„Im Kühlschrank brennt noch Licht“ von Udo Jürgens – Würdigung eines Schlagertextes.

Literaturkolumnist Sören Heim mit Überlegungen zu modernen Bildern ins Texten – und warum sich Lyrik all zu oft in Rosen und Nachtigallen flüchtet.


Es gibt bis heute wenig gelungene lyrische Dichtung, die zentrale Elemente der modernen Welt nicht nur als Akzidenzien quasi demonstrativ „vorweist“, sondern als Bilder/Symbole so in ihr Innerstes zieht, dass darin die Stimmung des Werkes sich kristallisiert. Etwas vereinfacht gesprochen: Wir schreiben, wenn es um eine vergehende Liebe geht, noch immer über welkende Rosenblätter, symbolisieren die Einsamkeit mit der Weite der Prärie oder einer Schneelandschaft, statt … ja, was eigentlich?

Die Schwierigkeit „moderner“ Bilder

Ich möchte mich als Dichter da auch gar nicht ausnehmen und es gibt gute Gründe dafür, sich relativ zeitloser Symbole zu bedienen. Einer der besten: Ihre Zeitlosigkeit. Und da es andere Wege gibt, einen Text in seiner Zeit zu verorten, müssen dabei auch nicht stets im schlechten Sinne „entrückte“ Texte herauskommen, die um das immergleiche Gefühlssalbadern kreisen, als bedeute (um beim Beispiel zu bleiben) Lieben tatsächlich heute noch das gleiche wie 1600 oder 1900. Aber: Die Gefahr besteht eben doch und viele Werke entgehen ihr nicht. Und Kunst, gelungene Kunst, gerade solche, die „zeitlos“ werden möchte, kann sich nicht auf Allgemeinplätze beschränken, sondern muss zuerst ihre Zeit durchdringen, bzw. sich umgekehrt von ihr durchdringen lassen. Das Besondere ist immer mit zu greifen, das gelungene Werk tanzt zwischen historischer Spezifik und dem, was vielleicht darüber hinaus weisen könnte.

Ein Beispiel: Erst durch das viele Geskype wegen Corona fiel mir auf, was wir an dem Leerzeichen des klassischen Telefons vielleicht verloren haben. Dieser Moment, wenn man auflegt, und es noch weiter tutet. Es gibt kaum ein einsameres Geräusch. Oder wenn die Erwartungshaltung bei einem Anruf vom anhaltenden Freizeichen enttäuscht wird. Aber: Dieses Freizeichen hat zugleich etwas Verbindendes. In der Abwesenheit, die es anzeigt, nachdem ich aufgelegt habe, ist der andere noch anwesend. Und welcher Liebende hat nicht schon einmal das vor sich hin tutende Telefon noch eine Zeitlang so neben sich auf dem Kissen liegen lassen? Mit der modernen Videotelefonie ist das vorbei. Der Schnitt ist ganz sauber. Gerade war da noch jemand; jetzt ist da nur noch das blanke Glas oder Plastik.

isolation vii – videophone

die vollendete einsamkeit
wenn die hand hinter dem spiegel
sich nach dem roten knopf ausstreckt
den du nicht siehst
der nichtmal ein knopf ist
nur kaltes glas
und das bild in sich zusammenfällt
und kein knacken
noch nicht mal das ewige freizeichen
das früher uns, wenn die stimme starb
in seinem überall sich gleichen
noch mit der welt verband.
sekunden? minuten? die verstreichen
– – –
ne pizza. netflix vielleicht. und dann?

Dennoch: Werke, die sich bis in die Tiefe ihrer Symbole hinein auf solche modernen Phänomene einlassen, bleiben selten. Allein das Automobil hat es seit dem Beat zuerst zur Chiffre für Wildheit und Freiheit, neuerdings auch für Rücksichtslosigkeit gebracht. Doch hat es damit vor allem relativ nahtlos die des Pferdes und der Postkutsche in klassischer Cowboy-Metaphorik übernommen. Nun kann man sicher festhalten: Es braucht Zeit, bis neue Technologien „kunstfähig“ werden, denn sie müssen ja überhaupt erstmal soweit anschlussfähig sein, im Bewusstsein der Rezipienten auf ein Allgemeines zu verweisen, so dass der Künstler sie dann vielleicht für die Kunst entdecken kann und dieses Allgemeine über seine Besonderung kenntlich herausarbeiten. Dann stellt sich der klassische Effekt ein: „Krass, das habe ich so auch schon immer gedacht/gefühlt”.

Zwei gelungene Beispiele aus der Popmusik

Aber wie gesagt, die gelungenen Versuche, ja überhaupt die Versuche, sind selten. Und finden sich nach meinem Überblick eher in der populären Musik als in der Lyrik. Etwa beiHerbert Grönemeyer:

“Mein Kopf unmöbliert und hohl
Ooh, keine Blumen im Fenster
Der Fernseher ohne Bild und Ton
Ich fühl‘ mich unbewohnt”

Oder der bemerkenswerte Text, über den ich hier eigentlich schreiben wollte, ehe schon wieder eine knappe Seite für die Einleitung draufgegangen ist: „Im Kühlschrank brennt noch Licht“ von Udo Jürgens. Ein kurzes Lied über das Vermissen, dessen große Kraft man eine Zeit lang anhand einer rein vom Klavier begleiteten Soloaufnahme auf YouTube erfahren konnte, die man sich jetzt leider geistig rekonstruieren muss. Es stehen nur noch die von süßlichen Geigen und Chor untermalten Studioversionen online. Die Live-Version hat auch einige Änderungen am Text vorgenommen, die das Ganze deutlich konziser klingen lassen. Etwa (nach den Streichungen bleibt die Live-Version):

Die Mitte der Nacht
Als Endstation Sehnsucht,
Sogar die U-Bahn geht nicht mehr.
Und plötzlich wie immer,
Nur ich und das Zimmer.
Der Tag ist zu [so] voll,
Doch die Nacht ist so leer.

Und halbautomatisch sucht meine Hand
Nach einem Hörer –
Doch da läuft nur ein Band…
Und wenn auch sonst
Niemand mehr mit mir spricht,
Na gut, dann nicht –
Im Kühlschrank brennt noch Licht.

Ich möchte jetzt gar nicht den Text im Einzelnen durchgehen. Aber die Art und Weise, wie Jürgens hier rund um die existentielle Einsamkeit einer Wohnung, in der der Partner oder Ex-Partner nicht weilt, all die Dinge aufstellt, mit denen die moderne Zeit uns noch einsamer fühlen machen kann, ist äußerst gelungen. Vom Abklemmen der Adern der Großstadt (U-Bahn) über den Fernseher, dessen Flimmern Gesellschaft vorgaukelt und die Abwesenheit solcher gleich noch spürbarer macht zum Anrufbeantworter und so weiter. Und dann der Kühlschrank, der im Zentrum von allem sitzt. Mit dieser so gern ins Philosophische aufgeblasenen Frage, ob das Licht eigentlich auch brennt, wenn die Tür zu ist, hier gewendet als eine Art Trost, der entweder als hohl wahrgenommen werden kann (wir wissen ja, dass es eben nicht brennt bzw. das Nachdenken sagt uns, auch gegen unser Gefühl, dass es so sein sollte) oder eben darauf verweist, wie oft das lyrische Ich die Tür öffnet, vordergründig wahrscheinlich um sich bei den Alkoholika zu bedienen (Nur ich und das Zimmer / Ein Glas ist halbleer / Und ich sage mir: „Prost“), aber auch um sich immer wieder versichern: Wenigstens dieses Licht brennt noch. Etwas „lebt“ hier.

Kitsch und die Maschinenmenschen

Ja, dieser Text hat ein paar Holperer und er bewegt sich nahe am Kitsch. Aber Lieder dürfen im Gegensatz zur Lyrik holpern, weil ihr Text nicht für sich allein steht, sondern zum Vortrag mit Musik gemacht ist. Und Einsamkeit ist ein kitschiges Gefühl. Auch das muss in einem modernen Text über die Einsamkeit zwangsläufig mit aufscheinen. Denn was hat uns Durch-den-Tag-komm- Maschinen, die dafür, heute noch mehr als 1991, als dieser Text verfasst wurde, wiederum mit zahlreichen weiteren Maschinen mit aller Welt verbunden sind, dennoch das Fehlen eines einzelnen Menschen zu interessieren? Jemand Neues ist doch immer nur einen Swipe entfernt!

Nun, es interessiert uns, es ist oft immer noch das Wichtigste überhaupt. Und um das festzuhalten, ist ein gewisses Pathos, das in den Kitsch spielt, ohne ihm ganz zu verfallen, gerade recht. Aber eben eines, das sich nicht ins Vergangene flüchtet, in Rosen und Nachtigallen, sondern der Welt, in der diese Einsamkeit stattfindet, auf Augenhöhe begegnet. Und das ist Udo Jürgens mit „Im Kühlschrank brennt noch Licht“ gelungen, und wer sich nicht von einem aus Distinktionsbedürfnis getriebenen Schlagerhass leiten lässt, wird kaum darum herumkommen, das zuzugeben.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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