Über Mengele schreiben? Wie?

„Das Verschwinden des Josef Mengele“ positioniert sich zwischen Doku und Fiktion. Und die Frage drängt sich auf: Was gewinnt der Text durch die fiktionalen Anteile?


Es ist sicher richtig, das berühmte sogenannte Diktum Adornos eher als Herausforderung denn als stehendes Gebot zu begreifen. Anders hielt es ja letztlich auch Adorno nicht.

Die Lektüre eines Roman wie Das Verschwinden des Josef Mengele stößt allerdings auch wieder darauf, wie viel Einsicht in dem Satz steckt. Und dabei geht es weniger um eine moralische als um eine ästhetische Frage. Wie, wo der Mensch das Kunstschaffen doch so wenig lassen kann wie das Atmen, über die größte Barbarei der Menschheitsgeschichte schreiben? Ein Text, der darauf keine Antwort findet, droht nicht nur den Nationalsozialismus zu verharmlosen oder gar zu erheben, es knirscht vor allem auch ästhetisch im Gebälk: Der Text funktioniert höchstwahrscheinlich einfach nicht richtig.

Der Roman

Das Verschwinden des Josef Mengele erzählt das Leben des Josef Mengele nach dessen Flucht 45 bis zum Tod in Brasilien 1980. Es dauerte lange, bis Mengele ins öffentliche Interesse rückte, und so ist das größtenteils unbehelligte Leben des Kriegsverbrechers, die längste Zeit unter seinem richtigen Namen, nicht perfekt erforscht und noch weniger öffentlich bekannt. Das Verschwinden des Josef Mengele versucht, diese Lücke mittels eines Tatsachenromans zu füllen, und so oft das Werk ausgezeichnet wurde: es vermag nicht wirklich zu überzeugen. Autor Olivier Guez bereitet die Fakten auf, macht ein Publikum, das sich vielleicht noch nicht damit beschäftigt hat, mit dem Weiterleben nationalsozialistischer Strukturen in der Bundesrepublik bekannt, analysiert recht scharfsinnig den Peronismus und die Nazistrukturen in Lateinamerika. Aber schon die Erzählperspektive macht das Ganze unglaublich holprig: Sie wirkt, als kreise im indirekt freien Stil eine Kamera um Innen- und Außenleben des Josef Mengele. Doch so wie aus dem Inneren des KZ-Arztes berichtet wird, kommt kaum mehr als ein 08/15 Gefühlsleben eines Emigranten zu Tage (der freilich ganz und gar Nazi geblieben ist), an anderen Stellen dann werden Kriegsverbrecher Kriegsverbrecher und Kriegsverbrechen Kriegsverbrechen genannt – und es ist offenkundig nicht mehr Mengele, durch den die Szenerie gefiltert wird. Das alles wirkt etwas unmotiviert, wie Angst vor der eigenen Courage den Text konsequent aus Mengele heraus im Sinne einer Banalität des Bösen zu arbeiten. Oder: wie eine späte Einsicht in die Mängel der Mengele-Methode, aus der aber nur noch halbherzige Konsequenzen gezogen werden.

Warum Fiktion? Ja, warum eigentlich…?

Es stellt sich einfach mit jeder Seite die Frage nach dem Mehr, das der Text liefert, indem er als Roman verfasst wurde und nicht als klassische Biografie. Brüche, sei es durch chaotisch wirkende Überladung wie in Pynchons Die Enden der Parabel, durch die Einbettung des Hässlichsten ins Schönste wie in Bolanos 2666 oder Stern in der Ferne tun sich praktisch nicht auf. Höchstens an der einen Stelle, an der Mengele von seiner Frau in die Wüste geschickt wird, weil die ebenso, wie sie sich einst dem KZ-Arzt andiente, nach dem Krieg nichts mehr von ihm wissen will (eine Spiegelung der Art und Weise, wie nicht wenige Deutsche ihre jüdischen Partner in die Wüste schickten). Da kann man mal trocken auflachen. Aber viel mehr gelingt literarisch nicht. Weder spiegelt der Texte die kalte, vivisektionistische Attitüde, die man dem KZ Arzt zuschreiben könnte, noch zeichnet er ihn konsequent banal, so dass der Leser am Ende über das eigene Mitleid erschrecken könnte.

Es ist nicht zwingend barbarisch, über Auschwitz zu schreiben. Doch man sollte jeden Text erstmal angehen, als sei er das. Das Verschwinden des Josef Mengele macht daraus eine Routineaufgabe. Das liest sich ganz in Ordnung, höhere Weihen verdient es aber nicht.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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