Bewährung für einen tödlichen Schlag – Ein Skandalurteil?

In Magdeburg wurde ein junger Mann wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer zweijährigen Haftstrafe mit Bewährung verurteilt. Der Vater des Opfers schäumt vor Wut. Kuscheljustiz? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild: Eike von Repgow von Alfred Stier auf Pixabay

Vorweg. Ich kenne weder die Verfahrensakten, noch habe ich an der Hauptverhandlung teilgenommen. Ich weiß also nicht, ob das Urteil gerecht ist. Dass es das allerdings zwingend nicht ist, kann ich auch nicht sagen.

2017 schlug ein 17 Jähriger einen 30 Jährigen im Streit nieder. Dieser fiel bewusstlos zu Boden und starb. In dem nun abgeschlossenen Gerichtsverfahren verteilte die Jugendstrafkammer des Landgerichts Magdeburg den heute 20-jährigen Täter zu einer zweijährigen Jugendstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der FOCUS lässt durchblicken, dass er das für ein zu mildes Urteil hält.

Nun darf man natürlich der Meinung sein, dass der Tod eines Menschen stets einer zu verbüßenden Haftstrafe bedürfe, damit dieser Tod ausreichend „gesühnt“ würde, und sich damit eine Bewährung grundsätzlich verbiete. Wenn ich der Vater des Getöteten wäre, würde ich das vermutlich nicht viel anders sehen. Ich kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als eines meiner Kinder durch eine Gewalttat zu verlieren. Dass der Mann die Welt nicht mehr versteht und über das Urteil wütend ist, ist angesichts des persönlichen Verlusts verständlich und nachvollziehbar.

Wenn er allerdings tatsächlich gegenüber Focus-Online geäußert haben sollte

Das hat nichts mehr mit Recht und Gesetz zu tun.

dann ist diese Schlussfolgerung nicht zutreffend.

Denn Recht und Gesetz lassen eine solche Entscheidung durchaus zu.

Zunächst zum Tatbestand.

§ 227

Körperverletzung mit Todesfolge

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Das bedeutet, dass bei einem erwachsenen Täter in der Tat in einem solchen Fall eine Bewährungsstrafe nicht möglich ist, weil es eine solche nur bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren geben kann. Und ein Erwachsener kann wegen einer solchen Tat eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren bekommen.

Ein Jugendlicher

Nun ist der Angeklagte zur Tatzeit allerdings erst 17 Jahre alt gewesen und fällt damit nicht unter das Erwachsenenstrafrecht. Und im Jugendstrafrecht gelten die Strafdrohungen des Erwachsenenstrafrechts eben nicht. Wer sich da etwas intensiver einlesen möchte, dem empfehle ich meine Trilogie zum Jugendstrafrecht.

Teil 1    Teil 2   Teil 3

Für alle Anderen in aller Kürze:

Das Jugendstrafrecht findet ohne Wenn und Aber bei Jugendlichen ab dem 14. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres Anwendung (§§ 1, 3 JGG). Ab dem 18. Geburtstag gilt dann grundsätzlich das Erwachsenenstrafrecht, allerdings wird auch hier bei Reifeverzögerungen oder sogenannten jugendtypischen Straftaten das Jugendstrafrecht angewendet.

Im vorliegenden Fall, bei einem zur Tatzeit 17 Jährigen, hat das Gericht also keine andere Wahl, als das Jugendstrafrecht anzuwenden. Das gilt auch dann, wenn der Angeklagte zur Zeit der Verurteilung, wie z.B. bei KZ-Helfern, schon ein hohes Alter erreicht hat.

Natürlich muss das Gericht bei einem Jugendlichen zunächst auch wie bei einem Erwachsenen feststellen, ob er die Tat begangen hat. Da gibt es gar keinen Unterschied. Dann muss es zusätzlich noch prüfen, ob der Jugendliche überhaupt mit der erforderlichen Verantwortungsreife ausgestattet war. Das Gericht muss feststellen, dass der Jugendliche «zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug» (Voraussetzung) war, «das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln» (nachzuweisende Leistungsfähigkeit). In diesem Punkt wird von den Gerichten recht häufig schlampig gearbeitet; er spielt hier allerdings auch wohl keine Rolle.

Eine Strafe

Wenn dann die Tatbestandsmäßigkeit festgestellt wurde, d.h. hier, wenn das Gericht zu der Überzeugung gekommen ist, dass der Jugendliche den Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge schuldhaft erfüllt hat, dann geht es um die „richtige“ Strafe.

Und die kann bei ein und demselben Tatbestand bei unterschiedlichen Tätern sehr verschieden ausfallen. Das liegt daran , dass beim Jugendstrafrecht der Gedanke der Sühne in den Hintergrund tritt. Kern des Jugendstrafrechts ist nämlich der Erziehungsgedanke. Das bedeutet, dass das Gericht eine Sanktion finden muss, die dem Jugendlichen hilft, in Zukunft keine Straftaten mehr zu begehen. Klingt vielleicht etwas seltsam, ist aber für die Gesellschaft sinnvoll.

Es gibt Jugendliche, die bereits vor der Strafmündigkeit, also bevor sie 14 Jahre alt wurden, mehr oder weniger im kriminellen Sumpf versackt sind. Die ständig klauen, schlagen, abziehen, mit Drogen handeln oder schwarzfahren. Die auch durch zunächst milde Sanktionen wie Verwarnung, Sozialstunden, Jugendarrest oder auch Bewährungsstrafen nicht auf die richtige Schiene gesetzt werden konnten. Und bei denen kann dann auch eine eher leichtere Straftat dazu führen, dass das Gericht „schädliche Neigungen“ feststellt und sie – auch ohne Bewährung – mal die Segnungen des Jugendstrafvollzuges erfahren lässt.

Wenn der Vater sagt:

Solche Urteile sind Freifahrtscheine für Täter und animieren zu noch mehr Verbrechen. Sie haben jedenfalls keine abschreckende Wirkung.“

dann beruht das auf einer Verkennung des Jugendstrafrechts. Man kann allerdings auch nicht erwarten, dass dessen Regelungen jedem bekannt oder verständlich sind.

Keine abschreckende Wirkung

Denn eine weitere Besonderheit kommt im Jugendstrafrecht zum Tragen. Während bei Erwachsenen der Gedanke der Generalprävention, also die im besten Fall abschreckende Wirkung des Urteils auf Andere, neben der Spezialprävention, also der positiven Einwirkung auf und/oder Abschreckung des jeweiligen Täters, eine Rolle spielt, bleibt die Generalprävention bei Urteilen gegen Jugendliche außen vor. Das bedeutet, dass das Urteil nicht darauf ausgerichtet sein darf, wie es auf die Öffentlichkeit wirkt oder gar auf andere mögliche Täter einwirken sollte. Würde das Gericht ausdrücklich die Wirkung des Urteils auf die Öffentlichkeit bei seiner Strafzumessung berücksichtigen, dann wäre das Urteil fehlerhaft.

Gerade bei Gewaltdelikten und insbesondere, wenn dabei ein Mensch zu Tode kommt, werden die nach den Regeln des Jugendstrafrechts ausgesprochenen Strafen in der Öffentlichkeit häufig als zu milde angesehen. Insoweit bildet der Vater da gar keine Ausnahme.

Die Jugendstrafe, also eine Haftstrafe, die in einer Jugendstrafanstalt zu verbüßen ist, ist das letzte Mittel und die härteste Sanktionsform des Jugendstrafrechts. Sie kommt erst dann in Betracht, wenn andere Maßnahmen bei vorangegangenen Verurteilungen ohne Erfolg geblieben, deren Erfolg auch bei einem Ersttäter gar nicht zu erwarten sind, oder wenn die Schwere der Schuld eine solche Strafe erfordert.

Zur Schwere der Schuld hat das Kammergericht Berlin (17.02.2012 – 1 Ss 540/11 (336/11) z.B. ausgeführt:

Die Schwere der Schuld ist nicht abstrakt messbar, sondern nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, so dass deren äußerer Unrechtsgehalt, insbesondere die Bewertung des Tatunrechts, die in den gesetzlichen Strafandrohungen ihren Ausdruck findet, nicht unberücksichtigt bleiben darf. Demgemäß ist die Schwere der Schuld vor allem bei Kapitalverbrechen zu bejahen und wird daneben in der Regel nur bei anderen besonders schweren Taten in Betracht kommen (vgl. BGHSt 15, 224; BGH StV 1992, 325; Senat, a.a.O.; OLG Hamm StV 2011, 175)

Das bedeutet, dass das Gericht nicht alleine vom Ergebnis, dem Tod eines Menschen, her auf die Schwere der Schuld schließen darf, sondern vielmehr ganz konkret anhand der angeklagten Tat schauen muss, ob die Schuld hier besonders schwer wiegt. Dazu hat es insbesondere auch die Motive der Tat zu berücksichtigen.

Und selbst dann gilt:

Hinzu kommt, dass Jugendstrafe nur verhängt werden darf, wenn und soweit dies aus erzieherischen Gründen auch zur Zeit der Urteilsfindung noch erforderlich ist. Dies gilt auch für die reine Schuldstrafe nach § 17 Abs. 2 2. Alt. JGG (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 2CO3 – (4) 1 Ss 195/C3 (132/03) -)

Und da scheint nun die Jugendstrafkammer des LG Magdeburg zu dem Schluss gekommen zu sein, dass eine Bewährungsstrafe im konkreten Fall für den Täter ausreicht, um den Verurteilten künftig von weiteren Straftaten abzuhalten. Worauf das Gericht die positive Sozialprognose gestützt hat, weiß ich nicht. Die Berichterstattung hält sich da zurück. Die Strafzumessung ist aber – wie die Rechtsprechung immer so schön sagt – die ureigenste Aufgabe des Gerichts und weder die „des Volkes“, auch wenn das Urteil in dessen Namen gesprochen wird, noch die von BILD oder Focus. Das Gericht hat im Idealfall alle Umstände berücksichtigt und so die „richtige“ Strafe gefunden. Dass das insbesondere den Angehörigen eines Opfers nicht immer gefällt, liegt in der Natur der Sache. Denn das Gericht darf nicht das Urteil fällen, dass die Opfer oder die Angehörigen zufriedenstellt, sondern das, das dem Täter und seiner Tat angemessen ist.

Noch einige Bemerkungen:

Wenn für den Vater der schnelle, für ihn völlig überraschende Termin der Urteilsverkündung unverständlich bleibt, weil laut Ladungsliste des Gerichts für April und Mai noch fünf Verhandlungstage angesetzt waren und über weitere Termine im Juni bereits gesprochen worden sei, dann ist auch das nichts Ungewöhnliches.

Da die Jugendstrafkammer vor Beginn der mündlichen Verhandlung noch nicht weiß, wie oder ob überhaupt der Angeklagte sich einlassen, also äußern wird, muss es seine Terminsplanung so gestalten, dass es in der vom Gesetz vorgegebenen Zeit alle zur Aufklärung erforderlichen Beweismittel, also insbesondere alle Zeugen, zur Verfügung hat. Da werden regelmäßig ein paar Termine auf Vorrat geplant, weil ja auch schon einmal ein Prozessbeteiligter krank werden oder aus anderen Gründen nicht kommen kann. Kommt es dann aber zu einem frühen Geständnis des Angeklagten, kann auf einen Großteil der Beweisaufnahme verzichtet werden, wenn das Geständnis glaubhaft ist. Dann werden die übrigen Termine gecancelt. Bei Entscheidungsreife wird dann halt entschieden. Also ist das hier kein Anlass für eine Verschwörungstheorie oder die Behauptung, das Gericht habe keine Lust gehabt, den Fall vollständig aufzuklären.

Wenn der Vater die Staatsanwaltschaft als „zweiten Verteidiger“ des Angeklagten betrachtet hat, dann beruht auch das womöglich auf einem Missverständnis der Rolle der Staatsanwaltschaft. Die hat nämlich – so zumindest die Idee des Gesetzgebers – nicht auf eine möglichst hohe Strafe zu drängen, sondern als angeblich „objektivste Behörde der Welt“ sowohl belastende wie entlastende Umstände zu berücksichtigen. Ein Staatsanwalt, der sich nur auf die belastenden Fakten stützt, macht seinen Job nicht richtig. Staatsanwälte sollen Aufklärer und nicht Jäger sein.

Auch die Tatsache, dass es wohl eine Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung gegeben haben soll, ist nichts Schlechtes. Das sieht das Gesetz ausdrücklich vor, und es dient in erster Linie der Prozessbeschleunigung.

§ 257c

Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten

(1) 1Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. 2§ 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) 1Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. 2Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. 3Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) 1Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. 2Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. 3Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. 4Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) 1Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. 2Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. 3Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. 4Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

Dabei darf nicht etwa eine zu milde Strafe vereinbart werden, und ein solcher Deal muss offen kommuniziert und protokolliert werden.

Soweit der Vater eine Revision ankündigt, wird die wohl keine Aussicht auf Erfolg haben, denn:

§ 400

Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers

(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

Eine Revision des Nebenklägers, die darauf gestützt wird, dass die Strafe nicht hart genug ist, ist unzulässig. Aber das wird der Nebenklägervertreter dem Vater wohl noch schonend beibringen müssen. Da weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung bei einem Deal in Revision gehen dürften, wird sich an dem Urteil nichts mehr ändern. Hätte Focus-Online natürlich auch recherchieren können, aber was soll‘s. Hauptsache mal wieder was Stimmung gegen ein Gericht gemacht und die Leser glücklich empört.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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