Essen Sie das noch oder haben Sie das schon gegessen?
Strategien zur Ungleichheit und wie sich Konservative darüber freuen. Wolfgang Brosche über die sich bürgerlich nennende Reaktion
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Ausgerechnet die „Werteunion“, eine erzkonservative Gruppierung in der CDU, probt den Aufstand gegen die prospektive Kanzlerkandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer – weil sie ihr immer noch nicht reaktionär genug ist.
Was sind das für Charaktere, die sehnsüchtig nach Rechts schielen, aber es noch nicht wagen, die AfD vollends zu umarmen, weil es ihr noch an Tischsitten mangelt?
Und was ist mit den Überlegungen in der CDU das „Nationale mit dem Sozialen“ zu versöhnen?
I. Kulinarisches
Ein Wortspiel: Etwas einwecken ist etwas ganz anderes, als jemanden aufzuwecken. Ja, es ist das Gegenteil! Eine Konserve bewahrt etwas, das nicht mehr lebt, vor dem endgültigen Verfall. Es bleibt für lange Zeit verzehrbar – ob auch genießbar, das ist mehr als eine Geschmacksfrage: denn der Verlust von Nährstoffen ist evident. Frische darf man nicht mehr erwarten.
Manchmal ist der Verwesungsprozeß sogar erwünscht wie beim schwedischen Surströmming, einer Heringskonserve, die so vor sich hingammelt und vergärt, daß sie ihre Büchse sogar zum Platzen bringen kann; der Gestank ist übelkeitserregend. Einige Fluglinien weigern sich, Surströmming zu transportieren, weil die Explosionsgefahr zu groß ist. Die absichtliche Freisetzung der Faulgase, die sich lange in Wänden und Möbeln festsetzen, wurde gerichtlich bereits als Körperverletzung angesehen.
Noch übler ist womöglich der monatelang getrocknete Eishai Hákarl, eine isländische Spezialität. Durch die Fermentierung wird der Harnstoff im Körper des toten Fisches zu Ammoniak umgewandelt und ist daher giftig; der resultierende Gestank ist ja immer ein guter Indikator für Verfault-Giftiges. Es kann Wochen, sogar Monate dauern, bis das Gas aus dem Fleisch entwichen ist. Nur völlig Unerschrockene kosten diese Spezialität, natürlich mit viel Alkohol.
Warum sollte man also etwas bis zum Verfaulen Konserviertes überhaupt verzehren, mal abgesehen vom pubertären Fall einer Mutprobe?
In der Kulinarik diente die Konservierung seit alters dazu, Lebensmittel für die Zeiten haltbar zu machen, in denen Frisches Mangelware war. Nur der Ignorant zieht Konserviertes oder Eingewecktes mit Geschmacksverlust der frischen, jungen Ware mit dem vollen Aroma vor. Ihm ist das gewohnt Fade lieber als das belebt-belebende Frische.
Genauso verhält es sich mit dem politischen Konservatismus. Daß es sich dabei um nichts Wohlriechendes, schon gar nicht gut Schmeckendes, sondern um gammelig Abgestandenes handelt, sollte nun klar sein.
Um im Metaphernbild zu bleiben: für die einfacher Speisenden heißt konservativ sein „Futtern wie früher bei Muttern“. Für die kultivierteren Gemüter taucht mit jeder erschnupperten konservativen Madeleine die Jugendstil-Konditorei der Kindheit auf, die erst mit dem verklärenden Blick in eine nie so gewesene Vergangenheit immer größer und schöner wird. Speziell in Deutschland heißt „Konservatismus“ Biedermeierei mit Zipfelmütze und dem handgestickten Sofakissen: “Früher war alles besser!“ – Und wenn es auch den realen Gehalt solcher Sehnsuchtsbilder nach begrenzter Geborgenheit („geistig-moralische Wende“) nie gab, dann wenigstens die Anstandsregeln und Tischsitten solcher konjunktivischen Zeiten: oder wie es in einem englischen Bonmot heißt: „The French have good food, the British magnificent table-manners.”
Konservatismus hieß und heißt: die Ablehnung von Rationalität und Aufklärung, von Atheismus und Menschlichkeit, das Festzurren, ja Festmauern von unhinterfragbaren Normen und Traditionen, die Herrschaft der Ungleichheit als ewig, göttlich und männlich.
Was die Konservativen an den drei Hauptforderungen der französischen Revolution am meisten störte und immer wieder stört, ist die Forderung nach „Gleichheit“! Die „Brüderlichkeit“ konnte man instrumentalisieren wie Heinrich V. bei Shakespeare als „Band of Brothers“, um damit die vaterländische Schlagkraft zu stärken. Ebenso instrumentalisieren ließ sich die Freiheit als aufgepapptes Ziel, als Label dieses Kampfes. Für sie konnte man Menschen im Namen des Vaterlandes auf die Barrikaden oder in die Schützengräben jagen.
Die „Gleichheit“ aber ist das gefährlichste Ziel der Revolution, denn wenn man feststellt, daß der Andere auf der gegenüberliegenden Straßenseite, womöglich gar der Feind im jenseitigen Schützengraben oder der im Mittelmeer ersoffene Flüchtling genau die gleichen Hoffnungen und Enttäuschungen, die gleichen Wünsche und Sehnsüchte hat wie ich, er im Grunde mir gleicht, ergibt sich die Verpflichtung, die von mir beanspruchte Freiheit als auch die seine brüderlich anzuerkennen und obendrein das Materielle zu teilen. Die Gleichheit also hat den größten Sprengstoff für den status quo der konservativen Hierarchien im Sozialen, Emotionalen und Intellektuellen.
Der Konservatismus ist im Kern vertuschter Egoismus und sucht deshalb die Ungleichheit welterklärend als natürlich und gottgegeben zu erhalten. Wobei seine raffiniertesten Erfindungen Gott und dessen Naturrecht sind. Es ist kein Zufall, daß zeitgleich zum Wiederaufblühen der konservativen, reaktionären bis faschistischen Strömungen in Europa Papst Benedikt-Ratzinger XVI. erneut mit dem Naturrecht nach Thomas von Aquin als unabänderbare und ewige Weisheit des Schöpfers hausieren ging, um es gegen das zu instrumentalisieren, was er verächtlich „Zeitgeist“ nannte. Mit „Zeitgeist“ meinte Ratzinger natürlich die befürchtete Auflösung alter Herrschaftsstrukturen und alter Abhängigkeiten, die auch ihn selbst an die Spitze befördert hatten.
Konservatismus ist im Grunde ein Taschenspielertrick, der vorgaukelt die Herrschaftsstrukturen, die auf die Männer, den Adel, den Klerus und die Besitzenden zugeschnitten sind, seien auf ewig gottgewollt und dürften deshalb nicht verändert werden. Wer das in Zweifel zieht, den schilt nicht nur Papst Ratzinger einen Anhänger der „Diktatur des Relativismus“. Und dieser „Relativismus“ gilt als Krankheit der Aufklärung, die der Konservatismus in toto überwinden will. Noch bald 250 Jahre nach der Revolution sehnt man sich nach dem ancien régime, einer uralten Konserve.
So ist es kein Zufall, daß sich in den Marschkolonnen der Neuen Rechten überdurchschnittlich viele Adlige finden, wie das Ehepaar Beatrix und Sven von Storch, das seine politische Tätigkeit Mitte der 90er Jahre damit startete, Adelsnetzwerke aufzubauen („Göttinger Kreis, Allianz für den Rechtsstaat“ etc.) um Wiedergutmachung und Ersatz für einst in der DDR enteignete Besitzungen zu erlangen.
Die Sentimentalitäten des neu-alten Heimatgefühls, die höchst-ministerlich wieder wach gekitzelte Heimatseligkeit der Vertriebenenverbände, von „Ostpreußen und Schlesien bleibt unser!“ bis „Zum Brunnen vor dem Tore“ im bayrischen Hintertupfing sind also ganz handfeste Regungen und Bewegungen zur Besitzstandswahrung; auch mit der Betonung auf den gesellschaftlichen Stand oder das Geschlecht; Geschlecht in jeder Hinsicht – Fürstin Gloria von Thurn und Taxis zum Beispiel weiß davon manches dümmliche Volkslied und manchen frommen Choral zu schmettern.
Kein gesellschaftlicher Bereich bleibt vor der Wiederinbesitznahme durch die Konservativen verschont – also der Wiederbelebung von Leichen. Daß die aber immer unheilvoll ausgeht, hat der Baron von Frankenstein mit seinem Trumm gezeigt. Der ja übrigens selbst ein Produkt der Antiaufklärung war; eine romantische Figur, die den Menschen einen Schauer einjagen sollte vor Rationalität und Wissenschaft und sie überzeugen, daß Aufbegehren gegen geistiges, religiöses und emotionales Untertanentum, gegen die hergebrachte Weltordnung – also Revolution – einen Frevel darstellt.
Im Kern bedeutet Konservatismus die Selbstdefinition durch Besitz und Status – den man ja auch „besitzt“ – bedeutet Angst zu haben , beides zu verlieren und bedeutet Unterordnung unter die Regeln, die den Besitz sichern. Konservatismus ist das Grauen vor existenzieller Gleichheit, denn die könnte den Besitz gefährden. Vor allem bedeutet konservativ sein Angst vor dem selbstständigen Denken. Deshalb wird seit geraumer Zeit auch wieder so gerne vom „gesunden Menschenverstand“ gesprochen, der ja eigenlich nichts anderes ist als das kaum kaschierte „gesunde Volksempfinden“, die Verachtung von „Vernunft und Wissenschaft, des Menschen allerhöchste Güter“ aus Bequemlichkeit und Feigheit.
Die dekonstruierte Gegenwart ist kompliziert und widersprüchlich, ob es nun um politische Herrschafts- und Besitzstrukturen geht, um Genderverhältnisse, um Ressourcen oder um Klimaprobleme. Also leugnet man diese Probleme und Fragen und will zurück in ein tatsächlich nie so gewesenes Früher, in denen es, behauptet man dreist, diese Schwierigkeiten noch nicht gab. Und in Vollendung der Idiotie (siehe Trump und AfD) leugnet man sie auch für die Gegenwart.
II. Schwer Verdauliches
Nirgendwo sonst sind mir konservative Angst und Unfähigkeit im Umgang mit der komplexen Gegenwart und die Sehnsucht nach dem tödlichen Stillstand der Vergangenheit so grotesk und abstoßend deutlich geworden wie bei der „Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum“.
Die Extremismusforscherin Karin Priester, ehemals Professorin für Politikwissenschaft an der Uni Münster, nennt die TFP eine rechtsextreme Sekte; das ist sie zweifellos, aber im Kern ist sie vor allem eine Organisation, die seit Jahren verbissen unter dem Label „konservativ“ in unsere liberale Gesellschaft vordringt und sie zurücktreiben will vor die Aufklärung und die französische Revolution.
Die international vernetzte und agierende TFP wurde 1960 in Brasilien von dem Journalisten Plinio Correa de Oliveira gegründet, einem papstreuen Katholiken und fanatischen Antikommunisten. Den wichtigsten Impuls zur Gründung der Gesellschaft gab die seit den 30er Jahren in Brasilien der armen Bevölkerung in Aussicht gestellte Bodenreform, gegen die Oliveira agitierte. Der korrumpierende Einfluß der Großgrundbesitzer und deren gewalttätige Privatmilizen verhinderten die Umsetzung von Reformen bis heute. Die Sympathien und die Unterstützung die Befreiungstheologen dieser Landreform entgegenbrachten, waren Oliveira ein besonderer Dorn im Auge. Er sah revolutionäre Kräfte am Werk, die mit dem Privatbesitz auch die katholische Kirche und ihre Lehren zur weltlichen Hierarchie in Gesellschaft und Familie bedrohten. Seine Anhänger verehrten ihn als veritablen Nachfolger der Gegenaufklärung, denn er trat explizit für eine klerikale, antiegalitäre, antiliberale und totalitär-katholische Kultur und Politik ein. Der neue brasilianische Präsident Jair Bolsonaro kann bis in die korrupt-bigotten Finger-und Zehenspitzen als das fleischgewordene Programm der TFP bezeichnet werden, die natürlich seine Wahl hocherfreut begrüßte.
Als Plinio Correa de Oliveira 1995 starb, war seine TFP mit Niederlassungen in 26 Ländern weltweit vertreten. Die deutsche Dependance in Frankfurt leitet seit 2008 als Direktor, der aus dem deutschen Uradel stammende Mathias von Gersdorff. Mit Werk und Unwesen Oliveiras kam Gersdorff bereits in seiner Jugend in Chile in Kontakt, wohin seine Vorfahren ausgewandert waren.
Gleich auf der Titelseite ihres Interetauftrittes macht die deutsche TFP mit einer dürren Erklärung zum Namen klar, worum es wirklich geht: den Machterhalt einer als ewig postulierten Traditionsfolge von Männlichkeit und Besitz:
Die Abschaffung [von Besitz/Privateigentum] führt zur Verleugnung der menschlichen Person, denn dem Individuum das Recht auf Eigentum zu nehmen […] heißt seine Autonomie und seine Freiheit zu leugnen
Die Anerkennung der persönlichen Würde des Menschen bleibt bestehen oder geht verloren, je nach dem, ob man ihm das Recht auf Eigentum zugesteht oder nicht […].
Die Möglichkeit ein Erbe anzusammeln, mag es auch noch so bescheiden sein, und es seiner Gattin und seinen Kindern zu vermachen, ist der beste natürliche Anstoß für die Kreativität.
Und die Erbschaft ist die Institution, die Familie und Eigentum in sich vereint, sie beinhaltet auch die Tradition, die der folgenden Generation übergeben wird.“
Eine Welterklärung – das konservative Lebensprogramm schlechthin: es gibt Besitzende, die – das versteht sich von selbst – Männer sind und von der nächsten Generation die Befolgung der von ihnen aufgestellten Lebensregeln erwarten.
Warum es noch nicht einmal Toleranz für andere Lebenswege im Privaten, schon gar nicht für andere Gesellschaftsformen geben kann und darf erfahren wir dann in einem Aufsatz auf der Seite der TFP, der eigentlich den Verfassungsschutz auf den Plan rufen müßte – aber zu dessen Wirken und Würgen kommen wir später. Dieser Aufsatz – eigentlich ein Manifest der Menschenverachtung – von Gustavo Solimeo, einem Weggefährten Oliveiras – trägt den Titel „Die Diktatur der Gleichheit“.
Alle „Übel“ der Moderne, die natürlich in der französischen Revolution ihren Ursprung haben, werden in diesem Aufsatz aufgezählt; ein Lexikon des konservativen Widerwillens und der reaktionären Dummheit:
„Gleichheit“ als totalitäres Programm heißt es dort, finde sich überall un der modernen westlichen Gesellschaft oder werde fortwährend angestrebt selbst in den alltäglichsten Dingen, wie der Autor mit Abscheu konstatiert: – ich zitiere in der Reihenfolge der Vorlage:
…in der Kleidung
…der Architektur
…in Musik und Liedgut
..in der Ernährung
…zwischen den Geschlechtern oder in der Familie.
Speziell diese angestrebte Geschlechtergleichheit verleugne die:
…Anerkennung einer sozialen, politischen, wirtschaftlichen oder ähnlichen Unterscheidung zwischen Männern und Frauen.
Besonders bedrohlich wird empfunden:
die Gleichheit zwischen Menschen unterschiedlichen Standes, unterschiedlicher Stellung und unterschiedlichen Alters.
Der Autor geißelt besonders :
…die Unterdrückung der Klassen an, vor allem derer, die erblich weitergegeben werden und die Beseitigung jedes aristokratischen Einflusses auf die Führung, Kultur und Sitten der Gesellschaft. Sogar der naturgegebene Vorrang der geistigen über die körperliche Arbeit wird beseitigt.“
Besonders abschreckend sieht die TFP die Forderung nach Gleichheit im Politischen realisiert und empört sich:
Kein Unterschied zwischen Regierenden und Regierten (es gibt keine Untertanen).“
Am Ende des Sermons steht natürlich die Forderung nach der Wiederherstellung der universellen Ungleichheit, die ein Naturgesetz darstelle.
Ist es auch Wahnsinn so hat dieses Programm doch Methode. Mathias von Gersdorff ist nicht bloß Repräsentant der TFP, sondern arbeitet fleißig daran auf der Basis solch kruder Inhumanität Netzwerke in Politik und Gesellschaft zu knüpfen. In den 2010er Jahren machte er sich noch lächerlich mit seiner „Aktion Kinder in Gefahr“, die vor allem gegen die Jugendzeitschrift BRAVO zu Felde zog. Er forderte ein Verbot und behauptete, die darin enthaltene Sexualberatung, die Schminktips und Artikel über Film- und Popstars würden Jugendliche zu haltlosen Sex- und Drogensüchtigen heranziehen, deren Seelen zerstören und zu Fehlorientierungen führen. Die taz widmete diesem Treiben sogar eine Glosse und verspottete Gersdorff als muffigen Weltuntergangsamateur.
Aber der tapfere Streiter ist längst professioneller geworden. Aus dem nach den 50ern müffelnden Sandkasten-Kampf gegen „Schmutz und Schund“ wurde ein veritabler Kreuzzug gegen die moderne, liberale – mithin zur humanen Gleichheit strebende Gesellschaft. Gersdorffs hartnäckige Verbissenheit zahlte sich aus. Inzwischen gehört er zu den bekannteren Figuren einer erzkonservativen Phalanx, die gegen eine humane Gesellschaft kämpft: gegen political correctness, Feminismus, die Gleichberechtigung von Homo- und Transsexuellen, gegen das, was von Ignoranten „Genderideologie“ genannt wird, gegen Abtreibung und Sterbehilfe und die zum Kampfbegriff gewordene Frühsexualisierung. Mit all dem konnte Gersdorff andocken an den neokonservativen Aufschwung und an die breite gesellschaftliche Dehumanisierung, die mit dem Triumphschrei der Alice Weidel über das Ende der Political Correctness, einen ersten reaktionären und damit im Grunde antiegalitären Höhepunkt feierte.
Inzwischen hat Gersdorff seinen Wirkungskreis erweitert: er schreibt nicht mehr nur bloß für obskure rechtsreligiöse Publikationen wie „kath.net“ oder „charismatismus“, sondern auch für die rechten Medien „Abgeordneten-Check“, „Junge Freiheit“ und „Freie Welt“. Natürlich nimmt er als Aktivist an den „Märschen für das Leben“ teil und unterstützt die Netzwerke des Ehepaares von Storch und von Birgit und Klaus Kelle. Er beteiligt sich mit Vorträgen, Reden und Artikeln bei der „Demo für Alle“ und den „Christdemokraten für das Leben“, CDL.
Es würde den Rahmen sprengen seine zahlreichen weiteren Aktivitäten aufzuzählen.
Ich habe mich etwas länger mit der unappetitlichen TFP und ihrem ebenso unsympathischen Personal und Umfeld beschäftigt, um an einem besonders prägnanten Beispiel zu zeigen, aus welch unbekömmlich-alten Sümpfen der Gegenaufklärung der „konservative Aufschwung“, ja die „konservative Revolution“ sich emporquälen, die Alexander Dobrindt im Frühjahr in der „Welt“ im Januar ausrief 2018 ausrief.
III. „Essen Sie das noch oder haben Sie das schon gegessen?“
Gutbürgerliche-Küche
Nun sind weder Mathias von Gersdorff noch Alexander Dobrindt wirklich helle Kerzen auf den Torten des Konservatismus – eher 50er-Jahre Buttercreme (aus Margarine) denn echte Sahne. Alexander Dobrindt, der 1968 noch nicht einmal geboren war (er ist Jahrgang 1970), meinte mit seiner Spiegelfechterei („epater le Gauche“) vom sich noch immer bürgerlich wähnenden rechten Lager Beifall einheimsen zu können, während es längst in die Sümpfe des Protofaschismus abgleitet. In seinem Artikel für DIE WELT diskreditierte er den noch längst nicht beendeten Kampf für Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Toleranz als den einer Linken Minderheit um die Deutungshoheit eines angeblich bürgerlich-konservativen Landes, als er – ein krächzender Anti-Scheidemann! – ausrief:
Es gibt keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland!
…das Alte und Morsche mochte also wiederauferstehen!
Was das „bürgerlich-konservative Land“ betrifft, hatte Dobrindt mit seiner Zustandsbeschreibung nicht unrecht: regiert doch seit November 2005 eine konservative Mehrheit aus CDU/CSU und einer immer schlaffer werdender Greisen-SPD. Es war keineswegs ein sozialistisches Himmelreich ausgebrochen! Zwar brummt die Wirtschaft, aber das freut auch nur die Wirtschaft. Arbeitnehmer und folgsame Gewerkschaften üben sich wie in (oder soll ich sagen „seit“?) der Adenauerzeit in „Lohndisziplin“ oder wie die Reaktion auf Kein Kühnerts zaghaft-linke Denkversuche zur Vergesellschaftung zeigte, im neoliberalen Kuschen. Die bittere Sottise, „ich bin froh überhaupt arbeiten zu können, ich würd´ sogar dafür bezahlen“ ist gar nicht so abwegig wie sie klingt. Sie schwingt in den Debattenbeiträgen von Johannes Kahrs, Olaf Scholz oder Sigmar Gabriel ganz offen mit.
Über 4 Millionen Menschen müssen zahlen mit Erniedrigung und Mißachtung, denn sie werden in die HartzIV-Knechtschaft gepreßt und lernen in sinnlosen Maßnahmen, daß Arbeit nicht schändet, sie aber trotzdem nichts wert sind und daß wer fressen will, Männchen machen muß. Die Alters- und Kinderarmut steigt. FDP-Politiker empfehlen den am Existenzminimum krebsenden alleinerziehenden Müttern den Erwerb von Wohneigentum und Ex-Parteivorsitzprätendenten raten Menschen mit niedrigem Einkommen zur privaten Altersvorsorge bei den Versicherungen, die ihm dafür Vorstandszuwendungen zukommen lassen; bloß 5 Euro am Tag, das sollte doch nicht schwer sein zurückzulegen, raunt Friedrich Merz. CDU-Jungstars preisen und loben die Barmherzigkeit der Tafeln, die überschüssige Lebensmittel, die von Supermärkten sonst weggeworfen würden – aber wehe jemand klaubt sie aus den Containern; das ist Diebstahl! – in Verteilstellen unters Volk bringen, wie in Dritt-Weltländern die Caritas Lebensmittelspenden an die darbende Bevölkerung verteilt. Man soll eben nie vergessen, von wem die Wohltaten kommen. Wes Banane mit abgelaufenen Haltbarkeitsdatum ich eß´, des Werbespot-Jingle Lied ich sing.
Wenn 50 Jahre nach dem Ende des Schandparagraphen 175 eine Handvoll Männer ein paar hundert Euro Entschädigung für erlittene Lebenszerstörung durch Unrechtsurteile erhalten oder endlich jede/r den/die heiraten kann, den er/sie mag, wenn GynäkologInnen in ihrer Praxisbeschreibung noch immer nicht erwähnen dürfen, daß sie auch Schwangerschaftsabbrüche vornehmen oder schwache Rufe nach der Frauen-Quote als Benachteiligung von Männern angesehen werden und wenn sich Mitglieder der angeblich „gut-bürgerlich-konservativen“ Partei AfD erlauben auf dem Gelände von KZs dumme Witze zu reißen und den Holocaust zu leugnen – ist ja Meinungsfreiheit! – , dann besteht wohl kein Zweifel: dieses Land muß von einer links-grünen Minderheit beherrscht sein. Und was insbesondere die angeblich Rechten angeht, sind die gar nicht rechts…wie uns schon einmal jemand erklären wollte, ist die Weimarer Republik ja wegen einer Revolution von links gescheitert: denn die damaligen Nationalen waren „Sozialisten“!
Wir müssen davon ausgehen, daß Alexander Dobrindt, als er seine „konservative Revolution“ ausrief, keine historische Kenntnis hatte von jener ersten „konservativen Revolution“ Carl Schmitts als Vorspiel, ja als Durchgangsstadium zur Machtergreifung – und schon gar nicht das intellektuelle Vermögen zu erkennen, daß eine Revolution nach Rückwärts ein semantisches und faktisches Paradox darstellt. Eher schwebte ihm wohl die von Helmut Kohl versprochene geistig-moralische Wende vor, die im Sumpf des CDU-Parteispendenskandals wie in einem Rieselfeld versickerte.
Aber Dobrindt kam längst zu spät – mit ähnlich humpelnden Paradoxa hatte sich in der CDU/CSU bereits eine neue Gruppierung gespreizt: der „Freiheitlich-Konservative Aufbruch – die „Werteunion“, nicht FKK, sondern FKA. Freiheitlich plus konservativ plus Aufbruch hört sich an wie jene Reimerei, mit der man Kinder verwirrt:
Dunkel war´s, der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur
als ein Auto blitzeschnelle
langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschossener Hase,
auf der Sandbank Schlittschuh lief.
Damit ist der intellektuelle Rahmen der „Werteunion“ so ziemlich genau beschrieben.
Mitglieder dieser „Werteunion“ sind Studienräte, Ärzte, Landeskultusmister, mit Werner Patzelt ein Professor Emeritus und mit Hans-Georg Maaßen sogar ein Verfassungsschutzpräsident a.D.; alles Leute, die von sich sagen können: Edelfisch esse der Mensch, reich sei er und gutgekleidet; wobei das, H & M sei´s geklagt, nicht für alle Studienräte gilt.
Es handelt sich also um jene Art deutscher Salonrevoluzzer, die eigens eine Bahnsteigkarte kaufen, um auf dem Perron ein bißchen Krach zu schlagen, wenn es überhaupt dazu kommt, da sie womöglich an Schluckauf leiden.
Revolution ist im Grunde keine deutsche Sache. Auf nationale Erhebungen verstehen die deutschen Konservativen sich eher; und solche „Erhebungen“ werden natürlich nicht durch Umsturz, sondern durch Kungelei – neudeutsch: „networking“ gründlichst vorbereitet. Immerhin, die „Werteunion“ veröffentlichte im April 2018 sogar ein „Konservatives Manifest“. Es beginnt nicht wie jenes ungleich berühmtere mit einem Gespenst, das umgeht – es ist selbst ein Gespenst. Uralt, klapperig, nach Mottenkugeln müffelnd, aber bissig, wenn man genau hinsieht. Daß die bestimmt nicht revoluzzende Angela Merkel im Kohl´schen CDU-Bungalow mal durchgelüftet hat, können die Herrschaften der Werteunion, – Frauen sind in der drastischen Minderzahl, Menschen unter dreißig muß man mit der Lupe suchen – noch immer schaudernd, nicht verwinden. Da ist der ähnliche Ziele anstrebende mit CDU-Testosteron geladene Andenpakt wenigstens an der Oberfläche agiler, doch die Ziele sind genauso verschnarcht. Wenn aber diese Konservativen von Angela Merkel und die wiederum von ihrem Vorgänger eines gelernt haben, dann ist es Durchhaltevermögen, vulgo: Sitzfleisch.
Das Manifest der „Werteunion“ ist, um wieder zu unserem Bildcluster zurückzukehren, der schon mehrfach gegessene und durch den Menschen gegangene politische Saumagen, dessen Bekömmlichkeit stark angezweifelt werden muß. Übrigens sind es ja auch meistens Männer, die immer das Gleiche essen wollen und ihren Senf darauf streichen, damit man den streng-fauligen Geruch und Geschmack nicht so deutlich durchschmeckt. Tatsächlich droht die Gefahr, sich mindestens eine Magenverstimmung, wenn nicht eine Vergiftung zuzuziehen – aber mindestens kann man an politischer Langeweile und Wiederkäuertum eingehen.
Extempore:
„Wieso muß ich ausgerechnet jetzt beim Manifest —-an den berühmt-berüchtigsten Anrufer in Jürgen Domians nächtlicher WDR-Beichtsendung denken, der gestand, er habe es sich zur Tradition gemacht, alle zwei Wochen 60 Pfund Mett zu kaufen, um sich darin zu wälzen, und er klagte, das Mett würde so rasch verderben und das ginge mächtig ins Geld?! – Christlich-konservative Fleischfresser-Bigotterie und skurrile Gartenlaubenperversion. Schabefleisch als Polit-und Erotikersatz – das ist das konservative Manifest der Werteunion!
Schaben wir nämlich das magere Wortgeklüngel des Manifestes ab, kommen die gleichen Verlustgesänge und die Hoffnung auf Restauration zutage, von der ich schon zu Anfang berichtete. Es soll wieder alles so sein wie unter Erhardt und Adenauer: „christlich-konservativ und marktwirtschatlich“ heißt es da.
Man muß sich entscheiden: Haben oder Sein? Persönliche Würde, haben wir bei der TFP gelernt, erlangt man nur durch Privatbesitz! Also: Haben! – Wenn das so weitergeht, muß ich Herrn Fromm noch Tantiemen bezahlen! – Nicht nur Mathias von Gersdorff oder Alexander Dobrindt sind also Hackfleisch-Connaisseurs.“
IV. Das Manifest der „Werteunion“
Statt des umfassenden Begriffs Ökologie fällt im Manifest der Werteunion wieder das Wort von Gottes Schöpfung, die zu bewahren sei. Während die Menschen beim ersteren ja Teil des ganzen sind, kann man sich bei der zweiten Option (noch mal „Haben oder Sein!), die Schöpfung untertan machen; jedenfalls ist das ja so verheißen! Sie muß dann auch mal zurückstecken, die Schöpfung, wenn es um den Vorrang von Arbeitsplätzen, die sichere Energieversorgung oder die betäubungslose Ferkelkastration geht, wie uns Friedrich Merz, Paul Ziemiak oder Julia Klöckner erklären..
Was „Schöpfung“ tatsächlich heißt, hat eine sehr intelligente Ministerin erklärt:
Wir lassen uns von unserem christlichen Menschenbild leiten. Jeder technologische Fortschritt hat sich dahinter einzureihen. – Anna Karliczek, Bundesbildungsministerin, CDU am 15. 2. 2019 im Deutschen Bundestag
Nach der Schöpfung kommt gleich das Heimatland im Manifest mit der konservativen Quadratur des Kreises:
Wir bekennen uns zu Deutschland und treten für einen gesunden weltoffenen Patriotismus ein.
Was das sein soll, ein „weltoffenes“ Fenster- und Türenschließen und Mauern errichten und Schmoren im eigenen Saft und Mief, wird natürlich nicht gesagt – und vor allem wird natürlich nicht gesagt, daß Patriotismus tatsächlich nichts anderes ist als Nationalismus mit Serviette und Tischsitten, derer man sich aber leicht entledigt, wenn die Fourage knapper wird.
Ein Mantra hosenschlotternder Furcht vor dem Mundraub durch Fremde darf natürlich seit 2015 nicht vergessen werden: die „Zuwanderung in das deutsche Sozialsystem“, die abzuwehren sei.
Überhaupt sind Fremde lästig und furchterregend – und wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen; gilt nicht nur für Hartzler sondern auch für Asylanten und Flüchtlinge, die alles wegfressen. Oder wie raunzt die schwäbische Hausfrau: „Mir gäbet nichts!“
Als dicht besiedeltes Industrieland ist Deutschand ungeeignet zur Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Ihre Aufnahme ist auch ethisch unvertretbar, denn sie ist viel aufwendiger als die Unterbringung im sicheren Ausland.“
Behauptet das Manifest weiter. Wer denkt da nicht an Australien: Selbst der riesige Kontinent leidet unter Platzmangel und bringt Flüchtlinge auf einer fernen Insel unter – aus den Augen aus dem Sinn, damit uns das Elend nicht weiter ankotzt. Für Madagaskar hatten die Deutschen ja schon einmal sehr schöne Ideen….
Auf diese Weise der Auslagerung, sind wir auch davor geschützt, daß wir Asylanten und Flüchtlinge Leute als Brüder erkennen könnten – und uns Gedanken machen müßten über die existenzielle Ungleichheit.
Es versteht sich von selbst, daß die Janusköpfigkeit des Islams im Manifest betont wird: Religion und politische Ideologie. Daß das Christentum nie etwas anderes war und auch noch heute ist, bleibt verschwiegen. Wäre es anders, dann säßen z.B. die Kindesmißbraucher der katholischen Kirche gleich gruppenweise hinter Gittern, anstatt in Ethikkommissionen.
Nach dem Anstimmen des Chorals „Meine Religion ist die bessere“ rutscht das Manifest gleich wieder in die strenge Fuge des „Halt du sie dumm, ich halt sie arm“ – und fordert in einem en passent eingestreuten Nebensatz – der natürlich die Hauptsache meint – die Wahrung des Lohnabstandsgebotes! In diesem Zusammenhang wundert auch nicht mehr die Forderung nach einem noch stärkeren Leistungsprinzip, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch an Universitäten und Schulen – als wäre die Bevölkerung bereits durch epidemische Nervenzusammenbrüche, Mobbing, zwanghafte Selbstoptimierung, Burn-Out und Depression nicht schon genügend diszipliniert.
Gegen Schluß werden im Manifest noch ein paar Takte zur geistig-moralischen Wende angestimmt, damit wieder alles seine Unter-Ordnung hat bei Männern, Frauen und Kindern und noch tiefer stehenden in der Freßordnung, wie den Flüchtlingen. Die „hochideologische Genderforschung“ soll gestoppt werden, denn „Gender“ heißt ja die Aufhebung der Rangfolge der Geschlechter und Generationen – es gibt sowieso nur zwei Geschlechter vor dem Herrn! Deshalb auch bloß keine Quote! Mit der Verwirrung des Individuums durch Individualität und Vielfalt muß Schluß sein. Wir wollen uns wieder zurechtfinden: Volk und Vaterland, Mann und Frau, Fremder und Ureinwohner – Unter-und Obertanen! Ende mit der Gleichmacherei! Endlich wieder Ungleichheit und Herrschaft…
Kreuz und quer – damit es nicht an bloß einer Stelle so ökonomisch klumpt – sind übers Manifest die Vokabeln „wirtschaftsliberal“ und freies „Unternehmertum“ gestreut, so merkt man nicht auf Anhieb, worum es eigentlich geht – um die Besitzverhältnisse nämlich.
Da die Besitzverhältnisse natürlich immer wieder durch jene 250 Jahre alten revolutionären Forderungen nach Gleichheit vor dem Recht – gefährdet sind, schmuggelt die Werteunion was ihr die Hauptsache ist en passent wie ein geringes Detail ein:
Die meisten Regeln unseres Zusammenlebens sind nicht rechtlich, sondern nur kulturell abgesichert.
Dieser so lässig hingewischte Satz ist tatsächlich ein Plädoyer für die Willkür, für das „Ersäufen des Rechts im Mistbeet der Gnade“. Die neuesten Abschieberegelungen stellen somit auch Abwehrinstrumente gegen die menschliche Gleichheit dar. Das meinte die „Werteunion“ mit „Werten“ –die Privilegien des deutschen Bürgertums.
Jener Nebensatz bedeutet ein Verwerfen des Rechtes als Grundlage eines humanen immer wieder neu zu verhandelnden Umganges miteinander! Und eine Rückkehr der zuvor erwähnten (kulturellen) Ungleichheit als quasi kosmische Konstante –Tut mir leid, kleiner hab ich´s nicht! (Lesen Sie bei der TFP nach!)
Hinter dem pergamentenen Zeug des „Manifestes der Werteunion“ steckt nichts weiter als die alte Lust des noch älteren weißen Mannes nach Ungleichheit und Herrschaft; und alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit. Sagte schon Friedrich Zarathustra als er über den herbeigesehnten, konservierenden, aber ihn fliehenden Schlaf klagte – und was war´s, das ihn plagte? Die verschütt gegangene Männlichkeit und die Syphilis.
Die Gebrauchsanweisung wie Herrschaft, Ungleichheit und Männlichkeit wiederzuerlangen und zu erhalten seien, wird in den letzten Sätzen des Manifestes mitgeliefert:
Angesichts der Etablierung einer Partei rechts von der CDU/CSU ist insbesondere der konservative Flügel zu stärken und zu integrieren statt ihn auszugrenzen.
Das ist so als würde man einem Onkologen empfehlen, einen Tumor nicht durch Chemotherapie oder Bestrahlung zu vernichten oder zu operieren, sondern ihn mit Nährstoffen zu füttern.
Es wird ersichtlich: für Konservative, nicht bloß in der Werteunion, sind die neofaschistischen Wucherungen nur eine Frage des Stils und der Tischsitten – sie sind gewillt, die ganz Rechten zu füttern – in dem gefährlichen Wahn, sie handzahm zu kriegen, anstatt sie zu beseitigen.
Wie diese Raubtierfütterungen vonstatten gehen, schauen wir uns zum Schluß an:
V. Eine Leiche zum Dessert (1)
(1) „Eine Leiche zum Dessert“ lautete der deutsche Titel der amerikanischen Krimigroteske „Murder by Death“ (1976), in der die bekanntesten Detektivgestalten der Kriminalliteratur zu einem Dinner zusammentreffen, um einen Mord aufzuklären und grandios daran scheitern.
Am 16. Februar 2019 trafen sich Mitglieder der Werteunion, um nach innen die Gruppenmoral zu stärken und nach außen zu demonstrieren, daß man nun die Sachen, die man manifestiert hatte, auch angehen wolle, im Kölner Luxushotel Steigenberger – auch das ein Statement – denn wie sagt der Volksmund: „Von Nix kommt auch nix!“
Prominente Gäste und Pressevertreter waren, in der ansteigenden Reihenfolge ihrer Bedeutung: Klaus Kelle und Matthias Matussek, Leucht- und Heulbojen des konservativen Journalismus, Professor Werner Patzelt, der Erfinder des Nacheileverfahrens und Hans-Joachim Maaßen, Verfassungsschutzpräsident a.D., der das zentrale Referat hielt und dabei das Kunststück fertig brachte. eine Philippika in einen Akt der konservativen Selbstbestätigung umzuformen und sich selbstviktimisierend als Widerständler darzustellen. Im Grunde war seine Rede nichts anderes als das rechthaberische Genörgel eines autoritären Hausvaters á la : „Ich habe es Dir doch gleich gesagt. Du wirst nochmal angekrochen kommen und um Beistand betteln.“
Es war Maaßens erster öffentlicher Auftritt nach seiner Versetzung in den einstweiligen Ruhestand durch Innenminister Seehofer. Davor war er u.a.in den Fokus des politischen Interesses geraten, weil er die Hetzjagden von Chemnitz leugnete, in der Regierungs-SPD linksradikale Kräfte am Werke sah und AfD-Führerpersönlichkeiten zu geheimen Gesprächen getroffen hatte.
Folgerichtig bediente Maaßen die „Werteunion“ mit den monomanischen/monogermanischen AfD-Themen: Migration, Terrorgefahr und Meinungsfreiheit – nicht umsonst hatte schon PI-News frohlockend die „Werteunion“ bei ihrer Gründung eine „interne AfD der CDU/CSU“ genannt.
Wie die verschwörungstheoretische Streiterin für angeblich bedrohte Meinungsfreiheit, Vera Lengsfeld, beklagte Maaßen:
Viele haben inzwischen Angst, ihre Meinung frei zu äußern, um nicht in die rechte Ecke gestellt zu werden.
Er beschrieb seine politische Atembeklemmung mit der Tellkamp´schen „Verengung des Meinungskorridors“, die in Wahrheit ja bloß Beleidigtsein, Trotz und Wut über Widerspruch ist; denn wenn man Rechtes denkt und sagt, ist man halt Rechts. Genauso wie Tellkamp kann und darf Maaßen alles sagen und er tut es ja auch – nur wenn man das Gesagte genauer anschaut und die tatsächlichen Motive und Antriebe dahinter herausarbeitet, dann darf er sich über Widerspruch nicht wundern.
Maaßen gestand, er habe 2015, als die ersten Flüchtlinge kamen, „Schüttelfrost gehabt“ und bestand darauf „wir haben die Migrationslage nicht im Griff“ weil täglich noch immer „500 bis 700 Asylsuchende über die Grenzen“ kämen, die meisten angeblich ohne entsprechende Papiere.
Was der Privatier Maaßen entwarf, war das übliche Furcht-Szenario der Bedrohung durch die „illegalen“ Fremden, die die deutsche Gutbürgerlichkeit des „Weiter so“ gefährden. Seine Rede: ein Beispiel für die kümmerliche Unfähigkeit der Konservativen auf den weltweiten politischen Paradigmenwechsel, den Verlust alter Gewißheiten eines homogenen Bürgertums, das Einbrechen von Krieg und Elend in den westlichen Alltag eben durch die Flüchtlinge anders zu reagieren als mit Abschottung und Dämonisierung des Anderen. Daß Maaßen mit seinem Schüttelfrost viele ansteckt – besonders jene, die gar nicht mit Flüchtlingen konfrontiert werden – erklärt jetzt auch, weshalb Unruhe sich zur Panik steigert und Hysteriker sich überall von „Messermännern“, Vergewaltigern und Terroristen bedroht sehen.
Eine „Enthüllung“ Maaßens in seiner Rede mag man ihm abnehmen –die über den Zynismus der gesamten politischen Klasse. Er verwies auf das just erschienene Buch „Regieren“ von Thomas de Maizière – 2015 war der Bundesinnenminister. De Maizière ist in seinem Buch so ehrlich zu gestehen, daß die Aufnahme der Flüchtlinge nicht aus humanitären Gründen passiert ist, sondern aus Furcht, daß eine massenhafte Zurückweisung an der ungarischen Grenze „hässliche Bilder“ produziert hätte, die man aus politischen Opportunitätsgründen dem Publikum nicht zumuten wollte. Das wäre ein Supergau gewesen in der Medienrepublik und besonders für die als emotionsarm geltende Kanzlerin Angela Merkel, die sich und ihrer Regierung ein besseres Image verschaffen konnte. Mahnungen und Warnungen Maaßens über die Nicht-Integrierbarkeit der Fremden, seien nicht erwünscht gewesen.
Daß zwar zwei Drittel der Bevölkerung für die Aufnahme der Flüchtlinge waren, aber immerhin auch ein Drittel dagegen, unterschlägt Maaßen geflissentlich und er vollführt dann eine atemberaubende Volte.
Er etikettiert um – inzwischen hat dieser Trick auch schon dazu geführt, daß sich Figuren wie Björn Höcke als Widerstandskämpfer in der Tradition der „Weißen Rose“ gerieren. Maaßen suggeriert, er sei wie viele seiner Gesinnungsgenossen gedrängt gewesen, die Vorgänge des Jahres 2015 zu beschönigen, um sie verdaulich zu machen. Sein lakonischer Kommentar dazu hat tatsächlich widerständige Sprengkraft:
Ich als Beamter habe ein anderes Loyalitätsempfinden.
Das erinnert nicht nur mich daran, daß einmal ganz andere Kaliber an Staatsdienern zur ihrer Rechtfertigung mit dem “Loyalitätsbegriff“ jonglierten. Kein Zweifel – Maaßen meint damit auch die berüchtigte, „Walsersche Moralkeule“ von linksliberalen Medien, Künstlern und Intellektuellen; Medien, die die Politik an Entscheidungen zugunsten von Volk und Vaterland hinderten, denn er schießt nach: der Rechtsstaat bewähre sich erst dann, „wenn unangenehme Entscheidungen getroffen werden müssen“.
Maaßen ist ein Mann mit Benimm und spricht sich nicht explizit und schockierend wie etwa Frau von Storch für den Schußwaffengebrauch an der Grenze aus. Ob aber die „unangenehmen Entscheidungen“ zu den von Peter Sloterdijk geforderten „wohltemperierte Grausamkeiten“ geführt hätten, also zur Dezivilisation, mag ich mir nicht ausmalen. – Aber darauf versteht das „Kulturvolk der Deutschen „sich ja schon länger.
Vielleicht hatten die Zuhörer Maaßens bei der Werteunion mehr Phantasie. Sie applaudierten – wie man in sämtlichen Presseberichten lesen konnte – begeistert und anhaltend.
Ja, noch mehr – die Reaktivierung eines Mannes, den man „weg vom Fenster“ wähnte, enthusiasmierte über den Vortragssaal im Kölner Hotel Steigenberger hinaus noch mehr alternde konservative Männer. Der Medienunternehmer Klaus Kelle konnte sein Glück gar nicht fassen: mit der Tagung und der Heimholung des schon entsorgten Maaßens habe die „Werteunion“ „ihr Meisterstück abgeliefert“, schreibt er in seinem Blog „Denken erwünscht“. Kelle vermittelte damit den Eindruck von Befreiungsschlag, Freudentränen und in die Luft geworfenen Hüten und Kindern und empfahl zur weiteren Lektüre BILD, WELT und die – mit seinen Worten – „konservative“ „Junge Freiheit“ (die keine Jugendzeitschrift ist, sondern eine von bösartigen Senioren für bösartige Senioren) und „Tichys Einblick“ – also Schmor-Publikationen von immer dem gleichen Saft.
Kelle gesteht seine Rührung in seinem Artikel : ein „…. Freund kam nach der Nationalhymne zum Ende der Veranstaltung zu mir, umarmte mich und sagte: `Klaus, der Wahnsinn. Ich hätte nicht gedacht, daß es auch so eine CDU gibt…´“
Wir vernehmen ältere Männerstimmen, die Hoffmann´sche Hymne krächzen und riechen nachgetropften Altherrenurin im deutschen Hosenboden.
Kelles Blog-Kommentatoren delirieren bereits über Maaßen als Bundespräsident und wähnen sich schon wieder an der Macht: „konservativ sein ist die wahre Gegenkultur“ oder „wer dem Mainstream entsagen will, muß konservativ sein und Anzug tragen.“ – schreibt einer. Philipp Amthor hat diesen Aufruf gewiß vernommen!
Und mit diesen Eindrücken der Selbstfeier der „Werteunion“ wird noch einmal meine These bestätigt, daß der einzige Unterschied zwischen konservativ und faschistisch vor allem im Benimm, den Tischsitten und der Kleiderwahl liegt und daß die Konservativen dabei sind, die Rechten vom Katzentisch an den der Erwachsenen zu holen wie es in Sachsen, dem “Bundesland der Bewegung“ im Herbst geschehen wird.
Die letzte Bekräftigung dieser trüben Aussicht lieferte eben jener erwähnte Kommentator schließlich als er mit dickbackigem Frohsinn darauf hinwies, er habe gerade gesehen, daß Martin Sellner ein langes Video zum Treffen der „Werteunion“ mit Maaßen auf youtube gepostet habe. Sellner, einer der rechtsextremsten Anführer der österreichischen Identitären Bewegung – Politwissenschaftler bestätigen dessen Nähe zu Neonazis – ist übrigens auch innig bekannt mit Andre Poggenburg und Björn Höcke – Sellner also jubelt in diesem Video : „Maaßen spielt ab jetzt in unserem Team!“ – Wer ist noch in „Unserem Team“ – etwa der identitäre Attentäter von Christchurch?
Um zum Kulinarischen zurückzufinden… Die Werteunion ist eine Leiche zum Dessert, ein konservativer Käse, der den Magen eben nicht schließt, sondern, weil schon von Maden durchzogen, eher Brechreiz erregt. Eine braune Pflaume auf dem Nachtisch der Reaktion und aus einem Einweckglas, das seit 1945 im hintersten Kellerregal vor sich hingammelte und das noch immer nicht entsorgt ist, obwohl es schon so stinkt wie Surströmming, inklusive der Explosionsgefahr!.
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In seinem gerade erschienen Essay- und Porträtband „Panoptikum des Grauens“ beschäftigt sich Wolfgang Brosche mit Repräsentanten des neurechten Konservatismus, u.a. Mathias Matussek, Peter Sloterdijk, Jan Fleischhauer oder Vera Lengsfeld, mit deren Einfluß in Fragen der Pädagogik, in den Medien und den Spuren ihres Denkens im wieder aufkeimenden Antisemitismus.
Wolfgang Brosche, Panoptikum des Grauens. Üble Zeitgenossen, Zombies und andere Neue Rechte. Edition Critic, Juni 2019. Berlin
http://www.editioncritic.de/allgemein/neuerscheinung-juni-2019-wolfgang-brosche-panoptikum-des-grauens/
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