Islamistische Netzwerke und wie sie arbeiten
Mit „Islamistische Drehscheibe Schweiz. Ein Blick hinter die Kulissen der Moscheen“ hat die tunesisch-schweizerische Wissenschaftlerin Saïda Keller-Messahli, Gründerin des Forums für einen fortschrittlichen Islam und Trägerin des Menschenrechtspreises der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, ein wichtiges Buch vorgelegt, in dem sie die islamistischen Akteure schonungslos beim Namen nennt. Unser Kolumnist Heiko Heinisch hat das Buch gelesen.
Seit vielen Jahren schon ist sie eine der wichtigsten europäischen Stimmen, die vor der Ausbreitung des Islamismus warnen und versuchen, auf jene Netzwerke hinzuweisen, die NGO’s, Parteien und andere Organisationen infiltrieren und auf diesem Weg „die Saat des Hasses gegen die säkulare und demokratische Wertegemeinschaft streuen.“ (Seite 15), auch wenn der Weg der dahinterstehenden Gruppierungen der gewaltfreie, legalistische ist. Die NZZ am Sonntag bezeichnete sie unlängst als „eine der mutigsten Frauen der Schweiz“. Der Anlass: Saïda Keller-Messahli, Gründerin des Forums für einen fortschrittlichen Islam und Trägerin des Menschenrechtspreises der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, hat sich vor wenigen Tagen mit einem Buch zu Wort gemeldet. In „Islamistische Drehscheibe Schweiz. Ein Blick hinter die Kulissen der Moscheen“ nennt sie Organisationen, Moscheen und Imame beim Namen. Der Titel des Buches möge nicht täuschen, denn die von Keller-Messahli beschriebenen Strukturen betreffen nicht ein einzelnes Land – sie betreffen alle europäischen Länder.
Islamistische Organisationsgeflechte
Dabei werden die Leser/innen mit Organisationen konfrontiert, von denen die meisten von ihnen vermutlich noch nie gehört haben, deren Einfluss aber sehr groß ist: Die Islamische Weltliga, der Europäische Rat für Fatwa und Forschung, Zakat House oder die Europäische Organisation Islamischer Zentren. Und mit solchen, deren Name allgemein bekannt ist, deren Strukturen aber weitgehend im Dunklen liegen und deren Arbeitsweise zumindest zum Teil konspirativ ist, wie etwa die Muslimbruderschaft, deren diverse Organisationen in Europa sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, um einem möglichen zukünftigen Verbot zu entgehen, nicht offen zur Mutterorganisation bekennen. Vielmehr wurde hier ein Netzwerk aus Organisationen aufgebaut, die der Muslimbruderschaft nahe stehen oder ihr direkt angehören, das mit seinen vielen Unterorganisationen kaum noch zu überblicken ist. Das hat durchaus System. Das Geflecht der Muslimbruder-Organisationen erinnert an Firmengeflechte, die dem Ziel der Steuervermeidung oder Geldwäsche dienen. Am Ende weiß keiner mehr, wo das Geld geblieben ist, beziehungsweise wo die Muslimbrüder und –schwestern zu finden sind.
Es sind Staaten wie Saudi Arabien, Katar, weitere Golfstaaten und die Türkei Erdoğans, die islamistische Prediger und Strukturen in Europa fördern. Saudi Arabien nutzt den über den Export von Öl lukrierten Reichtum intensiv für den Export der extremistischen wahhabitischen Lesart des Islam. Ganze Heerscharen von wahhabitischen Predigern aus dem Balkanraum wurden in Saudi Arabien ausgebildet (S. 30) und ziehen als Wanderprediger durch europäische Moscheen. Der Europäische Rat für Fatwa und Forschung (ECFR) mit Sitz in Dublin wiederum wirbt in seinen Fatwas ganz offen für die Segregation der Muslime in Europa. Gegründet wurde er von Yusuf al-Qaradawi, dem aktuellen Vordenker der Muslimbruderschaft, der den ECFR nach wie vor leitet. Finanziert wird dieser Fatwarat von Katar, das die Aktivitäten der verschiedenen Organisationen im Netzwerk der Muslimbruderschaft finanziell und logistisch unterstützt. In Europa wurde al-Qaradawi vor allem dadurch bekannt, dass er die Todesstrafe für den Abfall vom Islam, 100 Peitschenhiebe als Strafe für Homosexuelle, und Selbstmordattentate von Palästinensern befürwortet, den Holocaust für eine Strafe Gottes hält und Hitler für den Mann, dem es gelungen sei, die Juden zurechtzuweisen.
Ein dubioses Museum der Islamischen Kulturen
Detailliert legt Keller-Messahli Verbindungen zwischen verschiedensten Personen, Organisationen und Staaten offen. Die Übergänge zwischen gewaltfreiem islamistischem und dschihadistischem Lager sind dabei fließend, einzelne Personen pflegen enge Kontakte sowohl zu legalistischen als auch zu dschihadistischen Gruppierungen und üben damit eine für die Netzwerke wichtige Scharnierfunktion aus. Und letztlich bereiten die gewaltfreien Islamisten das ideologische Feld, auf dem die Dschihadisten aufbauen können. Beispielhaft wird das etwa am Museum der islamischen Kulturen (Museé des civilisations de l’islam (MUCIVI)) in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz demonstriert. So ist die Direktorin des Museums, Nadia Karmous, gleichzeitig Präsidentin des Association culturelle des femmes musulmanes de Suisse, die wiederum dem Islamisten und Enkel des Gründers der Muslimbruderschaft, Tariq Ramadan, nahesteht und dessen Veranstaltungen bewirbt. Ramadan selbst doziert in Oxford an einem von Katar finanzierten Lehrstuhl über Religionsfreiheit und ist Mitglied der einflussreichen Internationalen Union Muslimischer Gelehrter, die wiederum vom bereits erwähnten Yusuf al-Qaradawi geleitet wird. Qaradawi lebt in Katar und propagiert über den katarischen Fernsehsender al-Jazira seine islamistische Propaganda. Und hier schließt sich der Kreis in dieser Geschichte: Hauptgeldgeber des Museums in La Chaux-de-Fonds ist die Qatar Charity, eine global tätige Hilfs- und Missionierungsorganisation, mit Sitz in Katar. Dass in dieser Organisation ausgerechnet Tariq Ramadan das „Scharia-Forschungszentrum“ leitet, ist kein Zufall. Namen einzelner Akteure tauchen in den verschiedensten Positionen der unterschiedlichsten Organisationen immer wieder auf, was den Netzwerkcharakter ihrer Tätigkeit verdeutlicht.
Im Umfeld der Qatar Charity bewegen sich auch Personen mit engen Beziehungen zu dschihadistischen Gruppen, beispielsweise Nabil al-Awadi, der als Finanzier von Dschihadisten in Syrien bekannt ist. Ein anderer Sponsor des Museums ist das kuwaitische Zakat House (Haus der Almosen), eine islamistische Organisation, die sich als Wohltätigkeitsorganisation tarnt. Zakat House sammelt z.B. Spenden für die Terrororganisation Hamas. (35-37) Ähnliche Verbindungen von Wohltätigkeitsorganisationen mit anderen legalen islamischen Organisationen und Terrorgruppen finden sich immer und immer wieder und widerlegen allzu oft die Beteuerungen von Vertreter/innen islamischer Organisationen, mit Terror und Gewalt nichts zu tun zu haben. Keller-Messahli folgt den Verbindungen und Finanzströmen der verschiedensten Akteure innerhalb des islamistischen Spektrums, nennt Ross und Reiter und arbeitet die Querverbindungen in für Laien verständlicher Weise heraus.
Parteiübergreifende Ignoranz
Sie legt den Finger in die Wunde: Es sind europäische Politikerinnen und Politiker, die diesem Treiben, dessen Ziel die Islamisierung europäischer Gesellschaften ist, teils tatenlos zusehen und es mitunter aktiv unterstützen, aus Naivität, aber auch aus Berechnung. Islamistische Organisationen wie etwa die türkische Milli Görüş (= Nationale Sicht) dienen so mancher Partei als Stimmenbringer bei Wahlen. Hinzu kommt institutionalisierte Faulheit: politischen Parteien, zivilgesellschaftliche Organisationen und auch die Medien suchen Ansprechpartner, wenn es um die Fragenkomplexe Islam, Integration und Terror geht. Der bequemste Weg ist es meist, sich an jene zu wenden, die gut organisiert sind und sich offensiv als Vertreter der Muslime ausgeben. Auf diesem Weg wurde der Bock allzu oft zum Gärtner gemacht. Organisationen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft finden sich in staatlich finanzierten Deradikalisierungs- und zivilgesellschaftlichen Dialogprojekten. Sie sind in der Flüchtlingsbetreuung aktiv und sitzen für Parteien in Parlamenten. In Schweden hatten Mitglieder der Muslimbruderschaft die Parteispitze der Grünen unterwandert, was in einem Skandal endete. Katar finanziert weltweit Lehrstühle an renommierten westlichen Universitäten, die dann mit Sympathisanten oder Mitgliedern der Muslimbruderschaft besetzt werden.
Ob Rot, Grün, Schwarz oder Gelb: Die parteiübergreifende Ignoranz während der vergangenen 15 Jahre ist geradezu beispiellos, was die Gefahren für die gesamte Bevölkerung angeht. (91),
schreibt Keller-Messahli. Dieser Befund für die Schweiz kann sicherlich auf nahezu jedes europäische Land übertragen werden. Die Gefahr, die von infiltrierenden islamistischen Organisationen ausgeht, wurde und wird noch immer ignoriert oder unterschätzt.
Nulltoleranz
Aber Keller-Messahli deckt nicht nur auf, sondern bezieht auch zu den verschiedensten Themen der aktuellen Debatte wie etwa „Verschleierung“, „Kinder- und Zwangsehe“ oder „Scharia“ deutlich Stellung und legt im letzten Kapitel „mögliche Lösungsansätze“ vor. Sie plädiert für eine „Politik der Nulltoleranz“ gegenüber „potentiell staatsgefährdenden“ Organisationen und Verbänden und fordert, Verbote ernsthaft zu prüfen. Gleichzeitig täte die Politik gut daran, jene Kräfte zu stärken, die für einen modernen, säkularen Islam kämpfen, getragen von Menschen, die sich ohne Wenn und Aber zu Demokratie und Menschenrechten als Werten aufgeklärter Gesellschaften bekennen und die gerade deshalb von islamischen Verbänden geächtet und diffamiert und von Islamisten mit dem Tod bedroht werden. Auch die Autorin erhielt in den letzten Jahren Morddrohungen.
Allen, die mehr über islamistische Netzwerke in Europa wissen wollen, sei dieses Buch empfohlen und es bleibt zu wünschen, dass darunter auch viele politische Entscheidungsträger/innen sind.
Wer Saïda Keller-Messahli live erleben möchte:
Am 7. November wird sie ihr Buch in Wien präsentieren: Um 19 Uhr im Albert-Schweitzer Haus.
Und am 5. Dezember in Basel im Volkshaus.
Das Buch: Saïda Keller-Messahli: Islamistische Drehscheibe Schweiz. Ein Blick hinter die Kulissen der Moscheen (152 Seiten), Verlag NZZ Libro, Zürich 2017, € 34,-.
Schreibe einen Kommentar