Keinen Kassencent für Homöopathie!

Gesundheitsminister Spahn will die Kostenübernahme einiger Krankenkassen für Homöopathie nicht antasten. Ein Fehler. Die Samstagskolumne von Heinrich Schmitz



Bild von ElliRakete auf Pixabay

Was ich von Homöopathie halte, habe ich bereits in einer früheren Kolumne ausführlich erläutert:

Im Wunderland der Globuli

Davon rücke ich weiterhin keinen Millimeter ab, auch wenn die Firma Hevert lustige Abmahnungen verschickt, wenn jemand behauptet, homöopathische Arzneimittel wirkten „nicht über den Placebo-Effekt hinaus“.

Nun mag ja jeder Erwachsene sich so viele Globuli kaufen wie er möchte. Das soll er tun dürfen. Er darf sich ja auch eine Frikadelle ans Knie nageln – was möglicherweise mehr Wirkung erzielt als ein Homöopathikum – oder einen Aluhut aufsetzen. Er mag das aber bitte auf seine eigenen Kosten tun und nicht auf Kosten der Beitragszahler in der gesetzlichen Krankenkasse. Die meisten tun das auch, denn von dem Umsatz der Homöpathiehersteller von rund 670 Millionen in 2018 trugen die gesetzlichen Krankenkassen „nur“ 20 Millionen.

„Medikamente“

Dass manche Krankenkassen die homöopathischen „Medikamente“ übernehmen oder bezuschussen, liegt ja nicht an deren nicht nachweisbarer Wirkung, sondern daran, dass die Kunden dies wünschen. Mancher Versicherte sucht sich extra eine Versicherung, die damit wirbt, diese substanzlosen Zuckerkugeln zu bezahlen. Okay, wirtschaftlich ist das für die Krankenkasse vermutlich gar kein schlechtes Geschäft, denn gemessen an wirksamen Pharmazieprodukten sind die homöopathischen Minibonbons ja eher preiswert. Gemessen an den aktuellen Zuckerpreisen sind sie allerdings verdammt teuer, mit Sicherheit der teuerste Zucker der Welt. Dem Kunden wird dabei eine Wirksamkeit suggeriert wird, die nicht nur wissenschaftlich nicht belegt, sondern von den nicht vorhandenen Inhaltsstoffen her sicher ausgeschlossen werden kann, die gleichwohl aber Homöopathen und Hersteller sich wechselseitig bestätigen.

Homöopathische Arzneimittel unterliegen grundsätzlich nicht denselben gesetzlichen Anforderungen wie übrige Arzneimittel. Die meisten Stoffe müssen nicht wie andere Medikamente zugelassen, sondern nur registriert werden. Ein Wirksamkeitsnachweis wird nicht gefordert. Falls ein homöopathisches Mittel beansprucht, gegen ein bestimmtes Leiden zu helfen, ist zwar eine Zulassung nötig. Dabei vertraut das Arzneimittelgesetz aber den Herstellern. Bei diesem „Wirksamkeitsnachweis“ kommen nicht die üblichen wissenschaftlichen Standards der Medikamentenzulassung zum Tragen, wie etwa umfassende randomisierte Studien an Probanden. Es handelt sich vielmehr um einen sogenannten „Binnenkonsens“: Die Homöopathen bescheinigen sich quasi selbst, dass ein Mittel wirkt, ausgehend etwa vom „Homöopathischen Arzneibuch“.
(c) Süddeutsche Zeitung vom 2. Juni 2019: Abmahnung wegen Globuli-Kritik

Im Arzneimittelgesetz steht:

§ 38 Registrierung homöopathischer Arzneimittel

(1) Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 sind, dürfen als homöopathische Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie in ein bei der zuständigen Bundesoberbehörde zu führendes Register für homöopathische Arzneimittel eingetragen sind (Registrierung). Einer Zulassung bedarf es nicht; § 21 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. Einer Registrierung bedarf es nicht für Arzneimittel, die von einem pharmazeutischen Unternehmer in Mengen bis zu 1 000 Packungen in einem Jahr in den Verkehr gebracht werden, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel,

1.

die Zubereitungen aus Stoffen gemäß § 3 Nr. 3 oder 4 enthalten,

2.

die mehr als den hundertsten Teil der in nicht homöopathischen, der Verschreibungspflicht nach § 48 unterliegenden Arzneimitteln verwendeten kleinsten Dosis enthalten oder

3.

bei denen die Tatbestände des § 39 Abs. 2 Nr. 3, 4, 5, 6, 7 oder 9 vorliegen.

(2) Dem Antrag auf Registrierung sind die in den §§ 22 bis 24 bezeichneten Angaben, Unterlagen und Gutachten beizufügen. Das gilt nicht für die Angaben über die Wirkungen und Anwendungsgebiete, für die Unterlagen und Gutachten über die klinische Prüfung sowie für Angaben nach § 22 Absatz 2 Nummer 5 und 5a und Absatz 7 Satz 2. Die Unterlagen über die pharmakologisch-toxikologische Prüfung sind vorzulegen, soweit sich die Unbedenklichkeit des Arzneimittels nicht anderweitig, insbesondere durch einen angemessen hohen Verdünnungsgrad ergibt. § 22 Absatz 1a gilt entsprechend.

Ich kann schon nicht verstehen, warum diese Stoffe sich überhaupt Arzneimittel nennen dürfen, wenn eine Currywurst ein Vielfaches an wirksamen Substanzen enthält.

Pillepalle

Nun hat Jens Spahn natürlich damit Recht, dass 20 Millionen, die die Krankenkassen für homöopathische Zuckerpillen, sogenannte Globuli, ausgeben, gemessen an 40 Milliarden, die für echte Medikamente gezahlt werden, nicht wirklich ins Gewicht fallen. Das ist finanzieller Pille-Palle. Das stimmt aber nur, soweit es den finanziellen Schaden der Versichertengemeinschaft betrifft.

Wesentlich schlimmer ist aber der Schaden, der dadurch eintritt, dass dieses Signal des Gesundheitsministers so verstanden wird, als handele es sich bei diesem Firlefanz um eine wirksame Leistung. Denn nur die wird nach § 2 SGB V den Versicherten geschuldet.

§ 2 SGB V Leistungen

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

Was im Sinne dieses Gesetzes wirtschaftlich ist, sagt der § 12 SGB V

§ 12 SGB V Wirtschaftlichkeitsgebot

(1) Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.

Das was also die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) leistet, muss nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem auch nachweislich wirksam sein.

Dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechend haben Globuli eben keine wissenschaftlich nachgewiesene Wirksamkeit, die über das Anzünden einer Kerze oder das Reiben eines Talismans hinausgehen würde.

In § 2 Abs.4 SGB V heißt es noch einmal ausdrücklich:

„4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

Das bedeutet z.B. dass Ihnen in der Apotheke meistens das billigste Medikament einer Wirkstoffgruppe ausgehändigt wird und nicht unbedingt dasjenige, das Sie beim letzten Mal gut vertragen haben. Und sollten Sie zu den Menschen gehören, die über bestimmte Unverträglichkeiten gegenüber bestimmten Trägersubstanzen (nicht gegen den Wirkstoff selbst) haben, dann muss der Arzt schon ganz konkret ausschließen, dass der Apotheker Ihnen Generika in die Hand drückt statt des Originalmedikaments. Auch sonst sind die Kassen stets darauf bedacht, das Geld der Versicherten möglichst zusammenzuhalten und lieber in repräsentative Gebäude als in wirkungslose Medikamente oder Behandlungen zu investieren. Selbst tatsächlich wirksame Behandlungen wie regelmäßige Massagen oder Physiotherapie bei chronischen Schmerzen bekommen Sie erst nach heftigen Kämpfen mit den Ärzten („Mein Budget, Sie wissen doch“, „Fragen Sie mal den Orthopäden, ob der das nochmal verschreibt“ usw.) und/oder der Kasse bezahlt. Manchmal muss man sogar klagen.

Tinnef

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu irrwitzig, wenn der Bundesgesundheitsminister, der ansonsten bisher einen ganz ordentlichen Job gemacht hat, sich hinstellt und meint, die Kostenübernahme für diesen Tinnef sei „okay“.

Nein, ist sie nicht.

Bei einem Medikament, das von der Kasse bezahlt oder bezuschusst wird, darf der Versicherte annehmen, dass dieses eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung hat. Die Sonderregelung für homöopathische Spuk- und Voodoozaubersubstanzen im Arzneimittelrecht ist ein Ärgernis.

Wenn nun der Minister meint, es sei „okay“, wenn die gesetzlichen Krankenkassen 20 Millionen Euro zum Fenster hinauswerfen, dann steht diese Meinung des Ministers ganz eindeutig gegen das Gesetz.

Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen.“

Homöopathische Produkte können unter keinem Gesichtspunkt „notwendig“ sein. Daher dürften die Krankenkassen diese nach der aktuellen Gesetzeslage gar nicht bewilligen. Dass sie das dennoch tun, um ein paar Leichtgläubige als Kunden zu behalten, ist unglaublich.

Wenn ich auf der Homepage einer gesetzlichen Krankenversicherung lese,

Es gibt jedoch Ärzte und Patienten, die von der über 200 Jahre alten Heilkunst überzeugt sind und diese als Alternative zur klassischen Schulmedizin akzeptieren.

dann fällt mir dazu nicht mehr viel ein. Schon der Begriff „Heilkunst“ ist daneben. Und der Verweis auf 200 Jahre geht ebenfalls fehl. Wir haben auch 350 Jahre lang Hexen verbrannt, um Krankheiten, für die man die verantwortlich gemacht hat, zu bannen. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, die Kassen müssten die Kosten für die Verbrennung der Nachbarin mit der Warze auf der Nase übernehmen, die vom Patienten als ursächlich für die Migräne angesehen wird. Zauberei darf keine gesetzliche Kassenleistung sein.

Mumpitz

Ich hätte nichts dagegen, wenn Homöopathiegläubige sich entsprechend privat versichern und denen dann aus den selbst gezahlten Beiträgen Leistungen zustehen. Meinetwegen gleich auch für Bachblüten und ähnlichen wirkungslosen Mumpitz. Aber den gesetzlichen Krankenkassen sollte deutlich gemacht werden, dass sie die Gelder der Versicherten nicht – und schon gar nicht mit dem Segen des Gesundheitsministers – zur Aufwertung wertloser Behandlungen einsetzen dürfen.

Schade finde ich, dass ein Politiker, offenbar aus Angst vor der großen Zahl der Homöopathieanhänger und deren Lobbyverbänden, bereit ist, den homöopathischen Hokuspokus künstlich am Leben zu erhalten. Es ist Aufgabe des Gesundheitsministeriums, die Gesundheit der Bürger zu schützen und dafür zu sorgen, dass unwirksame Behandlungsmethoden nicht als Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse gepampert werden. Da geht Wissenschaft vor Buhlen um Wähler.

Nein, Herr Spahn, dass die Kassen den Quatsch weiterhin finanzieren ist nicht okay.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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