre Stimme klang allerdings
zärtlich, als sie mich
zu ihr runter
aufs Sofa zog
Als ich ihre Lippen berührte
leckte sie genießerisch über meine Zähne
bevor sie sie mir ihre Katzenzunge
weit in den Rachen hineinsteckte
nachdem sie die Glut in mir entfacht hatte
stoppte sie nach dreißig Sekunden
schob mich von ihrer Schulter weg
sagte geschäftsmäßig:
»küssen ist im Preis nicht enthalten«
ich seufzte: »Leider«
»du weißt, was dann mit dir passiert«
»jap. Schon tausendmal gespürt«
Sie zündete sich eine Zigarette an
»du liebst mich immer noch?«
»so halb«
»erzähl keinen Scheiß. Du tust es seit
unserer Tanzstundenzeit«
»versuche, es mir abzugewöhnen«
»indem du säufst und andere Frauen
unglücklich machst. Eine Kack-Methode«
»was soll ich machen? Du hältst mich
seit Jahren auf Abstand. In ein Kloster gehen?«
»wäre vielleicht eine gute Idee für einen
kaputten Typen wir dich. Müsste ein
weltabgeschiedener Ort ohne Bier und Whiskey sein«
»jetzt bloß keine Moralpredigt!«
»du willst es einfach nicht verstehen: in der Schule
warst du zu jung. Und jetzt bist du ein armer Student
der sein bisschen Kohle nachts
beim Backgammon verzockt.
was soll ich mit einem Loser wie dir anfangen?«
Erregt sprang ich auf
lief zur Wand
schnappte mir in einer Übersprunghandlung
die Peitsche, mit der ich kräftig
auf den Tisch schlug
»so gefällst du mir besser«, lächelte sie
»möchtest du es ausprobieren?«
»was?«
»wirst schon sehen. Vertrau mir«
sie ging ins Bad
während ich in ihrem kleinen Kühlschrank
nach Bier forschte
Als sie zurückkam
hatte sie sich umgezogen
steckte jetzt obenrum in einer Art Uniform
die mich an Rommels Afrikakorps erinnerte
»was soll das werden«, fragte ich
und schüttete eine Dose Carlsberg in mich rein
»was wohl? Ich werde dich erziehen«
»das hat schon meine Mutter nicht geschafft«
»dann wird es höchste Zeit dafür«
»ist jetzt nicht so mein Ding«
»entspann dich. Es wird dir gefallen«
Sie fingerte eine Phiole aus ihrer Handtasche
zerbrach das dünne Glas
und verrührte die klare Flüssigkeit
in einem Zahnputzbecher Wasser
»trink das!
bei Drogen bist du ja experimentierfreudiger
als mit neuen Lusterfahrungen«
ich schluckte die geschmacklose Medizin
und wartete auf die Wirkung
nach fünf Minuten trübte sich mein Blick
der ohnehin spärlich beleuchtete Raum
verwandelte sich in eine neblige Herbstlandschaft
in meinem Kopf erhob sich ein leichtes Brausen
ähnlich einem Wasserfall, wie ich ihn mal in
den Dolomiten bestaunt hatte
und aus weiter Ferne hörte ich ihre metallene Stimme:
»zieh dich aus!«
in diesem Moment wurde mir alles egal
Ich führte ihre Befehle
jetzt wie in Trance aus
kniete nieder
ließ mich an den Händen fesseln
küsste ihre Stiefel
die sie unendlich langsam auszog
und leckte ihre dunkelrot lackierten
Zehen ab
sie stellte ihren Fuß
auf meine Schulter
grinste
drückte mich nach hinten
so dass ich rücklings
auf den hellgrauen Filzteppichboden
fiel
und mich wie ein flügelloses Insekt
fühlte
Mein Gehirn arbeitete weiter
jedoch in Zeitlupe
zudem war ich völlig
willenlos
hätte sie befohlen
mir ein Stück Fleisch aus
dem Oberschenkel zu schneiden
und es roh zu verzehren
ich hätte es getan
»möchtest du mit mir schlafen,
du geiler Bock?«
»ja«
»und wirst alles tun,
was ich von dir verlange?«
»ja«
»sehr schön«
sie schlüpfte aus ihrem
kurzen Latexrock
ich glotzte auf ihre
penibel rasierte Scham
dann öffnete sie meine Hose
und zog mich aus
Meine Erregung steigerte sich
ins Unermessliche
sie stand kurz auf
wühlte in einer Schublade
und kehrte mit einer
transparenten Plastiktüte zurück
die sie mir über den Kopf stülpte
»was machst du, Wahnsinnige?«, rief ich
»lass dich überraschen.
das wird der beste Fick deines Lebens werden«
ich versuchte, mich zu wehren,
nach ihr zu schlagen
allerdings vergeblich
Arme und Beine waren schwer
wie Blei
und ließen sich nicht einen Millimeter
bewegen
Sie nahm breitbeinig Platz
und ritt mich
erst behutsam
dann immer schneller werdend
mein Atem ging stoßweise
denn viel Luft bekam ich nicht
ich hörte mich selbst wie durch
eine Wattewand hindurch
schreien
Lust gepaart mit Todesangst
sekundengleich mit der
letzten Zuckung des Orgasmus
der eine Stunde zu dauern schien
schwand mir das Bewusstsein
Als ich wieder zu mir kam
befand ich mich schweißgebadet
auf dem roten Sofa
sie hatte mich wohl
dorthin verfrachtet
auf der Stirn ein mit Eiswürfeln
gefüllter Waschlappen
sie saß im weißen Trainingsanzug
und Badelatschen daneben
rauchte
»Hältst ja nicht allzu viel aus, mein
kleiner Tanzstundenpartner«,
lächelte sie
»für den Anfang war es aber ganz okay.
du musst noch viel lernen. Vor allem
wie man eine Frau wie mich befriedigt«
ich richtete meinen Oberkörper auf
vor meinen Augen kreisten
weiße Spiralen und Sterne
auf gummiweichen Beinen
stand ich auf und zog mich an
»das war heute ein Freundschaftspreis.
beim nächsten Mal musst du
mehr Kohle mitbringen«
»leck mich«, flüsterte ich
und schlich den stockdunklen
Korridor entlang
in Richtung Treppe
»du bist ein undankbares
Arschloch. Zu nichts zu
gebrauchen. Ich hasse dich«,
kreischte sie mir hinterher.
….
Eventuell werden die Beweggründe eines Freiers für den sporadischen oder häufigen Bordellbesuch auf lyrischem Weg [streng genommen handelt es sich bei den Zeilen oben um ein Hybrid zwischen Gedicht und Short Story] besser verständlich als in einem Prosatext. Aber auch hier gilt: irgendwann wird’s selbst dem treusten Kunden fad.
Illustration: Gabriele Prade (Team Prade – Kunst im Raum), Nov. 2017
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