Die grüne Zwickmühle

Die Grünen haben bei der Landtagswahl in NRW ihr bisheriges Ergebnis fast verdreifacht. Und nun haben sie ein Problem. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


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Der Jubel am Wahlabend war groß bei den Grünen. Mit Plus 11,8 %-Punkten Stimmenzuwachs erzielten sie den höchsten Zuwachs aller Parteien und landeten am Ende bei 18,2 % der Zweitstimmen. Neben der CDU, die mit einem Zuwachs von 2,8%-Punkten auf 35,7 % als stärkste Partei aus der Wahl hervorging, sind die Grünen eindeutig der Sieger der Wahl.

Und jetzt haben sie ein veritables Problem. Denn ohne eine grüne Regierungsbeteiligung geht in NRW nur eine große Koalition – und die will vermutlich so gut wie niemand.

Wählerwille

In den letzten Tagen nach der Wahl hörte ich mehrfach, der Wählerwille wolle nun eine schwarz-grüne Koalition. Und nach einer Forsa-Umfrage sprach sich wohl mit 41 % der Befragten tatsächlich die größte Zahl der Befragten für eine solche Koalition aus. Und in einer Civey-Umfrage waren es 40 %. Also alles klar?

Nö, keineswegs. Denn der sogenannte Wählerwille ist ein nicht wirklich existierendes Konstrukt. Mein Wille, also mein Wählerwille, ist mit Sicherheit ein anderer, als der, sagen wir mal, des Reichsbürgers aus der Nachbarschaft. Und er ist vermutlich auch schon ein anderer als der vieler meiner Freunde, die zwar alle Demokraten sind, aber dennoch ganz unterschiedliche politische Ansichten haben. Ja nun, könnte man einwenden: Der Wählerwille ergibt sich halt aus dem Wahlergebnis, ist also ein Konglomerat verschiedener Willen. Och nö, merken sie selbst. Wenn ich nach links gehen will und der Nachbar nach rechts, wohin wollen wir dann gemeinsam? Geradeaus? Bleiben wir stehen? Gehen wir rückwärts? Oder was?

Und das, was repräsentative Umfragen ermitteln können, ist allenfalls der Mehrheitswille der Befragten, wobei man nicht einmal weiß, ob das überhaupt Wähler sind. Es waren ohnehin nur 55 % der Wahlberechtigten, die überhaupt gewählt haben. Als ob ich’s geahnt hätte.

Quatsch

Ist also Quatsch mit dem Wählerwillen. Nimmt man ersatzweise einfach mal den Mehrheitswillen, dann merkt man schon bei den aktuellen Umfrageergebnissen, dass es da eben gar keine Mehrheit gibt. Mehrheit bedeutet mehr als 50%. Auch schöne 41 % für eine schwarz-grüne Koalition sind eben nicht die Mehrheit, sondern gemessen an den 59 %, die das nicht wollen, eine – wenn auch recht große – Minderheit. Und wenn 37,5 % die eine und 18,2 % die andere Partei gewählt haben, bedeutet das schon gar nicht, dass nun 55,7 % eine Koalition aus beiden Parteien gewählt hätten. Der ominöse Wählerwille wird lediglich als Scheinargument für Entscheidungen der Parteien benutzt bzw. missbraucht. Wenn Sie das Wort hören, werden Sie deshalb bitte hellhörig.

Für die Grünen führt das zu einer Zwickmühle. Selbst wenn ihre Wähler mehrheitlich für eine schwarz-grüne Koalition sein sollten, bedeutet das ja nicht zwingend, dass es klug wäre, die auch aus diesem Grund zu machen. Denn ein nicht kleiner Teil der Grünenwähler hat die Partei gerade deshalb gewählt, weil sie eben keine CDU-geführte Regierung mehr haben wollten. Die könnten dann stinkig werden und beim nächsten Mal dann was anderes wählen. Umgekehrt wäre es auch problematisch, auf eine Ampel zu schielen, denn das würde bedeuten, dass die Grünen dafür sorgen, dass gleich zwei eindeutige Wahlverlierer an die Macht kämen. Auch blöde.

Themen

Bleibt letztlich nur ein Ausweg, falls nicht Schwarz und Rot den Spielverderber geben und die Grünen mit einer großen Koalition ausbremsen. Die Grünen müssen die Themen, für die sie gewählt wurden, also in erster Linie Umwelt- und Klimaschutz, Energiewende usw., präsentieren und dann sehen, ob die CDU oder die SPD und die FDP, ihnen den notwendigen Platz für diese Agenda einräumen.

Wenn die Grünen in eine Koalition gehen wollen, dann muss die nächste Landesregierung thematisch entweder grün dominiert werden, oder die Grünen sollten lieber aus der Opposition heraus weiter Druck machen. Denn nur um einer Regierungsbeteiligung willen in eine Koalition einzusteigen, ohne wirklich schnell und nachhaltig etwas zu bewirken, dürfte dazu führen, dass der schöne Stimmenzuwachs bei der nächsten Wahl wieder zusammenschmilzt wie das Eis an den Polkappen. Das würde zwar die Konkurrenten freuen, für die Zukunft wäre das aber schade.

Ich denke allerdings, die Grünen wissen um dieses Dilemma und werden sich ihrer starken Position in den Sondierungen  bewusst sein. Ob der neue Ministerpräsident der alte bleiben oder Kutschaty heißen wird, ist  dann völlig egal, sofern endlich die Zukunft in NRW ökologisch und ökonomisch gestaltet werden wird.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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