Heinz

Es war nicht ganz klar, ob Heinz ein paar Jahre zu früh oder zu spät geboren wurde, am Ende sollte es aber keine Rolle spielen.


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Zu spät war es, um die Bewegung der 68er im richtigen Alter zu erleben und mitgerissen zu werden.

Zu früh, weil er die Ausläufer noch mitbekam und damit den Absturz derer, die mit so schönen Idealen aufgebrochen waren und scheiterten. Wir sind alle Kinder unserer jeweiligen Zeit, und wir hingen ganz schön dazwischen.

Ok, da gab es natürlich manch einen, der die spannenden Zeiten zu greifen bekam und etwas damit anfing. Z.B der mit Haaren bis zur Hüfte, dem Wunsch, das Gymnasium zu verlassen und ein anderes Leben zu führen als Eltern und Geschwister, allesamt Akademiker. Als er aber selbst die Klausuren, die er nach fünf Minuten ohne eine einzige Lösung abgab, mit einer anständigen 3 zurückbekam, rasierte er sich die Haare ab und verschwand ein paar Wochen später. Nach Poona, natürlich, während mir die vielen Berichte in den Medien blieben und das Buch von Hans Jörg Elten, dem damaligen Sternreporter, der aus Indien berichtete und gleich da blieb – Ganz entspannt im Hier und Jetzt.

Er war derjenige, auf den wir oft neidvoll in die Ferne blickten in all den Jahren danach. Afghanistan (das war mein nie erreichtes Traumreiseziel), Formentera, als es noch von Guru Guru besungen wurde und nicht von der Lufthansa, die Türkei, bevor Touristenströme dort hin zogen, Ibiza vor den Partypeople und noch länger vor russischen Fake-Nichten – er war immer vor den meisten anderen Menschen an spannenden Orten und uns dennoch irgendwie präsent.

Wir Spießer

Für uns aber lief es anders, und damit auch für Heinz. Wir lebten in unseren gutbürgerlichen Elternhäusern, neugierig genug, um Spannendes erleben zu wollen und gleichzeitig zu sehr an die Familie gebunden, um auszubrechen für das ganz große Abenteuer. Bei all dem belächelten und oft verfluchten Spießertum waren uns unsere Familien doch zu gut und zu wichtig, um ihnen Poona oder Percussionkurse in besetzten, autonomen Jugendcentren fernab vom sonntäglichen Menü mit Rindfleischsuppe, Rouladen, Rotkohl und Schokopudding anzutun. Wie gesagt – wir wuchsen zwischen den Zeiten auf und sahen zu allem Übel noch die Discowelle mit John Travolta und seinen Glitzerklamotten auf uns zurollen.

Unser Stadtteil war damals ein guter Stadtteil mit einer Mischung aus alteingessenen Geschäftsleuten, die es zu etwas gebracht hatten und bodenständig blieben und einfachen Arbeitern, die sich durch Fleiß, Überstunden und Schwarzarbeit ihren bescheidenen Wohlstand erarbeiteten – die Kinder sollten ein besseres Leben haben als die gebeutelte Kriegsgeneration. Was ein besseres Leben war, das aber wussten die Eltern, wir fühlten uns oft wie im Goldenen Käfig. Heute ist dieser Stadtteil vor die Hunde gekommen, nicht nur durch den Niedergang der Montanindustrie im Ruhrgebiet, auch die obligatorischen Fehler in der Stadtplanung und die daraus resultierende Flucht derer, die es „geschafft hatten“, in die noch dünn besiedelten Gegenden am Niederrhein.

Die Familie von Heinz war ein gutes Beispiel für die aufstrebende Arbeiterschicht. Der Vater Vorarbeiter „auffe Hütte“, also in der Stahlindustrie, die Mutter Hausfrau. Neben Heinz gab es noch eine Schwester, die allerdings auf eine andere Weise als später Heinz nicht als Vorzeigeobjekt für das private Umfeld diente. Lesbisch zu sein war damals ein dicker, fetter Fleck auf der weißen Weste des Bürgertums, das ging gar nicht. Der Bruder sollte es retten, doch der ging irgendwann noch weniger.

Verwöhnter Macho

Das Geld von Vattas Überstunden und Muddas Putzjob – so waren die Mütter bei uns oft, ein Nebenjob nur für das Taschengeld der Kinder war normal – ging immer wieder dafür drauf, dem verwöhnten kleinen Macho Dinge zu ermöglichen, mit denen er in der Schule und in der Clique glänzen konnte. Wenn irgendwer zum Geburtstag ein tolles Rennrad bekam, tauchte Heinz bald darauf mit einem auf, das teurer und schicker war.

Die erste Mofa war nagelneu, auch edler als die der anderen und gleich vom Händler frisiert, dass Heinz als geborener Anführer hinter irgendwem herfuhr, ging nun mal gar nicht.

Dann kam die 50er (die Älteren werden sich wehmütig erinnern) und meist waren das Zündapp, Kreidler Florett, vielleicht mal eine Hercules. Nicht für Heinz, Heinz fuhr eine Yamaha. Wer Mädels wollte, musste sich abheben und vor allem schneller sein, denn die richtigen Schnitten fuhren nur mit den schnellen Jungs. Damals sprach niemand abfällig vom Penisersatz, man nickte neidvoll-wohlwollend, zog den Schwanz ein, drehte sich um und ging. Es war halt alles leichter früher, selbst Neid.

Es folgten, so ich mich erinnern kann, eine Enduro und als Auto eine Ente und danach ein Golf. Der entsprach in etwa dem Dreier BMW späterer Zeiten und dem heutigen SUV, mit dem bekanntermaßen ausschließlich gelangweilte Hausfrauen ihre Kinder zur Schule fahren und danach zum Yogakurs um die Ecke. Es lebe hoch, das Klischee!

Anders als die wohlstandsverwahrlosten Bratzen von heute, die sich im 300 PS starken SUV bis ins Klassenzimmer fahren lassen, an jedem Freitag für das blöde Klima die Schule schwänzen statt die Profis ranzulassen, dabei die Straßen schlimmer vermüllen als jedes Rock am Ring oder ein Rosenmontagsumzug in Köln (dieser Sarkasmus gilt Kurt, aber nicht nur) mussten wir für unser Freizeitvergnügen arbeiten. Leider waren nämlich unsere Eltern nur bedingt bereit, uns die Wochenenden von Freitag bis Sonntag, die in der Regel genau einer Partynacht entsprachen, zu finanzieren, und so mussten wir uns während der Schulzeit oder direkt danach Jobs suchen, um die Wochenenden gebührend feiern zu können.

Im Dreck wühlen

Wer im Ruhrgebiet aufwuchs, hatte immer jemanden im nahen Umfeld, der entweder in einem Stahlwerk, Unter Tage oder im Hafen beschäftigt war, so ja auch Heinz. Unsere Arbeit bestand in der Hochofenreinigung (Hölle, Hölle, Hölle), in der Reinigung der Heizöfen, die eine kleine Einstiegsluke hatten, oben, unten und an zwei Wänden aus Rohrleitungen bestanden, an den anderen beiden aus Metall, mit Koks geheizt wurden und nicht höher als ca. 1,50 Meter waren. Da mussten wir mit langen Eisenstangen Asche und Schlacke in den Ofen darunter stoßen, von dem in den nächsten usw., um den unteren Ofen komplett zu leeren. Zeit ist Geld, ein Werk oder Teile davon dürfen nicht lange stillstehen, und so mussten wir da rein, als die Temperaturen gerade so weit abgekühlt waren, dass man 30 Minuten arbeiten konnte. Mit etwas Glück durften wir uns an den oberen Rand des mit flüssigem Eisen gefüllten Konverters arbeiten und in faszinierender Nähe zu einem Kübel mit heißem Eisen erkaltete Schlacke lösen. Wer Pech hatte, stand dort mit seinen Turnschuhen und Jeans, statt in vernünftiger Arbeitskluft, man war ja schließlich nur Leiharbeiter. Die wirklich Glücklichen wurden in die pausierende Stranggussanlage geschickt und durften gut versteckt mit Pressluft im Dreck wühlen.

Wir fanden die Arbeitsbedingungen so haarsträubend, dass wir uns vorstellten wie es wohl wäre, wenn wir darüber mal ein Buch schreiben würden. Das war viel Gerede und wenig Plan, aber einen gab es zu dieser Zeit, für den es kein Gerede war – Günter Wallraff war für die Recherche an seinem Buch „Ganz unten“ undercover bei einer anderen Leiharbeiterfirma unterwegs und tummelte sich mit den gleichen Arbeiten zur gleichen Zeit in den gleichen Werken. Vermutlich hat der uns aber nur belauscht und hatte den Ehrgeiz, schneller zu sein als wir. Uns reichte das Geld für die Wochenenden, größer waren unsere Ansprüche nicht.

Es erübrigt sich der Hinweis, dass die Arbeiten von Heinz schwerer waren, gefährlicher, besser bezahlt und die Schichten länger dauerten. als die aller anderen. So sagte es jedenfalls Heinz.

Nun, was passiert in wilden Jahren, wenn man Langeweile hat und nach Abenteuern dürstet, sich letztlich aber in seiner kleinen Welt gefangen hält? Man macht Partys, und zwar wilde Partys. Nicht so wie heute, wo die höchste Eskalationsstufe darin besteht, sich drei kleine, aber voll harte Hugo gekippt zu haben um dann voll die witzigen Selfies mit Duckface zu machen, sondern richtige Partys. Auch keine Partys mit „Ey Alder, was geht figg isch deine Mudda un dann kommsu Bus“ – Musik, sondern mit richtiger Musik. Rock, Jazzrock, Afrojazz. Zappa, Can, Guru Guru, Hawkwind, Ozzy, Led Zep, Purple, Fela Kuti, John McLaughlin und Shakti usw. Musik halt, auch wenn John Travolta und Gloria Gaynor versuchten, sich dazwischen zu drängen. Na gut, ein wenig NDW kam dazu, und auch noch richtig gute neue Bands der 70er und 80er. Aber halt Musik.

Old Daddy

Der Lieblingsort unserer Partys war das Old Daddy, das einzig wahre in Duisburg natürlich. Ein Schuppen mit üblem Ruf, aber alle waren im Laufe ihres Lebens mal da. Der Laden lag recht zentral in der City, nicht weit entfernt vom Bahnhof, noch weniger weit entfernt vom Rotlichtviertel an der Vulkanstraße. Ein großes Loch in einem Keller, am Eingang saß der, den wir immer nur „Der Dicke“ nannten. Ehrfurchtsvoll und ganz leise, denn mit einem Hells Angel solchen Ausmaßes brauchte man keine Probleme. Er saß an der Kasse mit einem Blick, dem auch Chuck Norris ausgewichen wäre, der Dicke als Priester und man hätte vorsichtshalber auch nie begangene Sünden gebeichtet. Bierversiffte Stufen ging es nach unten, vorbei an der Garderobe, mitten hinein ins dunkle Chaos. Ein quadratischer Raum, in der Mitte die Tanzfläche, unser Platz war irgendwo an den Boxen. Nebenan gab es einen weiteren, kleineren und recht hellen Raum, der irgendwann einmal eine zweite Theke beherbergte und deutlich ruhiger war. Anfangs diente er als eine Art Chillout Lounge der einfachen Art, wer so betrunken war, dass er nicht mehr konnte, legte sich dort auf den Boden und blieb gegebenenfalls liegen, bis er mit Tritten oder einem Eimer Wasser geweckt wurde. Es musste ja nicht unnötig kompliziert sein, aber wir schafften es stets, diesen Kelch an uns vorüberziehen zu lassen. Es gab viele legendäre Nächte dort, meistens gingen die bis 5 Uhr oder 6 Uhr morgens, auf dem Heimweg ging es vorbei bei einem Bäcker und dann in die Wohnung von irgendwem, wo es weiter ging bis zum Mittag.

Unvergessen der Tag, an dem wir an einem Sonntagmorgen mit der Putzfrau noch um 8 Uhr auf der Tanzfläche standen, am Ende mit einem Chef, der drei Stunden nicht dazu kam, seinen Laden abzuschließen, aufgab und das Beste aus der Situation machte, indem er mit uns feierte. Der endgültige Rausschmeißersong war einer meiner liebsten und heute eine Erinnerung an Heinz. Neben den Can war dieser unübertroffenen Künstler der, den wir in dem engen, gemeinsamen Kreis in guten Zeiten täglich hörten, über Jahre hinweg. Unser Credo war: „Ein Tag ohne Zappa ist ein verlorener Tag.“

Hochschaukeln

Partys und Langweile haben es so an sich, sich immer weiter hochschaukeln zu müssen. Es gab bei uns damals zwar verschiedene Cliquen (auch so ein Begriff für die Älteren), aber die waren nicht nach außen abgeschlossen, sondern recht durchlässig. So konnte man sich hauptsächlich einer Clique zugehörig fühlen, dabei durchaus in verschiedenen Umfeldern bewegen.

Dass wir in politischer Hinsicht bunt durchgemischt waren, schrieb ich an anderer Stelle, entsprechend unterschiedlich waren auch die Lebensentwürfe, die Zukunftspläne und natürlich auch die bevorzugten Genussmittel der jeweiligen Kreise. Alkohol gehörte immer dazu, der war eigentlich Pflicht. Bier, Pernod mit Cola oder O-Saft, Wodka-Lemon, Whiskey-Cola. Hauptsache viel. Kiffen war nicht überall Pflicht, aber völlig normal, LSD und Psilocybin (Magic Mushrooms) normal, Kokain kam gerade auf, Heroin machte sich breit. Und mit dem Heroin zwangsläufig eine Vielzahl an Problemen, die die Welt nicht braucht.

In den Kifferkreisen war es Teil einer Mutprobe, nach Holland zu fahren und zurück „über die Grenze zu laufen“. D.h., man ließ sich mit einem Auto über die Grenze zu einem bekannten Dealer oder zu einem Coffeeshop bringen, deckte sich mit Hasch ein und lief auf verschlungenen Wegen über die Grenze zurück. Dort wurde man mit dem Auto wieder eingesammelt, zurückgebracht und als Held gefeiert. Oder man machte die Strecke alleine und mit dem Fahrrad, die Grenze war ja nicht weit entfernt. Das war noch cooler, aber wahre Helden brauchen einen Chauffeur und jemanden, der ihre Abenteuer verbreitet.

Wer war derjenige mit den abenteuerlichsten Touren, mit Chauffeur und den größten Mengen im Rucksack? Natürlich Heinz.

Also, in allen Bereichen war Heinz ganz vorne mit dabei, da blieb es auch nicht aus, dass Heinz beweisen musste, wie gut er auch mit den ganz schlimmen Sachen klar kommt, welche Mengen er verträgt und dass er jederzeit entscheiden kann, wann er aufhört. Heinz beherrschte die Drogen, nicht umgekehrt.

Wir sind ja alle intelligent und haben als Gymnasiasten einen bestimmten Bildungsstatus, also können wir auch entscheiden, wie wir mit den Sachen umgehen. Wenn ich 30 bin, dann kiffe ich nur noch, mit 40 nehme ich gar nichts mehr. Dann habe ich alles geschafft und brauche das nicht mehr.“

So ähnlich war sein Mantra, immer wieder haben wir es gehört. Hinter seinem Rücken verdrehten alle die Augen, aber Heinz war von seinen Worten überzeugt.

Es vergingen die Monate und Teile der verschiedenen Cliquen befanden sich im freien Fall. Das ganze Begleitprogramm hielt Einzug in unser Umfeld, üble Ereignisse, noch üblere Gerüchte. Bekannte landeten im Knast, in der Psychiatrie, auf dem Friedhof. Andere machten einen Entzug, wurden rückfällig, gingen wieder in die Klinik, waren clean, fingen erneut an. Manch einer schaffte es, andere blieben auf der Strecke.

Gerechter Irrsinn

Vieles brach auseinander und wer klug genug war, zog sich zurück in ein anderes Umfeld und hielt Abstand. Was passierte, bekam man trotzdem aus nächster Nähe mit. Es spielte keine Rolle, ob jemand aus einer Architektenfamilie entstammte, aus dem Umfeld hart malochender Arbeiter, der Familie angesehener Geschäftsleute oder Kind einer fürsorglich alleinerziehenden Mutter – der Irrsinn war gerecht und griff sich seine Opfer, unabhängig von ihrem Hintergrund.

Es war die Zeit, in der eine gewisse Christiane F(elscherinow) mit ihrer Biographie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ bekannt wurde.

Mit Heinz lief es wie gewohnt, sein Leben ging den „normalen“ Gang. Freundin, Trennung wegen der Drogen, neue Freundin, gemeinsame Wohnung, Arbeit nur zur Überbrückung, bis zum Studium. Sprüche. Höher, weiter, härter. Aber wenn ein Junkie – und das war er allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz mittlerweile – als Krankenpfleger arbeitet, dann kann das ein Zufall sein, muss es aber nicht.

Es kam, wie es kommen musste, Heinz wurde krank. Probleme mit dem Magen, chronische Verstopfung, die Freundin beklagte ohne falsche Scham seine Impotenz, gelbe Augen. Er trug im Sommer T-Shirts oder Hemden mit langen Ärmeln, die vernarbten Einstiche machten sich halt nicht so gut. Er war nun auch für alle erkennbar voll drauf, konnte den Deckel nicht mehr drauf halten und ging schließlich in die Offensive. Ein Treffen mit der eigentlichen Clique, die sich schon längst neu sortiert hatte, und eine lange Lebensbeichte. Der Macho war nur nach außen hin einer, hinter der Fassade war er ein Muttersöhnchen par excellence. Noch zuhause wohnend, zog ihm die Mutter im Bett die Socken an, damit der Junge mit warmen Füßen aufstehen konnte. Im Winter ging sie nach unten – das Frühstück stand fertig am Bett des Jungchens – startete seinen Wagen, ließ die Heizung laufen und kratzte ggf. die Scheiben frei. Es sprudelte aus ihm heraus, er redete und redete und hörte gar nicht mehr auf. Und was er sagte, stellte alles auf den Kopf, was wir von ihm kannten. Vor uns saß ein anderer Heinz, ein unbekanntes Wesen. Vor allem aber ein menschliches, nicht mehr das, welches zuerst das Bong bekam, zwei Sitzkissen während andere keins hatten, den Platz am Plattenspieler und damit die Hoheit über die Musik, das erste Bier, das größte Kotelett. Er war nun bescheiden, offen, empathisch. Er war 24, nur noch 16 Jahre von seinem Ziel der absoluten Abstinenz entfernt und doch weiter denn je.

Unsere Schadenfreude, die wir uns angesichts der vielen ätzenden Sprüche, der Arroganz, des Machtgehabes so sehr gegönnt hatten, war verflogen, zurück blieb alleine Ratlosigkeit.

Einer von uns

Für eine Weile fand die alte Gruppe wieder zusammen, es ergaben sich viele intensive Gespräche, teils zusammen, teils unter 4 Augen nur mit Heinz, in wechselnden Konstellationen. Alles schien zu laufen, er war clean, frischer und aktiver als zuvor, nahm wieder zu, schien gerettet. Er konnte eigene Schwächen zeigen und nicht nur auf denen seiner Freunde herumreiten, er konnte teilen, statt die Hälfte zu nehmen und den anderen den Rest zu geben. Er war nicht mehr stets der Erste, er war einfach nur einer von uns. Manch eine wüste Party feierten wir gemeinsam, die alten, wie so oft besseren Zeiten lebten wieder auf.

Dann sahen wir uns weniger, wechselnde Schichten (angeblich), Pläne mit der Freundin (angeblich), überraschende Sonderdienste (angeblich). Die nächste Begegnung ließ es erahnen, Heinz war wieder drauf, statt der Sonderschichten machte er zuhause den kalten Entzug, schwitze sich den letzten Tropfen Flüssigkeit aus dem Körper, lag mit Krämpfen auf der Couch und auf dem Boden, kotzte und heulte. Es war seiner Situation nicht gerade förderlich, dass er auf der Arbeit aus dem verschlossenen Medizinschränkchen genascht hatte, um seine Schichten durchstehen zu können. Die Mengen wurden zu groß, er fiel auf.

Die Freundin erzählte uns viel, aber nicht alles, doch es reichte um zu erkennen, dass Heinz ein Wrack war. Die Clique löste sich auf, Heinz war das fehlende Glied, das uns zusammenhielt. Unsere Wege trennten sich, die einstigen so engen Freunde, die phasenweise jeden Tag gemeinsam verbrachten und haarsträubende Abenteuer erlebten, drifteten auseinander und hatten keinen direkten Kontakt mehr. Irgendwann hörte man von voneinander, telefonierte, begegnete sich zufällig, war sich fremd.

Von Heinz habe ich nie wieder etwas gehört.

Uwe Fischer

Nach 18 Jahren als Kundenbetreuer im Außendienst, 15 Jahre davon bei einem mittelständischen Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, hieß es „back to the roots“ mit einer späten Ausbildung zum Logopäden. Heute betreibt Fischer seit 2008 gemeinsam mit seiner Partnerin eine Praxis für Logopädie in der Eifel.

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