50%-Haftrabatt und mehr

Der Bundestag hat am Donnerstag einem Regierungsentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuchs zugestimmt. Darin geht es um verschiedene Reformen und Reförmchen. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Peggy und Marco Lachmann-Anke auf Pixabay

Weniger Ersatzfreiheitsstrafe

Der Umrechnungsmaßstab von Geldstrafe in Ersatzfreiheitsstrafe in § 43 StGB wird so geändert, dass statt einem zukünftig zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen. Dadurch halbiert sich die Anzahl der Tage der an die Stelle der Geldstrafe tretenden Ersatzfreiheitsstrafe, was es der verurteilten Person zudem erleichtern kann, deren Vollstreckung ganz zu vermeiden. Zusätzlich sollen vollstreckungsrechtliche Ergänzungen dazu beitragen, dass die verurteilte Person stärker bei der Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafe unterstützt wird.

Wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, musste bisher die Anzahl der Tagessätze in Form von Haft absitzen. Bei einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 20 € musste man also für 100 Tage ins Gefängnis. Künftig sind das nur noch 50. Das entlastet zum einen die Täter; was aber wohl wesentlicheres Argument für die Reform ist: es entlastet die Justizvollzugsanstalten und die Landeshaushalte. Wieso aber die Halbierung der Strafe es dem Betroffenen erleichtern können sollte, die Vollstreckung ganz zu vermeiden, habe ich noch nicht verstanden.

Für Reiche war das eh nie ein Problem, die zahlen halt die Geldstrafe und gut is. Arme Menschen können aber häufig die Geldstrafe nicht bezahlen, weil ihnen dann nicht mehr genug zum Leben bleibt. Ich habe auch von Mandanten schon gehört:

Ich gehe lieber die paar Wochen in den Knast. Da werde ich versorgt und spare mir mein Geld lieber.

Das ist traurig, aber wahr.

Außerdem fängt die Ungerechtigkeit schon damit an, dass ein Tagessatz nach § 40 Abs. 2 StGB maximal 30.000 € betragen kann. Ein Christiano Ronaldo mit einem Tageseinkommen von 548.000 € lacht sich wahrscheinlich kaputt, wenn er zu 20 Tagessätzen a 30.000 € verurteilt würde.

Kein Geld, keine Freiheit

Besonders bescheuert ist es ja, dass Menschen, weil sie z.B. kein Geld für eine Busfahrkarte haben und deshalb schwarzgefahren sind, zu einer Geldstrafe verurteilt werden, von der man von Anfang an weiß, dass sie die nicht bezahlen können – es sei denn, sie klauen irgendwo etwas. Da der einzelne Tagessatz als 1/30 vom Nettoeinkommen berechnet wird, sind das eben auch 1/30 von der Sozialhilfe, was bedeutet, dass durch die Geldstrafe 1/30 vom Existenzminimum fehlen. Selbst mit einer Ratenzahlung ist da wenig geholfen. Wo soll ein Sozialhilfeempfänger sich denn noch einschränken? Irgendwie blöde. Warum nicht gleich jedem Hilfeempfänger ein kostenloses Ticket für seinen Regionalbereich in die Hand drücken? Angesichts von Haftkosten, die ohne Berücksichtigung der Baukosten für die Knäste bei rund 120 € pro Tag liegen, wäre so ein Ticket unter dem Strich eine schöne Entlastung für den Landeshaushalt und ein Segen für die Betroffenen, selbst wenn es ein 49 €-Ticket wäre. Mal sehen, wann das jemand merkt.

Außerdem sieht der Entwurf vor, dass man seine unbezahlte Geldstrafe durch gemeinnützige Arbeit begleichen kann. Im Prinzip gut; ob allerdings alle Betroffenen zu gemeinnütziger Arbeit überhaupt in der Lage sind, steht in den Sternen. Die Plätze für solche Arbeiten sind ja schon durch die Sozialstunden der jugendlichen Straftäter weitgehend belegt. Und nicht jeder ist für jede Arbeit geeignet.

Strafzumessungsgründe

„Geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive werden als weitere Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele ausdrücklich in die Liste der nach § 46 Absatz 2 Satz 2 StGB bei der Strafzumessung besonders zu berücksichtigenden Umstände aufgenommen.

Im aktuellen § 46 StGB sind folgende Strafzumessungsgründe genannt:

… die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,
die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
das Maß der Pflichtwidrigkeit,
die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,
das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie
sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

Da steht eigentlich schon alles drin, was das Herz begehrt; denn was sollen „Geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive“ denn anderes sein als sonstige menschenverachtende Motive? Man könnte natürlich versuchen, jedes denkbare Motiv explizit in den § 46 StGB aufzunehmen. Für wahnsinnig sinnvoll halte ich das aber nicht.

Therapieweisungen

Die Möglichkeit einer Therapieweisung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56c StGB), der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a StGB) und des Absehens von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen (§ 153a der Strafprozessordnung – StPO) wird ausdrücklich normiert; bei der Verwarnung mit Strafvorbehalt wird zusätzlich die Möglichkeit einer Anweisung geschaffen, sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen (Arbeitsauflage).

Das ist eine uneingeschränkt sinnvolle Änderung, denn bisher standen diese Therapieweisungen häufig auf tönernen Füßen.

Maßregelrecht

Im Maßregelrecht werden die Anordnungsvoraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB-E in mehrfacher Hinsicht enger gefasst. Der regelmäßige Zeitpunkt für eine Reststrafenaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt wird, auch für die Berechnung eines etwaigen Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe, an den bei der reinen Strafvollstreckung üblichen Zweidrittelzeitpunkt angepasst (§ 67 Absatz 2 und 5 StGB-E). In der StPO wird klarstellend die sofortige Vollziehbarkeit von Entscheidungen nach § 67d Absatz 5 Satz 1 StGB normiert, mit denen die Behandlung wegen Erfolglosigkeit für erledigt erklärt wird (§ 463 Absatz 6 Satz 3 StPO-E).

Auch das ist sinnvoll, da viel zu viele Menschen im Maßregelvollzug versauern, weil die dort eigentlich notwendigen Therapien oder auch nur Lockerungen aus Gründen des Personalmangels schlicht nicht durchgeführt werden. Wenn Sie mit dem Begriff Maßregelvollzug nichts anfangen können, eine kurze Erläuterung: Der Maßregelvollzug, auch bekannt als forensische Psychiatrie, ist ein Bereich des Strafvollzugs, der nicht unproblematisch ist. Er dient der Unterbringung und Behandlung von Straftätern, die aufgrund einer psychischen Erkrankung als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig gelten.

Das Ziel ist dabei zweigeteilt: einerseits soll so die Sicherheit der Gesellschaft gewährleistet werden, andererseits der Patient durch Therapie auf dem Weg zur Resozialisierung unterstützt werden, bis man ihn wieder in die Freiheit entlassen kann .

Die Entscheidung, ob eine Person im Maßregelvollzug untergebracht wird, liegt in den Händen der Justiz und soll auf einer gründlichen Begutachtung durch psychiatrische Gutachter basieren. Diese stellen fest, ob die Tat in einem direkten Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung steht und ob eine Behandlungsaussicht besteht, um künftig das Risiko einer erneuten schweren Straftat zu minimieren.

Kritiker des Maßregelvollzugs argumentieren oft, dass er zu nachsichtig sei und eine Strafe für die begangene Tat umgehe. Diese Kritiker verkennen, dass eine schuldunfähige Person gar nicht bestraft werden kann und die Tatsache, dass der Fokus des Maßregelvollzugs auf der Behandlung und der Wiederherstellung der geistigen Gesundheit liegt. Die Patienten sollen psychiatrische Therapien, Medikation und Unterstützung erhalten. In der Praxis sieht das allerdings eher erbärmlich aus und manche Patienten verbringen dort viele, viele Jahre, ohne dass sie vernünftig therapiert werden.

Ein weiteres Argument gegen den Maßregelvollzug ist die Sorge um die Sicherheit der Gesellschaft. Die Angst vor Entlassungen von Patienten, die als geheilt oder stabil eingestuft werden, ist zwar grundsätzlich verständlich,jedoch erfolgt die Entlassung nur, wenn ein umfassendes Gutachten bestätigt, dass von der betreffenden Person keine Gefahr mehr ausgeht. Diese Prognose, die letztlich das Gericht zu treffen hat, wird häufig nicht getroffen.

Der Maßregelvollzug stellt zweifellos eine Herausforderung dar, die ein sensibles Gleichgewicht zwischen dem Schutz der Gesellschaft und der Rehabilitation der Patienten erfordert. Es ist wichtig, dass dieser Bereich weiterhin intensiv erforscht und evaluiert wird, um die Effektivität der Maßnahmen zu verbessern und die Sicherheit zu gewährleisten. Vor allem muss da mehr qualifiziertes Personal hin, damit das Ganze wirklich helfen kann.

Wer da etwas mehr zu wissen möchte, kann meine Kolumne „Irre – Wenn psychisch kranke Menschen morden“ lesen.

Die Neuerung im Maßregelrecht betrifft allerdings nicht die Unterbringung in der Forensik nach § 63 StGB, sondern nur die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB, früher hieß das mal Säuferheilanstalt. Es betrifft aber nicht nur Alkoholiker, sondern alle Suchtkranken, die aufgrund ihrer Sucht straffällig geworden sind.

Alle voll

In den letzten Jahren stieg die Zahl der in solchen Anstalten Untergebrachten kontinuierlich an, und die Einrichtungen laufen voll. Deshalb möchte der Gesetzgeber, dass hier die Kriterien für die Unterbringung in der Entziehungsanstalt enger gefasst werden und wirklich nur noch als therapierbar eingeschätzte Täter in die Entziehungsanstalt eingewiesen werden; die Maßregel also nur auf wirklich behandlungsbedürftige und -fähige Täterinnen und Täter fokussiert wird.

Dies dient, Sie werden es sich schon denken, in erster Linie der Entlastung des Haushalts und weniger den Patienten.

Wenn nun Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) von einer „historischen Reform“ spricht, dann ist das aus meiner Sicht reichlich übertrieben. Wenn er meint, dies bedeute einen Schritt vorwärts „bei der Modernisierung unseres Rechtsstaats“, dann ist das zwar nicht falsch, doch noch ist da jede Menge Luft nach oben. Und wenn er sagt, „Durch die heute beschlossenen Maßnahmen stärken wir Resozialisierung und Prävention – und entlasten zugleich den Staat und seine Einrichtungen“, dann ist nur der zweite Teil des Satzes richtig.

Aber, schau’n mer mal, ob ihm in seiner Amtszeit noch eine wirkliche Reform des Straf- und Strafprozessrechts gelingt und vor allem, ob die für den Strafvollzug zuständigen Länder endlich das tun, was unser Strafrechts- und Strafvollzugsrecht wirklich braucht, nämlich ausreichend Geld in die Hand nehmen, um Therapie, Resozialisierung und Prävention wirksamer zu gestalten. Noch wird zu viel verwahrt und zu wenig therapiert und resozialisiert. Optimistisch bin ich da aber eher nicht.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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