Als es in Los Angeles heftig schneite

Die neue Serienjunkie-Kolumne: Heute geht’s um die 80-er Jahre und Schnee in Südkalifornien. Henning Hirsch hat „Snowfall“ angeschaut.

Bild von Gam-Ol auf Pixabay

„Was ist das für ein schwarzes Loch in deinem Küchentisch?“, fragt die alte Schulfreundin.
„Was für ein schwarzes Loch?“
„Na, in deinem Küchentisch. Das war bei meinem letzten Besuch noch nicht da.“
„Ach, das Loch meinst du. Ja, ist neu.“
„Wie kommt das dahin?“
„Ich hab nen superheißen Topf vom Herd genommen und da abgestellt, und der hat sich irgendwie in die Platte reingefressen.“
„Das hast du nicht sofort bemerkt? Das muss doch verbrannt gerochen haben?“
„Ich war abgelenkt.“
„Abgelenkt?“
„Ich hab ne spannende Serie geschaut und den Scheißtopf auf dem Scheißtisch vergessen.“
„Du hast doch nach der letzten Serie gesagt, dass du dir nie wieder ne Serie anschaust.“
„Ich hatte nicht ‚nie‘ gesagt, sondern dass ich jetzt ne längere Pause mit Serien einlege.“
„Die Pause hat maximal 1 Woche gedauert. Lang ist was anderes.“
„Ich weiß. Aber die neue Serie ist wirklich fesselnd.“
„So fesselnd, dass du nicht mitbekommst, wie sich ein Topf in deinen Küchentisch reinfrisst. Das muss ja echt ne Superserie sein … was machst du jetzt mit dem Loch? Wollen wir zusammen einen neuen Tisch kaufen?“
„Ich schau erstmal die Serie zu Ende. Dann kümmere ich mich um einen neuen Tisch.“
„Und bis dahin gähnt da ein schwarzes Loch?“
„Ich stell ne Blumenvase drauf. Dann bemerkt das keiner.“
„Du besitzt gar keine Blumenvase.“
+++

Plötzlich fegt ein Schneesturm durch L.A.

Ja ja, ich hatte nach „Lost“ gesagt, dass ich ne LANGE Pause mit Serien einlegen werde. Und dann hat mir der Algorithmus – heißt das superschlaue Ding bei den Streamingdiensten überhaupt so? – Minimum ein Dutzend Mal „Snowfall“ vorgeschlagen. Gemäß dem Motto, „Nutzer, die Lost geschaut haben, gefällt auch das“, und irgendwann bin ich schwach geworden und habe probeweise reingeklickt.

Eine Serie, die in den 80-er Jahren in Los Angeles spielt und mit „Snowfall“ überschrieben ist, handelt wenig überraschend nicht vom Klimawandel, sondern hat harte Drogen zum Inhalt. Konkret geht es um den Ausbruch der Crack-Epidemie in den USA. Weitere Schauplätze sind Mexiko, Nicaragua, Panama und es gibt hin und wieder kleine Abstecher nach Washington D.C. und in ein paar Provinznester des Mittleren Westens. Produziert wurden die insgesamt 6 Staffeln zwischen 2016 und 2022 (Ausstrahlung erfolgte jeweils um 1 Jahr zeitversetzt zw. 2018 und 2023).

Die 4 Themenschwerpunkte lauten:
(A) Herstellung von und Handel mit (der damals neuen Droge) Crack
(B) der von der CIA organisierte Import von Kokain
(C) die Verelendung kompletter Stadtviertel durch die Droge und die damit einhergehende Gewaltkriminalität
(D) Alltagsrassismus.

Die Haupt- & Nebendarsteller

In den ersten beiden Episoden lernen wir die 3 Protagonisten kennen:
(1) Franklin Saint (Damson Idris): ein zu Beginn der Serie 19-jähriger Beinahe-Student, der seinen Ausflug ans College nach einigen Monaten jedoch abgebrochen hat und zurück zu seiner alleinerziehenden Mutter nach L.A. South Central zieht. Dort verdient er sich ein paar Dollar mit Gelegenheitsjobs, bevor er bei seinem Onkel als Marihuana-Ticker einsteigt und per Zufall an 1 Kilo Kokain gelangt, das er schnell an den Mann bringt. Der neue Dealer ist von den Verkaufskünsten Franklins äußerst angetan und überzeugt ihn, von Gras auf Koks umzusatteln.
(2) Teddy McDonald (Carter Hudson): ein trotz seiner Jugend schon recht erfahrener CIA-Agent, der im Büro Los Angeles den Drogenschmuggel aus Nicaragua heraus und die Waffenlieferungen in den Dschungel hinein organisiert & steuert. Teddy ist dringend auf gut funktionierende Vertriebskanäle für sein Produkt angewiesen. Schon bald kreuzen sich deshalb sein und Franklins Weg. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich im Verlauf der Jahre eine Hassliebe.
(3) Gustavo Zapata (Sergio Peris-Mencheta): mexikanischer Überlebenskünstler und Ringer, der sich mit drittklassigen Schaukämpfen in Südkalifornien über Wasser hält. Durch Zufall gerät er zuerst an eine mexikanische Drogenbaronin, bevor er, nicht ganz freiwillig, zum Helfer Teddys avanciert und für den das Kokain über die Grenze nach L.A. transportiert.

Und es gibt jede Menge Zweite-Reihe-Darsteller, die wir der Übersichtlichkeit halber den o.g. „Helden“ zuordnen:

Franklins Familie
Tante Louie & Onkel Jerome: planen ebenfalls, groß ins Kokain-Geschäft einzusteigen/ Mutter Cissy (möchte mit Drogen nichts zu tun haben, lässt sich aber breitschlagen und baut mit dem schmutzigen Geld ihres Sohnes eine Immobilienfirma auf)/ Kumpel Leon (erledigt die Drecksarbeit und steigt dann zum Pusher in den Projects auf)/ Wanda (Leons Verlobte: arbeitet zuerst in Franklins Crack-Küche, wird dann selbst abhängig, landet auf der Straße, durchläuft einen quälenden Entzug und wandelt sich schließlich zur Kritikerin des Businessmodells)/ Vater Elton (hat Frau & Sohn verlassen, kehrt nach Jahren zurück, missbilligt die Aktivitäten Franklins, toleriert diese aber, weil er den fragilen Familienfrieden nicht gefährden will. Um sein schlechtes Gewissen zu beschwichtigen, gründet er ein Hospiz als Zufluchtsort für Junkies & Obdachlose).

Teddys Verbündete
Matt (Bruder und ehemaliger Vietnam-Pilot. Hilft Teddy dabei, das Koks aus Mittelamerika rauszufliegen)/ Julia (Exfrau und Mutter von Teddys Sohn)/ Parissa (Exil-Iranerin, der Teddy zur Flucht in die USA verholfen hat: seine Geliebte)/ Avi Drexler (ehemaliger Mossad-Agent, der nun als Freiberufler mit Waffenschmuggel sein Geld verdient).

Gustavos Frauen
Lucia (Drogenbaronin und Verlobte Nr. 1, die nach 3 Staffeln spurlos verschwindet)/ Amanda (Verlobte Nr. 2. Verschwindet ebenfalls).

Klingt alles (zu) kompliziert? Keine Sorge – ist es nicht. Es sind zwar ne Menge Charaktere, allerdings liegt der Fokus eindeutig auf den 3 Protagonisten, und die Anzahl der B-Darsteller bleibt – v.a. wenn man vorher wie ich „Lost“ mit den Minimum 100 Einzelschicksalen gesehen hat – im jederzeit tolerablen bzw. bequem überschaubaren Rahmen.

Geschichte beginnt etwas langatmig, nimmt dann aber gehörig Fahrt auf

Die Handlung startet im Sommer 83, als:
(a) die CIA beschließt, die Guerillaaktivitäten der Contras in Nicaragua u.a. durch Drogenschmuggel zu finanzieren
(b) Crack in einem Labor in Kalifornien erfunden wird
(c) der 19-jährige Franklin sich gegen den Besuch eines Colleges und stattdessen für den Einstieg ins Drogenhandel-Business (anfangs Marihuana & Kokain) entscheidet.

Die ersten Folgen sind etwas langatmig erzählt. Ich schrieb deshalb in meinem Facebook-Blog:
„Die Geschichte ist allerdings langweilig: eine überwiegend fade Mixtur aus „Boyz n the Hood“, „Straight Outta Compton“ & „Kill the Messenger“, gewürzt mit ner kleinen Prise „Scarface“. Alles irgendwo schon mal (besser) gesehen. Werde deshalb (hoffentlich!) nach 1 Staffel wieder damit stoppen.“

Aus nicht erklärbaren Gründen – vermutlich spielt der Binge-Faktor dabei eine große Rolle – stoppte ich jedoch nicht, sondern ließ mich stattdessen immer mehr von der Handlung – die am Ende von Staffel 1 ordentlich Fahrt aufnimmt – in ihren Bann ziehen, bis ich nach 14 Tagen (überwiegend waren es Nächte) mit allen 60 Episoden (jeweils 10 pro Staffel) durch war.

Hier jetzt mein Eindruck zur gesamten Serie, gegliedert gemäß der o.g. Schwerpunkte (wobei ich wegen der Chronologie B. vorziehe):

Der von der CIA organisierte Import von Kokain

Der Schmuggel von Kokain in die USA stellte eine der beiden Finanzierungssäulen (die andere war der illegale Verkauf von schweren Waffen an das Mullah-Regime in Teheran) für die Aufrüstung der Rebellen in Nicaragua dar. Zu trauriger Berühmtheit unter dem Begriff „Iran-Contra-Affäre“ gelangt. Der Grundstoff wurde dabei aus Peru und Kolumbien nach Mittelamerika geliefert und dort in Dschungellaboren zu Kokain verarbeitet. Die CIA half dabei (wenn man der Serie Glauben schenken darf) sowohl beim Besorgen der Rohsubstanz als auch beim Schmuggel des Endprodukts in die USA hinein (das Zweite ist unstrittig, ob die erste Behauptung stimmt, entzieht sich meiner Kenntnis). Um möglichst rasch Abnehmer zu finden, wurde das Nicaragua-Kokain preiswerter als der kolumbianische Stoff auf den Markt gebracht. Daraus resultierte ein Angebotsüberhang bei den Zwischenhändlern. Die fanden nicht mehr genügend Käufer für die, trotz Preissenkung, weiterhin teure (Party-) Droge. Es musste also dringend was Neues her, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, das Business aufgrund der Kokainschwemme gegen die Wand zu fahren.

Herstellung von und Handel mit (der damals neuen Droge) Crack

Da traf es sich gut, als zeitgleich ein kalifornischer Dealer einen Chemiker anheuerte, der Wege finden sollte, das Pulver nicht mehr einzig zu schnupfen, sondern ebenfalls als Dampf inhalieren zu können. Das funktioniert mit reinem Kokain nicht, man muss das – in der chemischen Fachsprache als Kokainhydrochlorid bezeichnete – Pulver vorher durch Zugabe von Natron vom Chlorid-Anteil separieren. Heraus kommen dabei entweder Crack/Rock oder Freebase (hier wird statt Natron als Trennmittel Äther verwendet). Diese beiden Substanzen kann man problemlos erhitzen und wie Pfeifentabak rauchen. Die berauschende Wirkung tritt via Lunge um einiges schneller und intensiver ein als durch die Nase gezogen.

Die Bezeichnung „Crack“ spielt dabei auf das knisternde/knackende Geräusch an, das beim Verbrennen der Droge in der Pfeife zu hören ist, während der ebenfalls gebräuchliche Begriff „Rock“ die Form der kleinen, kristallinen Klumpen beschreibt.

„Schöne“ Nebeneffekte =
 aus 1 Kilogramm Koks lassen sich 10kg Crack gewinnen
 statt 1 benötigt man anfangs bloß 1 zehntel Gramm, um den Kick zu spüren
 der Verkaufspreis kann stark herabgesetzt werden -> neue (ärmere) Konsumenten können sich den Stoff leisten
 die Droge macht sofort abhängig.

Ausweitung des Marktes durch neue Käuferschichten plus zeitlich eng getakteter Konsum aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials = Dealers Paradise.

Verelendung kompletter Stadtviertel durch die Droge und die damit einhergehende Gewaltkriminalität

Auf die Euphorie, die eingangs sowohl bei Verkäufern als auch Käufern herrschte, folgte bald das unsanfte Erwachen: die Konsumenten glitten schnurstracks ab in die Sucht, was wiederum den Verlust des Arbeitsplatzes und wirtschaftliche Schwierigkeiten (häufig den finanziellen Ruin) nach sich zog. Um den Kauf der Droge stemmen zu können (die war zwar billig, muss aber mehrmals täglich dem Körper zugeführt werden, was die Angelegenheit in der Addition der Einzelrauscherlebnisse dann wieder teuer macht), drifteten viele ab in die Beschaffungskriminalität: die Gewaltdelikte (z.B. Überfälle auf Drugstores, bewaffnete Einbrüche) explodierten. Auch auf Anbieterseite nahmen die Verteilungskämpfe an Härte zu. Jeder Großdealer beschäftigte eine kleine Privatarmee, um sein Territorium gegen die Konkurrenz abzuschirmen. Es gab nun Stadtteile, in denen sich die Bevölkerung nicht mehr auf die Straße traute. Es war wie leben in einem Kriegsgebiet, obwohl offiziell gar kein Krieg herrscht. Die Kombination Konsumenten-Elend & Gang-Schießereien traumatisierte v.a. die nicht drogensüchtigen Anwohner stark.

Alltagsrassismus

Nach einer Periode des anfänglichen Wegsehens bzw. Nur-mit-1-Auge-Hinschauens nahmen die Behörden sowohl die Zwischenhändler als auch die Konsumenten verstärkt ins Visier. Und die Ermittler gingen dabei nicht zimperlich vor. Die Gewalt, die in Snowfall vom LAPD praktiziert wird, ist nicht minder verstörend als die Brutalität der Straßengangs. Zumal sich die Polizei häufig nicht die Mühe macht, zwischen Dealer und Konsument zu unterscheiden. Den Knüppel des Gesetzes bekommen oft beide zu gleichen Teilen übergezogen. Überstellung der Süchtigen in eine qualifizierte Entgiftung = Fehlanzeige. Entzugskliniken sind teuer und deshalb nichts für arme Crack-Junkies. Die müssen entweder im Knast oder zu Hause auf dem Sofa (falls sie beides überhaupt noch besitzen) in Eigenregie runterkommen (was die meisten natürlich nicht schaffen und deshalb bis zum bitteren Ende weiter cracken).

Obwohl einige Dealer – und ne Menge Abhängige – weiß sind, wählt die Polizei mit Vorliebe die schwarze Bevölkerung als Ziel aus. Okay, es ist in L.A. South Central (dort spielt die Serie zu 80 Prozent) wahrscheinlich schwer, weiße Anwohner zu finden; aber die Fokussierung der Razzien auf die Quartiere der afroamerikanischen Bürger wird ja auch aus anderen Städten berichtet. Interessant – eigentlich erschreckend – wie nervös selbst hartgesottene schwarze Dealer werden, wenn sie von weißen Streifenbeamten bei einer Routine-Verkehrskontrolle angehalten werden. Die Angst besteht nicht immer darin, dass Drogen im Kofferraum hinter dem Reserverad versteckt sind, sondern dass die Polizisten den Fahrer aus nichtigem Anlass einkassieren oder gar auf offener Straße zusammenschlagen. Als ob es eine schriftlich nicht fixierte Lizenz zum Niederknüppeln gibt. Und natürlich haben es Schwarze auch schwer, sich vor Gericht Gehör zu verschaffen oder gegen Zahlung einer Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt zu werden.

Die Macher der Serie zeichnen allerdings kein Klischeebild in der Art, Schwarze handeln immer gut und Weiße durchgängig böse. Die – oft überaus brutalen – Dealer sind schwarz. Denen ist bewusst, dass sie ihre eigenen Leute in die Sucht und den finanziellen Ruin treiben. Was sie aber völlig kalt lässt, so lange sie mit Crack Unmengen Geld verdienen. Einige spüren ein schlechtes Gewissen, das sie mit dem Sponsoring von lokalen Hospizen zu beschwichtigen versuchen: Notdürftige Versorgung von Abhängigen, die man vorher selbst geschaffen hat. Den meisten Dealern reicht das, um das eigene Tun zu rechtfertigen. Aussteigen aus dem lukrativen Business will keiner. Kurzer Einschub an dieser Stelle: es gibt natürlich auch weiße Verkäufer und weiße Junkies. Da die Serie aber hauptsächlich in South Central spielt, sind die Akteure logischerweise überwiegend schwarz.

Starke Charaktere & plausible Figurenentwicklung

Die Serie schafft den Spagat zwischen CIA-Drogenschmuggel und Verelendung kompletter Stadtviertel mühelos. Ohne die Nicaragua-Kokainschwemme hätte es die Erfindung von Crack & Freebase wahrscheinlich ebenfalls gegeben; aber mit freundlicher Unterstützung durch den US-Geheimdienst geschah dies schneller und die Durchdringung des Marktes verlief gründlicher. Dass eine Bundesbehörde aktiv dazu beiträgt, die eigene Bevölkerung zu vergiften, dürfte einmalig in der Geschichte der westlichen Demokratien sein.

Die Charaktere sind stark, die Figurenentwicklung überzeugend. Besonders hervor ragt dabei Protagonist Franklin Saint, der sich vom braven College Boy über die Stationen Marihuana-Dopeman, Kokain-Pusher und Crack-Big-Man schließlich zum (zeitweilig) größten Drogenbaron Südkaliforniens aufschwingt. Sein Versuch, die Sparte zu wechseln und ins seriöse Business (Immobilien) einzusteigen, scheitert. Zum Schluss muss er zurück in die (Crack-) Küche und auf die Straße. Des Weiteren sticht der von seiner Mission (keine Kommunisten in Nicaragua) besessene CIA-Agent Teddy McDonald aus dem Darsteller-Feld hervor. Die Verhinderung des Sozialismus in einem kleinen mittelamerikanischen Land rangiert auf seiner Werteskala höher als die Überschwemmung der USA mit Kokain. Um den Job durchzuführen, opfert er Bruder, Vater und Ehefrau. Ein Soziopath, bei dem unbedingte Pflichterfüllung an erster Stelle steht. Am Ende scheitert er genauso wie sein Geschäftspartner Franklin. Etwas ab fällt im direkten Vergleich zu den beiden Vorgenannten der dritte Protagonist, Gustavo Zapata. Der mutiert zwar vom braven Ringer zum Kokainschmuggler und Auftragskiller; jedoch bleibt er dabei immer der gute Onkel, der nur qua Zufall in die Geschichte hineingestolpert ist und nichts lieber täte, als in Mexiko auf einer kleinen Hazienda zu leben und dort mit einer netten Frau Kinder zu zeugen und aufzuziehen.

Unterm Strich sind alle Figuren böse (ein Kinderausdruck; ich weiß), weil irgendwie in den Drogenhandel involviert und von ihm profitierend. Es gibt etwas weniger Schlechte (z.B. Franklins Eltern, Leons Verlobte Wanda, zum Schluss sogar Leon), aber auch die hatten halt lange mitgemischt im Crack-Business. Die Polizei ist zu keinem Zeitpunkt dein Freund und Helfer, sondern entweder brutal oder korrupt oder beides. Und von den menschenverachtenden Praktiken der CIA brauchen wir nicht groß zu reden. Als moralisches Vorbild taugt kein einziger Charakter. Hin und wieder erschrak ich über mich selbst, wenn ich temporäre Sympathien für Franklin (bei dem allerdings mehr in seiner Frühphase) und Teddy (der konnte zwischendurch auch trocken-witzig sein) entwickelte. Das fällt in die Rubrik = komaglotzbedingtes Stockholm-Syndrom.

Überzeugendes Finale

Für meinen persönlichen Geschmack noch eine Spur besser als „The Wire“ (Serie von Anfang der 2000-er mit nahezu identischer Thematik) in Szene gesetzt. Weil in Snowfall einzig aus der Sicht der Schurken (auch bzw. speziell der CIA-Agent ist ja einer) erzählt wird, während in „The Wire“ ebenfalls die Guten zu Wort kommen. Des Weiteren konzentriert sich Snowfall auf weniger Akteure, was der Handlung guttut. „The Wire“ zerfaserte am Ende doch sehr in die Schilderung von (zu) vielen Einzelgeschichten. Snowfall hat ein überzeugendes Ende, wenngleich das selbstredend kein Happy end ist. Aber wie sollte es bei einer Story, bei der die Protagonisten ständig tiefer im Drogensumpf versinken, auch zu einem glücklichen Finale kommen?

Sehenswert speziell für 80-er-Jahre-Nostalgiker

Von mir gibt’s für die Crack-Story 9 Punkte (1 Punkt Abzug wg. der Länge = 60 Episoden. 10 Folgen bzw. 1 Staffel weniger hätten dem Spannungsbogen eher genützt als geschadet. Weshalb bspw. kurz vor Schluss noch ein schwuler KGB-Agent aus dem Hut gezaubert werden musste, versteht außer dem Drehbuchautor keiner).

Empfehlenswert für Fans von Drogengeschichten und 80er-Jahre-Nostalgiker. Für die Musik, mit der die einzelnen Folgen unterlegt sind bzw. die aus den Autoradios und Ghettoblustern erklingt, müsste es oft Bonus-Punkte geben.

Showrunner = John Singleton, Eric Amadio, Dave Andron
Produktion = Shoe Money Productions
TV-Sender = FX (in Deutschland: FOX. Hat mittlerweile den Betrieb eingestellt).

Die Serie kann man heute sehen in/bei:
(1) Amazon (5 Staffeln)
(2) Disney (alle 6 Staffeln)

PS. als flankierende Dokus empfehle ich:
 Cocaine Cowboys
 Crack: Kokain, Korruption und Konspiration.
[beide bei Netflix erhältlich. Da wird der politische Hintergrund von Kokainschwemme und Crack-Epidemie ganz gut ausgeleuchtet. Hin und wieder fragt man sich, ob der ein oder andere interviewte Dealer vllt. Pate für den fiktiven Charakter Franklin Saint stand. Dass die CIA nur 1 Agenten mit dem Drogenschmuggel aus Nicaragua heraus und in die USA hinein beauftragte, wie in Snowfall dargestellt, scheint hingegen in die Kategorie „(Serien-) Märchen“ zu fallen. Wahr ist wiederum die Geschichte des jungen Basketballers Leonard Kevin Bias, der Mitte der 80er neben Michael Jordan als größtes Talent der College-Liga galt, bevor er an einer Überdosis Kokain starb. Im Anschluss an diese Tragödie, die wochenlang von der Presse thematisiert wurde, verschärfte der Kongress die Drogengesetze drastisch, und die Behörden intensivierten den Kampf gegen die Straßengangs massiv. Das wird im letzten Drittel der Serie plakativ gezeigt].
+++

Und gleich rufe ich die alte Schulfreundin an, dass ich jetzt Zeit habe, zusammen mit ihr einen neuen Küchentisch zu besorgen. Wahrscheinlich sagt sie dann, dass es ihr terminlich nicht passt. Das macht sie immer so.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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