Das (Er)-Volkscamp
Seit vergangenen Freitag hat RTL wieder sein Dschungelcamp geöffnet. Wurde die Sendung anfangs trotz hoher Quoten als Trash abgelehnt, so wird sie heute von einigen als intelligente Meta-Show gefeiert. Dabei ist sie vor allem eins: Gut gemachte Unterhaltung. Und das ist mehr als man von vielen Programmen erwarten darf.
Eigentlich müsste McDonalds längst insolvent und die Bild-Zeitung vom Markt verschwunden sein. Nämlich dann, wenn Burger-Kette und Springer-Blatt nur von den Menschen leben müssten, die öffentlich zugeben, deren Kunden beziehungsweise Leser zu sein. In der Realität sind die Schnelllokale und die Boulevard-Postille allerdings noch immer allgegenwärtig. Auch das RTL-Dschungelcamp, das am Freitag zum elften Mal seine Pforten geöffnet hat, erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. Im Vorjahr sahen im Schnitt etwa sieben Millionen Zuschauer die Übertragungen aus dem australischen Busch, was einen Marktanteil von beinahe 29 Prozent ausmacht. Bei der für den Privatsender maßgeblichen Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen erreichte der Marktanteil im Durchschnitt sogar mehr als 37 Prozent.
Aber es ist nicht nur die Quote, die den Hype um das Camp erklärt. Mittlerweile hat die Show eine öffentliche Aufmerksamkeit erreicht, die nur von wenigen Formaten übertroffen wird. So gab es in den vergangenen Wochen in fast allen Zeitungen und Zeitschriften – von der FAZ bis zur taz – eine umfangreiche Vorberichterstattung. In den bunteren Blättern wurden außerdem die Chancen der einzelnen Teilnehmer, dieses Jahr den zweifelhaften Titel des Dschungelkönigs davon zu tragen, in epischen Umfängen ausgewertet. Abgesehen von großen Sportereignissen wie Fußball-Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen, scheint „Ich bin ein Star, holt mich hier raus (oder kurz IBES)“, wie die Show eigentlich heißt, wirklich das letzte Lagerfeuer der Fernsehnation zu sein.
Letztes Lagerfeuer der Fernsehnation
Dabei verhielt es sich mit IBES am Anfang ähnlich wie mit McDonalds oder Bild. Keiner wollte es gesehen haben, aber Millionen sahen es. Wenn Kollegen und Freunde auf die Show zu sprechen kamen, dann angeblich nur, weil sie zufällig beim zappen hängen geblieben waren. Ich erfand einmal die Begründung, dass ich mir doch persönlich eine Meinung über dieses „Spiel ohne Grenzen“ für Z-Promis bilden musste. Jedenfalls waren die meisten Zeitgenossen stets genau informiert, welcher Dschungelinsasse zuletzt zu einer Prüfung antreten und welcher das Camp verlassen musste. Auch die Sprüche der Moderatoren waren in aller Munde.
Zwar hätte ich in diesem Jahr die Ausrede des regionalen Faktors gehabt: Mit Skandalnudel Gina-Lisa Lohfink nimmt erstmals eine Kandidatin aus meiner eher kleinen hessischen Heimatgemeinde teil. Allerdings sind Heimlichtuerei und Notlügen nicht mehr nötig, um unbeschadet den „RTL-Dschungel“ sehen zu können. Denn irgendwann drehte sich der Wind. IBES wurde für den Grimme-Preis nominiert und erhielt bei einem Teil von Medien und Publikum Kultstatus. Der Dschungel galt nicht länger als Trash, sondern als Meta-Show, die knallhart die Mechanismen des Show-Business offenlegt: Möchtegern-Promiente, die sich für ein paar tausend Euro und zwei Wochen Ruhm exhibitionieren sowie Programm-Macher, die auf der Jagd nach der Quote armselige Kreaturen zynisch in einem Menschen-Zirkus vorführen. Dazu ein Publikum, das zwei Wochen lang niedere Instinkte, Schadenfreude und Überlegenheitsgefühl ausleben kann. Brot und Spiele 2.0.
Brot und Spiele 2.0
Ich habe in IBES niemals nur den Trash oder die intelligente Meta-Show gesehen, vielleicht ist es ja eine Mischung aus beidem. Aber eigentlich ist mir diese Diskussion herzlich egal. Ich sehe das Dschungelcamp, weil es im Kern entspannte und – zugegebenermaßen – professionell gemachte Unterhaltung ist, die sich spätabends, wenn der Alltag geht und die Entspannung kommen soll, ohne größere intellektuelle Verrenkungen konsumieren lässt. Schwerere Kost, wie Gabriel Garcia Marquez im Original zu lesen, hebe ich mir eher für andere Gelegenheiten auf als nachts halb elf in Deutschland. So dürfte es auch vielen anderen gehen, die sich zur arbeitenden Bevölkerung zählen. Aber anders als etwa in den USA, Großbritannien oder Italien ist Unterhaltung als Wert an sich hierzulande immer noch übel beleumundet. Was gerade für Entertainment à la Dschungelcamp gilt, bei dem man sich trefflich über peinliche Selbstdarsteller amüsieren oder vor widerwärtigen Übungen wie Kakerlaken essen ekeln kann.
Ehrlicher als viele andere Programme
Dennoch stimme ich Larissa Karge zu, der Kommentatorin der „Hamburger Morgenpost“, die schreibt, dass das „Dschungelcamp“ trotz aller Inszenierung ehrlicher sei als vieles, was man sonst im deutschen Fernsehen zu Gesicht bekäme. Jeder wisse, dass die Kandidaten mitmachen würden, weil sie sich durch die Aufmerksamkeit einen Schub für die Karriere und Geld erhofften.
In der Tat ist IBES deutlich authentischer als beispielsweise der hohle Götze der öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehunterhaltung, der Tatort. Zwar wird diesem ARD-Dauerbrenner nachgesagt, gesellschaftlichen Anspruch zu haben. Allerdings wirkt die Reihe, die in viel zu viele Ermittlerteams ausgefranst ist, längst reichlich angestrengt und auserzählt. Schaut man genau hin, dann sind abstruse Drehbücher, überfrachtete Handlungen und kaum Spannung mittlerweile schon Markenzeichen des Krimi-Klassikers. Selbst die hochgejubelte Münsteraner Version mit Jan-Josef Liefers und Axel Prahl wirkt an schlechten Tagen schon mal wie eine überdrehte Lustspielaufführung an einem mittelprächtigen mittelfränkischen Stadttheater. Und bei einigen Wiesbadener Ausgaben mit Ulrich Tukur hatte ich den Eindruck als versuche da ein mäßig begabter Regie- oder Dramaturgie-Novize erfolglos Quentin Tarantino nachzuahmen. Der letzte Tatort, den ich mir angesehen habe, war – im Herbst 2013 – auch so ein Tarantino-für-Arme: „Aus der tiefe der Zeit“ vom gefeierten Regisseur Dominik Graf. Angeblich sei es Hauptdarstellerin Meret Becker ähnlich gegangen wie mir. Auch sie habe den Stoff nicht verstanden.
Mitleid ist unangebracht
Beim Dschungelcamp dagegen ist es wie beim Autokauf. Größere Interpretationsübungen werden nicht vorausgesetzt. Was man bekommt, ist das, was man sieht. Selbstverliebte Ex-Casting-Stars, zombifizierte frühere Showgrößen, zynische Sprüche und jede Menge Freude am Fremdschämen. Keine große Kunst, aber das Konzept funktioniert. Oft ist es wirklich lustig.
Und anders als manche IBES-Kritiker meinen, ist Mitleid dabei völlig unangebracht. Ich zitiere ja eher selten das „Neue Deutschland“ (ND) und fühle mich absolut unverdächtig, für dieses Blatt Werbung machen zu wollen. Aber besser als Wolfgang M. Schmitt, Autor der linken Zeitung, kann man es nicht auf den Punkt bringen: „…die Teilnehmer sind allesamt Medienprofis mit einem mehr oder weniger kompetenten Management. Sie wissen, wie sie vor der Kamera wirken und wie sie sich zu inszenieren haben. Sie sind nicht zu vergleichen mit jenen, die…sonst lustvoll vorgeführt werden: Hartz-IV-Empfänger, Bauern und Schwiegermütter.“
Passend auch das Zitat des Medienkritikers Neil Postman im ND: „Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.“ Beim letzten Halbsatz muss ich an den Tatort denken…
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