PHILIPPIKA II – TEIL II

Menschenrechte und Rhizome


Als ich begann dies zu schreiben – der Mob strolchte noch durch Chemnitz – zeigte das ZDF einen Film über eine mutige und liebenswürdige junge Frau: eine Sexualbegleiterin.

Sexualbegleiter oder Assistenten helfen körperlich oder geistig behinderten Menschen, ihren Körper und den anderer zu erfahren; sie bringen dazu ihre eigenen Körper ein, ihre Berührungen, ihre ungeschützte Nacktheit, um auch Behinderten das Menschenrecht zur Lust zu verschaffen.

Das können und wollen Wohlfahrtsorganisationen nicht hören; auch Angehörige tun sich damit schwer – obwohl es inzwischen glücklicherweise Angehörige gibt, die den Behinderten diese Dienste bezahlen – denn sie selbst können es aufgrund mangelnden Einkommens oft nicht. Diese Sexualbegleitung setzt aber mehr voraus als Finanzielles – sie setzt einen ganz neuen Umgang mit Sexualität voraus. Auch wenn uns durch die Pornoökonomisierung des Alltags Sexualität als etwas Selbstverständliches erscheint, ist sie es nicht. Sie ist immer noch Tabus, Sitten, Gebräuchen, Tradition – und vor allem der Verächtlichmachung durch jene unterworfen, die keine haben oder sich durch den erzwungenen Verzicht von anderen ab- und über sie erheben wollen: das Prinzip der Religion also und das totalitärer Staaten. Auch Deutschland hat ja noch immer ein Sexualstrafrecht. Es gibt aber keine Verstöße gegen eine „natürlich-richtige“ Sexualität – es gibt kein sexuelles Naturrecht. Sexualität wird immer gesellschaftlich genormt wahrgenommen. An der Sexualität ist nicht Strafbares – darum sollte man das „Sexualstrafrecht“ aus dem Gesetzbuch streichen.

Was tatsächlich „bestraft“ werden muß – und zwar präziser als je zuvor- sind Gewalt und Zwang, alles, was sich nicht zwischen „consenting adults“ abspielt. Es ist eine weitere Verletzung für die Opfer, wenn eine Vergewaltigung noch immer als ein „sexueller Akt“ verstanden wird – sie ist immer eine Gewalttat! Das gleiche gilt für Kindesmißhandlungen jeglicher Art. Es sind körperliche und seelische Akte der Grausamkeit und Gewalt, angelegt aufs Zerstören des Innersten; zurecht nennen Opfervertreter sie Seelenmord. Und deshalb darf es für sie, wie für andere Morde auch, keine Verjährung geben!

Noch lange nicht betrachten wir Sexualität, Lust und Begehren als vielfältiges Humanum – und „humana sunt turpia“ – sondern als Machtmittel im menschlichen Miteinander. Gegönnt, gewährt, verknappt, begehrt oder verwehrt, um so Wohlverhalten und Unterwerfung, Disziplinierung, gar Zerbrechen der Betroffenen zu erreichen. So ist es auch kein Wunder, daß speziell die AfD auf dem Gebiet der Sexualität weit zurück will vor das Jahr 1969.

Vor kurzem beschrieb ich in meinem Kolumnisten-Beitrag „Hassbus“ die Kämpfe um die Hegemonie über die Körper und Gefühle von Homo- und Transsexuellen. Die nicht enden wollenden Heucheleien um den Kindesmißbrauch in der Kirche geben ein ebenso schäbiges Bild ab von Macht und Deutungshoheit über Körper und Gefühle.

Solche Kämpfe toben auch auf der Internetseite von Edith, der Protagonistin der ZDF-Reportage; sie wird dort von Wut- und Moralbürgern mit Häme, Haß und Mißgunst überschüttet, von jenen, die nicht einmal ansatzweise erkennen, daß die Unbefangenheit gegenüber ihren Diensten ein neues Verständnis von Sexualität und Menschenrechten voraussetzt – aber sie fürchten sich unbewußt und diffus vor diesem notwendigen neuen Verständnis, das vor allem die Macht des patriarchalen Penis zumindest knicken wird.

Ja, wir brauchen ein neues, zugewandtes Menschenbild, das alte Gewißheiten umstürzt, um die gewaltigen Anforderungen schon der nächsten Zukunft anzugehen. Diejenigen, die Edith verunglimpfen, sind im Grunde wie jene, die in Chemnitz fremd Aussehende gejagt haben, jene, die Millionenfach die AfD wählen, weil sie nicht bereit oder fähig sind, Menschen als gleichwertig anzuerkennen. Natürlich sind sie „besorgt“, beunruhigt, verängstigt. Sie verschaffen sich Erleichterung und Genuß, indem sie anderen den Genuß und die Freude am eigenen Körper mißgönnen, in den Schmutz ziehen oder einen Outlet für die Angst vor dem Leben der anderen konstruieren. Sie wollen die Gleichwertigkeit nicht wahrhaben

Um bei Edith und ihren Klienten zu bleiben… Ich gebe zu, auch ich habe erst vor dem Fernseher gesessen und staunend-neugierig zugeschaut, wie liebevoll sie mit ihnen umging – natürlich war die Kamera bei wirklich Intimen nicht dabei. Ich habe mir gesagt: „Ich könnte das nicht!“ – und merkte bald, in meinen Bedenken steckte der Widerstand gegen das Ungewohnte und die Unfähigkeit, mich in diese Behinderten hineinzuversetzen. Ich rationalisierte ihre Freude, Lust und Befriedigung weg. Es kommt aber nicht darauf an ob und vor wem „ich“ mich ekele oder verschreckt fühle, sondern auf die Gefühle der Menschen, die Zuwendung empfangen, ja, verdammich, auf ihrer nackten Haut und an ihren sehnsuchtsvollen Geschlechtsteilen.

Jetzt sind wir mal dran

Natürlich übernimmt keine Krankenkasse oder Versicherung solche Liebesdienste. Ich höre schon die Stimmen, die murren: jetzt haben es die Behinderten schon so gut, kriegen Behandlungen, Heime, Hortplätze, Rollstühle bezahlt, aber das geht zu weit. Dahinter vernahm ich plötzlich auch die Stimmen jener krächzen, die sich beschwerten, „die Flüchtlinge nehmen uns die Sozialhilfe, die Arbeitsstellen, die bezahlbaren Wohnungen weg“. Ich hörte das Credo der Selbstermächtigung: „jetzt sind wir mal dran!“, denn wir sind berechtigter, wir sind doch Deutsche, Männer, Heterosexuelle, Gesunde! Begründungen imaginierter Tradition der Selbstaufwertung… Eigentlich geht es um Menschenverachtung, die andere ausschließt und abwertet. Durch diesen miesen Trick – der Zauberkünstler läßt ja auch die Schnipsel der zerrissenen Zeitung verschwinden – wird die eigene Aufwertung möglich, kann man sich als ganz, heil, berechtigter empfinden.

Seit der 68er-Zeit wird es uns immer deutlicher, daß jeder von uns in gewissen Lebenslagen zum Außenseiter, zum Ausgeschlossenen werden kann und daß die Menschenrechte, daß Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit unter allen Umständen und zu jeder Zeit gelten. So recht wollen wir es uns aber nicht klarmachen, daß das jeweilige Individuum nicht bloß das Recht auf diese Ansprüche der Humanitäts-Teilhabe hat, sondern auch in die Lage versetzt werden muß, sie wahrzunehmen. Dieser Anspruch führte u.a. zum Feminismus, der Rechte erkämpft und damit zu vielen Erweiterungen: Frauenwahlrecht, Mutterschutz und Ehescheidung, Abtreibung, Verhütungsmittel, Frauenhäuser oder Unterstützung von Alleinerziehenden. Genauso wurde der Kampf gegen den Rassismus im Alltag immer differenzierter – denn die Privilegien von Männern oder Weißen waren über Jahrhunderte so verfestigt und in kleinste Alltagssituationen eingeschliffen, daß es noch lange brauchen wird, sie alle aufzudecken. Nicht anders bei der Destigmatisierung von Behinderten oder LGBTIQ – alles mühselig erkämpfte Schritte zu einer evolutionären Entwicklung, zur Kooperation in Gleichheit.

Freiheit und Brüderlichkeit sind als abstrakte Versprechungen wie sie der gewöhnliche FDP-Liberalismus in die Welt bläst, ebenso Talmi wie das Blendwerk von Volk und Vaterland und nur dann glaubhaft, wenn jedermann/frau die Möglichkeit gleichen Zugangs haben. Das setzt Rücksichtnahme und Miteinander voraus – deutlicher: ein Recht auf Rücksichtnahme. Die Konsequenz daraus ist allerdings ein Verlust von Privilegien.

Das wurde mir nie deutlicher als bei der Einführung der „Ehe für Alle“. Schon die Bezeichnung setzt die Gleichwertigkeit aller, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Orientierung etc. voraus. Naive LGBTIQ-Aktivisten verkündeten hoffnungsfroh, die „Ehe für Alle“ nähme doch niemandem etwas weg. Das aber stimmt nicht: sie nimmt Homohassern die bisher legitime gesellschaftliche Vorrangstellung weg, sich richtig, sauber, anständig zu fühlen, als etwas Besseres, ein Mensch erster Klasse zu sein mit der Berechtigung zu mehr und anderen Ansprüchen als andere – dazu gehören nicht zuletzt auch solche „Nebensächlichkeiten“ wie die Themen Renten oder Adoption. Der erbitterte Kampf nicht nur religiöser Fanatiker gegen die „Ehe für Alle“, der im Vordergrunde mit Moral und Traditionen geführt wird – sie sind aber nichts weiter als eingeschliffene Privilegien – ist im Kern ein Kampf um gesellschaftliche Hierarchien, um das Privileg einer Oberklasse von erwählteren Menschen, die sich einbilden, berechtigter zu sein. Und mit dieser Berechtigung wächst ihnen ja auch politische Macht zu. Das wird ganz deutlich an Spott und Häme, mit denen die reaktionäre Aktivistin Birgit Kelle am 19.Juni 2018 die Entscheidung der WHO auf Twitter kommentierte, „Transgender“ von der Liste der psychischen Krankheiten zu streichen. Diese Entscheidung zieht nämlich zwangsläufig viele gesellschaftliche Veränderungen nach sich; Regierungen müssen sich z.B. überlegen ob sie die betreffenden Menschen durch unwürdige psychiatrische Prüfungen jagen, wenn sie ihr Geschlecht angleichen lassen möchten (oder eben nicht). Es muß Entscheidungen geben zur Übernahme der Kosten, Änderungen im Personenstandsrecht, aber vor allem muß sich etwas ändern wenn die Gesellschaft die normierende Zweigeschlechtlichkeit aufbricht – es fällt auch schwer zu erkennen, daß selbst die Kleider“ordnung“ eine Frage der Herrschaft ist! Es muß sich also das Klima entwickeln, das den Betroffenen ein diskriminierungsfreies Leben möglich macht – sprich: sie müssen sich endlich ohne Angst aus den Schatten, in die sie bisher verwiesen wurden, herauswagen können. Und die Gesellschaft muß erkennen, daß es mehr als zwei Geschlechter gibt. Das macht Mühe und Angst.

Denn es gehen Normierung und Hierarchisierung innerhalb der Gesellschaft verloren. Birgit Kelle könnte keine hämisch-beleidigenden Kommentare mehr vom Stapel lassen wie: „Endlich! Krankheiten werden nicht mehr von doofen Fachleuten und Medizinern definiert, sondern von Aktivisten und persönlich Betroffenen.“ – Dieses Abstempeln von Transpersonen als krank, ermöglicht es Kleingeistern wie Birgit Kelle, sich über sie zu erheben, sie als behandlungsbedürftig zu bezeichnen und sich selbst als „normal“ und gesund. Wie denn der Terrorbegriff des Normalen im menschlichen Miteinander eben immer einer der Definition und der Definitionsmacht ist. Die dreiste Kelle weiß schon, weshalb sie ganz generell gegen LGBTIQ kämpft – denn gleiche Rechte nähmen ihr natürlich willkürliche Privilegien zur Rücksichtslosigkeit, des wohligen Hasses und im Ganzen der Selbstaufwertung. Der niederträchtige Mensch fühlt sich immer aufgewertet, wenn er andere abwerten und damit beherrschen kann. – Das bedeutet nämlich „Niedertracht“!

Es scheint nur bei flüchtigem Hinsehen kurios, daß sich Birgit Kelle als „Muttertier“ (so lautet übrigens der Titel ihres jüngsten Buchelaborates) für das überkommene Frauenbild und weibliche Zwangsrollen engagiert. Auch hier geht es ihr um Selbstaufwertung – sie sagt es ja ganz offen, wie andere Antifeministinnen: sie will etwas Besseres sein als die Frauen, die dem alten Rollenbild entkommen möchten. Sie will sich als Muttertier und Brutstätte/Keimzelle des Staates, wie es immer in diesen Kreisen salbadert wird, aufwerten. Solche Ideale von Mutterschaft und der Familie als Keimzelle der Gesellschaft sind der gleiche verlogene völkische Plunder wie Heimat und Vaterland, von denen ich zuvor schrieb.

Daß es bei solchen und vielen anderen repressiven Kämpfen gegen Emanzipationsbestrebungen um schwarzpädagogisch-autoritäre Macht geht, habe ich deutlich gespürt, als etwa Volker Kauder den Ruf nach der Eheöffnung kommentierte: die Homosexuellen sollten „es nicht zu weit treiben“ – man könne auch anders! So drohte er ganz deutlich mit Rückschritten in Sachen Gleichstellung.

Mir haute ein Homohasser damals um die Ohren:

So, es reicht jetzt. Ihr werdet schon nicht mehr ins Gefängnis gesteckt. Mehr gibt´s nicht!

Er ließ mich damit gehässig wissen, wer Herr über meine Gefühle, meine Sexualität und mein Verhalten war: ich bin mehr wert als Du und wenn ich Dir schon ein paar Brosamen an Privilegien – das unverfolgte Leben – zugestehe, sollst du dankbar kuschen.

Ungezählte Frauen werden mir von Ähnlichem berichten können, das sie erlebten, wenn sie versuchten selbst unbedeutendste männliche Privilegien auch für sich zu verlangen. Das Niedermachen einer ZDF-Sportreporterin, die als eine der ersten Frauen (im Jahre 2018!!!) ein Spiel der Fußballweltmeisterschaften kommentierte und die Wellen, die das schlug, machen deutlich, daß der Kampf um Gleichheit einer um Privilegien und Macht – vor allem aber Selbstaufwertung durch die Abwertung anderer ist.

Dumme Auguste und Weißclowns der Männlichkeit

Wankende Gestalten wie Mathias Matussek, der sich seit bald 20 Jahren immer pöbelhafter und schwellkörpermännlich über Feministinnen und Gender ausläßt, bekunden lautstark jammernd den Niedergang ihrer behaupteten und kippenden „Männlichkeit“.

Matussek gibt den dummen August – Björn Höcke dagegen ist der hinterhältige Weißclown der bröckelnden Männlichkeit. Die privilegierte Männlichkeit, die ihm abhanden gekommen ist, wabert im Zentrum seiner rassistischen Ausfälle. Der Wiederaufstieg seines „Vaterlandes“, das wohl darnieder liegt wie seine Männlichkeit, so betont er ja immer mit großem Pathos, könne nur geleistet werden, wenn man ihren Verlust bekämpfe (Übrigens – „DIE Männlichkeit“ ist ein Femininum!). In seinem Interviewbuch verkauft Höcke deshalb ein angeblich neues – eigentlich verwesend altes Frauenbild. Hier unterscheidet sich etwa Birgit Kelle in nichts von ihm: die Frau als Vagina, als Samenamphore des heiligen Vaterlandes mit der angeblich „höchsten und vornehmsten Aufgabe“, dem Staat und dem Führer Kinder zu schenken. Wer möchte bloß Björn Höcke ein Kind schenken?

Was der kleine Höcke im Grunde fürchtet, ist männliche Bedeutungsschwindsucht, die Gleichheit der Geschlechter, die immer noch notwendige Entlarvung maskuliner Großmäuligkeit – schlicht: Machtverlust. Es ist die Angst vor dem, was ich den notwendigen Paradigmenwechsel zu mehr Menschlichkeit, Kooperation und gesellschaftlicher Gleichheit nenne. Denn eines ist klar – der als männlich lobgehudelte „Kampf ums Dasein“ führt eben nicht zum Überleben, schon gar nicht aller (was ja das Ziel der Menschenrechte ist), sondern nur zum Überleben der Privilegierten; ach, in letzter Konsequenz noch nicht mal das. Es ist übrigens deshalb auch kein Wunder, daß diesem sozialdarwinistischen Lebenskonzept der Privilegierten so viele Aristokraten wie etwa Beatrix von Storch aus der AfD huldigen.

Solch aristokratischer Sozialdarwinismus war im Prinzip seit Beginn des bürgerlichen Zeitalters immer auch Endziel des nachäffenden Bürgertums und genau geröntgt von Anfang an selbst des Proletariats. Damit die Dinge so bleiben wie sie sind (sprich: die Art der Machtverhältnisse) muß sich alles ändern – äußerlich. Der Adel wird davongejagt, Bourgeoisie, übernehmen Sie – und indem man dem Zielpublikum der Sozialdemokratie seit Blair und Schröder vormacht, es könne sich ebenfalls neoliberal bereichern und das als Lebenszweck, was zunächst wie eine epochale Änderung wirkt, bleibt doch alles beim korrupten Alten.

Pädagogik der Dezivilisierung

All diese Rechnungen gehen aber nicht auf. Die marktkonforme Demokratur hat Eiter- und Krebsgeschwüre. Das führt zu Depressionen und Unbehagen. Manche sehen in dem Fieber, das zur Zeit die Gesellschaft anheizt, die Möglichkeit zu einer noch größeren Primitivität des Sozialdarwinismus. Alice Weidel hat mit ihrer Tirade gegen die Political Correctness in ihrer Antrittsrede als Parteivorsitzende (sie sieht sich schon als Wiedergängerin von Margaret Thatcher, ihr eingestanden großes Vorbild der Kälte und Skrupellosigkeit) gleichsam einen Startschuß gegeben, Versuche zur Rücksicht, Solidarität und zum Miteinander zunichte zu machen. Ihr schon einmal erwähntes siegsicheres Grinsen der Befriedigung war das eines Attentäters wie Breivik, der gerade das zerstörte, das ihn am Austoben seines Hasses über die Menschlichkeit, und die Zivilisierung hinderte: das Mitgefühl und die Rücksicht. Breivik beschreibt in seinem Manifest, wie man diese Gefühle abtöten muß, um mit straffer Unerbittlichkeit sein männliches Privileg zum Entscheiden über Leben und Tod ausüben zu können. Deshalb grinsen die Protagonisten von Neoliberalismus und Faschismus vor Entzücken mit den verzerrten Lefzen eines Wolfes, der die hindernden Ketten der Zivilisiertheit sprengt und reißend in seine Freiheit entweicht. – Von solchen Momenten „männlicher Größe“ in Akten der Vernichtung bis zum Mord spricht ja auch Himmler in seinen Posener Reden vor SS-Führern, in der er über die Tötungsmaschinerie der KZs berichtet.

Freilich gibt es eine natürliche und eine zivilisatorische Hemmung vor dem Zurückfallen in die Unzivilisiertheit. Diese Hemmung jedoch, kann schon früh systematisch zerstört werden; und sie wird es. Das Mittel dazu heißt „Erziehung!“. Wie das geht? Eine deutsche Systematik zur Zerstörung des Kindes hat in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Arzt und Hochschullehrer Moritz Schreber entwickelt. Er sah das anarchische Kind als Feind der Eltern und „unbehandelt“ als Zerstörer des Staates und pries als Gegenmittel Zucht- und Dressurmethoden; Gewalt, Prügel, Nahrungsentzug und vor allem Mißachtung und die Verweigerung der Liebe. Das alles sollte das Kind so zerstören, bis es nicht mal mehr einen Befehl brauchte, sondern nur noch den herrischen Blick des Vaters, damit es gehorchte. Gleichsam den vorauseilenden Gehorsam des Stockholmsyndroms.

Diese Methoden führten Schrebers eigenen Sohn in die Schizophrenie und als einen der ersten Patienten auf die Couch von Sigmund Freud. Schrebers Methoden vergewaltigten Generationen – aber statt zu rebellieren, wandten sie diese Methoden an den eigenen Kindern an; mehr Folgsamkeit in der Vernichtung gibt es nicht. So sorgten Kinder, die zu Eltern wurden, über Generationen für den Stillstand des Lebens durch die Abtötung des Lebendigen – ein bürgerliches Programm. Deshalb ist der Nationalsozialismus auch kein fataler Zufall der Geschichte…und eine Gestalt wie Björn Höcke auch nach 75 Jahren Nachkriegszeit höchstselbst kein „Fliegenschiss“, sondern das Produkt der konsequenten Fortsetzung patriarchaler Kindszerstörung. Eine „Erziehung“ des „pädagogischen Strafens“ wie sie Höckes Partei-Volksgenosse, der Sachsen-Anhaltinische AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider fordert, bringt solche Figuren wie Höcke hervor, die einerseits mit Herrenmenschen-Eiseskälte von „afrikanischen Ausbreitungstypen“ schwadronieren, aber andererseits mit verlogener Sentimentalität die verlorene „Männlichkeit bejammern.

Das dezidierte Ziel solcher „Pädagogik“ ist das Abtöten von Empfindungen, Verdrängen von Schmerzen und das Zerstören des Gerechtigkeitsempfindens. Mit dem Indianer, der keinen Schmerz kennt, der so schnell ist wie ein Windhund und so zäh wie Leder „erzieht“ man sich das folgsame Kind heran, und den devoten Untertan, der nicht aufmuckt. So darf man sich auch nicht wundern, daß nahezu die gesamte deutsche Bevölkerung widerspruchlos den Nationalsozialisten folgte; und das nicht nur wenn die Nichtbefolgung von Befehlen und Vorschriften Gefahr für Leib und Leben bedeutet hätte.

Wie tief die Mißachtung des Kindes seit je in den Alltag eingedrungen ist und sich Jahrzehnte nach dem Kriege fortsetzte, habe ich an meiner Elterngeneration erlebt, deren zentrales Ziel es noch immer war, das Kind zu brechen, damit es sich in der bundesrepublikanischen Leistungsgesellschaft angepaßt verhielt. Und dieses Brechen der Kinder, das aus ihnen Opportunisten und karrieristische Streber machte, wurde obendrein als pädagogische Liebestat der Eltern hymnisch verklärt: „Ich schlage dich doch nur, damit Du Dich daran gewöhnst. So ist es im Leben, du sollst es doch einmal besser haben als ich!“ – das war das psychische Rückgrat, das gebrochene Rückgrat des Wirtschaftswunders.

Das Erreichen der Wohlstandsziele wurde mit der Zerstörung der Menschlichkeit bezahlt. – Und komme mir übrigens keiner, die jetzige junge Generation sei verwöhnt und überfüttert; im Gegenteil, sie verhungern. Wenn Philipp Amthor bereits als Spätpubertierender Macchiavelli liest, um sich auf ein CDU-Bundestagsmandat vorzubereiten (und es auch gefüttert bekommt für sein Männchenmachen), wenn Christian Linder just nach dem Erhalt des Führerscheins Videos von sich als gutver/gekleideten, dennoch schmieriger Porsche-Geschäftsmann dreht oder Alice Weidel schon beim Abitur davon träumt, Hayek´sche Macht wie Margaret Thatcher ausüben, dann sind das Akte der Kompensation jener Leere und Schmerzunempfindlichkeit, die sie zu Musterschülern der marktkonformen Demokratie machen oder eben auch zu skrupellosen Befehlsempfängern eines Führer Höcke. Da lockt der Porsche, hier der Patriotismus; Verheißungen von Power und Potenz; was ja sowieso eins ist. All jene sind Geschwister des Sohns von Moritz Schreber.

Das Versagen der Intellektuellen

Noch immer wirken die bundesrepublikanischen Intellektuellen wie erschlagen, daß neualte Führer wie Höcke und Gauland oder solche Lautsprecher wie das Pegidapack oder jener nationalsozialistische Schreihals in Köthen, der mit mörderischer Brutalität durchaus glaubhaft rassistische Blutbäder ankündigte, soviel Zulauf und Zustimmung erfahren.

Es geht tatsächlich um die Sprengung von Demokratie, Menschenrechten und Mitmenschlichkeit, um das Errichten einer voraufgeklärten Wolfsherrschaft. Wenn ich Alexander Gauland oder Beatrix von Storch mühsam-moros von AfD-Plakaten grinsen sehe – denen gelingt kein echtes Lächeln – fällt mir die Geschichte der Bestie vom Gévaudan ein: wahrscheinlich ein eigens gezüchteter und scharfgemachter Wolf, der über Jahre eine ganze Region in Angst und Schrecken und vor allem Depression versetzte. Ihr Halter hatte Freude dran…

Daß es diese Wolfsnaturen so weit bringen konnten, kam nicht über Nacht – es wurde vorbereitet mit Gift, das en passent seit dem Anwachsen der neuen Bürgerlich-Bräsigkeit der Kohl-Ära auch in die Köpfe und Herzen der Intellektuellen und Verantwortungsträger (was nicht das gleiche ist) eingeträufelt wurde. Was sich einst für „Links“ hielt, machte gerne mit: der Hofnarr Matthias Matussek ebenso wie der Buchprüfer Thilo Sarazzin, der Verwandlungskünstler Joschka Fischer oder der Dichter der Keule, Martin Walser. Alle wollten wieder „normale Deutsche“ werden…was immer dieser Waberterminus auch bedeutete.

Der raunende Meisterkopf

Im tiefsten Grunde lieben alle Deutschen numinos raunende Meisterköpfe, bei denen sie denken lassen, und so blieb lange Zeit benebelt verborgen, was der Großphilosoph und zeitgeistige Vordenker Peter Sloterdijk in seinen Sphären, Blasen und Schäumen seit seinem Erleuchtungsaufenthalt Ende der 70er Jahre im Ashram des Schwindelgurus Bhagwan tatsächlich ausbrütete.

Sloterdijk gab in 40 Jahren Emanationen von sich, die an Menge dem mystischen Geraune des Thomas von Aquin nahekommt. Der Vergleich mit dem Kirchenlehrer wird ihm zweifellos schmeicheln – ist aber nicht so gemeint, denn Mystiker sind mir zutiefst zuwider.

Tatsächlich gab Sloterdijk gedämpfte Startschüsse zu einem immer schneller werdenden Wettlauf der Refeudalisierung in den Köpfen zurück vor die Aufklärung und die französische Revolution und damit zur Enthumanisierung und zur Reinstallation des Naturrechts, also dem Recht des Stärkeren. Das machte ihn zu einem der über den Wassern schwebenden Gründungsgeister der AfD so wie einst Oswald Spengler mit seinem Untergang des Abendlandes, Carl Schmitt mit seiner konservativen Revolution oder Ernst Jünger mit seinen Gesängen von Krieg und Mannestum Bodenaufbereiter des Nazihumus waren.

Der Fisch stinkt von den Verkopften – und aus solchen Köpfen wurde die Refaschisierung in den letzten drei Jahrzehnten abgezapft und eingeträufelt – im Namen der Ungleichheit. Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist Sloterdijk deutlicher geworden, aber nur wenige bemerkten, was er mit seinem Kauderwelsch anrichtete und welche Gefahr das selbsttätige Genuschel seines Moustachemundes bedeutet; selbsttätig müssen wir gnädig zu seinen Gunsten annehmen, denn wäre er bei Verstand, müßte man ihm bewußte Empathielosigkeit und eiskalte Grausamkeit unterstellen…

Endete Sloterdijk erstes Erfolgswerk, die „Kritik der zynischen Vernunft“ (1983) noch mit dem großen Bedauern über die Getrimmtheit allen Lebens und aller Lebensäußerungen auf den rein materiellen Gewinn und damit das Abwenden von Altruismus und humaner Solidarität und Ethik, schien er seit den „Regeln für den Menschenpark“ resigniert, vielleicht gar kapituliert zu haben angesichts des normativen Verlustes von Religion und Humanismus, angesichts der technischen, politischen und kapitalistischen Möglichkeiten der genetischen Manipulation. Rechtfertigen für seine verworrenen und nach rechts offenen „Regeln“ konnte sich Sloterdijk, indem er auf den von den Nazis falsch verstandenen Nietzsche verwies. Nun war aber mal der geraunte Humbug in der Welt – freundlichere Philosophenkollegen nannten den Aufsatz schlicht „unverständlich“ und verworren. Richard David Precht nahm kein Blatt vor den Mund und bezeichnete Sloterdijks Gemurmel als „Nazi-Jargon“. Das wurmte den Professor aus Karlsruhe enorm, vor allem als ihm Precht als Fernsehphilosoph im ZDF ablöste – und das auch noch mit einer Sendung die dessen Namen trug – nämlich klipp und klar „Precht“. Der ältere und ehrlich gesagt, weniger attraktive, nannte den jüngeren Precht einen „André Rieu für Damen ab fünfzig.“

Ja, auch Großphilosophen können extrem kleinlich sein. Es steht zu vermuten, daß die Absetzung von Sloterdijks „Literarischem Quartett“ seinen immer peinlicher werdenden „Bewußtseinsevokationen“ zu verdanken war. 2010 glänzte er stockfleckig mit Gewusel zur Abschaffung von Steuern und Vorschlägen zu einem Almosenstaat, der es den Besitzenden ermöglichen sollte, noch deutlicher als ohnehin die Politik zu bestimmen, quasi eine fiskalische Basisdemokratur, die selbst der neoliberalen Neuen Zürcher Zeitung suspekt war.

Aber einmal die neoliberale Seite der europäischen und deutschen Rechtsdrift bedienend, wandte er sich Sloterdijk auch der völkischen zu, indem er schaudernd von der demographischen Lendenmacht islamischer Länder raunte, der Erschlaffung des aufgeklärten Westens und das Lob der Grenze und des Nationalstaates angesichts der Flüchtlingsströme im “Cicero“ sang. Zum Erhalt der europäischen Kultur und Identität brauche es „wohltemperierte Grausamkeiten“, gar eine „Zivilisation der neuen Grausamkeit“. Die setze aber eine wiedererstarkte thymotische Männlichkeit voraus („Zorn und Zeit“, 2006) also jene griechisch-antike Zorn-Seelenkraft, die den Trojanischen Krieg in Gang setzte. Es hallte aus dem Sportpalast herüber wie „Nun Volk steh auf und Zorn brich los!“ – oder „Wir sind das Volk!“

Dieser völkisch-maskuline Schwachsinn ausgerechnet von einem individualistisch flachbrüstigen Philosophen basiert in letzter Konsequenz auf einer faschistischen Mißachtung der Ideale der französischer Revolution und der Aufklärung zugunsten einer elitären Ungleichheitsauffassung der menschlichen Gesellschaft, die Sloterdijk ganz deutlich in einer seiner jüngsten Arbeiten, „Nach Gott“ (2017) aussprach.

Für ihn ist der

…Sinn aller Politik die Vertikaldifferenz zwischen Menschen in Horizontaldifferenz umzuwandeln (…) wir dürfen also nicht mehr in ein Höher oder Tiefer, ein Besser oder Schlechter einteilen, sondern müssen die Menschen als Wesen beschreiben, die sich nur noch in der Horizontalen unterscheiden, nicht mehr dem Rang oder gar der existenziellen Wertigkeit nach

 dadurch entstehe eine Verflachung des Menschseins, nach dem Wert des Heiligen und der Kunst werde nun auch noch der Wert der Intelligenz entsorgt.

In ähnlicher Manier, ausgestattet mit Altherrchenerotik, bejaulte Sloterdijk jüngst in seinem Brief, bzw. Mail-Roman, „Das Schelling-Projekt“(2016), die angebliche Nivellierung der Geschlechter durch die Gendertheorie. – Auch wieder ein Klagelied über männlich-erotischen Machtverlust. Oder um es deutlich zu sagen, hinter dem ganzen neurechten Gegreine um die flöten gehende Männlichkeit steckt: die Bangigkeit, nicht mehr zum Schuß zu kommen; auch und gerade beim Philosophen Sloterdijk, dem Ex-Militär und rechten Vordenker Kubitschek und dem Ex-Studienrat Höcke.

„Existenzielle Wertigkeit“

„Existenzielle Wertigkeit“ meint natürlich die Minderwertigkeit der einen und die Höherwertigkeit der anderen. Damit hat Sloterdijk jedes Geflöte von Ethik und Humanismus in seinem Frühwerk zuschanden gedudelt und neuer Geschlechterunterdrückung, neuem Rassismus und Antisemitismus Tür und Tor sperrangelweit aufgerissen.

Wer dieses refeudalisierende bis neofaschistische Denken entlarvte wurde von Sloterdijk als Zuträger des „Lügenäthers“ bezichtigt – das übersetzten die thymotischen männlichen Massen, die bei ihm Rückendeckung und Rückendüngung erfuhren, gleich in die „Lügenpresse“. Das indolente bis kleinliche Herrenmenschengeschwätz krönte Sloterdijk mit dem endgültigen Rundumschlag der Selbsterhöhung, indem er Journalisten, Publizisten und überhaupt allen Intellektuellen bescheinigte, sie seien „reflexhaft fixiert auf den Zwang zur Auflehnung gegen Macht und Mächtige“ – damit hatte „´68“ und die Aufklärung endgültig verraten und verabschiedet..

Wo einer mit solch gottgleichem Donnergroll räsoniert, sind Speichellecker nicht weit. Sloterdijk Muster- und Lieblingsschüler an der Uni Karlsruhe, Marc Jongen, sang dem Meister bereits 2007 in einer Festschrift „klebrig-kriecherische“ Hymnen, fand zurecht der Korrespondent der taz, Rudolf Walter. Jongen salbaderte untertänigst über Sloterdijks Wertigkeit in jener Festschrift:

„Sloterdijk Essenz – Homöopathisches Theoriefläschchen, drin ein Abglanz dieses erstaunlichen Genii sich möchte zeigen, zur allgemeinen Erbauung und [… ]Erquickung. Dargereicht von Marc Jongen.“

Kein Wunder, daß nach diesem Fußkuß Jongens Doktorarbeit über „Tradition und Wahrheit im transhistorischen Äon“ über Peter Sloterdijk und mit Peter Sloterdijk als Doktorvater geschrieben, die Auszeichnung summa cum laude erhielt.

Als nun aber Marc Jongen, solcherlei ausgebildet und abgehärtet wie ein Rhizom Sloterdijks (“aber solche alten Jungfern pflanzen sich durch Knollen fort“, Wilhelm Busch) zum Parteiphilosophen und kulturpolitischen Sprecher der AfD wurde und als Abgeordneter 2017 im Bundestag verkündete, er freue sich, „die Entsiffung des Kulturbetriebes in Angriff“ zu nehmen, da rümpfte Sloterdijk über den Trum, den er in die Welt gesetzt hatte, wegen dessen Tischmanieren die Nase und verstieß Jongen, der gerade seine Habilitation in Angriff nehmen wollte. So ein Pech aber auch. Er läßt öffentlich über seinen Lieblingsschüler kein Wort mehr fallen.

Dabei führte Jongen auch im Bundestag Sloterdijks frühe und späte Nietzschebewunderung einfach faschistisch weiter und damit dessen elitäres Weltbild, das in der Konsequenz natürlich antihumanitär sein muß. Überhaupt nicht mehr verklausuliert erklärt Jongen sich und die Ansinnen seiner Partei in einem Interview, das er Anfang Januar 2018 der ZEIT gab. Aus Nietzsches Übermenschen und Sloterdijks Menschenparkgeschöpfen wird die Sturmflut der AfD-Zukunft.

Man lese dieses Interview als Brechmittel des Salonfaschismus!

Jongen wirft so ziemlich alle Reizbegriffe der Neofaschisten zu jenem unverdaulichen Knäuel zusammen, von dem ich zum Beginn sprach: Volk und Vaterland, ethnisches bis rassistisches Denken, den Sloterdijk´schen Thymos, die Kulturnation, die Vernichtung des Aufbruchs von ´68 und das Eigene, Identitäre und nennt sich selbst inmitten dieses geistigen, jawohl, Misthaufens – denn nichts anderes ist unbrauchbar Verdautes wie diese Jongen´sche Menschenverachtung – Konservativ. Menschlichkeit nennt dieser superhuman Phantasierende einen „neurotischen Humanismus“, der dem Fremden, aber nicht dem Eigenen gelte. Zum Teufel – für wen ist denn der Humanismus überhaupt gut, wenn er nicht dem Fremden gilt – dem Eigenen gilt er ja sowieso! Hier wird der konservative Bürger zum Faschisten!

Steht noch dahin…

Es ist eine Schande, daß nur so wenig Intellektuelle, Künstler und Politiker, die seit drei Jahrzehnten aus der bundesrepublikanischen und dann gesamtdeutschen bürgerlich-konservativen Gesellschaft wuchernde faschistische Renaissance erkannten. Noch schändlicher ist es, daß so viele hereinfielen auf die Verkünder und Apologeten eines national und elitär gerechtfertigten Kannibalismus an der Humanität. Der speist sich im wahrsten Sinne des Verbs aus der Rückabwicklung der französischen Revolution und der Aufklärung, aus der hemmungslosen Neoliberalisierung aller Lebensbereiche, der Trivialisierung der Kultur und Medien, der falschen Sentimentalität von Heimat und Vaterland, der offensichtlichen Wut über männlich-erotischen Bedeutungs- und Privilegienverlust und aus vielen anderer antimodernen Phänomenen. Die AfD und ähnlich geartete neofaschistische Einrichtungen haben daraus einen tatsächlich thymotischen Trum des Zorns zusammengebaut, ein Amalgam des Hasses und der Gewalt wie jene Bestie damals in Frankreich. Sie haben das Monster in unserer ebenso wie das Rokoko kindisch verspielten Zeit freigesetzt, in unserem zerklüfteten Gegenwarts-Gévaudan. Es wütet bereits auf den Straßen und trägt eine Schwarze Sonne ins Gesicht tätowiert. Steht noch, um mit Marie-Luise Kaschnitz zu sprechen, dahin, ob wir es wieder einfangen, einsperren, gar erlegen können… steht noch dahin.

Ob wir davonkommen, ohne gefoltert zu werden

Ob wir eines natürlichen Todes sterben,

Ob wir nicht wieder hungern,

Abfalleimer nach Kartoffelschalen durchsuchen,

ob wir getrieben werden in Rudeln,

wir haben´s gesehen.

Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache erlernen,

den Nächsten belauern,

vom Nächsten belauert werden,

und bei dem Wort Freiheit weinen müssen.

Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett

Oder zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz,

ob wir es fertigbringen mit einer Hoffnung zu sterben,

steht noch dahin, steht alles noch dahin.

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