Ruck Zuck – Das Schnellverfahren im Strafrecht

Einen Tag nach gewalttätigen Corona-Protesten in Schweinfurt wurden vier Angeklagte bereits verurteilt. Die Aufregung in der Szene ist groß. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


foto: pixabay

 

Sie haben alle das Gejammer über die langsamen Mühlen der Justiz schon mal gehört. Verfahren ziehen sich über Monate, ja Jahre hin und am Ende gibt es dann mal wieder Kuscheljustiz. Gerade in rechtsradikalen Kreisen wird immer wieder gefordert, dass der Staat mehr Härte zeigen muss. Ausländer sollen – am besten noch, bevor ein Gericht überhaupt ihre Schuld festgestellt hat – ausgewiesen werden, „Kinderschänder“ sollen mindestens lebenslang, wenn nicht länger ins Gefängnis, wenn man sie schon nicht kastrieren oder gleich aufhängen kann, weggesperrt werden usw. Sie kennen das Alles.

Und nun werden doch tatsächlich vier gewalttätige Demonstranten schon einen Tag nach ihren Taten verurteilt? Ja was ist das denn? Da wurde von Standrecht geschwurbelt, vom Ende des Rechtsstaats, von staatlicher Willkür. Komisch, dass ausgerechnet die, die sonst immer nach Härte und Tempo rufen, nun, wo sie selbst mal ein schnelles Urteil sehen, schon wieder unzufrieden sind.

Dann schauen wir mal der Reihe nach.

Das beschleunigte Verfahren ist weder eine Neuheit, noch eine echte Seltenheit. Es wird vielmehr seit Jahrzehnten – offenbar von der Öffentlichkeit unbemerkt – in geeigneten Fällen angewandt.

§ 417 StPO Zulässigkeit

Im Verfahren vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht stellt die Staatsanwaltschaft schriftlich oder mündlich den Antrag auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren, wenn die Sache auf Grund des einfachen Sachverhalts oder der klaren Beweislage zur sofortigen Verhandlung geeignet ist.

Alleine im Jahr 2019 wurden in Deutschland 13 785 Anträge auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gestellt. Das  waren rund 1,4% der Summe aus Anklagen und Strafbefehlsanträgen. Dass das so relativ wenige sind, hat verschiedene Gründe.

Kein Geld da

Zum einen eignet sich das Verfahren nur für Massendelikte aus der Kleinkriminalität, zum anderen gibt es schlicht zu wenig StaatsanwältInnen und RichterInnen, um das Verfahren häufiger anzuwenden, was ja durchaus sinnvoll wäre. Wäre doch schön, wenn der Ladendieb, der Schwarzfahrer oder der Beleidiger gleich nach der Tat eins auf die Mütze bekäme. Da würde er oder sie doch eventuell gleich den Zusammenhang zwischen der Tat und der Strafe noch zusammenbekommen, was häufig schwieriger ist, wenn zwischen Tat und Verhandlung mehr als ein Jahr liegen. Aber, leider, leider, Geld für die Justiz wird nicht so gerne ausgegeben. Also bleibt das beschleunigte Verfahren faktisch eher die Ausnahme.

Dabei sollte dieses Verfahren eigentlich sogar Vorrang vor dem üblichen Anklageverfahren haben.

In den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) heißt es:

146

(1) In allen geeigneten Fällen ist die Aburteilung im beschleunigten Verfahren (§ 417 StPO) zu beantragen; dies gilt vor allem, wenn der Beschuldigte geständig ist oder andere Beweismittel zur Verfügung stehen. Das beschleunigte Verfahren kommt nicht in Betracht, wenn Anlass besteht, die Person des Beschuldigten und sein Vorleben genau zu erforschen oder wenn der Beschuldigte durch die Anwendung dieses Verfahrens in seiner Verteidigung beeinträchtigt werden würde.

(2) Zur Vereinfachung und Erleichterung des Verfahrens soll der Staatsanwalt die Anklage nach Möglichkeit schriftlich niederlegen, sie in der Hauptverhandlung verlesen und dem Gericht einen Abdruck als Anlage für die Niederschrift übergeben.

Dass das Verfahren flink geht, bedeutet nicht, dass dem Angeklagten nun bitteres Unrecht geschieht. Selbstverständlich darf er sich von einem Verteidiger verteidigen lassen, und wenn das Gericht erwartet, dass die Strafe mehr als 6 Monate betragen könnte, muss es ihm sogar einen Pflichtverteidiger beiordnen. Und ein schnelles Verfahren bedeutet auch, dass der Angeklagte sich nicht monatelang vor der Hauptverhandlung ängstigen muss.

Rechtsmittel

Hält der dann Verurteilte das Urteil für falsch, hat er dieselben Rechtsmittel wie im normalen Strafverfahren. Er kann also sowohl Berufung als auch Revision einlegen. Mit der Berufung erzwingt er dann eine neue Hauptverhandlung vor dem Landgericht, in der auch eine komplett neue Beweisaufnahme stattfindet. Mit der Revision kann er das Urteil durch das Oberlandesgericht auf reine Rechtsfehler hin überprüfen lassen.

Mit Standrecht, wie der ein oder andere verwirrte Spaziergänger nun meint, hat das gar nichts zu tun. Das Standrecht ist ein Begriff aus dem Wehrrecht. Es basiert auf der Annahme, dass ein ordentliches Gerichtsverfahren aus Mangel an Zeit oder Gelegenheit im Krieg nicht durchführbar ist, gleichwohl aber eine Bestrafung des Täters in Form des sogenannten „Kurzen Prozesses“ wegen der Bedeutung der Tat oder als Exempel für andere notwendig sei.

Durch solche Standgerichte wurden in der Geschichte zahlreiche Todesurteile gefällt. Die Vollstreckung erfolgte oft durch Erschießung umgehende Hinrichtung durch „standrechtliche Erschießung“ oder„durch den Strang“. Das hat nun mit dem zwar schnellen, aber doch geordneten, beschleunigten Verfahren der StPO gar nichts zu tun.

Gesetzlicher Richter

Solche Standgerichte werden durch das Grundgesetz vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen.

Art 101

(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.

 

Die Strafgewalt des Strafrichters im beschleunigten Verfahren ist auch eher kläglich. So kann er lediglich Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr verhängen, genau wie beim Erlass eines Strafbefehls, der ganz ohne mündliche Hauptverhandlung auskommt. Aber für den angeklagten  Kleinkram reicht das allemal.

In Köln sitzt das Schnellgericht gerne am Aschermittwoch, um getreu des Kölner Grundsatzes „am Aschermittwoch ist alles vorbei“ flink ein paar Delikte aus der Karnevalszeit zu erledigen. Gleiches gilt für internationale Fußballspiele, bei denen man die aus dem Ausland angereisten Fans, die sich strafbar gemacht haben,  ebenfalls umgehend „versorgen“ kann und sich nicht sorgen muss, dass sie zu einem späteren Termin gar nicht erst antreten und die Strafverfolgung aufwändig im Ausland durchgeführt werden muss.

Kein Unrecht

„Schnellgerichte“ sind also kein Zeichen eines brutalen Unrechtsregimes, das die armen Corona-Spaziergänger mit diktatorischen Maßnahmen mundtot machen will, sondern etablierte Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit, ausgestattet mit fast allen Möglichkeiten, die auch das normale Verfahren bietet, halt nur in schnell. Fast but not furios.

Und vielleicht sind sie ja tatsächlich eine Möglichkeit, bestimmte Straftäter zur Einsicht zu bewegen. Wer allerdings in der seltsamen Wunderwelt der Schwurbelköpfe und Querdenker lebt, den wird das wenig überzeugen. Der glaubt halt weiter, er sei ein Widerstandskämpfer und vom „Regime“ zu Unrecht bestraft. Und für die gilt die Wahrheit:

Der Fuchs ist schau und stellt sich dumm, beim Schwurbelkopf ist´s andersrum.

Da helfen auch schnelle Urteile nicht viel mehr als langsame. Aber auf Dauer wird auch der Dümmste schon sehen, dass sich der Rechtsstaat nicht dauerhaft auf der Nase herum tanzen lässt.

Und das gilt auch für Menschen, die meinen, sie könnten ungestraft unangemeldete – und damit rechtswidirge – Demonstrationen durchführen, indem sie sie einfach  in „Spaziergänge“ umtaufen. Die Leitung einer unangmeldeten Demonstration ist eine Straftat, die bloße Teilnahme allerdings nicht. Sie wird aber zur Ordnungswidirgkeit, wenn die Polizei sie auflöst und man trotzdem vor Ort bleibt. Und wer dann meint, er müsse sich gewaltsam gegen die Polizei zur Wehr setzen, der wird zum Straftäter.

Witzig dann allerdings die Empörung und die merkwürdigen Schlüsse, die solche Schlauberger und ihre Kameraden daraus ziehen.

Wenn meine bevorzugte Quelle für wirres Querdenken postet:

Wer jetzt mit der Familie oder Freunden spazieren gehen will, muss eine Demonstration anmelden.
Ist natürlich alles vom Grundgesetz gedeckt und von Herrn Harbarth persönlich abgesegnet …
Wie lange wollen wir uns die ganze Schei. sse eigentlich noch gefallen lassen? Ist das hier ein Rechtsstaat oder eine Bananenrepublik?
Wir sind das Volk und ihr seid unsere Angestellten!

 

dann erkennt man gleich, dass geordnetes Denken nicht die Stärke des gemeinen Querdenkers sein kann. Denn natürlich muss niemand einen Spaziergang mit der Familie oder Freunden als Demonstration anmelden, sofern er nur spazieren will. Anmelden muss er nur eine Demonstration, also eine in der Öffentlichkeit stattfindende Versammlung mehrerer Personen zum Zwecke der Meinungsäußerung. Und eine solche Versammlung ist und bleibt halt eine Demonstration, egal ob man sie nun Spaziergang, Fackelmarsch oder Deppenparade nennt. Und dann muss man sie zwar auch nicht genehmigen lassen, aber man muss sie halt anmelden, schon alleine damit die Polizei die Sicherheit dieser Veranstaltung gewährleisten kann. Wer glaubt, die Umbennung ändere etwas am Charakter einer Demonstration, der glaubt auch, niemand würde erkennen, dass er Scheiße schreibt, nur weil er das Wort mit einem Punkt in der Mitte und der SS im zweiten Wortbestandteil verhunzt. Aber so sind sie nun mal, die oberschlauen Widerständler.

Ich wünsche meinen Lesern ein gesundes Jahr 2022.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

More Posts - Website