Überlastung durch überflüssige Verfahren

StaatsanwältInnen klagen – häufig auch zu Recht – über Arbeitsüberlastung. Dabei tragen sie selbst durch überflüssige Anklagen dazu bei. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Ulrike Mai auf Pixabay

Wer meine Kolumne regelmäßig liest, weiß, dass ich mir mehr Geld für die Justiz wünsche, damit der Rechtsstaat erhalten bleibt. Damit Verfahren schneller durchgeführt werden können, damit gründlicher ermittelt wird. Damit Unschuldige nicht zu lange im Status des Beschuldigten verharren müssen.

Gerade im Bereich der Strafjustiz habe selbst ich in der letzten Woche allerdings einige Verfahren erlebt, bei denen ich mich frage, ob die zugrundeliegenden Anklagen nicht besser nie erhoben worden wären.

Fall 1

Meine Mandantin will am Hauptbahnhof in Köln eine Fahrkarte nach Euskirchen lösen. Der freundliche Automat, der den früher vorhandenen unfreundlichen Schalterbeamten ersetzen soll, verweigert den Dienst. Die Mandantin geht zum Informationsschalter, in der Hoffnung, dort eine Karte kaufen zu können. Die freundliche Dame am Schalter erklärt ihr, dass man am Informationsschalter keine Karten kaufen könne, sondern nur – aus Sicht der Mandantin – nutzlose Informationen erhalte. Immerhin sagt die Dame, die Mandantin könne ihre Fahrkarte auch beim Schaffner erwerben. Diese Information war auch einmal richtig, seit dem 1.1.2022 ist sie aber falsch. Als der Kontrolleur erscheint, bittet die Mandantin um eine Karte nach Euskirchen. Gibt’s nicht, aber eine Anzeige wegen Beförderungserschleichung. Die Mandantin regt sich auf und es kommt zu einem Wortgefecht. Der dunkelhäutige Kontrolleur meint dabei die Worte Sklave und Arschloch gehört zu haben, was die Mandantin bestreitet. Am Ankunftsort erscheinen gleich zwei Polizisten und nehmen die Anzeige auf. Beförderungserschleichung und Beleidigung.

Ja, nun kann man so einen Kack natürlich einstellen, aber nein, die Staatsanwaltschaft beantragt einen Strafbefehl, gegen den die Mandantin umgehend Einspruch einlegt, weil sie sich zu Unrecht angeklagt sieht. Es kommt also zur Hauptverhandlung, in der der Zeuge Kontrolleur, warum auch immer, nicht erscheint. Das Gericht regt eine Einstellung wegen Geringfügigkeit an, was die Mandantin mitgemacht hätte. Die Staatsanwaltschaft besteht aber auf einem neuen Termin. Begründung, weil der Kontrolleur dunkelhäutig sei, müsse sie den hören. Meine Frage, ob sie bei einem weißen Kontrolleur zugestimmt hätte und ob das nicht positiver Rassismus sei, wird ignoriert. Es wird also einen weiteren Termin geben. Zwei fette Termine, die eine Richterin, eine Staatsanwältin und einen Verteidiger binden für so ein Pillepalle. Prozessökonomie sieht anders aus.

Fall 2

Vor rund 2 Jahren wird ein PKW vom Grundstück einer Autowerkstatt gestohlen und am nächsten Tag irgendwo abgestellt. Am Fahrzeug gibt es keine Aufbruchspuren, d.h. der Wagen muss mit einem Schlüssel gefahren worden sein. Ein Täter wurde nicht erkannt, aber am Lenkrad des Fahrzeuges konnte eine DNA-Spur gefunden werden. Diese führt zu meinem Mandanten, der zwar eine ganze Reihe von Vorstrafen hat, sonst aber auch nichts, was zu der Tat passen würde.

Alleine aufgrund der DNA-Spur wird Anklage gegen den Mandanten erhoben. Das mag zwar den Laien und den Staatsanwalt überzeugen, sonst aber auch niemanden. In der Sitzung fragt der Staatsanwalt, wie denn die DNA-Spur in das Fahrzeug gekommen sei, wenn nicht bei dem Diebstahl. Meine Antwort, das wüsste ich nicht und das müsste ich auch nicht wissen, machte ihn nicht froh. Offenbar war dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft nicht bekannt, dass eine DNA-Spur nichts anderes beweist, als dass sie da ist. Das sagt nicht das Geringste darüber aus, wie sie dahin gekommen ist und wann sie dahin gekommen ist. Eine solche Spur kann allenfalls ein Indiz sein, als einziger Beweis reicht sie aber niemals aus. Es wäre z.B. möglich, dass der Mandant einmal als Anhalter in diesem Auto gesessen und vielleicht geniest hat. Es kann auch sein, dass der Mandant eine Türklinke angefasst hat, die danach ein Fahrer des Fahrzeugs berührt hat. Die Möglichkeiten eines DNA-Transfers sind Legion. Um dem grausamen Spiel ein schnelles Ende zu machen, wies ich das Gericht darauf hin, dass es in zwei Monaten noch ein anderes Verfahren geben wird, bei dem – ohne mich zu weit aus dem Fenster zu lehnen – eine Verurteilung Dank eines Geständnisses des Mandanten eher wahrscheinlich ist und man im Hinblick auf dieses Verfahren doch eine Einstellung nach § 154 StPO vornehmen könnte. Ja, so sah der Richter das auch, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft will aber nicht. Also wird das Verfahren weiter gehen.

Fall 3

Mein Mandant ist ein obdachloser Alkoholiker mit Diabetes, einem offenen Bein und diversen anderen Erkrankungen. An einem schönen Tag im letzten Jahr wurde ihm in der Nähe einer Kirche schlecht. Er betritt den Vorraum und hält sich an der Wand fest, um sich abzustützen. Dort findet ihn der Küster, der aufgrund der Tatsache, dass der Mandant sich am in der Wand eingelassenen Opferstock festhält, einen versuchten Diebstahl vermutet und ganz christlich die Polizei ruft. Kann man machen. Der Küster stellt auch gleich den Strafantrag und die Staatsanwaltschaft beantragt mal wieder einen Strafbefehl über 30 Tagessätze a 10 € wegen (bitte festhalten) versuchten Diebstahls geringwertiger Sachen. Ob in dem Opferstock überhaupt etwas drin war, wusste nicht mal der Küster. Ob überhaupt ein Versuch vorlag, also ein unmittelbares Ansetzen zum Diebstahl so ganz ohne Werkzeug, bezweifelte dann auch die Staatsanwältin. Immerhin wurde dieses Verfahren nach 20 Minuten Hauptverhandlung zulasten der Landeskasse eingestellt. Die wird sich freuen. Aber warum immer noch so ein Driss überhaupt angeklagt wird, ist für mich nicht nachvollziehbar.

Totgeburten

Drei Verfahren, die deutlich machen, dass Staatsanwälte sich selbst unnütze Arbeit machen, indem sie Totgeburten von Strafverfahren künstlich am Leben halten und damit wertvolle Kapazitäten verschwenden. Als Steuerzahler geht mir so was auf die Klötze. Dem DNA-Fan-Staatsanwalt habe ich in er Sitzung gesagt, dass ich zwar gerne Geld verdiene, möglichst aber nicht mit solchem Pillepalle, bei dem das Ergebnis eigentlich schon feststeht. War ihm egal. Gut, dann soll mir das jetzt auch egal sein. Ich bin da ja der Pflichtverteidiger, d.h. Sie zahlen das. So oder so. Aber nun halt mehr. Danke auch.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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