Gassenhauer #5 – Das Haus an der Moschee

Der fünfte Teil der „Gassenhauer“ führt in ein Haus an einer Moschee im iranischen Senedjan


Kader Abdolahs Das Haus an der Moschee ist streng genommen kein Gassenhauer, verfährt aber ganz im Geiste der in dieser Serie zu besprechenden Erzählungen.

Der vorrevolutionäre Iran

In und um ein Haus im iranischen Senedjan nahe dem islamischen Zentrum Qom treffen die Konfliktlinien der persischen Geschichte zwischen etwa 1969 und ’79 zusammen. Seit 800 Jahren wachen die Bewohner des Hauses über die angegliederte Moschee, setzen immer mal einen Imam ab, verfassen eine Chronik der Ereignisse und handeln nebenbei erfolgreich mit Teppichen. Aga Djan, der derzeitige Haushaltsvorstand, ein strenger Muslim ohne revolutionäre Neigungen (aber mit deutlichen Antipathien gegen den Westen und Amerika) ringt mit den Widersprüchen, die aus der Welt auf ihn hereinbrechen. Ein Fernseher konfrontiert Djan mit dem Wunder der Mondlandung, ein Radio mit amerikanischer Musik. Die Großmütter des Hauses pflegen ihre ganz private Glaubensauslegung und bekommen dafür am Ende die Hadj spendiert, ein Verwandter aus der Stadt bringt junge Frauen mit nach Senedjan, um auf dem Minarett der Moschee zu kopulieren. Ein junger Imam aus Qom trägt die Ideologie Khomeinis in die Stadt, in einem Kino wird beinahe Farah Pahlavi, die Ehefrau des Shah, gelyncht. Und ausgerechnet auf dem Schreibtisch dieses Imans, genannt Galgal, entdeckt Djan Gedichtsfragmente einer Autorin namens Farrochsad, die in ihm ungewohnte Gelüste gegenüber der eigenen Frau entfachen…

Auftritt Khomeini…

Das Haus an der Moschee ist ein absolut lesenswerter Roman, der geschickt Ideen in Charakteren verkörpert, ohne diese flach erscheinen zu lassen. Die zahlreichen skurrilen Alltagsepisoden, die Abdolah regelmäßig einstreut, etwa vom Vogelfang im Tammuz (Spätsommer), wenn man im Haus bemüht ist, die ansprechenden Farbkombinationen im Vogelgefieder nach Ideen für neue Teppichmuster zu durchsuchen, oder über die Besuche des alternden Dichters und Genussmenschen Kasem Chan im Haus an der Moschee, wo dieser auch seinen Tod findet, tun ihr übriges, ein reiches Bild einer zunehmend zerrütteten Gesellschaft zu zeichnen. Man merkt dem Roman ein wenig an, dass er für ein westliches Publikum geschrieben ist, Konventionen, Glaubensvorstellungen werden in einer Weise referiert, die fürs persische Publikum eher unnötig wirken. Zumindest in den ersten zwei Dritteln des Buches geschieht das unaufdringlich. Dann kippt Das Haus an der Moschee. Welcher Teufel Abdolah geritten hat, Khomeini selbst als Charakter einzuführen und ihm den Prediger Galgal als rechte Hand an die Seite zu stellen, bleibt ein Rätsel. Schmerzlich beißt sich der subtile Auftakt, in dem Politik stets mittelbar ins Leben der Protagonisten eingreift, mit den fast wie aus Wikipedia abgeschrieben klingenden Passagen zur Machtergreifung der Islamisten.

…Absturz des Romans

Viel besser wird es danach leider nicht mehr. Die Vernichtung der Kommunisten, der Irak-Iran Krieg, die missglückte Geiselbefreiung von Teheran, all das wird im Stil eines Geschichtsbuches mit relativ wenig Alltagshandlung abgehandelt. Konzentriert sich die Handlung noch einmal auf Senedjan, fallen programmatische Sätze wie „ in den vergangenen acht Jahrhunderten hatten das Haus und die Moschee geschlossen gegen die Feinde des Islam gekämpft. Nun, zum ersten Mal, erwies sich der Islam selbst als Feind.“ Erlebbar wird das nur noch holzschnittartig und meist im globalen Maßstab. Eine Ausnahme machen nur noch die düsteren Szenen, in denen Aga Djan auf dem Land einen Dorffriedhof sucht, der sich bereit erklärt, den von Islamisten getöteten Sohn zu begraben sowie Jahre später die Rückkehr zum Grab, für Djan Anlass, sich von einem guten Freund erstmals den Genuss von Wein aufnötigen zu lassen.

Allen, die an der jüngeren Geschichte des Iran interessiert sind, sei der Roman uneingeschränkt empfohlen, für alle anderen genügen die ersten zwei Drittel. Man wird damit leben müssen, dass Das Haus an der Moschee zum Ende hin spürbar an Qualität verliert und wird dennoch nicht in der Mitte aufhören wollen…

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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