Diesseits des Regenbogens – Alice, Trans und Feminismus

Alice Schwarzer ist 80. Vielleicht ein guter Zeitpunkt sich, trotz ihrer Verdienste, langsam von ihr zu emanzipieren. Eine Kolumne von Chris Kaiser


Bild von Darren Collis auf Pixabay

Am 3. Dezember 2022 wurde Alice Schwarzer 80 Jahre alt. Die deutsche Ikone des Feminismus wird seit Wochen thematisiert. Dass in Deutschland jedem nur oder zuerst sie einfällt, wenn man über Feminismus spricht, ist eigentlich ziemlich traurig. Problematisch wird es, wenn man auch ihre strittigen Seiten und Aussagen mit dem Feminismus per se verbindet, da sie ja nun mal den Feminismus in Deutschland vertritt. Ist deutscher Feminismus transphob und islamophob? Ist Alice Schwarzer transphob und islamophob? Ist Transphobie und Islamophobie, was man in der EMMA liest?

Transsexualität

Das Brennglas, das anlässlich dieses seit Wochen in den Medien gehypten Geburtstages auf die deutsche Feminismus-Ikone fällt, dazu die fussballereignis-induzierte Aufmerksamkeit auf Regenbögen und LGBTQ+, lässt hier insbesondere die Frage aufkommen: Alice, wie hältst du es mit der Transsexualität?

Und Jan Böhmermann, der Themenspürhund der Nation, hat pünktlich zum Geburtstag die Sendung „Wer in Deutschland gegen trans Menschen hetzt“ geliefert. Dreimal dürfen wir raten, wer mit aufgezählt wird, neben den AfD-Lieblingen Beatrix von Storch, Birgit Kelle und Hedwig von Beverfoerde.

Transfeindlichkeit wird nicht nur bei einigen prominenten deutschen Frauen gefunden. Auch andere bis dahin als Vorbilder gewertete Personen haben sich dieses Label erarbeitet, die bekannteste ist sicherlich J.K. Rowling, die britische Autorin des Weltphänomens „Harry Potter“.  Ihre im Feminismus begründete Transfeindlichkeit folgt wahrscheinlich einer Spirale, sie hat relativ klein begonnen hat. Eine zeitlang war es betonte Transfreundlichkeit, die langsam zu einer „ich bin kein Transfeind, aber…“-Position überging, bis hin zu „wie zeige ich, transfeindlich zu sein, ohne zu sagen, transfeindlich zu sein“.

Mimikry

Bei Alice Schwarzer geht es direkt dahin, Transsexuelle sind eben kein Thema für die Feminismus-Ikone, sondern Mimikry, die sich die Errungenschaften des Feminismus schnappen wollen, ohne die Beschwernisse des Frauseins in all seinen Facetten erlebt zu haben.

Es gibt diese Idee, dass Frauen eigentlich im selben Boot wie LGBTQ+s sitzen, und beide ihre Sichtbarkeit, ihre Rechte und ihre Position in der Gesellschaft am Tisch mit den Männern einnehmen wollen. Ok, den cis-Männern. Noch genauer: den Weißen cis-Männern.

Weiße Frauen

In der Feminismus-Debatte in der USA kam aber sehr schnell die Diskussion auf, dass der Feminismus mit seinem angeblichen Fokus auf Frauen, vielleicht eher die Weiße Frau meinte. Dass die Dinge, die intellektuelle (Weiße) Feministinnen da erstreben und bekämpfen wollen, Lichtjahre von der Realität Schwarzer Frauen entfernt sind.

Die EMMA-Monokultur

Spätestens an diesem Punkt konnte sich „der Feminismus“ in Amerika bewusst werden, dass er widersprüchlich und divers sein kann.
Das war in Deutschland deutlich anders. Wenn wir heute nur noch Alice Schwarzer und die EMMA kennen, dann ist die Monokultur perfekt. Und der Feminismus Deutschlands ist dann halt à la Schwarzer. Mit allen Höhen und Tiefen.

Jedoch ist dieser transfeindliche Ansatz eine Besonderheit des Feminismus? Oder eher der harte Kern des Aktivismus? Man bezeichnet ihre Protagonisten kritisch: TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists – trans-ausschließende radikale Feministinnen). Man kann dagegen argumentieren, dass „ausschließend“ nicht dasselbe wie „feindlich“ heißt. Doch wenn den Transpersonen die Zuschreibung „Frau“ und „Mann“ die Identität gerade als „Trans“ stiftet, dann ist das eben keine neutrale, rein arbeitstechnische Ausschließlichkeit. „Wir kümmern uns nur um „echte“ Frauen“ – das klingt dann eher genauso wie der Tenor der frühen 1900er Jahre, wenn Frauen der Zugang zu Studium und Sport untersagt wurde, weil das ja keine „echten Frauen“ tun.

„Feminismus“ hat ja sowieso ein Problem der Eigendefinition. Unbestreitbar ist es ein „ismus“, also eine Konzentration auf alles, was Weiblichkeit ist. Aber:

In general, feminism can be seen as a movement to put an end to sexism, sexist exploitation, and oppression and to achieve full gender equality in law and in practice.“

Würde man das nicht eher als „Anti-Sexismus“ bezeichnen? Und würde gerade Feminismus als Betonung eines der beiden designierten Geschlechter nicht ein Sexismus sein? Schließlich ist auf der anderen Seite der Maskulismus durchaus ein Sexismus.

Umso mehr ist ein Widerspruch vorhanden, da Dissens herrscht, ob das Gleichziehen der Geschlechter durch Ausblenden der Unterschiede zu erreichen ist, oder gerade durch die aktive Konzentration auf die Unterschiede, um diese gezielt auszugleichen. Auf dasselbe Problem stoßen übrigens auch die Afro-Amerikaner bei ihrem Kampf gegen Rasissmus, wie der überaus kluge James Baldwin feststellte , fast parallel mit Simone de Beauvoirs berühmtem „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“.

Die ZUSCHREIBUNG zu diesem Geschlecht (der „Rasse“), ungefragt und ungewünscht, führt zu einer Reihe von Hindernissen und Erschwernissen. So zu tun, als würde man die Unterschiede nicht sehen, führt eher dazu, die Hindernisse und Erschwernisse zu übersehen, die aber dennoch bereitet werden.

Wokeness

Deswegen gibt es die Idee der „Wokeness“, das bewusste und aufmerksame Hinschauen auf diese Hindernisse und Erschwernisse. Letztlich aber bleibt dennoch das Problem: Ist die Feministin dafür, ihre Geschlechtszugehörigkeit vergessen zu machen, oder gerade zu betonen?
Dazu gleich zwei Bemerkungen: Es gibt Feminismen und Feministinnen, die das Frausein als überlegen darstellen (und dazu sogar entsprechende Utopien, die genussvoll die Männer ausrotten oder eine ideale Gesellschaft erst ohne Männer entstehen lassen). Diese werden wohl kaum ihre Definition darin finden, die Gleichberechtigung der Geschlechter anzustreben.
Sie sehen nur diesseits dieser noch nicht erreichten Errungenschaft genauso wie die Egalitaristen oder Anti-Sexistinnen aus, die sich auch als Feministinnen sehen. Sie sind diesseits dieser Errungenschaft – noch – Verbündete.

Was die Transpersonen anbelangt: Sie betonen gerade ihre geschlechtliche Zugehörigkeit, nämlich genau die andere, als die ihnen bis zu ihrem Outing von anderen zugeordnet wurde. Sie ecken damit bei beiden angesprochenen Typen von Feministinnen an: Bei denen, die das Frausein als Schicksalsgemeinschaft und Heilsbringertum für die Gesellschaft sehen – denn hier wollen sich welche in den Heiligen Zirkel einschleichen. Und bei den Egalitaristen, die die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auslöschen wollen – denn sie zementieren die Zuschreibung Mann und Frau als Identitätsstiftung.

Alice Schwarzer (und J.K. Rowling) warnen vor allem vor Trans-Frauen, weil sie in ihrer Vorstellung die Raubtiereigenschaften der Männer in die vulnerable Gruppe der Frauen mitbringen und zur Bedrohung werden. J.K. Rowling bastelt daraus sogar einen fiktiven Serienkiller. Trans-Männer hingegen konterkarieren die Idee der Frauenbewegten, die sagt, dass man ALS FRAU alles werden kann. Aus dieser Sicht sucht doch jemand die Abkürzung und hat die ganze Gleichberechtigung nicht mehr nötig.

Feminismus und Transphobie sind kein Widerspruch. Feminismus trägt den Widerspruch in sich selbst. Im Feminismus kann frau ihre eigene Position als Leidende unterm Establishment als eine
von vielen Verbündeten einnehmen, in einem Kampf, in dem man Schranken für alle öffnet. Die Gleichberechtigung der Frauen ist einen weiten Weg gekommen, was wir durchaus auch der jetzt 80jährigen Alice Schwarzer verdanken. Ebenso ist der Rassismus keine unwidersprochene Position mehr. Homosexualität ist etwas, womit sich sogar der FIFA-Präsident schmücken möchte – aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Es gibt aber noch genug zu tun. Alle können ihre Erfahrungen den anderen mitteilen, alle können die für sie geöffneten Schranken den anderen Gruppen offen halten.

Doch Feministinnen, die das für die Frauen Erreichte ihnen vorbehalten möchten, womöglich auf Kosten und mit Leiden von weiteren Gruppen, die den Weg noch gehen müssen – die sind jetzt auf der Seite derjenigen, die damals ihnen alles verwehrten. Das müssen sie jetzt eben offenlegen und bekennen. Denn seit das „T“ deutlich in dem jetzt allen so geläufigen „LGBTQ+“-Regenbogen vorhanden ist, seit etliche Transpersonen in gefeierten Film- und Serienproduktionen auftreten, seit andere sich leider als Opfer von hassmotivierten Überfällen in Schlagzeilen wiederfinden, seit die Trans-Identität deutlich mehr Thema ist, wird bürgerrechtlicher Aktivismus mit geschlechtlicher Konnotation auch auf diesen Aspekt abgefragt. Vielleicht eine gute Gelegenheit, sich von Alice Schwarzer zu emanzipieren.

Chris Kaiser

Chris Kaisers digitales Leben begann 1994, da entdeckte sie im CIP-Pool der Uni Erlangen das Internet und ein Jahr später das Chatten im damaligen IRC, was ihr ein aufregendes Leben 'in and out' des Digitalen bescherte. Nachdem sie bedingt durch Studium, Kinder und andere analoge Kleinigkeiten das alles erstmal auf Eis legte, tauchte sie erst 2011 wieder auf, diesmal auf Facebook, vor allem, weil sie ihren eigenen ersten Roman „Die Jagd“ veröffentlichen wollte. Der Roman ist noch immer auf „bald erscheint er“. Ihre Spezialität ist die „Ästhetik des Widersprüchlichen“, um mit „ja, aber“ allzu feste Meinungen etwas ins Wanken geraten zu lassen.

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