Die Drei Flüche der Serialität

Eine formale Kritik der Serie ist auch Gesellschaftskritik. Dass Serien an erzählerische Grenzen stoßen, hat notwendig mit deren Produktionsbedingungen zu tun. Dem Credo von der modernen Serie als Überwinder des Romans stehen die drei Flüche der Serialität gegenüber, die ausgerechnet mit dem Erfolg des Produktes immer übermächtiger werden.


Spätestens seit den Erfolgen von Game of Thrones las und hörte man es immer wieder: Die Serie ersetze den modernen Roman als vorherrschende Form des Erzählens, sie könne alles, was dieser könne (lange komplexe Handlungen) und mehr (voll krasse Bilder halt, endlich mal so richtig entertainen, wo Lesen doch auch irgendwie anstrengt). Gegenrede: Komplex ist nicht das gleiche wie Kompliziert.

Verfolgt man aber seit der 7., spätestens seit der 8. Staffel Kommentare selbst beinharter Fans auf Youtube, Facebook oder Twitter, zeigt sich: Ganz besonders Game of Thrones hat diese Erwartungen enttäuscht.

Plötzlich beschimpfen alle,
was man seit Jahren kritisierte

Jetzt werden genau diese schlecht vorbereiteten spektakulären Wendungen, das Effekthascherische, das „Drama, Baby!“ um jeden Preis, in der Luft zerrissen, auf das weniger involvierten Kritiker schon vor Jahren hinwiesen. Nein, das soll kein weiterer GOT-Verriss werden. Das Problem, unter dem diese Serie gegen Ende hin noch etwas stärker zu leiden hatte als andere, weniger „episch“ (also im modernen Slang = lang&pompös) ausgelegte, ist ein systemisches. Es hat etwas mit den Produktionsbedingungen der Serie zu tun, und letztlich auch, ganz oldschool, damit, wer die Produktionsmittel kontrolliert und wie der Markt aussieht, auf den sich die wenigen Oligopole konzentrieren müssen. Denn es ist doch so: Hollywood, Netflix & Co können auf einen großen Stab verdammt talentierter AutorInnen zurückgreifen. Und dennoch prophezeie ich: Nicht nur hat keine Serie bisher das erzählerische Niveau eines auch nur überdurchschnittlichen modernen Romans erreicht. Es wird auch nicht passieren. Dem im Weg stehen die Flüche der Serialität, mit denen (zweiter) Natur gemäß alle Serien im Kapitalismus zu kämpfen haben.

Die Drei Flüche:

1) Je goldener das Kalb, desto unerbittlicher muss es zu Tode gemolken werden

Je besser ein Programm zu Anfang ist und je besser es ankommt, desto länger wird man es weiterführen. Selbst wenn ein Autor oder ein Team zu Serienauftakt einen Plan haben, der von ähnlicher formaler Konsequenz ist wie der, der idealerweise einem Roman vorangeht, wird die Arbeit bald in freies Improvisieren bei gleichzeitigem Schielen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner unter den Fans übergehen. Diese Art zu Arbeiten wird niemals ein gleichbleibendes Niveau garantieren.

2) Serien sind zu lang. Alle. Immer.

Hinzu kommt die schiere Dauer, die es schwer macht, das Niveau zu halten. Man stelle sich eine Serialisierung zB von Les Misérables vor. Ein Stoff, der gut in unsre heutige Grimdark/Romantik-Mode passen würde. Das vollständige Hörbuch hat etwa 60 Stunden! Der Film kennt aber zahlreiche Techniken, die dazu führen, dass selbst handlungstreueste Verfilmungen deutlich kürzer werden müssen als Bücher. Allein, dass Bilder Beschreibungen sehr effektiv kondensiert können. Schnitte, rasche Montagen. Tatsächlich wäre alles, was über die fünfstündige Filmfassung von 2000. hinaus geht, Exzess. Entsprechend fällt auf, dass Serien alle künstlerisch anspruchsvollen Techniken des Films zusehends vergessen, und stattdessen Techniken der Zeitdehnung entwickeln, um den Stoff aufzublähen. Der Auftakt der letzten Staffel von Game of Thrones etwa war nicht viel mehr als eine Hand voll Dialoge, ohne innere Dramaturgie, aneinandergereiht von allen Ecken Westeros und mit bestimmt 20 Minuten Kamerafahrten auf eine gute Stunde aufgebläht. Es geht der modernen Serie nicht um eine dichte ästhetische Erfahrung, sondern um ein möglichst langes Erlebnis, das fortdauernde Debatten anregt und damit Einnahmen kreiert.

Die Serie kannte ein halbwegs probates Mittel gegen diese Probleme: Die Balance zwischen episodischer Struktur und großem Bogen. Einzelne Episoden werden als möglichst abgeschlossene Geschichten erzählt, während die übergreifende Handlung daheraus weiterentwickelt wird. Aber genau dieses moderierende Element ist modernen (Binge-) Sehgewohnheiten und dem marktimmanenten Überbietungsdruck Richtung immer krassere Endloshandlung zum Opfer gefallen, bis man im 21. Jahrhundert wieder beim Dickensschen Cliffhanger als zentralem gestalterischen Mittel angekommen ist.

3) Weil Scheitern nicht vorgesehen ist, ist Scheitern künstlerisch vorprogrammiert.

90 % aller gelungenen Literatur entsteht wohl aus gescheitertem Text. Nicht einmal in erster Linie gänzlich verworfene Manuskripte. Oft auch nur an dieser Stelle, oder in genau dieser Formulierung gescheiterter Text. Der größte Block Arbeit an einem literarischen Text ist es, das Werk immer wieder gegen zu lesen, Streichungen vorzunehmen, Umstellungen, Formulierung anzupassen, an der Struktur der Motive zu arbeiten usw. Aber ja, auch mal rigoros zu sagen: Das ist nichts. Das bekommt die Öffentlichkeit niemals zu sehen.

Für dieses produktive Scheitern lassen die Produktionsbedingungen der Serie sehr geringen Raum. Die Produktion ist einfach zu teuer. Dann wird im besten Fall staffelweise abgedreht, so dass innerhalb einer Staffel noch ein paar Korrekturen gemacht werden können, aber unmöglich zum Beispiel an der zweiten Staffel noch einmal gefeilt, um besser zur Entwicklung der Fünften zu passen. Auch im Detail ausgearbeitete Scripts für eine ganze Serie liegen normalerweise nicht vor, wiederum wegen 1) – das wäre unnötige Mehrarbeit, wenn der Markt das Produkt sowieso nicht annimmt. Insofern dürfte selbst die ambitioniertes Serie, die sich wenig um die Erwartungen ihres Publikums schert (und trotzdem erfolgreich ist, sonst gibt es sie nicht lange) kaum eine Chance haben, über mehrere Staffeln diese innere Kohärenz aufzuweisen, die ein großes Kunstwerk ausmacht.

Serien werden nicht die „Romane der Zukunft“ sein, oder besser (wenn das denn wünschenswert sein sollte, denn die meisten Zuschauer wollen sich ja auch nicht überanstrengen): Es muss sich noch einiges tun, damit das gelingen kann. Wenn die Technik erst mal so weit ist, dass ein längerer filmischer Erzählung von einer oder wenigen Personen in der gleichen Weise abseits der steten Zwänge des Marktes erstellt werden kann, wie bis heute Texte, dann könnte es so weit sein. Und: Natürlich wird es immer wieder Serien oder Teile von Serien geben, die weit besser sind als viele zeitgenössische Romane. Auch die Literatur ist heute zu forderst ein Markt, und es braucht einiges an Mut und noch viel mehr Glück, ein Werk an den Wächtern des Kleinsten gemeinsamen Nenners vorbeizuschmuggeln, und nocheinmal viel Glück, dass dieses dann auch noch von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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