Strengt euch an!

Verständliche Philosophie erfordert Anstrengung von Autoren ebenso wie von den Lesern. Aber sie ist möglich.


Wie ist es um die deutschsprachige Philosophie bestellt? Angesichts der Medienpräsenz und der Auflagenerfolge von Autoren wie Richard David Precht und Marcus Gabriel sprechen die einen von einem nie dagewesenen Interesse für philosophische Themen und fürs Philosophieren, während andere eine Verflachung und einen Niedergang des philosophischen Denkens diagnostizieren. Philosophie scheint, wenn man den kritischen Kommentaren der letzten Monate glauben darf, nur in zwei Modi möglich zu sein: Entweder als weltabgewandter, unverständlicher akademischer Diskurs oder als flache, unterhaltsame, welterklärende Talkshow-Diskussion, die von trivialisierender Ratgeberliteratur begleitet wird. Und so lauten auch die gegenseitigen Vorwürfe: die Professoren an den deutschen Universitäten werfen den populären Medienstars vor, die Welt allzu simpel zu erklären und die wahre Tiefe der philosophischen Probleme zu verfehlen, während die Freunde leicht verständlicher Sachbücher der akademischen Elite von ihren akademischen Kollegen fordern, den Elfenbeinturm der Fachphilosophie zu verlassen und ihre Ideen auf den Markt zu tragen, wie es der Legende nach schon der Urvater Sokrates getan haben soll. Allerdings wissen wir das nur über die Aufzeichnungen seines Schülers Platon, der wiederum gerade nicht auf dem Markt philosophiert hat, sondern in seiner eigens gegründeten Akademie. Das sollte uns zu denken geben.

Wozu überhaupt verständliche Philosophie?

Und so könnten wir zuerst einmal fragen, woher der Anspruch an die Philosophie, gefälligst für jeden verständlich zu sein, der sich irgendwie für sie interessiert, überhaupt kommt. Niemand erwartet von der modernen Naturwissenschaft, dass sie sich einer Sprache bedient, die jeder versteht. Und keiner macht umgekehrt den Verfassern populärwissenschaftlicher Bücher über Quantenmechanik oder Mikrobiologie den Vorwurf, die schwierigen Zusammenhänge der Wissenschaften allzu oberflächlich darzustellen. Warum verlangt man überhaupt von der akademischen Philosophie, allgemeinverständlich zu sein? Woher andererseits der Vorwurf an die Autoren populärer Philosophiebücher, die Disziplin zu trivialisieren?

Die Antwort ist: Zwischen der modernen Naturwissenschaft und dem Alltag gibt es mit den Ingenieursdisziplinen eine Vermittlungsinstanz, die die komplizierten wissenschaftlichen Zusammenhänge für den Alltag brauchbar macht. Man muss sie nicht im Detail verstehen, um sie „verwenden“ zu können – sie müssen, als Teil von Technik, einfach stabil funktionieren. Die wissenschaftliche Erklärung, allgemeinverständlich aufbereitet, ist bloßes Beiwerk, das Vertrauen schafft. Es wäre ein anderes Thema, das genaue Wechselspiel von Wissenschaft und Technik und die Rechtfertigung des Vertrauens, das wir in sie setzen, zu diskutieren.
Eine solche Vermittlungsinstanz gibt es für die Philosophie aber nicht. Als fragende, nach Gründen suchende Disziplin kann sie die Erzeugung brauchbarer, funktionierender Lebenstechniken nicht an eine Zunft von Sozialingenieuren delegieren. Indem sie nach dem Selbstverständnis des Menschen, nach der Bedeutung der Welt für unser Leben, nach den Sicherheiten unserer Urteile und nach der Rechtfertigung unserer Ziele fragt, betrifft sie das Leben jedes Menschen, dem sein Platz in der Welt fragwürdig geworden ist, ganz unmittelbar. Das Interesse für Philosophie entspringt aus dieser Fragwürdigkeit, die Fragen, die die akademische Philosophie sich stellt, sind dieselben, wie die, die sich dem verunsicherten Menschen im Alltag aufdrängen. Deshalb interessieren uns die Antworten der Philosophen, und eine vermittelnde Ingenieursdisziplin, die aus philosophischen Theorien praktikable Lebenstechniken machen würde, wäre immer unbefriedigend.

So wird auch die Ablehnung der popularisierenden Talkshow-Philosophen durch die akademische Philosophie verständlich. Sie sieht, dass der bedrängte Mensch von Ratgeber-Stars mit billigen Rezepten abgespeist wird, die den wirklichen Problemen nicht gerecht werden. Sie sieht, dass die Antworten, die so gegeben werden, auf dünnem Boden stehen, dass die scheinbaren Klärungen, die diese Antworten schaffen, trügerisch sind, weil schon eine kleine weitere Frage reichen könnte, um alle Sicherheiten zunichte zu machen.

Es muss anstrengend sein

Was ist zu tun? Wenn den Menschen, die aus ihrem Alltag heraus auf philosophische Fragen stoßen, die Vermittlungsinstanz des Technikers fehlt, der ihm die Erkenntnisse der Forschung nutzbar machen könnte, dann bleibt nur ein Weg, um den Abgrund zwischen akademischer Philosophie und Alltag zu überwinden: Beide Seiten müssen aufeinander zugehen. Die Philosophen müssen sich bemühen, so verständlich wie möglich zu schreiben, ohne ihren Anspruch auf Tiefe aufzugeben. Und das philosophisch fragende Publikum muss einsehen, dass Philosophie keine leicht verdauliche Kost sein kann, dass sie Anstrengung erfordert. Es darf die Antwort auf seine Fragen nicht in knackigen Slogans erwarten, es darf nicht hoffen, dass es die Lösung der tiefsten Probleme in einem launigen Vortrag oder einem unterhaltsamen Fernsehtalk erfährt. Wer einmal auf philosophische Fragen gestoßen ist, die ihn verunsichern, muss begreifen, dass es ein langer, schwieriger aber lohnender Weg ist, bis wieder eine gewisse Sicherheit erreicht ist.

Und diese Philosophie und dieses Publikum gibt es bereits. Es gibt nicht hier die unverständliche akademische Philosophie und dort die trivialisierenden Sachbuchautoren. Jedes Werk, das auf den philosophischen Buchmarkt kommt, nimmt einen bestimmten Punkt irgendwo in einem Spektrum ein und ist ein Teil der Brücke, die gebaut werden muss. Nicht alle Autoren, die zu dieser Brücke beitragen, sind Teil der akademischen Philosophie. Barbara Bleisch gehört dazu, die Fragen der familiären Verantwortung diskutiert, und auch die Reflexionen von Peter Trawny in den Heidegger Fragmenten.

Wer mit philosophischen Fragen ringt, darf es sich nicht leichtmachen. Die nicht, die darüber schreiben: Sie müssen eine Sprache finden, die den Problemen gerecht wird, und doch auch verständlich werden kann, ohne missverständlich zu sein. Und auch die, die lesend nach Antworten suchen, dürfen keine sanfte Unterhaltung erwarten, denn die Probleme, die sich ihnen aufdrängen, sind gewaltiger als man vielleicht meint, wenn man ihnen das erste Mal begegnet. Man kann die wechselseitige Ablehnung der akademischen Autoren und der Publikumslieblinge auch als notwendige Kritik auffassen, dass es sich beide Seiten auf ihren Plätzen allzu bequem machen und damit das fragende Publikum eben beide nicht zu der Anstrengung motivieren, die nötig wäre, um den Herausforderungen der philosophischen Probleme gerecht zu werden.

Jörg Phil Friedrich ist iT-Unternehmer und Philosoph in Münster. Er konzipiert und entwickelt z.B. Datenbanklösungen in Access.

Jörg Phil Friedrich

Der Philosoph und IT-Unternehmer Jörg Phil Friedrich schreibt und spricht über die Möglichkeiten und Grenzen des digitalen Denkens. Friedrich ist Diplom-Meteorologe und Master of Arts in Philosophie.

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