„Dunkelblum“ ist Eva Menasses bisher bester Roman

Und nicht nur das: Dieser Roman wirkt bis in die Sprache hinein endlich einmal so, als habe eine Autorin nicht einfach städtische Befindlichkeiten in ein übersichtliches Dorf-Setting projiziert, findet Literaturkolumnist Sören Heim.


Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie alle gelesen habe, doch soweit ich es überblicken kann: Dunkelblum ist Eva Menasses bisher bester Roman. Alles andere war entweder grundsolide oder von einer starken Idee getragen, aber mit deutlichen Schwächen. Dunkelblum ist nicht nur der beste Roman der Autorin, sondern auch einer der besten, wenn nicht sogar der beste mir bekannte der „neuen Dorfromane“, Vielleicht gemeinsam mit Stanišićs „Vor dem Fest“ (nicht gemeint sind bzw. betrachtet werden hier ältere Dorfromane wie etwa Gstreins „Einer“ oder Kurzecks Kein Frühling).

Über diese neue Dörflichkeit habe ich schon an verschiedenen Stellen geschrieben. Sie drängt sich auf, weil im Dorf-Kosmos sich konzentriert und weniger abstrakt über gesellschaftliche Entwicklungen schreiben lässt. Und sie krankt oft daran, dass sich oft eindeutig Städter ihre Dörfer zurechtbauen, wie sie sie gerade brauchen, die Figuren entsprechend platte Talking Heads für eigentlich nationale, tendenziell noch immer aus der Perspektive der Großstadt betrachtete Debatten sind, und die AutorInnen wiederum versuchen das aufzufangen, indem sie eine Stadt-Person, die aufs Land zieht, als Vermittler einbauen.

Dörflichkeit bis in die Sprache

Menasses Dunkelblum hat diese Probleme nicht. Damit möchte ich nicht beurteilen, ob dieses Dorf „realistisch“ ist. Nicht Realismus, sondern Plausibilität, eine innere Geschlossenheit, ist der Imperativ des Kunstwerks. Und Dunkelblum ist plausibel, ist glaubhaft. Besonders auch: Sprachlich, formal und atmosphärisch. Ja, auch diese Geschichte um die Aufdeckung eines möglichen späten Mordes an Kriegsgefangenen des 2. Weltkriegs in einer Ortschaft nahe der ungarischen Grenze, hat ihre Stadt-Rückkehrer. Doch diese sind zwei, drei von vielen gleichberechtigten Figuren, zwischen denen Kapitel für Kapitel die Perspektive pendelt. Während sich das mögliche Kriegsverbrechen sowie vielleicht auch spätere Machenschaften, dieses zu vertuschen, erst ganz langsam ins Zentrum des Romans drängen und im Hintergrund eine Nebenhandlung um Flüchtlinge schwebt, die 1989 darauf warten die ungarische Grenze zu übertreten, betrachten wir die Entwicklungen durch die Augen von halb Dunkelblum. Die Hotelbesitzerin, die sich hochgearbeitet hat, die Metzgerin, ein geschickter Landwirt, der im Zusammenhang mit dem Wasserverein politische Manöver gegen den Bürgermeister fährt. Immer wieder Hocka, eine zwielichtige Gestalt, die einst überzeugt mit den Nazis mittat, sich trickreich eine weiße Weste verpasste und dann unter der Sowjetbesatzung zum Bürgermeister aufstieg, bis er seine letzten Jahre als Unruhestifter und wohl auch wieder Ganove fristet. Gellert, ein ehemaliger Dunkelblumer, der jetzt im ganzen Land ähnliche Verbrechen aufzuklären sucht, wie sie mutmaßlich auch in Dunkelblum geschehen sind. Und viele mehr.

Dabei bedient sich der Roman eines Deutsch, das je nachdem, welche Figur gerade im Fokus steht, in überzeugender Weise von mehr oder weniger regionaler Kolorierung durchzogen ist und in wörtlicher Rede oder Gedankenwiedergabe auch schon einmal in tiefen Dialekt verfallen kann.

Mit all dem Lob möchte ich nicht sagen, dass Dunkelblum eine Lektüre ist, die es der Leserschaft unbedingt leicht macht. Es dauert, bis man so halbwegs drin ist, und dem Text wohnt insgesamt eine gewisse Sperrigkeit inne. Man könnte ihn rustikal nennen, etwas wettergegerbt, eben auch in der Form überzeugend dörflich (das sage ich als Dörfler aus einem sicherlich etwas stärker urban angebundenen Dorf). Ob Menasse die entsprechende Lebenserfahrung gemacht, einfach gut recherchiert oder vor allem gut erfunden hat? Ich weiß es nicht und es ist mir total egal. Egal, auf welcher Basis – Das gut Erfinden ist letztlich sowieso am wichtigsten, denn ein zu ernst genommener „Realismus“ übersetzt sich selten in einen gelungenen Roman.

Das Chaos organisieren

Eines hätte ich mir tatsächlich von Dunkelblum noch gewünscht: Eine Liste mit den Figuren wie man sie etwa aus den Werken Dostojewskis in deutscher Ausgabe kennt. Sicher, man könnte sagen, wenn ein Buch eine solche Liste braucht, funktioniert es als Roman nicht wirklich. Aber ich denke, das ist übertrieben. Denn tatsächlich gibt es für die ganzen großen Klassikern ja solche Listen online, und es werfe der den ersten Stein, wer eine solche noch nie konsultiert hat. Das Ensemble von Dunkelblumern ist wirklich groß und es wird durchaus lebendig. Aber es würde besonders die erste Lektüre erleichtern, wenn man zwischendurch mal nachschlagen könnte: Wer war das noch mal? Dunkelblum ist auf jeden Fall stark genug, dass man irgendwann eine zweite Lektüre wird wagen wollen. Das ist für mich stets die Probe darauf, ob ich ein Buch wirklich empfehlen kann. Man wird aber dazwischen wahrscheinlich Zeit verstreichen lassen. Ich hoffe daher sehr, dass Dunkelblum wie vorher schon Quasikristalle auch als Hörbuch erscheint (Nachtrag: Ja, ist mittlerweile erschienen, leider sehr schläfrig vorgelesen), was die mehrmalige Lektüre, um tatsächlich allen Figuren folgen und sie richtig einordnen zu können, doch deutlich vereinfachen würde.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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