Olympia und das neue K-Wort

Persiflage als legitimes Mittel gegen galoppierende Wokeness empfiehlt Kolumnist Henning Hirsch

Bild von Simon auf Pixabay

Seit gestern ist im Index der nicht sagbaren Wörter auch der Buchstabe K besetzt.

Was war geschehen?

„Beim Einzelzeitfahren der Männer kam es zu einer rassistischen Äußerung durch den deutschen Leistungssportdirektor des Bunds Deutscher Radfahrer. Patrick Moster rief Nikias Arndt bei seinem Rennen »Hol die Kameltreiber! Hol die Kameltreiber! Komm!« hinterher. Vor Arndt fuhren zu diesem Zeitpunkt Azzedine Lagab aus Algerien und Amanuel Ghebreigzabhier aus Eritrea.“
© Spiegel online: Rassismus-Eklat um deutschen Radsportdirektor

Die zu erwartende Empörungswelle in Print- & Onlinemedien zzgl. Soziale Plattformen nahm direkt Fahrt auf. Auch die Tagesschau berichtete in ihren 20h-Nachrichten und betonte dabei, dass sich ihr Reporter völlig korrekt verhalten habe, indem er die Äußerung des Trainers SOFORT mit dem Etikett „unterirdisch“ belegte.

Wenn man sich die Szene auf Youtube anschaut (!Achtung Triggerwarnung: nicht tauglich für sensible Gemüter!), kommt man nicht umhin, in der Bild-Ton-Kombination eine gewisse Komik zu erkennen. Die Szene erinnert an einen Benny-Hill-Clip, in dem er als Besucher eines Windhundrennens auf einen Hund wettet, der dem Feld jedoch weit hinterherläuft, woraufhin Hill von der Tribüne in den Parcours springt, neben seinem Favoriten herläuft, den er abwechselnd anfeuert, um direkt im Anschluss die vor ihm liegenden Hunde mit wenig schmeichelhaften Tiernamen zu belegen. Das geht so munter 90 Sekunden lang hin und her. Am Ende gewinnt Benny Hill das Rennen, sein Favorit liegt röchelnd am Boden und Hill zerreißt wütend den Wettschein. (ob ich jetzt Radfahrer mit Hunden gleichsetzen möchte? Um Gotteswillen: nein! … falls der Clip nicht von Benny Hill stammen sollte, dann habe ich ihn entweder woanders gesehen oder geträumt oder frei erfunden).

Das K-Wort im Zeitalter der Wokeness

woke = (englisch ,erwacht‘, ,wach‘, ist ein aus dem Afroamerikanischen Englisch der 1940er Jahre stammender Ausdruck, der ein ‚erwachtes‘ Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus beschreibt.
© Wikipedia: woke

Im heraufdämmernden Zeitalter der 24/7-Wokeness unterscheiden wir bei den aufgrund ihrer Nicht-Sagbarkeit auf 1 Buchstaben verkürzten Wörtern 3 Empörungsgrade:

(A) heftig: gilt demjenigen, der den indizierten Ausdruck aktiv benutzt
(B) mittel: verwendet den Ausdruck zwar nicht, sympathisiert aber mit denjenigen, die ihn nutzen und/oder sagt zwar offiziell „Schwarzer“, denkt aber insgeheim „N“ (ist natürlich alles nicht so einfach nachzuweisen; aber sobald der Schwindel auffliegt, ist Empörung gewiss)
(C) leicht: zitiert das Wort. Z.B. um seine Verwendung in einer Schulmaterialie anzuprangern. Aus woker Sicht ist jedoch auch das nicht zulässig. Denn das Zitat könnte eventuell darauf hindeuten, dass man es nur als Vorwand benutzt, um N endlich mal in Gänze auszusprechen. Dafür gibt’s allerdings nur einen kleinen Shitstorm. Nicht zu vergleichen mit (B) oder gar (A).

Ich prüfe mich selber: (A) trifft bei mir nicht zu. In meinem Wortschatz, der aus max. 3000 Wörtern besteht (fürs Schreiben einer Kolumne reichen auch weniger), kommt „Kameltreiber“ nicht vor. Kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dieses Wort in den vergangenen 59 Jahren schon mal aktiv genutzt zu haben. Aber Sie tun es gerade hier, Herr Hirsch, unterbrechen Sie mich? Stimmt, antworte ich; aber ich zitiere ja bloß. Auch das darf man nicht? Das Wort sei absolut unsagbar? Okay, das handeln wir zwei Absätze später unter (C) ab. Bitte noch 20 Sekunden Geduld.
(B) Ich denke auch nicht, wenn ich „algerischer Radfahrer“ sage, heimlich an das K-Wort. Kamele und deren Treiber tauchen ebenfalls nicht in meinen Träumen auf. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, ein bisher Kamel- & Treiber-loses Leben geführt zu haben.

Wo liegt dann das Problem, Herr Hirsch, kommen Sie endlich zum Punkt.
Okay; ich beeile mich.

Bei (C) hat es mich gestern erwischt: ich habe das K-Wort ausgeschrieben und erinnerte mich daran, „Kameltreiber“ in meiner Kindheit in Karl Mays „Im Lande des Mahdi I“ gelesen zu haben, woraufhin ich dem deutschen Trainer für die Zukunft folgenden aufmunternden Satz empfahl: „Was trödelst du seit Stunden hinter den beiden elenden Urenkeln früherer Kameltreiber hinterher?“. Ich konnte dem Vorfall also – politisch natürlich völlig unkorrekt – eine komische Note abgewinnen, anstatt mich – das wäre an und für sich die politisch zwingend gebotene Vorgehensweise gewesen – sofort zu empören, was in der Konsequenz dann wieder zu Empörung über mich sorgte. Ich würde mich bei meinem Verfolgungswahn vor Sprachpolizei mittlerweile heillos verrennen, lautete einer der freundlicheren Vorwürfe an meine Adresse.

Wehe dem, der erwischt wird

Während bei gebildeten Menschen weitgehend Konsens herrscht, bestimmte toxische Begriffe nicht aktiv zu verwenden (bspw. das N-Wort) – (A) also unstrittig ist –, wird es bei (B) schon schwieriger: denn wer weiß schon so genau, ob der Gast. der im Wirtshaus ‚Zur fettigen Panade‘ zwar politisch korrekt ein Schnitzel ungarische Art bestellt, heimlich von einem Zigeunergulasch träumt? (was hier, weil man Gulasch nicht frittieren kann, jedoch nicht auf der Speisekarte steht). Aber auch hier gilt: Es ist äußerst unfein, das Z-Wort zwar nicht offen auszusprechen, es allerdings insgeheim zu denken, wenn man ein Wirtshaus betritt … So weit – so woke.

Bei (C) gelangen wir nun in den kritischen Bereich der 24/7-Korrektheit: Weder ist es zulässig, die indizierten Wörter auszuschreiben, noch darf man sie – völlig egal, in welchem Kontext das geschieht – aussprechen. Folgerichtig musste sich die grüne Kanzlerkandidatin, als sie vor einigen Tagen das N-Wort in voller Länge zitierte, umgehend entschuldigen. Die muss sich in letzter Zeit eh oft entschuldigen, sagen Sie? Stimmt, das gehört jetzt aber nicht hierher. Dem Bild der von Kamelen auf Hightech-Rennräder umgestiegenen Wüstensöhne (hoffe, hierbei handelt es sich nicht um ein W-Wort) eine komische Note abzugewinnen, geht natürlich überhaupt nicht. Wer das auch nur ansatzweise lustig findet, wird ohne Zwischenstopp in (B) sofort in Kategorie (A) einsortiert. Das Komisch- bzw. Nicht-so-schlimm-finden eines vom Kamel aufs Rennrad umgesattelten Algeriers ist dann nahezu genauso verwerflich wie das, was der deutsche Trainer getan hat. Wahrscheinlich sogar noch verwerflicher, denn er tat es in der Hitze des Gefechts, während ich es mit Puls 60 auf meiner Tastatur tippte. Der Funktionär zeigte sich sofort reumütig und auch ich zeige mich reumütig: Ich werde ab sofort das K-Wort aus meinem Wortschatz streichen. Wobei (ja ja, ich wiederhole mich) ich schwör beim Grab meiner Mutter: Ich hab das Wort bis gestern NIE benutzt!!!

Die Liste der nicht sagbaren Wörter

Die Liste der nicht sagbaren Wörter füllt sich. Bald werden alle Buchstaben besetzt sein und wir müssen dann mit Erweiterungen arbeiten. Z.B. das K3-Wort. Denn wie alle Listen neigt auch das Das-darfst-du-auf-keinen-Fall-sagen-Verzeichnis dazu. ständig verlängert zu werden. Unter strenger Beobachtung befinden sich aktuell Perle, Torte, Schuss, Braut u.ä., die alsbald zu P-, T-, S- & B-Wörtern mutieren. Politisch völlig zurecht. Welche Frau will schon „Torte“ genannt werden? Trotzdem denke ich (-> Kategorie B.) mitunter wehmütig an die 80er zurück, als man in Köln seine Kumpels noch fragen durfte: „Habt ihr gerade den blonden Schuss mit dem geilen Arsch auf der anderen Straßenseite vorbeispazieren gesehen?“. Heute darf man das S-Wort noch nicht mal denken. Vorgezogenes PS. an dieser Stelle: seitdem ich die 30 überschritten habe, nutze ich das S-Wort nicht mehr aktiv. Alles hat/hatte seine Zeit. Ich hör’s aber nach wie vor ganz gerne, wenn ich es in Köln zufällig auf der Straße höre.

Persiflage als letztes Mittel, das bleibt

Wie alle Ismen ist auch der Wokismus besonders schlecht auf diejenigen zu sprechen, die ihn persiflieren. Dabei ist diese Denkschule nur durch ständige Persiflage oder eine Pulle Wodka zum Frühstück oder am besten beides kombiniert überhaupt zu ertragen. So wie sich in den 50ern Senator McCarthy und seine Jünger tagein tagaus von Kommunisten umzingelt wähnten, wähnen die heutigen Wokisten an allen Straßen- und Facebook-Ecken Rassismus, Sexismus oder eine sonstige Sauerei gegen irgendeine Minderheit, von der man bis dato gar nicht wusste, dass diese Minderheit überhaupt existiert. Jede Epoche hat den Wahn, den sie verdient.

Zum Schluss jetzt noch die Woke-Regel: indizierte (also mit 1 Buchstaben abgekürzte) Wörter NIE aktiv verwenden! Das gilt sowohl fürs Sagen als auch fürs Schreiben. Sie ebenfalls nicht denken. Denn ein aufmerksamer Wokist bemerkt Ihr Mimikry. Hat vielen Gewerkschaftern und Filmschaffenden in den 50ern Nullkommanull genützt, dass sie beteuerten, nie Mitglied in der KP gewesen zu sein und gar nicht zu wissen, was in Marx „Das Kapital“ drinsteht. Es reichte der Verdacht, dass sie mit dem Sozialismus insgeheim sympathisieren könnten, und schon waren sie ihre Jobs los und/oder befanden sich in einem Gerichtssaal. Indizierte Wörter auch nicht zitieren oder sich gar über die ausufernde Indizierung lustig machen. (falls Sie in die Kategorie „supervorsichtig“ gehören, dann am besten sich ebenfalls empören, sobald die anderen sich empören. Auch wenn Sie nicht genau wissen, worüber und warum sich gerade wieder empört wird = Empörung zwecks Eigenschutz = das ist völlig legitim). Insofern Sie sich an diese einfache Regel halten, wird Ihnen nichts passieren. Es sei denn, Sie setzen versehentlich ein Like bei jemand, der sich über woke Themen lustig macht. Dann wird auch gegen Sie ermittelt. Denn woke Menschen sind stets wachsam und supermisstrauisch. Man könnte sagen: Woke ist auch nichts anderes als McCarthy 4.0 (was 2.0 und 3.0 sind? … habe ich vergessen).
+++

Und bevor hier jetzt gleich die woke Gegenreaktion einsetzt, besorge ich mir erstmal ne Pulle Wodka.

PS. der deutsche Trainer wurde mittlerweile vom DOSB nach Hause geschickt. Ob ich das gerecht finde? Natürlich ist das gerecht. Wenn man das K-Wort benutzt, sollte man sich nicht vor laufender Kamera dabei erwischen lassen. Die anderen Trainer sind da schlauer und sagen sowas hinter verschlossenen Türen oder halten sich zumindest die Hand vor den Mund.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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