Buchpreis & Bindung. Abendland in Gefahr?
Ein liebgewonnenes Ritual rund um die Verleihung des Buchpreises: Die Buchpreisbindung wird mit Zähnen und Klauen verteidigt. Gegen Bestseller, Amerikanismus und alles, was sonst deutschen Geist zu zersetzen droht.
Es scheint, rund um die Buchpreisverleihung wird auch die Buchpreisbindung wieder diskutiert.
Außerdem hat sich Grütters von EU-Kommissarin Cecilia Malmström versichern lassen, dass die Buchpreisbindung bei der TTIP-Verhandlungen auf keinen Fall verhandelt werde.
meldet die Taz. Eigentlich ist das schon ein richtig lieb gewonnenes Ritual jedes Jahr um diese Jahreszeit. Heiliges Gut ist das deutsche Buch, kleiner und großer Satan EU und USA, sowie diverse Modernisierungen und Freihandelsabkommen. Besonders in Erinnerung bleibt mir das Jahr 2013, als der damalige Vorsitzende des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels gegen TTIP polterte, als sei es gestern gewesen, da es Bücher „zur bloßen Ware“ degradiere indem es die Buchpreisbindung unter Beschuss nehme. Junge, möchte man sagen, wir leben im Kapitalismus und dein Verein heißt verdammt noch mal BÖRSENVEREIN! Doch die deutsche Buchbranche stellt sich schützend vor das deutsche Buch und will es vor den Übeln des zügellosen Amerikanismus bewahren. Dazu brauche es die Buchpreisbindung:
Werde dieses Schutzinstrument abgeschafft, siege «die anonyme, ganz und gar manipulierbare Macht des Geldes über den Geist. Das Ende der stationären Buchhandlungen wäre eingeläutet.
So weit damals Honnefelder. Ich bleibe bei seiner Rede, da die wie keine davor oder danach die immer mitschwingenden Vorurteile kondensiert, die sich einstellen wenn der Buchpreis diskutiert wird. Der Antikapitalist vom Börsenverein weiter:
In Ländern ohne Buchpreisbindung habe sich eine „Bestsellerkultur“ entwickelt, die keinen Raum für besondere Themen, Experimente und kulturelle Vielfalt lasse.
Mensch Honnefelder, lies mal ein Buch! Es soll hier nicht darum gehen, ob für die Buchpreisbindung nicht doch der ein oder andere gute Grund zu nennen wäre. Aber wer deutsche Innovation gegen den amerikanischen Einheitsbrei stellt, betätigt sich als Totengräber des Literarischen Sachverstands.
Wo sind denn die analytisch scharfen Beobachter und Vermittler gesellschaftlicher Zusammenhänge, wie Phillip Roth, Saul Bellow, John Updike und Joyce Carrol Oates usw. in Deutschland? Was soll das Äquivalent literarischer Experimente wie derer Thomas Pynchons oder William Gaddis auf dem deutschen Markt sein? Und gab es je einen deutschsprachigen Roman in dem interkulturelle Erfahrungen, „Hybridität“ oder der „Clash of Cultures“ anders denn gesinnungsverkitscht thematisiert wurden? Warum kennt die deutsche Literatur keine Edwidge Danticat, keine Shani Mootoo, keinen Salman Rushdie? (Zugegeben, ein paar große Gestalten in und jenseits des Betriebs gibt es. Kurzeck etwa. Aber doch nicht wegen der Buchpreisbindung!)
Wahrscheinlich wäre, obwohl auf wachsenden Märkten in verschiedenen Staaten etwa des subsaharischen Afrikas und mit Höhepunkt in den 60ern und 70ern auch in Lateinamerikas Literatur noch boomt, gerade weil sie für nen Appel und ’n Ei zu haben ist, auch der Umkehrschluss falsch: Der nämlich, das Fehlen innovativer Autoren liege gerade an der Buchpreisbindung, die den Markt abschirme. Das stimmt in ärmeren Ländern sicherlich, der angolanische Autor Pepetela etwa bemerkte einmal, Angola sei literarisch eben deshalb so sehr hinter anderen afrikanischen Staaten zurück, weil die Regierung den Buchpreis hochhalte und Bücher für die breiten Masse unerschwinglich mache, für Deutschland taugt es aber kaum als Argument.
Etwas anderes könnte allerdings schuld sein: der Buchpreis. Also der Deutsche Buchpreis, und alles wofür er steht: Das Geflecht aus staatlicher, ländlicher und dörflicher Förderung für erwünschte Literatur, das sich regelmäßig stärker auf Inhalte denn auf Formen kapriziert und im Kultus um das saftigste Wortsteak vor allem die Trends in Richtung des neuesten Zeitgeistromans zu antizipieren sucht (und selbst wenn dann mal aus einer für gewöhnlich handzahmen Shortlist der richtige Autor ausgewählt wird, so aus den falschen Gründen und für das falsche Werk).
Insofern kann die Branche doch beruhigt in die Zukunft blicken. Auch ohne Buchpreisbindung wird man deutschen Geist weiter hegen und pflegen. Manchen Lichtblicken zum Trotz ist kein ernsthaft auf Höhe der Zeit befindlicher Autor in Sicht, höchstens ein Heer an Moderne-Simulanten, und die großen Meisterstücke wird man im Ausland und vielleicht in kleinen Verlagen & landauf landab und auf unterbeworbenen Lesungen zu suchen haben. Doch mit der Buchpreisbindung hat all das herzlich wenig zu tun.
Dem interessierten Leser, der selbst urteilen möchte, sei zum Abschluss noch einmal die vollständige Karte vom Anfang gereicht. Blau sind Staaten ohne Buchpreisbindung, Orange solche mit, und Grau Staaten, zu denen keine Daten vorliegen (man darf davon ausgehen, größtenteils ohne Buchpreisbindung).
Sind die orangen Staaten tatsächlich die letzten Hüter der Literatur?
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