Ein Dylan- oder Anti-Dylan-Roman? „Jokerman“ von Stefan Kutzenberger.

Dieses Buch liest sich wie eine bekloppte Idee, die dem Autor beim Wein gekommen ist und die dann einfach mal weiter verfolgt wurde, findet Literaturkolumnist Sören Heim. Das ist angesichts der Steifigkeit, mit der die deutsche „E“-Literatur sonst oft versucht, „Themen“ zu setzen, erfrischend.


Jokerman von Stefan Kutzenberger ist in erster Linie ein erfrischendes Buch. Es wirkt wie eine Idee, die der Autor im Suff gehabt hatte und dann einfach einmal runter geschrieben hat. Nichts, was man sich in einer Schreibschule ausgedacht hat, nichts, was man auf das derzeit heißeste Thema hin am Reißbrett entwickelt hat. Die Geschichte ist total bekloppt und wird auch in einer Weise erzählt, die genau das nahelegt: „Ich erzähle dir jetzt einmal im Brustton der Überzeugung etwas Beklopptes, das mir widerfahren ist.“

Beginnt bekannt, gewinnt Beklopptheit

Jokerman beginnt wie ein Post-Beat oder Studenten-Roadtrip-Roman, kippt dann aber rasch, als der Erzähler mit einer Theorie zu Bob Dylans „Jokerman“ auf eine Dylan-Konferenz eingeladen wird. Dort sollte er sich eigentlich dadurch blamieren, dass er das Verb “sticks” mit dem Nomen „Stöcke“ verwechselt hat und darauf seinen ganzen Vortrag aufbaut. Doch der isländische Chef der Dylanologen hält das für genial und lädt Kutzenberger (denn der Erzähler trägt den Namen des Autors) als den „Joker“, der den „Trumpf“ stechen soll (natürlich Donald Trump) für ein Stipendium nach Island ein. Später wird der Erzähler unter anderem, als sei es nichts, eine Zusammenarbeit mit der abweichende Theorien über Dylan predigenden Hillary Clinton eingehen und Trump persönlich gegenüberstehen. Wie gesagt, das alles ist total verrückt, und hier und da werden auch Zweifel am Geisteszustand des Protagonisten gesät. Einiges wirkt eher gezwungen, insbesondere, dass die Corona-Krise – da der Roman 2020 spielt – noch einen kurzen Auftritt hat, scheint ein bloßer Nachgedanke zu sein. Einerseits musste das halt rein wegen der Zeitgenossenschaft, andererseits wird kein Gedanke darauf verschwendet, welche weiteren Folgen das für eine Handlung haben könnte, die dann ausgerechnet in den stark coronageplagten Vereinigen Staaten auf ihren Höhepunkt zu treibt. Vielleicht hätte der Autor das Thema lieber ganz rausgelassen; es handelt sich ja auch ansonsten wirklich nicht um einen realistischen Roman.

Für Freunde Dylans ein Fest – oder Zumutung?

Ist Jokerman ein Buch für Dylan-Fans? Ich bin mir nicht sicher. Einerseits verschlingen und vergöttern Fans alles, wo es um ihr Idol geht, und dieser Roman scheint Dylan zu feiern. Andererseits kriegt die Dylan-Exegese von Kutzenberger ganz schön einen verpasst. Dieses frei assoziative Bedeutungen in Titel lesen, diese absolut nicht vorhandene Bereitschaft, Schwächen zuzugestehen oder auch nur den Gedanken zuzulassen, dass viele der wild kombinierten Symbole und Lesefrüchte tatsächlich in der Kombination nicht sauber aufgehen, dieses letztlich sich immer Flüchten in die Maskenmann-These – also, dass das eigentlich Geniale an Dylan eben sei, dass er uns, seine Exegeten, verarsche –; das wird hier beim Wort genommen und in einem Werk vorgeführt, das auf Romanlänge nach der Logik eines Dylan-Songs funktioniert, während zwei Sekten der Dylan-Exegeten um den Zugriff auf die ganz reale Welt streiten.

Auch die Engführung von Trumpismus und Dylanologie, die darauf abzielt, dass in der populistischen Literaturexegese wie in der populistischen Politik gerne mit beweglichen Zielen und dem dauernden Sicherheitsnetz, alles könnte doch immer auch nur ein Witz gewesen sein, operiert wird, könnte den ein oder anderen Fan vor den Kopf stoßen. Ich dagegen, der sicher jeden Tag mindestens einen Titel von Dylan hört, aber mit fanatischer Gefolgschaft noch nie etwas anfangen konnte, habe mich köstlich amüsiert. Jokerman ist kein ganz großes Meisterwerk, aber doch ein sehr unterhaltsames Buch. Es könnte in ein paar Jahren vergessen sein, könnte aber auch zu einem der Werke werden, die sich Literaturfreunde abseits des Mainstreams weiterreichen, die man auf Trampreisen durch Osteuropa oder ans Mittelmeer liest, und die gekommen sind, um zu bleiben; länger hoffentlich als Donald Trump und vielleicht die ganzen 50 bis 100 Jahre, die die Menschheit nach derzeitigem Stand noch hat.

Nebenbei: Bob Dylan war ja nie zufrieden mit seiner musikalisch etwas matschigen Aufnahme von „Jokerman“; einen Song, den ich dem Potential nach für einen seiner besseren Titel halte. Während im Roman vor allem das Cover von Caetano Veloso stark gemacht wird, möchte ich hier die folgende Akustik-Aufnahme empfehlen:

 

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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