Silver ist Gold
Zum 90. Geburtstag des Melodie- und Rhythmusgiganten Horace Silver serviert Ulf Kubanke eine Hommage, die jeden Jazz-Muffel aus der Reserve locken wird.
Happy Birthday gen Horace Silver, der am 2. September seinen 90 Geburtstag gefeiert hätte. Formal ist Silver ein Miterfinder des Hardbop, jener Gegenbewegung zum Cooljazz, den er als statisch und etwas steif empfand. Mit seiner legendären Combo The Jazz Messengers, bei der neben Silver auch Drummer-Ikone Art Blakey federführend war, gelang ihm mit „Doodlin’“ 1956 ein früher Standard des neuen Genres. Zusammen mit dem verteufelt eingängigen „The Preacher“ eroberte die Single als Doppel-A-Seite die afroamerikanischen Ghettos. Aus jeder Jukebox, von jedem Plattenspieler sprang es einem unaufhörlich aus allen Ecken entgegen.
Silvers Art, dem Jazz einen speziellen Groove zu verpassen, machte ihn nicht nur als Pianisten, sondern auch als Komponisten und Arrangeur unsterblich. Gospel, Latino-Rhythmen, unterschwelliger Blues, sogar Proto-Soul/Funk mischten sich zum bunten Gebräu, bei dem nicht etwa egozentrisch präsentierte Fingerfertigkeit im Vordergrund stand, sondern pure Sinnlichkeit. Deshalb eignet sich Silver hervorragend für Einsteiger, die sonst mit Jazz jenseits reiner Balladen, poppiger Varianten oder puren Swings eher fremdeln. Wenn man ein Silver-Stück mehrfach hintereinander hört und sich an die Mischung, Eingängigkeit und Komplexität gewöhnt, springt der Funke nach einigen Durchläufen nahezu automatisch über. Wächst sich zum euphorisierenden Buschfeuer aus und erlischt nimmer mehr. Silver dazu:
Ich habe herausgefunden, dass es beim Komponieren nichts schwierigeres gibt als gleichzeitig simpel und tiefgreifend zu sein. Jeder kann einen Haufen komplizierter Noten schreiben, die nicht unbedingt viel zu sagen haben. Doch warum es den Musikern schwer machen, es zu spielen? Warum es dem Hörer schwer machen, es zu hören? Musik sollte den Menschen doch Spaß und Freunde bereiten; sie ihre Sorgen für den Moment vergessen lassen.
Ein besonderer Hinweis gilt dem grandiosen Album „Blowin‘ The Blues Away“, das bzgl. Standards u.a. die wundervolle Ballade „Peace“ sowie die muntere „Sister Sadie“ beherbergt. Ich persönlich mag gleichwohl vor allem seine musikhistorisch herausragendsten, komplett südamerikanisch eingefärbten Stücke. Da wäre zunächst der „Senior Blues“ (von „Six Pieces Of Silver“ 1956). Doch es wird noch interessanter. Silver bereiste Brasilien und zeigte sich höchst angetan von dessen allgegenwärtig pulsierenden Rhythmen. Daneben besann er sich seiner väterlicherseits kapverdisch-portugiesischen Wurzeln. Heraus kommt ein absoluter Klassiker und Gipfelmoment des Jazz: „Song For My Father“ aus dem Jahr 1965.
Besonders der gleichnamige Titelsong jenes Albums, der Jazz und Blues mit flirrendem Latin-Touch kreuzt, eignet sich als musikalische Einstiegsdroge. In nur 7 Minuten nimmt er den Hörer mit auf einen Trip, bei dem unglaublich viel passiert, ohne dass der Track auch nur entfernt überladen klänge. Sein melodisch in die Beine fahrendes Grundthema kennen auch viele, die sonst keinen Jazz hören. Wurde es doch auf nahezu allen Kontinenten in zahlreichen Radio/TV-Shows als Erkennungsmelodie eingesetzt oder als Jingle etc. Danach bluest Silver sich per Piano entlang einer rhythmischen Latinostraße und bleibt tanzbar bis ins Mark. Im Verlauf taucht ein marodierendes Saxofon auf, das sich bereitwillig anstecken lässt, songdienlich ein wenig ausflippt und wieder herunterfährt, bevor das Ausgangsthema den Sack so richtig zu macht. Nach spätestens drei Durchläufen hängt man willenlos an der Plattennadel. Denn wie Silver schon sagt: „Jazz hat Heilungspotential. Er wirkt wie Medizin für Herz und Seele.“
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