Von Kartoffelbrei & Sekundenkleber oder …

… wie der politische Aktivismus langsam zur Instagram-Performance verkommt. Eine Stoppt-nervtötende-Aktionen-Kolumne von Henning Hirsch.

Bild von Christian Dorn auf Pixabay

Das Klima geht den Bach runter. Wer will das noch ernsthaft bezweifeln? Die Sommer werden immer heißer, es regnet wochenlang keinen einzigen Tropfen und wenn es dann mal wieder regnet, schüttet es wie aus Kübeln und man bekommt einen Eindruck davon, wie sich Noah und seine Familie kurz vor Eintreten der Sintflut gefühlt haben müssen. Die Winter im Rheinland taugen nichts mehr [wobei die Winter bei uns noch nie viel getaugt haben] und gehen Ende April nahtlos in den zu früh beginnenden Sommer über. Ob das nun an temporären oder chronisch durcheinandergeratenen Wetterfronten liegt oder sich das Klima in Gänze in den letzten Jetstream-Zügen befindet – darüber mögen Experten streiten. Für mich als Klimalaien und Boomer steht jedenfalls fest: Früher war nicht alles besser, aber das Wetter war schon schöner (iSv. weniger extrem) als heute, und als Kinder konnten wir im Winter im Siebengebirge noch Schlitten fahren.

Ob man gegen den vom Trab mittlerweile in Sprintgeschwindigkeit gewechselten Klimawandel was tun kann – darüber wird erbittert gestritten. Viel kann man dagegen tun, sagen die einen. Gegen das Klima kann man nicht sinnvoll ankämpfen, behaupten die anderen. Von der Fraktion, die den Wandel komplett leugnet, hier mal völlig abgesehen. Ich befinde mich irgendwo mittig zwischen den beiden erstgenannten Positionen: Ja, man kann was aktiv tun. Z.B. wie ich bei vielen Dingen Konsumverzicht üben (was mir als Minimalist, der außer ner Schreibmaschine, nem Bett und Facebook kaum was braucht) zugegebenermaßen einfach fällt). Und nein: es wird trotzdem nicht richtig funktionieren. Es wird deshalb nicht richtig funktionieren, weil zum einen nicht alle mitmachen – und es müssen VIELE und SCHNELL mitmachen, wenn wir die kritischen Kipppunkte, bei deren Überschreiten dann eh alles zu spät ist, haarscharf vor der 1.5-Grad-Grenze vermeiden möchten –, und zum anderen niemand mit Gewissheit sagen kann, ob das Klima, selbst wenn wir den CO2-Ausstoß bereits heute weltweit auf Null runterfahren, sich nicht dennoch (drastisch) ändern wird. Für mich persönlich ist die Frage, wie werden wir mit dem Wandel umgehen, mithin die wichtigere als die, wie wir ihn eventuell noch verhindern können. Das erste ist pragmatisch, das zweite überwiegend Wunschdenken.

Letzte Generation: schon der Name ist drüber

Nun sehen das natürlich nicht alle so wie ich und folglich gibt es zum Thema Klima viel Diskussionsbedarf und jede Menge Aktivismus. Besonders in den Vordergrund spielt sich dabei seit einiger Zeit eine Gruppierung, die unter dem apokalyptischen Namen „Die letzte Generation“ firmiert. Schon darüber könnte man diskutieren: denn auch auf diese angeblich letzte werden ganz sicher noch viele weitere Generationen folgen, bis die Menschheit entweder auf den terrageformten Mars übersiedelt oder sich gegenseitig ausgerottet haben wird. Ich taxiere dieses Ereignis auf das Jahr 2525.

Aber um den Namen dieser Gruppe soll es in dieser Kolumne nicht gehen. Wir wollen uns lieber mit ihren Aktionen beschäftigen.

Was also tun Jünger der Letzte-Generation-Sekte, wenn sie den Planeten vor dem Untergang bewahren möchten? Sie verfügen für die Weltrettung über ein dreigliedriges Instrumentarium – sie:
(A) kleben sich irgendwo fest
(B) beschmieren Hauswände
(C) bewerfen Gemälde mit Kartoffelbrei
[Anmerkung des Lektors: (D) hin und wieder containern sie und verschenken diese Lebensmittel an Bedürftige].

3 Aktionsformen: alle 3 infantil

Mal völlig losgelöst von der Schwierigkeit, einen direkten Zusammenhang zwischen einem mit Erbsensuppe bekleckerten van Gogh und dem aus Aktivistenperspektive notwendigen Stopp der Verfeuerung fossiler Energieträger zu erkennen, verstört v.a. die Monotonie der ständigen Wiederholung. Nach spätestens 3x auf die Straße kleben haben wir ja verstanden, dass es Menschen gibt, die sich Tag und Nacht vor der alsbald bevorstehenden Klimaapokalypse fürchten. Da braucht’s nun wirklich keine Dauerschleife. Die, die es verstehen wollen, haben es beim dritten Mal geschnallt und die anderen werden es auch nach 1000 Wiederholungen nicht begreifen (wollen). Es ist wie mit der Werbung für ein Reizdarm-Heilmittel, die seit gefühlt 10 Jahren gefühlt jeden Abend unmittelbar vor der 20h-Tagesschau über den Bildschirm flimmert: die tägliche Erinnerung an unseren (Reiz-) Darm und das (angeblich) Heilung spendende Mittel nervt gewaltig, die Sache verkehrt sich in ihr Gegenteil. Selbst anfangs gutwillige Betrachter/potenzielle Käufer wenden sich gelangweilt ab oder reagieren aggressiv, wenn sie bloß den Namen „Kijimea“ bzw. „Letzte Generation“ hören.

Ich mein‘, wer jede Woche in Berlin kilometerlange Staus verursacht oder historische Gemälde mit Pattex besudelt, der kann sich doch nicht ernsthaft darüber wundern, dass die Mitbürger, die sich nicht 24/7 vor der Klimakatastrophe ängstigen, so langsam ans Ende ihrer Geduld geraten. Wie kann man sich als Ich-kleb-mich-überall-wo-es-mir-passt-fest-Aktivist bestürzt zeigen, dass BILD und der restliche Boulevard dies zum Anlass für polemische Artikel nehmen? Weiß man das als Apokalypse-Junkie nicht vorher? Wer berät denn diese Jünger:innen? Und nicht jeder, der Kartoffelbrei-Attacken kritisiert, hasst deshalb gleich diejenigen, die damit um sich werfen oder negiert gar die Notwendigkeit der Energiewende. Manchmal ist es einfach bloß Kritik an einer Vorgehensweise, die als grenzwertig, wenn nicht schon deutlich drüber, erachtet wird.Und auch mit (scharfer) Kritik muss man als Sekundenkleber-Guerilla irgendwie umgehen können. Im Vergleich zu dem, was die Letzte Generation aufführt, waren/sind die Aktionen von Greenpeace geradezu Gold.

Tomatensuppe auf van Gogh = Instagram-Aktionismus

Sind wir mal ehrlich: sich auf Straßen pappen, Häuserwände mit dümmlichen Slogans bekritzeln und Tomatensuppe auf van Gogh werfen, ist Instagram-Aktionismus. Ein paar „schöne“ Bilder für die Follower generieren, die mit ein paar nicen Hashtags hochladen, dann zurück nach Hause, dort den Sekundenkleber von den Händen scheuern, warm duschen, sich an Mamas/Muttis Tisch setzen, die Bio-Makkaroni schmecken lassen, dann noch eine Episode „The walking dead“ auf Netflix schauen, bevor man/frau sich angenehm erschöpft und rundum mit sich und der heutigen Kartoffelbrei-Performance zufrieden ins Bett legt und dort vor dem Einschlafen noch ein bisschen vor der bald nahenden Klimakatastrophe gruselt. Es ist ein Statement von Wohlstands-Kindern gegen die Wohlstandsgesellschaft, in der sie sozialisiert wurden. Kann man okay und notwendig finden. Man kann’s aber auch Scheiße und am Thema vorbei finden.

Lieber ein Jahr unter Pinguinen leben

Würde einer von denen nen Köpper von einem Eisberg in das (zu warme) Polarmeer machen oder in Sandalen und kurzer Hose die (sich ebenfalls galoppierend erwärmende) Antarktis durchqueren, um so auf die steigenden Temperaturen und die Polschmelze aufmerksam zu machen – meine Hochachtung und Respekt wären ihm/ihr gewiss. Aber diese infantile Kleberei und Erbsensuppen-Werferei als Social-Media-Challenge-Spielart von Umwelt-Alarmismus kann ich echt nicht ernstnehmen. Es ist wie beim Klingelmännchen: Wenn man das als ein für Warnsignale nicht empfänglicher Schwachkopf immer wieder praktiziert, wird irgendwann einer, den das tierisch nervt, einem eine kleben. Und dann bin ich gespannt, was die Klebe-Aktivisten von diesem Kleben halten werden.

Auch wenn die Klimaapokalypse (angeblich) schon kurz vor Brunsbüttel steht, sollten wir dennoch bei unseren Das-Ende-ist-nah-Geißlerzügen ein Mindestmaß an Public-Relations-Intelligenz walten lassen. FFF und mit Eisbären um die Wette schwimmen oder ein Jahr allein unter Pinguinen leben stellen legitime Ausdrucksformen von Klimabesorgnis dar; Museen mit Kartoffelbrei verunstalten und sich im Wochenrhythmus in Berlin auf der A100 festkleben, sind jedoch definitiv drüber. Nicht alles, was sich selbst das Gütesiegel „Ziviler Ungehorsam“ verleiht, ist deshalb zwangsweise notwendig oder vernünftig. Mitunter wird sogar das Gegenteil von dem bewirkt, was man eigentlich erreichen will.

PS. an den Lektor: Aktionsform (D) scheint mir noch die sinnvollste von allen zu sein. Die wird allerdings wenig beworben von der Gruppe, sodass man davon als Kolumnist und Klimalaie erst beim Lektorat erfährt. 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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