Die Me2-Freundin, die nicht schlafen kann

Henning Hirsch erhält um 3 Uhr nachts einen Anruf, in dem es um 1 sexistisches Filmplakat geht. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob man James Bond heutzutage überhaupt noch anschauen kann, ohne dabei gegen zahlreiche Me2-Gebote zu verstoßen.

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Es war mitten in der Nacht, als mein Telefon wie verrückt klingelte. Nicht 5x, sondern 10x und dann wieder 10x und erneut 10x. Musste also was Wichtiges sein.
„Bist du wach?“, fragte Vera.
„Jetzt schon“, antwortete ich.
„Ich kann nicht schlafen“, sagte sie.
„Und dann rufst du um 3 Uhr fremde Leute an?“
„Du bist nicht fremde Leute. Wir waren zusammen auf der Schule. Oder hast du das vergessen?“
„Nein, habe ich nicht vergessen. Was gibt’s so Dringendes, dass du seit ner Viertelstunde dauerläutest?“

Ne schiefgelaufene Facebook-Konversation

„Ich kann nicht schlafen“, sagte Vera.
„Sagtest du schon“, sagte ich.
„Willst du wissen, weshalb ich nicht schlafen kann?“
„Eigentlich nicht; aber du wirst es mir trotzdem erzählen.“
„Mir geht eine Facebook-Konversation nicht aus dem Kopf.“
„Seit wann gibt’s in Facebook Konversation? Da werden doch nur grob gestrickte Meinungen mit dem Holzhammer ausgetauscht. So lange, bis der eine beleidigt ist und der andere ihn blockiert.“
„Bei dir vielleicht. Bei mir geht es gesittet zu. Ich achte sehr auf Etikette.“
„Und kannst jetzt nicht schlafen.“
„Kannst du nicht manchmal ebenfalls nicht schlafen, weil dich eine Facebook-Konversation nicht loslässt?“
„Ich schlafe wie ein Baby.“
„Du warst immer schon gut im Verdrängen. Liegt an deinem oberflächlichen Charakter.“

„Vera, worum geht’s konkret? Sonst lege ich mich wieder hin. Ich brauch meinen Schlaf.“
„Ich hab gestern ein altes Filmplakat gepostet.“
„Ein altes Filmplakat?“
„War ein Plakat zu ‚Der Spion, der mich liebte‘. Kennst du den?“
„Klar, kenne ich den: war der dritte mit Roger Moore. Mit ner echt heißen Barbara Bach an seiner Seite. Allein für den Arsch von ihr lohnt es, sich den Film mehrmals anzusehen.“
„Genau darum geht es.“
„Um den Arsch von Barbara Bach?“
„Dass das Filmplakat zu aufreizend gestaltet war, zu sexy. Heute könnte man so was nicht mehr zeigen wegen Sexismus und Me2. Und ich hab mich im Anschluss echt schlecht gefühlt, weil ich es gepostet hatte; denn, wie du weißt, Me2 liegt mir sehr am Herzen. Ich wollt’s aber auch nicht wieder löschen, weil schon so viele Kommentare drunter standen. Und nun habe ich ein sexistisches Plakat auf meiner Seite stehen und kann deshalb nicht schlafen.“

„Trink 2 Glas Rotwein und scheiß auf die Kommentatoren“, sagte ich.
„Und das ausgerechnet aus deinem Mund.“
„Dann trink halt keinen Rotwein.“
„ICH kann jederzeit Rotwein trinken, aber du solltest noch nicht mal daran denken!“
„Ich geh jetzt aufs Klo.“
„Aber nicht einpennen. Ich warte, bis du wiederkommst.“

Ich ging aufs Klo und dachte kurz drüber nach, mich in die Badewanne zu legen, um weiterzuschlafen. Das Geräusch der Spülung vermischt mit dem Zitronengeruch der WC-Steine machte mich wieder wach. Ich schlurfte zurück ins Wohnzimmer.

Was darf auf einem Filmplakat (nicht) gezeigt werden?

„Hast du Pipi gemacht?“, wollte Vera wissen.
„Männer in meinem Alter machen nicht Pipi.“
„Sondern?“
„Sie pissen.“
„Was für ein vulgäres Wort. Ob du dich dabei hinsetzt, frage ich gar nicht erst.“

„Also, was ist jetzt mit dem Filmplakat? Haben deine Follower hyperventiliert, weil der knackige Arsch von Barbara Bach darauf zu sehen war?“
„Sie haben geschrieben, dass man so ein Plakat heute auf gar keinen Fall mehr zeigen darf.“
„Du hättest antworten können, dass es ein Plakat aus den 70-ern ist. Damals hat man mit solchen Collagen für Filme geworben und sich keine Gedanken über Me2 und Sexismus gemacht. So wie man sich auch keine Gedanken über die Homo-Ehe und Palmöl in Nutella gemacht hat. Wer ein Problem mit 007-Plakaten hat, soll sich die Filme halt nicht anschauen.“
„Aber genau hier liegt das Paradox, das ich nicht verstehe“, sagte Vera.
„Was für ein Paradox?“

„Meine Freunde schrieben, dass die Filme wunderbar sind, und Roger Moore ein toller Bond wäre.“
„Deine Follower haben keinen blassen Dunst von guten Filmen.“
„Aber du hast Ahnung von Filmen?“
„Augenscheinlich mehr als deine digitalen Freunde. Denn Moore war im Vergleich zu Connery natürlich ein qualitativer Abstieg. Sowohl von der schauspielerischen Leistung her als auch bei den meisten Geschichten. Von „Der Spion, der mich liebte“ mal abgesehen. Der wird aber vor allem durch den Knackarsch von Barbara Bach und den Beißer gerettet. Streng genommen hätte man die Reihe nach Connerys letztem Auftritt beenden müssen. Alles, was danach kam, war Wiederholung und Mittelmaß.“
„Fandst du Barbara Bach damals geil?“
„Wer fand Barbara Bach damals nicht geil?“
„Hast du auf Sie masturbiert?“
„Wie soll ich heute noch wissen, auf wen ich 1977 masturbiert habe?“
„Also hast du es. Wusste ich sofort.“

007 ohne Sexismus ist wie Dick ohne Doof

Wir redeten jetzt eine Viertelstunde miteinander und mir war immer noch nicht so richtig klar, was Vera derart aus der Fassung gebracht hatte, dass sie nicht schlafen konnte. Sie rief mich zwar hin und wieder an, aber nie nach Mitternacht. Es musste was mit Gute-Menschen-posten-keine-70er-Jahre-Filmplakate zu tun haben. Und wenn sie es dennoch tun, um ihre Liebe zu alten 007-Streifen zu bekunden, dann müssen sie sich zumindest vom Plakat distanzieren und darunter schreiben, dass sie die Collage (zusätzlich zur leichtbekleideten Barbara Bach sind darauf noch 2 unbekannte Bikini-Schönheiten und der seine Walther PPK zückende Roger Moore zu sehen) nur deshalb posten, weil es das Original ist, sie aber keineswegs mit dem Inhalt konform gehen. Denn solche Bilder degradieren Frauen zu Sexobjekten und gehören heutzutage selbstverständlich auf den Puritanismus-Index. Zeigen darf man sie bloß noch, um die Historie nicht zu verfälschen (iSv. wissenschaftlich sauber bleiben, indem man die Primärquelle demonstriert) und sollte das Bild dann aber sofort mit einem Warnhinweis versehen. Dass nun ausgerechnet meine Me2-angehauchte Schulfreundin Vera solch harsche Kritik von ihren virtuellen Freunden erfuhr, machte ihr offensichtlich stark zu schaffen.

„James Bond und Frauen als Sexobjekte sind untrennbar miteinander verknüpft. So wie Oliver Hardy & Stan Laurel oder Linda Lovelace mit Deep Throat. Das eine ist ohne das andere undenkbar, geradezu sinnbefreit“, sagte ich.
„Das Plakat spiegelt den Inhalt?“
„Natürlich tut es das. Es ist sogar harmloser als der Film, den in dem gibt’s ja Chauvi-Sprüche am laufenden Band. Vor allem die 70-er-Jahre-Produktionen borden über von Sexismus.“
„Also ist es ein Paradox, die Filme zu mögen, jedoch das Plakat zu verdammen?“
„Es ist Heuchelei, um auf billige Art dem Me2-Zeitgeist zu entsprechen, ohne die eigenen Sehgewohnheiten in Frage zu stellen. Wer ein Problem mit Sexismus hat, darf sich keinen Bond mehr anschauen.“
„Gilt das auch für die neuen Produktionen mit Craig?“
„Ja, das gilt auch für Craig.“

„Du hast natürlich kein Problem mit Chauvinismus und 007“, sagte Vera.
„Ich hab eher ein Problem damit, dass Bond partout nicht sterben will und wie ein Untoter alle paar Jahre wieder auf die Bühne gezerrt wird. Das erfüllt mittlerweile den Tatbestand der Leichenfledderei.“
„Lenk nicht vom Thema ab. Für dich ist das alte Plakat also auch aus heutigem Blickwinkel okay?“
„Völlig okay.“
„Das wollte ich wissen.“
„Gut, dass wir darüber nachts um 3 gesprochen haben. Ich leg mich jetzt wieder hin.“
„Schlaf schön und träum von Barbara Bach.“

Ich ging nochmal aufs Klo, denn ü60 ist es ratsam, seine Blase akkurat zu leeren, bevor man sich ins Bett legt, und überlegte, ob ich 1977 auf Barbara Bach masturbiert hatte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, aber das heißt nicht viel, weil man in meinem Alter ne Menge vergisst.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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