Killt BILD?

Die Berichterstattung über ein Ermittlungsverfahren gegen einen früheren Nationalspieler wirft einige rechtliche Fragen über die sogenannte Verdachtsberichterstattung auf. Killt die BILD Existenzen und darf sie das?


Bild von marla66 auf Pixabay
Es ist nicht ungewöhnlich, dass die BILD Prominente „schlachtet“. Das bringt Klicks, das bringt Auflage, das bringt Kohle. Und es bringt den betroffenen Prominenten in eine Situation, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünscht. Jedenfalls dann wenn es in irgendeiner Form ein Sexualdelikt ist, dessen derjenige verdächtigt wird. Sexualdelikte stehen am untersten Ende der Beliebtheitsskala, nicht nur im Knast, sondern auch in der Bevölkerung. Und ganz besonders, wenn die mutmaßliche Tat sich gegen Kinder richtet. Da kocht schnell die Empörung über und der ein oder andere Wüterich neigt zur Lynchjustiz.

Es ist daher eine diffizile Angelegenheit in angemessener Art und Weise über solche Verfahren zu berichten, denn dass die Presse grundsätzlich über Ermittlungsverfahren berichten darf und u.U. sogar muss, steht fest.

Voyeurismus bedienen

Ein Verdacht einer Straftat erregt das öffentliche Interesse, umso mehr es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Prominenten handelt. 2017 erlangte die deutsche Polizei Kenntnis von rund 14.900 Fällen von Kinderpornografie. Täglich könnte die BILD also von rund 41 Fällen berichten. Tut sie aber nicht, obwohl die Tat ja nicht mehr oder weniger schlimm ist, wenn sie von einem Nichtprominenten begangen wird. Es geht also weniger um eine Information der Öffentlichkeit über mutmaßlich begangene Straftaten, sondern eher darum, mit der Prominenz eines mutmaßlichen Täters den Voyeurismus der Leser zu befriedigen. Das betrifft nun natürlich nicht nur die BILD, aber sie ist halt die Großmeisterin der medialen Hinrichtung.

Denn Unschuldsvermutung hin oder her, wem ein solcher Vorwurf öffentlich gemacht wird, der steckt das nicht einfach weg und selbst wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass an der ganzen Scheiße nichts dran war, bleibt der Name des Promis auf ewig mit dem Delikt verbunden.

Und weil das so ist und der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Tatverdächtigen ein ziemlich heftiger ist, sind die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verdachtsberichterstattung ziemlich streng.

So ist alleine die Tatsache, dass es überhaupt ein Ermittlungsverfahren gibt, grundsätzlich kein Berichtsgrund. Das hängt damit zusammen, dass die Hürde für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens äußerst niedrig ist. Es reicht ja schon, wenn irgendjemand Sie anonym anzeigt und behauptet, sie hätten Kinderpornos verschickt, um Ermittlungen auszulösen. Denn

§ 160 Abs. 1 StPO

Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.

Der BGH sagt dazu:

Die Staatsanwaltschaft hat schon beim Vorliegen eines Anfangsverdachts Ermittlungen aufzunehmen (vgl. § 152 Abs. 2, § 160 Abs. 1 StPO). Dafür ist bereits ausreichend, dass aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte nach kriminalistischer Erfahrung die bloße Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat gegeben ist (BGH, Urteil vom 21. April 1988 – III ZR 255/86, NJW 1989, 96, 97; BVerfGK 3, 55, 61; jeweils mwN). Die Schwelle für die Annahme eines Anfangsverdachts liegt damit niedrig (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1411, 1412); es genügen schon entferntere Verdachts-gründe (BVerfG, NJW 1994, 783; NJW 1994, 783, 784), die eine geringe, wenngleich nicht nur theoretische Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer verfolgbaren Straftat begründen (Beulke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 152 Rn. 23). So müssen die Ermittlungsbehörden auch auf völlig unbegründete, unter Umständen wider besseres Wissen in Schädigungsabsicht erstattete Strafanzeigen hin tätig werden (Soehring, aaO).

Mediale Hinrichtung

Auch innerhalb der Staatsanwaltschaft und der Polizei ist in diesem frühen Stadium eines Verfahrens Zurückhaltung bei der Information der Öffentlichkeit und der Presse angesagt. Das Strafrecht und die Pressefreiheit dienen nicht der medialen Hinrichtung.

Allerdings ist es grundsätzlich so, dass die Presse berichten darf, wenn die Staatsanwaltschaft selbst den Namen des Verdächtigen nennt und Informationen über das Verfahren an die Öffentlichkeit gibt. Der Grund dafür liegt darin, dass die Staatsanwaltschaft ihrerseits abwägen muss, ob das öffentliche Interesse an der Berichterstattung das persönliche Interesse des Tatverdächtigen überwiegt. Dennoch ist dies kein Freibrief, der die Presse von ihrer eigenen Prüfungsverpflichtung gänzlich befreit, denn:

Besteht allerdings – wie im Ermittlungsverfahren – erst der Verdacht einer Straftat, so sind die Medien bei besonderer Schwere des Vorwurfs angesichts des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in die persönliche Ehre in besonderem Maße zu sorgfältigem Vorgehen verpflichtet (vgl. Senatsurteile vom 30. Januar 1996 – VI ZR 386/94, aaO, 24; vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99, aaO, 203; vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12, aaO Rn. 28 mwN). Dabei ist im Hinblick auf die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende und in Art. 6 Abs. 2 EMRK anerkannte Unschuldsvermutung die Gefahr in den Blick zu nehmen, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“ (Se-natsurteile vom 7. Dezember 1999 – VI ZR 51/99, aaO, 203; vom 30. Oktober 2012 – VI ZR 4/12, aaO Rn. 14; jeweils mwN; vgl. auch BVerfG, AfP 2009, 46 Rn. 15).

 

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Daher ist regelmäßig die Annahme gerechtfertigt, dass eine unmittelbar an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten wird, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet hat (BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 35). Auch das entlastet die Medien allerdings nicht von der Aufgabe der Abwägung und Prüfung, ob im Übrigen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung eine Namensnennung des Betroffenen gerechtfertigt ist (Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz, 3. Aufl., Rn. 64; Löffler/Steffen, Presserecht, 6. Aufl., § 6 LPG Rn. 208 f.; HH-Ko/MedienR/Kröner, 2. Aufl., 33. Abschnitt Rn. 60; HH-Ko/MedienR/Breutz/Weyhe, 2. Aufl., 39. Abschnitt Rn. 55).

Die Frage, ob man der Arbeit der Ermittlungsbehörden trauen kann, beantwortet der Kollege Rechtsanwalt Mirko Laudon im Hinblick auf seine Erfahrungen – die viele Strafverteidiger, mich eingeschlossen teilen – auf strafakte.de mit einem klaren Nein.

Im speziellen Fall hat die Sache ein ganz erhebliches Geschmäckle. Wenn stimmt, was die Staatsanwaltschaft in ihrer Pressemitteilung berichtet, dann hat der Tippgeber sich zunächst nicht etwa an die Behörden gewandt, sondern ausgerechnet an die BILD.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft erhielt die Polizei von einer dritten Person den Hinweis, dass eine Frau kinderpornografische Dateien von dem Ex-Fußballer erhalten habe. Die Polizei habe die Frau daraufhin kontaktiert und als Zeugin befragt. In welcher Beziehung sie zu ihm steht, teilte die Behörde nicht mit.

Dass jemand meint, die BILD sei eine zur Entgegennahme von Strafanzeigen legitimierte Behörde, ist eher unwahrscheinlich. Wer zur BILD rennt, will entweder Kohle sehen oder er hat ein vitales Interesse daran, dass die BILD auch ausführlich berichtet. Und das tut sie dann ja auch breit und nahezu täglich wie unter anderem Ben Hoffmann auf bildblog.de dokumentiert.

Medialer Pranger

An Unverfrorenheit ist die Berichterstattung der BILD in diesem Verfahren kaum zu überbieten. Nicht nur, dass sie selbst ein Ermittlungsverfahren initiiert und dann zunächst exklusiv darüber berichtet, nein, irgendjemand innerhalb der Ermittlungsbehörden gibt der BILD auch noch Informationen, die dazu führen, dass der Verdächtige nicht nur von Kriminalbeamten, sondern auch gleich von ein paar BILD-Reportern aufgesucht und fotografiert wird. Das hat mit seriöser Berichterstattung nichts mehr zu tun, das ist ein medialer Pranger. Das ist einfach nur ekelhaft und wird hoffentlich im Falle einer späteren Einstellung des Verfahren spürbare Konsequenzen haben. Jörg Kachelmann hat dankenswerter Weise vorgemacht, wie man die BILD vor Gericht in die Knie zwingt. Allerdings werden die trotz der hohen Schmerzensgeldzahlung noch ihren Gewinn gemacht haben. Vielleicht sollten sich da einnal deutlich höhere, den Gewinn abschöpfende Schmerzensgelder ausgeurteilt werden.

Zum Verfahren selbst kann ich natürlich nicht viel beitragen, da müssen die Ermittlungsbehörden nun ihren Job machen. Wer nun allerdings meint, irgendein Whatsapp-Verlauf sei ein sicheres Beweismittel, der irrt. Einen solchen Verlauf fälscht ein 10-jähriger in fünf Minuten mit diesem Tool. Ich hatte auch schon ein Verfahren, in dem eine frühere Freundin meines Mandanten sich Zugang zu dessen Rechner verschafft hat, um dort Kinderpornos abzuspeichern. Allerdings vergaß sie dann zum einen den Zeitstempel zu manipulieren und zum anderen die Dateien selbst zumindest einmal aufzurufen. Es ist vieles denkbar.

Und deshalb ist es so wichtig, die Unschuldsvermutung trotz aller Sensationsgier bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens hochzuhalten. Das tut BILD trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse durch die miese Machart ihrer Artikel aus meiner Sicht nicht. Und ja, BILD killt!

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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