Die Begierde der Philosophin

Wer auf der Suche nach einem Geschenk, das „mal was Anderes“ ist, flüchtig am Philosophie-Regal der Buchhandlung vorbeistreift und den Titel „Erotisches Philosophieren“ liest, sollte einen Moment innehalten, bevor unbedacht falsche Erwartungen geweckt werden.


Die Philosophin Olivia Mitscherlich-Schönherr nimmt das Adjektiv „erotisch“ ernst und nicht alltagssprachlich. Ihr Buch ist ein Versuch, Begierde und Lust beim Philosophieren zu entwickeln. Sie schreibt darüber welches Begehren Philosophierende treibt und sie experimentiert mit Verfahren, ein solches Philosophieren zu praktizieren und sich damit einigen aktuellen philosophischen Fragen zu widmen.

Der erste Teil, ein philosophisches Essay, erfordert Durchhaltewillen, wenn man sich in der Weise, wie an Universitäten und Akademien derzeit Philosophie betrieben wird, weder zuhause noch besonders wohl fühlt. Es ist ein akademischer Text über den Eros in der Philosophie, in dem das Erotische nur als toter Gegenstand vorzufinden ist. Wenn Mitscherlich-Schönherr am Ende dieser Abhandlung schreibt, sie hätte mit der genuin philosophischen Darstellungsform mich als Leser bei meinen Erwartungen „abholen“ müssen, kann ich nur erwidern: Nein, das wäre wirklich nicht nötig gewesen.

Springen wir also zum zweiten Teil, in dem in Sokratischer Tradition das Philosophieren als Gespräch entwickelt wird. Das gelingt von Version zu Version besser. Es zeigt sich, dass einfache knappe Dialoge nicht geeignet sind, Argumente überzeugend zu transportieren. Wenn aber die Geschichte etwas verwickelter wird, wenn die Gesprächspartnerin Olivia ihren Freunden von einem Symposion über Lebenskunst erzählt, auf dem eine Teilnehmerin namens Diotima aus vielen Gründen besonders tiefe Eindrücke hinterlassen hat – dann merkt man, dass es funktionieren kann, das Experimentieren mit literarischen Formen beim philosophischen Schreiben. Von Diotimas Vortrag hatte Olivia sogar einen Mitschnitt dabei, und man wünschte sich, es würde das Ganze auch als Hörbuch geben, dann hätte man Diotimas erotisches Philosophieren sozusagen im fiktiven Original erleben können.

Der Vorteil am Philosophieren in verteilten Rollen ist auf jeden Fall, dass man verschiedene plausible Perspektiven schlüssig präsentieren kann, ohne dass die Autorin sich für eine davon entscheiden muss. Das entspricht ja oft der Realität der philosophischen Tätigkeit, die die Schwierigkeit aushalten muss, dass die Dinge selbst verschiedene Perspektiven erzeugen und nicht nur ermöglichen. Die persönliche Form der Darstellung vermeidet dabei das Problem, das man in der gegenwärtigen akademischen Philosophie oft erlebt, dass nämlich die professionell Philosophierenden sich als Person gar nicht mehr einbringen und stattdessen wie Feldherren oder Schachspieler die verschiedenen „-Ismen“ gegeneinander antreten lassen.

Und damit wird eben, so kann man es bei Olivia Mitscherlich-Schönherrs erotischem Philosophieren lernen (ohne dass sie dieses Problem auch nur anspricht), das wichtigste am Philosophieren verpasst. Das besteht, so finden es die Figuren der Dialoge heraus, darin, durch das Philosophieren in ein philosophisches Leben zu finden. Das dieses Leben eine erotische Kraft besitzt, das würde der Rezensent durchaus bestätigen.

Für das erotische Philosophieren, das dem Begehren nach Philosophie folgt und Lust auf immer noch mehr davon macht, wird es vermutlich noch mehr Formate als den Sokratischen Dialog geben. Olivia Mitscherlich-Schönherr hat einen Anfang gemacht, der Sehnsucht auf mehr und auch anderes weckt. Und solche Sehnsucht gehört zur Erotik ja auch dazu.

Olivia Mitscherlich-Schönherr: Erotisches Philosophieren. Claudius Verlag 2022. 160 Seiten. 18 €.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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