Weihnachten ohne Oma und Opa

Langsam begreifen die regierenden Politiker, dass härtere Maßnahmen erforderlich sind, um die Pandemie einzudämmen. Ausgerechnet jetzt. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von klimkin auf Pixabay

Weihnachten wird im Coronajahr ein Fest der Tränen werden. Stille Nacht garantiert, Heilige Nacht, mal schauen. Alte Traditionen – wie das leicht angeschickerte Singen in der Christmette – haben keine Chance gegen eine Pandemie, die weltweit wütet.

The land of the free

In Amerika hat die Zahl der Coronatoten Dank des Ignoranten Trump bereits die Zahl der Toten des zweiten Weltkriegs überschritten und auch hier in Deutschland steigen die Zahlen unaufhaltsam. Was man bereits vor Monaten hätte machen müssen, ist nun, ja ich verwende das böse Wort, alternativlos: Lockdown auf die harte Tour. Schulen zu, Geschäfte zu, vielleicht noch Ausgangssperren und – für Viele wird das die härteste Maßnahme sein – keine große Familienfeier zu Weihnachten.

Schon seit Wochen hatten wir geplant, uns am Heiligabend bei einer meiner Töchter zu treffen. Alle gemeinsam. Alle Kinder, die beiden Enkel, die Urgroßmutter und wir: Opa und Oma. 10 Leute um einen Tisch. Was gibt es Schöneres, als zwei knapp Zweijährige an Weihnachten bei sich zu haben? Ich kenne nichts. Endlich nach Monaten den in München studierenden Sohn mal wieder sehen. Wir wollten es kurz halten, am späten Nachmittag anfangen, früh zu Abend essen, ein bisschen reden, mal nicht per Whatsapp Videoanruf. Vielleicht drei Stunden oder so.  Wir hätten uns sogar vorher testen lassen, die Balkontür aufgelassen und unseren Luftwäscher aufgestellt, ja sogar außerhalb des Essens noch FFP2-Masken getragen. Das schien uns allen verantwortbar und vermutlich wäre es das auch immer noch.

Wer mit wem?

Aber nun wird das nichts werden. Wer kann sich nun mit wem treffen? Schwierig. Maximal fünf Personen aus zwei Haushalten sollen es wohl werden, d.h. heißt entweder wir zwei und die Schwiegermutter – die sonst völlig alleine wäre – oder wir zwei und unser Sohn oder wir zwei und eine unserer Töchter mit Mann und einem Enkelkind. Das ist alles eine große Kacke und was mich besonders ärgert, es wäre durchaus so leicht vermeidbar gewesen, wenn nicht Möchtegernkanzler Laschet und andere Polit-Komiker beim ersten Lockdown sehr schnell nach Lockerungen gerufen hätten. Kam ja gut an, man schielt halt auf die nächsten Wahlen. Hätten wir den ersten Lockdown noch konsequent zwei Wochen weiter durchgehalten, sähe manches anders aus. Stattdessen wurden in Bayern noch Starkbierfeste gefeiert. Oans, zwoa, Corona.

Wischiwaschi-Lockdown

Es wäre auch noch vermeidbar gewesen, wenn man statt dieses November-Wischiwaschi-Lockdowns, der „Lockdown Light“ genannt wurde und genauso sinnvoll ist wie andere Lightprodukte, gleich einen Knochenhartlockdown mit geschlossenen Schulen, geschlossenen Geschäften und nächtlichen Ausgangssperren nebst Alkoholverboten beschlossen und auch durchgesetzt hätte. Da hätte man dann vielleicht tatsächlich Heiligabend für einen Abend lockern können.

Stattdessen seltsame Regelungen zuhauf. Die Schüler und Lehrer sitzen in eisig durchgelüfteten Schulklassen mit Anorak und teilweise Decken – was den Feuerschutzvorschriften widersprechen dürfte – in Klassenräumen, die einen vernünftigen Abstand gar nicht zulassen und frieren sich den Arsch ab. Vor den Berufs- und weiterführenden Schulen stehen aber vor und nach dem Unterricht große Gruppen von Schülern ohne Masken zusammen, rauchen eine und schreien durcheinander, um dann in Bussen zusammengepfercht wie Schlachtvieh wieder nach Hause zu ihren Familien zu fahren. Abstand? Pustekuchen. So gut kann der beste Filter im Bus nicht sein, dieses toxische Aerosolgemisch virenfrei zu filtern.

In einem Gerichtssaal war auf der Klägerseite eine Plexiglastrennscheibe zwischen mir und meinem Mandanten, auf der Beklagtenseite gab es keine. Merke: Beklagte und ihre Vertreter sind immun wahlweise nicht wert geschützt zu werden.

Die NRW Bildungsministerin betonte den hohen Wert der Bildung und blubbert, mit ihr seien Schulschließungen nicht zu machen. Gut, dann halt ohne sie. Was nützt denn die schönste Bildung, wenn die Träger zu Seuchenträgern werden? Wer glaubt, dass das Virus am Schultor halt macht, spinnt. Das hätte man auch alles wissen können und man hätte auch nach diesem Wissen handeln können. Und nachdem ihr Gelübde , es gebe mit ihr keine Schulschließungen noch nicht verhallt war, da kam Lockerlaschet, der nun plötzlich zum Lockdownlaschet mutiert ist, daher und verkündete das Gegenteil. Reaktion der Ministerin auf Twitter:

Die Schulpflicht besteht weiterhin und der Unterricht findet bis zum 18. Dezember statt

Der Unterricht für die Klassen 1 bis 7 erfolge in Präsenz. Die Entscheidung über die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler am Präsenzunterricht werde den Eltern freigestellt. Äh ja. Schön, dass wir wenigstens ein bisschen Karneval in der Coronazeit haben.

Pray at home

Letzte Woche forderte ein Bischof noch dazu auf, leibhaftig in der Kirche zu erscheinen. Mag ja sein, dass manch einer glaubt, er wäre da seinem Herrn näher, mag aber auch sein, dass er ihm nach dem Kirchenbesuch noch näher kommt, als ihm lieb ist. Warum rufen die großen Religionsgemeinschaften, die ja angeblich immer das Wohl aller im Auge haben und vorgeben, selbst ihre Feinde zu lieben, nicht einfach dazu auf, an den Feiertagen zuhause zu bleiben? Pray at home. Das wäre doch mal ein Motto. Die Kirchensteuer fließt auch so und die paar Euro im Klingelbeutel können die Gläubigen auch mit PayPal spenden.

Entwarnung à la Palmer

Der Universalgelehrte und Tübinger Bürgermeister Boris Palmer, der in seiner Stadt tatsächlich ein gutes Konzept, insbesondere für Pflegeheimbewohner, durchgesetzt hat und dessen Zahlen immerhin nur knapp zweimal über dem angestrebten Wert von 50/100.000 liegen, gab sogar bereits Entwarnung und bestreitet, dass die Intensivstationen und insbesondere die dort beschäftigen PflegerInnen und ÄrztInnen unter chronischer Überlastung leiden und ein Zusammenbruch des Gesundheitssystems in Sicht wäre. Hat er, der studierte Lehramtsmathematiker, ausgerechnet. Das kommt davon, wenn man nur Zahlen sieht, aber nicht die Menschen, die hinter diesen Zahlen stehen. Klar kann man mit Geld Intensivbetten kaufen, aber man kann keine IntensivpflegerInnen klonen. Und die gehen mittlerweile auf dem Zahnfleisch. Gab‘s deshalb mehr Kohle für die? Nicht wirklich und auf das Geklatsche und die Herzchen in den Bäumen vor den Krankenhäusern können die gut verzichten. Aber auch eine bessere Bezahlung schützt nicht vor einem Burnout. Mit den Intensivpatienten ist es wie mit den Seerosen, die am ersten Tag nur den halben Teich bedecken und am nächsten Tag schon den ganzen.

Kein Polizeistaat

Okay, die Milch ist verschüttet und alles Jammern hilft uns jetzt auch nicht weiter. „Ich möchte nicht in einem Polizeistaat leben“, jammert eine Kollegin. Ja, wer möchte das schon? Was wir jetzt zwangsläufig erleben müssen, ist natürlich eine massive Einschränkung unserer persönlichen Freiheit. Und die tut auch weh, keine Frage. Mit Polizeistaat hat das allerdings wenig bis gar nichts zu tun, außer dass die Polizei und die Ordnungsbehörden eine Menge Arbeit damit haben werden, die Einhaltung des Lockdowns zu überwachen und durchzusetzen. Und auch das muss nun konsequent passieren. Wer die Regeln nicht einhält, muss dazu gezwungen werden. Wer meint, seine Quarantäne sei nur eine unverbindliche Empfehlung der Gesundheitsamtes, muss zur Einhaltung gezwungen und spätestens, wenn er das zweite Mal im Supermarkt erwischt wird, für die Restlaufzeit der Quarantäne unter Verschluss genommen werden.

Egoistenrepublik

Wer als verantwortlicher Politiker an die Eigenverantwortung und Solidarität der Bürger geglaubt hat, muss erwartungsgemäß enttäuscht sein. Überhaupt daran zu glauben, war allerdings auch sehr blauäugig. Wie kann man ernsthaft auf die Idee kommen, dass in einer Gesellschaft, in der jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, einer Egoistenrepublik, jemand aus Rücksichtnahme auf andere die Regeln einhält?

Gesetze funktionieren immer nach dem gleichen Prinzip. Jedes Gesetz besteht aus einem Tatbestand und einer Rechtsfolge, einem einfachen Wenn/Dann, dem simpelsten Algorithmus aller Zeiten. Das ist das erste was ich meinen Rechtskundeschüler einbimse: Der schönste Tatbestand ist für den Arsch, wenn es bei einem Verstoß keine spürbare Rechtsfolge gibt. Das ist bei Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht anders. Schilder aufstellen ist nett. Aber wenn es keine Sanktionen gibt, werden die als rotweiße Dekorationen betrachtet. Geldbußen helfen da bei entsprechend begüterten Rasern gar nichts, Fahrverbote und Führerscheinentzug schon. Die Sanktion muss als Preis für das unerwünschte Verhalten einfach zu hoch sein, als dass jeder ihn locker zahlen könnte.

Dummonstrationsverbote

Wenn es nun einen totalen Lockdown bis zum 10. Januar oder auch bis zum 31. Januar 2021 gibt, dann möchte ich in dieser Zeit aber auch keine Demos von Maßnahmengegnern, Reichsbürgern, Impfgegnern und ähnlichen Menschen sehen. Ja, auch das Versammlungsrecht ist ein Grundrecht und ja, auch das kann unter bestimmten Umständen eingeschränkt werden. Diese Umstände kann man jetzt mit bloßem Auge erkennen und danach handeln. Mag sein, dass das ein oder andere Gericht dann mal wieder ein paar Querschläger zu ihren Dummonstrationen auf die Straße lässt, kann aber auch gut sein, dass ein begrenztes Versammlungsverbot für die Zeit des Hardcore-Lockdowns von den Gerichten bestätigt würden. Das würde ich als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk akzeptieren.

Bleiben Sie gesund und bleiben Sie zuhause.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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