Letzte Generation – Eine kriminelle Vereinigung?
Die Generalstaatsanwaltschaft (GStA) München veranlasste eine bundesweite Razzia gegen die Letzte Generation wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Ob das rechtmäßig ist, darf man bezweifeln. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.
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Hausdurchsuchungen sind für die Betroffenen immer belastend. Ganz gleich, ob sie tatsächlich eine Straftat begangen haben. Nicht selten stürmt die Polizei ohne vorher zu klingeln durch die Haustür, die nicht selten hinterher ausgetauscht werden muss. Dann werden schlafende Menschen zu Tode erschreckt, wenn plötzlich vermummte Polizisten mit der Waffe vor dem Bett stehen. Klar kann und muss man das machen, wenn es um die Aufklärung schwerer Straftaten geht. Weil aber die Wohnung eines Tatverdächtigen unter dem Schutz des Grundgesetzes steht, darf die Polizei das nicht bei jedem Pillepalle, wie z.B. zur Aufklärung der Frage, ob ein Innensenator „1 Pimmel“ genannt wurde oder wenn es keinen begründeten Anfangsverdacht gibt, wie bei Sammy Miri.
Das Thema ist leider immer wieder Gegenstand meiner Kolumnen, weil die Möglichkeit der Hausdurchsuchung sich allzu häufig als rechtswidrig erweist.
Letzte Generation
Nun hat es also die „Letzte Generation“ erwischt. Ich gehe mal davon aus, dass Sie wissen, was die so machen, und warum sie das tun. Falls ja, können Sie den nächsten Absatz überspringen.
Die „Letzte Generation“ ist eine Bewegung von sogenannten Klimaaktivisten, die vor dem Hintergrund des Klimawandels von der Politik mehr Klimaschutz einfordert. Im Gegensatz zu „Fridays for Future“ beschränken sich die Akteure der Bewegung zur Durchsetzung ihrer Ziele nicht auf legale Mittel wie Streiks oder Demonstrationen. Sie blockieren vielmehr Straßen, indem sie sich dort festkleben oder verunreinigen Kulturgüter – allerdings ohne diese bisher ernstlich beschädigt zu haben. Bei diesen Taten handelt es sich zum Teil durchaus um Straftaten wie Nötigung oder Sachbeschädigung. Die Täter gehen dabei bewusst das Risiko einer Bestrafung ein.
Nach der Razzia meinte Nancy Faeser, Bundesinnenministerin:
Der Rechtsstaat lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen
was man durchaus als zustimmenden Kommentar zu den Razzien werten kann.
Tatsächlich ist es aber fraglich, ob das, was die GStA München da bundesweit so veranstaltet hat, noch allzuviel mit Rechtsstaatlichkeit zu tun hat. Ich habe da meine Zweifel. Das sieht mehr nach einer Einschüchterungsmaßnahme aus – die als solche allerdings wohl ein Griff ins Klo war.
Basics
Basis der Durchsuchungsbeschlüsse war ein bei der GStA behaupteter Anfangsverdacht der Gründung einer kriminellen Vereinigung. Worauf dieser Anfangsverdacht konkret fußt, bleibt zunöchst einmal das Geheimnis der GStA. Was genau in den Durchsuchungsbeschlüssen steht, weiß die Öffentlichkeit bisher nicht, da diese nicht veröffentlicht wurden. Das ist nicht ungewöhnlich.
Anfangsverdacht
Ein Anfangsverdacht ist schnell angenommen, wie man im Fall von Sammy Miri sehen konnte. Allerdings ist der nicht einfach so frei herbeiphantasierbar, sondern er braucht Grundlagen. Ob es die gab, werden die Gerichte nachzuprüfen haben. Alleine die Tatsache, dass ein Amtsrichter die Durchsuchungsbeschlüsse unterschrieben hat, bedeutet noch nicht, dass das zu Recht geschah.
Ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht als Voraussetzung für die strafprozessualen Maßnahmen liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann vor, wenn nach kriminalistischer Erfahrung die Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat gegeben ist (BVerfG, 08.03.2004 – 2 BvR 27/04, Rn. 21)
Damit also der Amtsrichter, der das gründlich prüfen soll – was aus meiner Erfahrung allerdings keineswegs immer Fall ist – einen Durchsuchungsbeschluss erlassen kann, muss die Staatsanwaltschaft schon ein paar Fakten liefern.
Zur Klarstellung: Hier kann es nicht darum gehen, dass die einzelnen Mitglieder der Letzten Generation in der Vergangenheit irgendwelche Straftaten begangen haben. Die sind längst bekannt und ausermittelt. Dazu muss man kein Rollkommando mehr in die Wohnungen schicken. Nein, es geht hier ausschließlich um den Anfangsverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Was ist nun eine kriminelle Vereinigung?
Da stelle mer uns emal janz dumm – und werfen zunächst einen Blick ins Gesetz:
Strafgesetzbuch (StGB)
§ 129 Bildung krimineller Vereinigungen
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet oder sich an einer Vereinigung als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind. Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie um Mitglieder oder Unterstützer wirbt.
(2) Eine Vereinigung ist ein auf längere Dauer angelegter, von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Ausprägung der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.
(3) Absatz 1 ist nicht anzuwenden,
1.
wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2.
wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3.
soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung Straftaten nach den §§ 84 bis 87 betreffen.
(4) Der Versuch, eine in Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 bezeichnete Vereinigung zu gründen, ist strafbar.
(5) In besonders schweren Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern der Vereinigung gehört. In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren zu erkennen, wenn der Zweck oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet ist, in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, b, d bis f und h bis o, Nummer 2 bis 8 und 10 der Strafprozessordnung genannte Straftaten mit Ausnahme der in § 100b Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe h der Strafprozessordnung genannten Straftaten nach den §§ 239a und 239b des Strafgesetzbuches zu begehen.
(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, von einer Bestrafung nach den Absätzen 1 und 4 absehen.
(7) Das Gericht kann die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2) oder von einer Bestrafung nach diesen Vorschriften absehen, wenn der Täter
1.
sich freiwillig und ernsthaft bemüht, das Fortbestehen der Vereinigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß Straftaten, deren Planung er kennt, noch verhindert werden können;
erreicht der Täter sein Ziel, das Fortbestehen der Vereinigung zu verhindern, oder wird es ohne sein Bemühen erreicht, so wird er nicht bestraft.
Na, wissen Sie es jetzt? Falls nicht, macht nichts. Dann dröseln wir das jetzt mal der Reihe nach auf.
Ein seltsamer Paragraf
Zunächst einmal zum Zweck dieses merkwürdigen Paragrafen. Die Vorschrift bezweckt in erster Linie den Schutz der öffentlichen Sicherheit – einschließlich des inneren Friedens – und der staatlichen Ordnung (BGHSt 30, 328 [331]; 41, 47 [53) . Es handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt und gleichzeitig um ein sog. Organisationsdelikt, d.h. es werden nur solche Betätigungen erfasst, die in einem Zusammenhang mit der Vereinigung als Organisation stehen.
Immer noch nicht schlauer? Kann ich verstehen.
Also kommen wir erst mal zum objektiven Tatbestand, also dem, was die Strafbarkeit auslöst.
Der Tatbestand
Zunächst bedarf es erst mal einer Vereinigung. Eine Vereinigung ist ein auf eine gewisse Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mindestens drei Personen, die bei Unterordnung des Willens des Einzelnen unter den Willen der Gesamtheit gemeinsame Zwecke verfolgen und untereinander derart in Beziehung stehen, dass sie sich als einheitlicher Verband fühlen. Ist das nicht ein schöner Satz? Ebenso juristisch richtig wie völlig unverständlich?
Es bedarf einer gewissen Organisationsstruktur, die der Gesetzgeber selbst aber nur nebulös umschrieben hat, was den § 129 StGB ohnehin schon als Problembär kennzeichnet, den man vielleicht besser ganz aus dem Rechtssystem entfernen sollte, bevor er richtiges Unheil anrichten kann.
Willensbildung
Weiter bedarf es einer Willensbildung, jedenfalls mindestens der – auch stillschweigenden – Akzeptanz des Gruppenmitglieds unter einen Gesamtwillen.
Der Zweck der Vereinigung oder deren Tätigkeit muss hauptsächlich darauf gerichtet sein, Straftaten zu begehen:
Und da wird’s bei der Letzten Generation schon schwierig, denn die Teilnehmer begehen zwar kleinere Straftaten im untersten Kriminalitätsbereich, aber das ist ja keineswegs der Zweck der Vereinigung. Der liegt kurioser Weise auch nicht darin, den Staat oder das System anzugreifen oder gar zu beseitigen, wie man das vom offenbar neuen Staatsfeind Nr. 1 erwartet, sondern vielmehr darin, die Regierung dazu zu bewegen, die Vorgaben des Bundessverfassungsgerichts zum Klimaschutz einzuhalten.
Die wollen demnach nichts Rechtwidriges, sondern fordern im Gegenteil das, worauf Nancy Faeser besteht, nämlich den Rechtsstaat.
Aber selbst, wenn wir nun mal unterstellen, dass der eigentliche Zweck der Letzten Genration die Begehung von Straftaten wäre, aus welchem Grund auch immer, so würde auch das nicht reichen. Denn:
Es muss sich um Straftaten handeln, die eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, also unter diesem Blickwinkel von einigem Gewicht sind (BGHSt 41, 47 [50]; BGH StV 2018, 95; MüKo-StGB/Schäfer § 129 Rn. 40). Bei der Beurteilung, ob es sich um Delikte von einigem Gewicht handelt, kommt es nicht allein auf die Strafandrohung an. Es ist vielmehr eine Gesamtwürdigung unter Einbeziehung aller für das Maß der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bedeutenden Umstände – etwa der Tatauswirkungen – erforderlich (Satzger / Schluckebier / Widmaier, Kommentar zum Strafgesetzbuch, 5. Auflage 2021, § 129 StGB, Rn. 28)
Da sieht es schon eher dünn aus.
Die Ausnahmen
Und noch dünner wird es, wenn man sich die tatbestandlichen Ausnahmen ansieht.
Das gilt nämlich alles überhaupt nicht,
1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das Bundesverfassungsgericht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
Okay, das ist (noch) nicht so. Wäre aber eine Überlegung wert. So eine Partei ist flugs gegründet und schütz in diesem Fall schonmal vor Verfolgung.
2. wenn die Begehung von Straftaten nur ein Zweck oder eine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung ist
Das sehe ich ganz offensichtlich als gegeben an. Denn die Letzte Generation ist ja nicht chronisch geil darauf, Nötigungen oder Sachbeschädigungen zum Selbstzweck zu begehen, sondern verfolgt damit ganz andere Zwecke und benutzt den durch diese Straftaten dokumentierten zivilen Ungehorsam eher zwangsweise, weil sonst mal wieder keine Sau hinhören würde, was den Klimaschutz angeht. Das mag der Kanzler für „bekloppt“ halten, ist aber so, Aktionen wie die der GStA können da durchaus – wenn vermutlich auch unabsichtlich und anders als gedacht – der Letzten Generationmassiv weiterhelfen. Zumindest das Spendenaufkommen ist deutlich angestiegen und über das Klimathema wird auch mehr diskutiert. Well done, GStA.
Wie Sie sehen, ist das alle nicht so einfach und wird wohl die Justiz noch länger beschäftigen. Ich glaube nicht, dass die GStA letztlich mit ihrer 129er-Nummer durchkommen wird. Natürlich kann man mal mit Kanonen auf Spatzen schießen. Ob aber jemals ein halbwegs intelligenter Spatz von einer Kanonenkugel getroffen wurde, wage ich zu bezweifeln.
P.S.: Für die von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Seite der Letzten Generation gibt es bereits Ersatz. Da kann man auch wieder spenden.
https://letztegeneration.org/