Prüffall AfD – Haldenwangs Fehler?
Am 15.1.2019 erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD öffentlich zum „Prüffall“, Höckes „Der Flügel“ und die Jugendorganisation der Partei JA zum Verdachtsfall. Die AfD will dagegen vorgehen. Die Chancen sind gar nicht so schlecht. Ein Fehler des neuen Verfasungsschutzpräsidenten?
Nach Abschluss einer intensiven Prüfung, in der das BfV offen zugängliche Informationen – einschließlich einer Stoffsammlung der Landesbehörden für Verfassungsschutz – sorgfältig ausgewertet hat, kommt das BfV zu folgendem Ergebnis:
Die Gesamtpartei AfD wird als Prüffall bearbeitet
Die „Junge Alternative“ (JA) wird zum Verdachtsfall erklärt
Die Teilorganisation der AfD „Der Flügel“ wird zum Verdachtsfall erklärt
So ist es auf der Homepage des BfV in einer Pressemitteilung zu lesen.
Dass das der AfD nicht gefällt, ist verständlich. Aber auch wenn ich nicht gerade ein Fan dieser Partei bin, habe ich erhebliche Bedenken gegen die Vorgehensweise des Verfassungsschutzes und ihres neuen Präsidenten.
Vogelschissakrobaten
Dass der Verfassungsschutz die AfD im Auge hat, ist kein Wunder. Und dass sich aufgrund diverser Äußerungen diverser Vogelschissakrobaten „ erste tatsächliche Anhaltspunkte für eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtete Politik der AfD“ ergeben, ist nun auch nichts besonders Neues. Wenn sich nun aber diese Hinweise nicht hinreichend verdichtet haben, um eine systematische Beobachtung, auch unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, einzuleiten, ja, was bedeutet dann eigentlich die Mitteilung, die AfD sei ein Prüffall?
Bedeutet das nicht, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz und auch die Landesämter die Partei mit ihren öffentlichen Aussagen weiterhin im Auge haben werden, also genauso , wie das bisher der Fall war, um die Materialsammlung aus öffentlichen Quellen zusammenzustellen? Da spricht einiges für, denn zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel oder gar V-Männern und Frauen reichen die unverdichteten Fakten offenbar selbst dem Amt nicht aus.
Zudem besteht der Umstand, dass eine Partei einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz genießt, der die Frage der Verhältnismäßigkeit auf eine andere Ebene hebt.
Kein Tabu
Das bedeutet aber natürlich nicht, dass eine Partei grundsätzlich Tabu für den Verfassungsschutz ist. Der Gesetzgeber hat sich ganz bewusst für das Model einer „wehrhaften“ Demokratie entschieden. Damit sollten schlechte Erfahrungen, wie sie in der Weimarer Republik gemacht wurden, künftig vermieden werden. Denn damals war es nicht möglich, eine verfassungswidrige Partei frühzeitig zu beobachten und zu verbieten. Demzufolge konnte die verfassungsfeindliche NSDAP sich rühmen, durch demokratische Wahlen ins Parlament gekommen zu sein. Das ist nun die AfD ebenfalls, wie sie stets betont, allein macht die Tatsache, dass jemand demokratisch ins Parlament gewählt wurde aus ihm noch keinen Demokraten.
Wenn nun also Repräsentanten und Funktionäre einer Partei reihenweise Äußerungen tun, die sie als antisemtisch, völkisch, nationalistisch und fremdenfeindlich wirken lassen, dann ist das grundsätzlich schon gut, wenn der Verfassungsschutz das im Auge hat. Das ist sein Job.
Die Aufgaben
Im Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz – BverfSchG) ist folgendes geregelt:
§ 3 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden
(1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über
1.
Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben,
2.
sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht,
3.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden,
4.
Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind.
Der Verfassungsschutz soll also nicht erst dann tätig werden dürfen, wenn der Führer kurz vor der Machtergreifung steht, sondern er soll durch permanente Wachsamkeit bereits im Vorfeld solcher Bestrebungen Augen und Ohren offen halten. Eine Art Seismograph für verfassungswidrige Erdbeben. Dabei hat das Amt aber nur rechtlichen und nicht etwa politischen Vorgaben zu folgen. Es ist Bestandteil des Exekutive, dem Innenministerium unterstellt, aber es ist kein Amt, dass der Innenminister oder auch die Regierung zu politischen Zwecken instrumentalisieren oder das selbst Politik machen darf. Es darf nur Recht anwenden. Und daran ist es in der Vergangenheit schon häufig beschämend kläglich gescheitert.
Grenzwertige Mitteilung
Auch wenn die Einstufung der AfD als Prüffall aus meiner Sicht recht unproblematisch ist, so ist doch die öffentliche Mitteilung des Amtes über diesen Umstand mindestens grenzwertig. Zwar gibt das Bundesinnenministerium jährlich den Verfassungsschutzbericht heraus, d.h. die Öffentlichkeit wird durchaus über die Aktivitäten des Dienstes ins Bild gesetzt – wobei das natürlich nicht vollständig sein kann, sonst wäre es ja keine Geheim-Dienst -, aber dass sozusagen außer der Reihe in einer breiten Öffentlichkeit verkündet wird, dass das Amt eine Partei zum Prüffall erklärt hat, ist doch recht ungewöhnlich. Ich kann mich an eine solche Mitteilung jedenfalls nicht erinnern.
Eine gesetzliche Grundlage dafür könnte jedenfalls dem Grunde nach in § 16 BverfSchG zu sehen sein. Der lautet:
§ 16 Verfassungsschutz durch Aufklärung der Öffentlichkeit
(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz informiert die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Absatz 1, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, sowie über präventiven Wirtschaftsschutz.
(2) Das Bundesministerium des Innern informiert die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 3 Absatz 1, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, mindestens einmal jährlich in einem zusammenfassenden Bericht insbesondere zu aktuellen Entwicklungen. In dem Bericht sind die Zuschüsse des Bundeshaushaltes an das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst sowie die jeweilige Gesamtzahl ihrer Bediensteten anzugeben.
(3) Bei der Information nach den Absätzen 1 und 2 dürfen auch personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen.
Wenn nun aber die verfassungswidrigen „Bestrebungen und Tätigkeiten“ nach § 3 Abs. 1 noch nicht so verdichtet sind, dass es für einen Verdachtsfall reicht, frage ich mich, ob die Mitteilung dann noch den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit genügt.
Also nochmal, dass das Amt prüft finde ich persönlich nachvollziehbar, dass es diesen Umstand aber bereits öffentlich kommuniziert, bevor überhaupt ein Verdachtsfall vorliegt, halte ich rechtlich nicht für unbedenklich.
Denn selbstverständlich hat die bloße Mitteilung des „Prüffalles“ bereits direkte und indirekte Auswirkungen auf die AfD. Zum einen könnte es sein, dass die Hardcorefans der Partei nun die Reihen noch etwas fester geschlossen halten und zwar nicht nur untereinander, sondern vor allem auch gegenüber der Öffentlichkeit. Dann hätte das BfV sich ein schönes Eigentor geschossen. Denn wenn die völkisch beseelten „Nationalromantiker“, die sich bisher auch schon mal gerne wie der Bundestagsabgeordnete Siegbert Droese „mit Hand auf der Brust vor den Ruinen des ehemaligen Führerhauptquartiers ,Wolfsschanze‘ in Ostpreußen“posieren, künftig ihren Neigungen nur noch im stillen Kämmerlein und klandestinen Zirkeln nachgehen, ohne dass davon etwas in die Öffentlichkeit dringt, dann ist ganz schnell Schluss mit Prüffall, obwohl die Gefahr der Verfassungsfeindlichkeit dadurch eher wächst.
Dass es durchaus radikalisierte AfDler gibt, die noch den bürgerlichen Schein des demokratischen Patrioten zu wahren versuchen, zeigt das Beispiel des künftigen EU-Abgeordneten Dr. Maximilian Krah aus Dresden, über den der Verfassungsschutz schreibt, er habe ein „Denken in geschlossenen ethnokulturellen Kategorien“, „demzufolge sich Interessen zuvorderst im Rahmen ethnischer Zugehörigkeit artikulieren“.
Krah hat die Mitteilung des BfV jedenfalls nicht davon abgehalten, einen Vortrag zum Thema „Volk-Volkssouveränität-Verfassung“ bei der diesjährigen Winterakademie des Instituts für Staatspolitik, also einem Thinktank der sogenannten Neuen Rechten, bei dem auch gerne mal NPDler und Identitäre auftauchen, zu halten. Er fühlt sich offenbar bereits unangreifbar und wird von einer treuen Fanbase bejubelt.
Auch auf potentielle Wähler der AfD kann die Mitteilung des Prüffalles sich auswirken. So kann es eine Solidarisierung mit der Opferpartei geben, die auf einer Bestätigung der ohnehin in diesen Kreisen weit verbreiteten Meinung beruht, dass das BfV nur der verlängert Arm der „SED-Kanzlerin“ und des „Systems“ der „Altparteien“ sei, die die AfD „mundtot“ machen wollten. Als AfDler würde ich da auch verbreiten.
Es kann aber auch sein, dass unentschlossene Wähler lieber die Finger von einer Partei lassen, die der Verfassungsschutz auf dem Schirm hat. Das wäre ja auch völlig in Ordnung, wenn sich denn am Ende der Prüfung – wie lange darf so etwas eigentlich dauern? Da habe ich nichts zu gefunden – die Verfassungsfeindlichkeit tatsächlich nachweisen ließe. Es scheint mir aber nicht in Ordnung, wenn sich dann letztlich herausstellt, dass zwar einzelne Mitglieder der AfD ein massives nationalistisches, menschenfeindliches Rad abhaben, die Gesamtpartei aber eben doch keine offen verfassungsfeindlichen Ziele verfolgt. Schwer vorstellbar, aber möglich. Dass eine Partei widerlich ist und Forderungen aufstellt, die ich widerlich finde, ist kein Grund sie unbedingt für verfassungsfeindlich zu halten. Der Stigmatisierungseffekt der Mitteilung ist daher nicht zu unterschätzen.
Nun halten Sie mich bitte nicht versehentlich für einen neuen Fan der AfD. Das bin ich bekanntlich nicht und werde es auch nicht werden. Ich mag diese Ansammlung von Merkwürden und Volksseienden absolut nicht und halte sie auch für eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie ich sie kenne.
Ich bin aber ein großer Fan unseres Grundgesetzes und dessen Grundsätzen. Und da muss ich halt auch dann genau hinschauen, wenn mir das Ergebnis nicht unbedingt gefallen will.
Ich halte die Veröffentlichung des Tatsache, dass das BfV die AfD als Prüffall einstuft, aus mehreren Gründen nicht für klug.
1. Es gab keine Notwendigkeit, dies der Öffentlichkeit mitzuteilen, da ein Prüffall nichts besonderes, sondern eigentlich nur der Alltag des Dienstes ist und nach dessen eigener Einschätzung die „Verdachtssplitter“ sich (noch) nicht verdichtet haben. Da hätte man dann halt im Geheimen prüfen sollen bis man etwas handfestes nachweisen kann, wie es sich für einen Geheimdienst gehört.
2. Bereits die Mitteilung über eine Befassung des Verfassungsschutzes mit einer Partei könnte diese in ihren Rechten auf Chancengleichheit der Parteien aus Art. 21 Abs. 1 S. 2 GG beeinträchtigen. Die AfD könnte die Rechtswidrigkeit gerichtlich feststellen lassen. Die Erfolgschancen dürften gar nicht so schlecht sein.
3. Die AfD kann nun nicht nur eine große Opferarie anstimmen, sondern auch noch für den Fall, dass sie den „Prüffall“ unbeschadet übersteht, behaupten sie sei eine vom Verfassungsschutz überprüfte Partei, habe also quasi ein staatliches Prüfsiegel der Verfassungstreue bekommen.
Kurz und schlecht. Die ganze Aktion nutzt letztlich nur der AfD. Ein ganz schlechter Einstieg für den neuen Präsidenten, Herrn Haldenwang.
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