Die Socken stopfende Oma

Unseren täglichen Aufreger gib uns heute. Großmütter auf die Barrikaden! Anti-Empörungskolumne von Henning Hirsch


Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorad, Motorad, Motorad.
Das sind tausend Liter Super jeden Monat, meine Oma ist ne alte Umweltsau,

beginnt ein umgetextetes Liedchen, das vom WDR-Kinderchor in der Weihnachtszeit geträllert wurde und am 27sten Dezember viral ging. Kurz danach brach ein Shit-Tsunami der Orkanstärke 11,7 los, gegen den selbst die Empörung bei der Veröffentlichung des Ibiza-Oligarchentochter-Videos wie ein laues Frühjahrslüftchen wirkte.

Meine Oma sagt, Motoradfahren ist voll cool, echt voll cool, echt voll cool.
Sie benutzt das Ding im Altersheim als Rollstuhl, meine Oma ist ne alte Umweltsau.

Unklarheit, welche Generation genau gemeint ist

Eine ganze Generation (welche eigentlich genau?) würde zu Unrecht verunglimpft, die Klimaaktivisten trieben einen Keil zwischen die Jungen und die Alten, die ökologisch verwahrlosten Redakteure instrumentalisieren unschuldige Kinder für ihre panikschürende Armageddonagenda, der linke Staatsfunk treibt Schindluder mit unseren GEZ-Beiträgen und vieles Empörtes mehr bis hin zu Goebbels-Propaganda-Parallelen bekam man in Twitter, Facebook & Co. zigtausendfach zu lesen. Die besorgten Bürger gingen steil.

Meine Oma fährt im SUV beim Arzt vor, beim Arzt vor, beim Arzt vor.
Sie überfährt dabei zwei Opis mit Rollator, meine Oma ist ne alte Umweltsau.

„ICH bin keine Umweltsau!!“, schreibt eine entrüstete Großmutter, „ich trenne meinen Müll ordentlich und steige innerörtlich in die Straßenbahn“. Eine andere weiß zu berichten, „Ich fahre nur einmal im Jahr in Urlaub und dann am liebsten nach Österreich“, und eine dritte weist darauf hin, dass sie 3x Woche kein Fleisch isst, freiwillig. Dafür brauche es keinen grünen Rigorismus.

Meine Oma brät sich jeden Tag ein Kotelett, ein Kotelett, ein Kotelett.
Weil Discounterfleisch so gut wie gar nichts kostet, meine Oma ist ne alte Umweltsau.

„Unsere Großmütter stopften die kaputten Socken selber“, ruft einer, „Mein Großvater holte die Milch noch in der Kanne im Tante-Emma-Laden an der Ecke“, ergänzt der Zweite. „Bei uns wurden alle fünf Kinder nacheinander im selben Badewannenwasser gebadet, und das Wasser im Anschluss verwendet, um die Blumen im Vorgarten zu gießen“, fügt ein Dritter hinzu. „Und all diese Menschen haben unser Land aus Ruinen wieder aufgebaut“, tippt zornbebend der Vierte.

Meine Oma fliegt nicht mehr, sie ist geläutert, geläutert, geläutert. Stattdessen macht sie jetzt zehnmal im Jahr ne Kreuzfahrt, meine Oma ist doch keine Umweltsau.

„INSTRUMENTALISIERUNG von Kindern durch den Staatsfunk!!“, schreit ein besonders lauter Schreihals. Na ja, denke ich, werden Kinder nicht ständig für Wahlkampfplakate, TV-Werbung und das Singen von Kirchenchorälen instrumentalisiert?

Nun kann man sich wahrlich darüber unterhalten, ob die von einer Motorradbraut- in eine Umweltsau verwandelte Oma das Zeug zum Witz des Monats hat. Bereits das Original reißt mich nicht vom Hocker. Feinsinniger Humor geht anderes. Auch in der Rubrik Satire habe ich schon tiefschürfendere Beiträge gehört. Aber Umweltsau tatsächlich als Auslöser einer mittelschweren Staatskrise, in deren Verlauf der Intendant des inkriminierten Senders öffentlich Abbitte leisten und das Video aus der Mediathek entfernt werden muss? Wirklich?

Missbrauch von Kindern?

„MISSBRAUCH von Kindern!!“, hallt es trotzdem weiter durch die digitalen Furorräume. So schnell, wie sie entstanden ist, die Siebengebirgs-hohe Empörungswelle, will sie jetzt nicht wieder abebben. Da geht noch was. Wäre ja noch schöner, wenn die professionell orchestrierte Wutschnaubsaktion aufgrund der Vernichtung der Beweismittel jetzt sofort wieder abgeblasen wird. „Sie wollen es partout nicht verstehen“, schreibt nun einer in meine Richtung, „der Punkt ist die Instrumentalisierung unpolitischer Kinder durch eine parastaatliche, zur Neutralität verpflichtete Anstalt, die mit Pflichtbeiträgen üppig finanziert wird. Fällt bei Ihnen jetzt endlich der Groschen?“

Stimmt nicht so ganz. Die verantwortlichen Redakteure und der Chorleiter weisen darauf hin, dass der Text vorab den Eltern zugesandt wurde, und die Teilnahme an der Aufnahme selbstverständlich freiwillig war. Eigentlich müsste deshalb eher mit den Eltern als mit den Redakteuren geschimpft werden. Aber egal, darum geht’s ja eh nicht. Es geht – völlig losgelöst von Kinderchor, Umweltsauen und Omas – darum, den ÖR-Sendern bei jeder sich bietenden Gelegenheit einen einzuschenken. Das Gerede von der Neutralität, die jederzeit strikt einzuhalten sei, basiert nämlich auf einem Irrtum. Klingt zwar beim ersten Zuhören durchaus plausibel die Sache mit der strikten Neutralität, führt jedoch auf einen gefährlichen Holzweg. Denn – wie soll die in der Realität aussehen, die (strikte) Neutralität? Bekommen wir dann nur noch ein farblich exakt abgestimmtes Testbild zu sehen, sobald wir ARD, ZDF und die Dritten einschalten? Oder muss bei jedem kritischen Beitrag sofort im Anschluss eine Gegenmeinung veröffentlicht werden? Als ob Sender und speziell die Magazine, die sie ausstrahlen, nicht immer irgendeiner politischen Agenda folgen. Wobei sich die politischen Ausrichtungen egalisieren, wenn montags ein linkes, dienstags ein rechtes und am Mittwoch ein liberales Magazin über die Mattscheibe flimmert. Am Donnerstag Fußball und dann ist schon wieder Wochenende und höchste Zeit für Quizformate und Helene Fischer, bevor am Sonntag der Weltspiegel erneut unsere Augen auf die Politik richtet. Nennt sich in der Gesamtheit AUSGEWOGEN. Das ist aber nicht dasselbe wie (strikt) neutral. Wer sich strikt neutral verhält, hat auch kein Problem mit Faschisten und deren verbalen Ergüssen, weil ja knapp 15% der wahlberechtigten Bürger dahinter stehen und deshalb Meinungsfreiheit ebenfalls für Latrinenparolen gelten muss.

Die Mär von der strikten Neutralität

Strikte Neutralität ist die öffentlich-rechtliche Cousine der gutbürgerlichen Äquidistanz, die bei einem Synagogenanschlag sagt: „Ja, das ist schlimm. Aber nicht minder schlimm sind die linken Autonomen, die am ersten Mai Farbbeutel auf Juweliergeschäfte schmeißen und Müllcontainer anzünden“. Und ganz besonders schlimm sind linke Sender, die Kinder für Lieder missbrauchen. Und das mit den uns vom Mund abgesparten Zwangsabgaben. 17,50 Euro im Monat = zweieinhalb Packungen Marlboro weniger oder drei Pullen Discount-Cognac beim Aldi. Ein Verzicht, der Monat für Monat schmerzt. Besonders diejenigen, die zwar nicht beim Discounter einkaufen, die aber generell keine Lust auf den kritischen ör-Rundfunk haben. Diejenigen, denen das von RTL u. Pro 7 gebotene Programm völlig ausreicht, und die Dieter Nuhr & Mario Barth für die Krönung der Satire halten.

Arme Kinder, die von grundbösen (linken) Redakteuren instrumentalisiert wurden, um deren (also die der Redakteure und des WDR) links-grün-versiffte Propaganda zu verbreiten. Da schnüren sich sofort die besorgten Elternherzen zu. „Ich will nicht, dass mein Kind für falsche Klimalehren missbraucht wird“, seufzt Mama Kathrin aus Castrop-Rauxel. „Und ich handelte schon ökologisch korrekt, als die Ökos noch gar nicht erfunden waren“, springt Omi Susanne ihrer den Tränen nahen Tochter bei, zündet sich ne Kippe an, klettert in ihren Skoda und knattert, schwarze Dieselwolken aus dem Auspuff ausstoßend, zum Supermarkt davon, wo es heute argentinisches Rind im Sonderangebot gibt.

Der Intendant entschuldigt sich mehrmals und von Herzen, der Ministerpräsident fand’s auch völlig daneben, der Sender zieht das Video zurück, empörte Wutbürger protestieren tags darauf am Appellhofplatz. Dort, wo sonst der Spatz seine kindgerechten Botschaften formulierte. Und ich reibe mir verwundert die Augen und denke: Was, um Himmelswillen, geschieht hier gerade? Bestimmen jetzt Twitter & Co. darüber, welches Video aufbewahrt werden darf und welches nicht? Wurde irgendjemand persönlich beleidigt, ist die Sache eventuell justiziabel? Eine amorphe Riesenmenge Umweltsau-Omas – so what? Omas als zufällig gewählter Begriff, der jederzeit durch Opas, Babyboomer, 68er, Kolumnisten, Kölner ausgewechselt werden kann. DAS ist tatsächlich ein Aufreger? Bzw. das soll eine Aktion gewesen sein, die drei Millimeter an einer Straftat vorbei schrammte? War es natürlich alles nicht. Es war ein mäßig witziges Liedchen. Zum Jahresend-Skandälchen hochgetrommelt von denjenigen, die:
(a) den ör-Rundfunk sowieso abschaffen wollen
(b) auf Klimawandel und die durch ihn verursachten Einschränkungen unseres Konsumverhaltens NULL Bock haben.

Mal wieder den Öffentlich-Rechtlichen ordentlich einen einschenken

Und weil die Rundfunk-Abschaffer selten ehrlich argumentieren – ehrlich wären bspw. die Sätze: „Mehr an Info & Entertainment, als es RTL u SAT 1 bieten, braucht kein Mensch. Alles andere ist Perlen vor die Säue werfen“ oder „Ich möchte keine Sender in Deutschland haben, die links von der FDP stehen“ – sitzen sie jeden Tag auf dem Sofa und warten darauf, dass irgendwo was ausgestrahlt wird, was ihrer konservativen Auffassung von Political Correctness widerspricht. Sobald dann ein kleines Umweltsau-Oma-Liedchen läuft, geraten sie binnen Sekunden in Wallung, der Puls schnellt auf 150 hoch, sie verabreden sich zum digitalen Waidmannsheil , die Jagd ist eröffnet, die Finger flitzen über zehntausende Tastaturen. Ende ist dann, wenn die Beute röchelt und die nächste Skandalsau am Horizont erscheint. Notfalls werden noch ein paar analoge Hooligans vor die Haustüren der Redakteure und die Eingangspforte des WDR ausgesandt, um dem berechtigen Volkszorn Nachdruck zu verleihen. Schuld hat sowieso der Sender, denn sowas bringt man nicht, und augenscheinlich haben sämtliche Kontrollinstanzen versagt. Konservative und neoliberale Brüder und Schwestern: Wir müssen DRINGEND (zum tausendsten Mal) über die Zwangsfinanzierung der linksgrünen Sendeanstalten reden!

Und was geschieht? Der Intendant kriecht tatsächlich zu Kreuze. Mea culpa, Asche über unser WDR-Haupt, wir werden nie mehr was mit Kindern und Klima bringen, denn es könnte ja sein, dass sich wieder einige empören. Und Empörung ist nicht gut fürs Geschäft. Ab sofort Konzentration auf Fußball, Biathlon, Spielformate, hin und wieder ein Ratequiz und Talk Shows, zu denen sämtliche Parteien streng paritätisch eingeladen werden und der Moderator nur noch Fragen stellt, die den Teilnehmern vorher bekannt waren. Und die Tagesschau bloß aus alter Gewohnheit. Denn auch die ist aus dem Blickwinkel der Klimawandel-Verneiner viel zu ökolastig. Aber diese Bastion bekommt die konservativ-neoliberale Fraktion ebenfalls noch geschleift. Wenn man weiß, wie Empörungswelle funktioniert und auf der anderen Seite Schnell-Einknicker sitzen, kriegt man im Zeitablauf ne Menge kurz und klein gehauen.

Meine Oma ist doch KEINE Umweltsau,

endet übrigens das kleine Lied. Aber bis zur letzten Strophe hört sich das von den Dauerempörten sowieso keiner an.

Kurzfazit zum Oma-Gate: Der WDR hat offensichtlich eher ein Intendanten- als ein Kinderchorproblem. Und die Ich-stopfe-meine-Socken-selbst-Omas sollten kurz nach Silvester wieder rauskommen aus der Schmollecke und ihre Enkel bei der korrekten Mülltrennung der gestern verschossenen Raketen beraten.
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»Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen«, sagt Toni, der begnadetste brotlose Dichter unserer Stadt, als ich ihm den Text zeige.
»Stimmt«, antworte ich.

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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