Wir sind Verfassungsschutz

Schutz für das Bundesverfassungsgericht? Bundesjustizminister Buschmann will das Bundesverfassungsgericht besser schützen. Ist das eine gute Idee? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Udo Pohlmann auf Pixabay

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verankert, insbesondere in den Artikeln 92 bis 94. Hier sind die grundlegenden Bestimmungen festgelegt, die die Organisation, Kompetenzen und Verfahren des Bundesverfassungsgerichts regeln.

Art 92

Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.

Art. 93

1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:

1.
über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind;
2.
bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Viertels der Mitglieder des Bundestages;
2a.
bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes;
3.
bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht;
4.
in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist;
4a.
über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
4b.
über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann;
4c.
über Beschwerden von Vereinigungen gegen ihre Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag;
5.
in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen.

(2) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet außerdem auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes, ob im Falle des Artikels 72 Abs. 4 die Erforderlichkeit für eine bundesgesetzliche Regelung nach Artikel 72 Abs. 2 nicht mehr besteht oder Bundesrecht in den Fällen des Artikels 125a Abs. 2 Satz 1 nicht mehr erlassen werden könnte. Die Feststellung, dass die Erforderlichkeit entfallen ist oder Bundesrecht nicht mehr erlassen werden könnte, ersetzt ein Bundesgesetz nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2. Der Antrag nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn eine Gesetzesvorlage nach Artikel 72 Abs. 4 oder nach Artikel 125a Abs. 2 Satz 2 im Bundestag abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und Beschluss gefasst oder wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt worden ist.
(3) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig.

Art. 94

(1) Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern. Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt. Sie dürfen weder dem Bundestage, dem Bundesrate, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.
(2) Ein Bundesgesetz regelt seine Verfassung und das Verfahren und bestimmt, in welchen Fällen seine Entscheidungen Gesetzeskraft haben. Es kann für Verfassungsbeschwerden die vorherige Erschöpfung des Rechtsweges zur Voraussetzung machen und ein besonderes Annahmeverfahren vorsehen.

 

Das Prinzip

Artikel 92 GG beschreibt also die Einrichtung des Bundesverfassungsgerichts und seine Funktion als Verfassungsorgan. Artikel 93 GG regelt die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts, einschließlich seiner Rolle als Hüter der Verfassung und der Interpretation des Grundgesetzes. Artikel 94 GG legt schließlich das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht fest.

Diese Artikel bilden damit das rechtliche Fundament für die Existenz und Tätigkeit des Bundesverfassungsgerichts und stellen sicher, dass es seine Aufgaben als höchstes deutsches Gericht für Verfassungsfragen wahrnehmen kann.

Wozu braucht es also weiteren Schutz für das BVerfG?

Dazu sagt der Bundesjustizministe:

Dr. Marco Buschmann: Die traurige Erfahrung in Polen, in Ungarn und teilweise auch in Israel ist, dass Verfassungsgerichte schnell politische Angriffsziele sein können. Das deutsche Bundesverfassungsgericht ist ein Erfolgsmodell. Es hat sich als Schutzschild der Grundrechte und tragende Säule unserer liberalen Demokratie erwiesen. Zu seiner Entstehungszeit war diese Rolle noch offen. Ich arbeite daran, dass es gelingt, in Deutschland die notwendigen Mehrheiten zu organisieren, um die Unabhängigkeit des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz stärker zu verankern. Wir müssen aus Erfahrungen aus anderen Staaten lernen, um für potenzielle Gefahren gut gerüstet zu sein.

Buschmann hat natürlich Recht, dass die Unabhängigkeit der Gerichte immer da in Gefahr ist, wo extreme Parteien die Möglichkeit haben, sich diese lästigen Wahrer der Verfassung vom Hals zu schaffen. Und diese Gefahr besteht durchaus in nicht allzu ferner Zukunft.

Denn die Regeln, die für das Bundesverfassungsgericht gelten, sind im GG halt nur rudimentär enthalten und sind inhaltlich weitgehend im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) festgelegt. Und wie dies sogenannte einfache Gesetze so an sich haben, könnte es mit einer einfachen Mehrheit, also z.B. durch eine nach Abriss der Brandmauer regierende CDU/AfD-Koalition, die hoffentlich nie zustande kommen wird,  geändert werden.

Der Plan

Der Plan besteht daher im Wesentlichen darin, die wichtigsten Regelungen des BVerfGG in verfassungsrechtlichen Stein zu meißeln, also einige Regeln direkt in die Verfassung aufzunehmen. Denn dann könnten sie nur mit einer Zweidrittelnmehrheit geändert werden. Und ja, eine Zweidrittelmehrheit dürfte für extremistische Parteien jedenfalls im Bund so schnell nicht zu realisieren sein. Aber man weiß es halt nicht.

Nach dem Entwurf des BMJ, soll in einem geänderten Art. 93 Abs. 1 GG die Stellung des BVerfG als ein gegenüber allen übrigen Verfassungsorganen selbstständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes festgeschrieben werden. So steht es aktuell in § 1 Abs. 1 BVerfGG.

1) Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.

Art. 93 Abs. 2 GG soll um die Regelung aus § 2 BVerfGG  ergänzt werden, wonach das BVerfG aus zwei Senaten zu je acht Richtern besteht und drei Richter jedes Senats aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes gewählt werden.

Außerdem soll in Art. 93 Abs. 3 GG nun eingefügt werden, dass die Amtszeit höchstens zwölf Jahre und längstens bis zum Ende des Monats dauert, in dem der Richter das 68. Lebensjahr vollendet. Und es soll – wie bisher schon in § 4 BVerfGG – geregelt werden, dass die Richter ihre Amtsgeschäfte fortführen, bis ein Nachfolger ernannt und eine spätere Wiederwahl ausgeschlossen ist.

In einem weiteren Absatz in Art. 94 soll noch die Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG sowie deren Gesetzeskraft festgeschrieben werden. Auch dies fand sich vorher lediglich im BVerfGG.

Was soll das?

Nun mag der geneigt Leser sich fragen was das eigentlich soll. Und die Frage ist berechtigt. Klar, es spricht nichts dagegen, dem  wichtigen Verfassungsorgan Bundesverfassungsgericht einen gebührenderen Platz im Grundgesetz einzuräumen und es durch die Aufnahme der vorgeschlagenen Ergänzungen vor Änderungen durch eine einfache Mehrheit zu beschützen. Aber natürlich muss man auch  im Auge haben, dass es womöglich einmal eine Zweidrittelmehrheit von Verfassungsverächtern im Parlament geben könnte. Und dann ist ganz schnell Schluss mit lustig.

Möge die Macht mit dir sein

Die bisherige – und hoffentlich andauernde – Macht des Verfassungsgerichtes beruht darauf, dass alle Staatsorgane sich in den allermeisten Fällen den Entscheidungen des Gerichts, wenn auch manchmal maulend, gefügt haben. Was passieren würde, wenn eine extremistische Regierung den Richterspruch aus Karlsruhe einfach ignoriert, mag ich mir gar nicht vorstellen.

Das Bundesverfassungsgericht hat keine eigene Exekutive. Das bedeutet, dass es darauf angewiesen ist, dass die anderen Staatsorgane sich seinen Entscheidungen widerstandlos fügen. Das Grundgesetz schweigt sich darüber aus, wie das Gericht seine Entscheidungen im Falle einer Nichtbeachtung durch z.B. die Bundesregierung durchsetzen kann. Zwar steht in § 35 BVerfGG:

Das Bundesverfassungsgericht kann in seiner Entscheidung bestimmen, wer sie vollstreckt; es kann auch im Einzelfall die Art und Weise der Vollstreckung regeln.

Aber das hilft im Zweifelsfall wohl wenig, wenn derjenige, dem die Vollstreckung auferlegt wird, lakonisch mit der Schulter zuckt und gelassen „Leck mich“ sagt. Da steht der Verfassungskaiser dann ziemlich nackt da.

Das Bundesverfassungsgericht wirkt und kann auch nur dadurch wirken, dass andere Institutionen es ernst nehmen und seine Entscheidungen – ggf. leise weinend – akzeptieren. Verliert der Hüter der Verfassung die Akzeptanz, so wäre das der Anfang vom Ende unseres Rechtsstaats. Dieses Ende lässt sich auch mit noch so gut gemeinten Verfassungsänderungen nicht stoppen, wenn das Volk sich eine Regierung wählt, die auf die Verfassung scheißt. Es ist also an uns übrigen Bürgern, das Bundesverfassungsgericht selbst zu schützen, indem wir den Undemokraten bei künftigen Wahlen keine Stimme geben. Auch nicht aus Protest, weil uns irgendwas an der Tagespolitik nicht gefällt. Es gibt genügend demokratische Parteien, die entgegen allen Unkenrufen die unterschiedlichsten politischen Ansichten vertreten, die sich aber im Kern darin einig sind, dass unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung das Beste ist, was Deutschland jemals hatte. Wer in die Zeit vor dem Grundgesetz zurück will, hat einen Sockenschuss, und es ist zu wünschen, dass auch die von der Tagespolitik enttäuschten Menschen letztlich erkennen, dass der Extremismus, egal ob von rechts oder links, keine wirkliche Alternative darstellt. Wir Bürger haben es in der Hand, unsere Verfassung zu schützen, wir sind der einzig wirkliche Verfassungsschutz.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

More Posts - Website