Die Geständnisbegleiter
In Fällen der notwendigen Verteidigung ordnet das Gericht dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger bei. Wenn der Beschuldigte selbst keinen Verteidiger kennt, wählt das Gericht selbst einen aus. Das Verfahren ist bedenklich.
Bereits vor drei Jahren wies ich auf die Problematik der Auswahl von Pflichtverteidigern durch das Gericht hin und machte einen Reformvorschlag. Passiert ist bisher nichts.Ein Grund für mich, noch einmal nachzulegen.
Zur Problematik:
In § 140 StPO sind die Fälle geregelt, in denen einem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden muss. Dort heißt es:
§ 140
Notwendige Verteidigung
(1) Die Mitwirkung eines Verteidigers ist notwendig, wenn
1. die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
2. dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4. gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a oder einstweilige Unterbringung nach § 126a oder § 275a Absatz 6 vollstreckt wird;
5. der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird;
6. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7. ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9. dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.
(2) 1 In anderen Fällen bestellt der Vorsitzende auf Antrag oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. 2 Dem Antrag eines hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen.
(3) 1 Die Bestellung eines Verteidigers nach Absatz 1 Nr. 5 kann aufgehoben werden, wenn der Beschuldigte mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung aus der Anstalt entlassen wird. 2 Die Bestellung des Verteidigers nach Absatz 1 Nr. 4 bleibt unter den in Absatz 1 Nr. 5 bezeichneten Voraussetzungen für das weitere Verfahren wirksam, wenn nicht ein anderer Verteidiger bestellt wird.
Das ist ein ganz wichtiges Recht des Beschuldigten, dessen Verletzung zu einer Aufhebung des Urteils in der Revision führt. Der Beschuldigte kann und sollte sich selbst um einen Verteidiger kümmern, der bereit ist, seine Verteidigung zu übernehmen. Tut er das nicht, wird die Auswahl durch das Gericht getroffen.
In § 141 Abs. 1 StPO heißt es dazu:
§ 142
Auswahl des zu bestellenden Pflichtverteidigers
(1) 1Vor der Bestellung eines Verteidigers soll dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu bezeichnen. 2Der Vorsitzende bestellt diesen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht.
Im Klartext bedeutet das, dass das Gericht demjenigen, der keinen Verteidiger seiner Wahl benennt, einen Verteidiger beiordnet, den es selbst auswählt.
Ohne Wenn und Aber
Und da liegt ein erhebliches strukturelles Problem. Aufgabe des Verteidigers ist es, ohne Wenn und Aber die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Das gilt auch für den Pflichtverteidiger. Zur Verteidigung gehört es auch, dem Gericht permanent auf die Finger zu sehen, Beweisanträge zu stellen, Befangenheitsanträge zu stellen, Zeugen zu befragen usw.
Es dürfte kein Geheimnis sein, dass eine effektive Verteidigung dem Gericht eine Menge Arbeit bescheren kann. Und da liegt das Problem. Wie in allen anderen Berufsgruppen, gibt es auch bei den Verteidigern solche und solche. Und warum sollte ein Gericht sich ausgerechnet einen Verteidiger aussuchen, der auch als Pflichtverteidiger wirklich akribisch alles tut, um die Interessen seines Mandanten zu wahren? Warum sollte es nicht lieber einen auswählen, mit dem es weniger Stress gibt? Nun, es gibt tatsächlich Gerichte, die da aus Gründen der inneren Überzeugung einen anstrengenderen Verteidiger bestellen. Verständlich ist aber angesichts der Gesetzeslage, die dem Gericht da eben völlige Freiheit lässt, dass das Gericht einen ihm eher angenehmen Verteidiger wählt.
Gerade auf der Ebene der Amtsgerichte – aber auch bei Landgerichten – habe ich häufig erleben dürfen, dass das Engagement des Verteidigers sich in erster Linie auf eine reibungslose und schnelle Erledigung des Hauptverhandlungstermins richtete. Das ist wiederum aus Sicht des Verteidigers irgendwie nachvollziehbar, da es für ihn keine höheren Gebühren gibt, egal ob die Hauptverhandlung eine Stunde oder vier Stunden dauert. Erst ab fünf Stunden gibt es einen Aufschlag von 50% und erst nach acht Stunden einen solchen von 100%. Da kann dem ein oder anderen schon in den Sinn kommen, sein Geld als Geständnisbegleiter zu verdienen und so in vier Stunden gleich vier Termine hintereinander zu absolvieren, während der engagierte Kollege für einen Termin vier Stunden braucht.
Berichte von Verteidigerinnen und Verteidigern
Eine spontane – nicht repräsentative – Umfrage unter einer Gruppe von Strafverteidigern und Fachanwälten für Strafrecht aus ganz Deutschland ergab, dass dieser Typ Pflichtverteidiger offenbar an den meisten Gerichten existiert.
Die Kollegen bezeichneten diese Wohlfühlverteidiger u.a. als Vertragsanwälte, die Tonlosen, Festangestellte, Palliativanwälte oder Verurteilungsbegleiter. Die Verachtung für solche Berufskollegen ist nicht zu überhören.
In keinem anderen Bereich des Strafverfahrens ist die Gefahr eines Missbrauchs zulasten des Beschuldigten höher, als in diesem. Da es für die Auswahl des Pflichtverteidigers keine Kriterien gibt, die das Gericht zu beachten hätte, ist sie schon von der Systematik her eine willkürliche. Die absolute Unabhängigkeit des Verteidigers vom und gegenüber dem Gericht ist von elementarer Bedeutung für die Qualität der Verteidigung. Und diese Unabhängigkeit ist gefährdet, wenn ein Verteidiger damit rechnen muss, dass er im Falle einer effektiven und womöglich auch recht konfrontativen Verteidigung in künftigen Fällen nicht mehr als Verteidiger beigeordnet wird.
Wie dreist manche Richter mit diesem Umstand hantieren zeigt ein Beispiel eines Kollegen aus Hamburg:
Ich bin in grauer Vorzeit häufiger von einem Richter am hiesigen Amtsgericht beigeordnet worden, bis ich eines Tages gegen eines seiner Urteile Berufung eingelegt habe. Der Richter rief mich noch am selben Tage – es war ein Freitag – an und herrschte mich an, wie ich dazu komme, gegen sein Urteil Rechtsmittel einzulegen. Er wolle außerdem jetzt in Urlaub und habe daher keine Zeit, das Urteil noch zu begründen. Der Zusammenhang zwischen Urlaub und Begründung ist mir niemals ganz klar geworden. Das war jedenfalls das letzte Mal, dass ich von diesem Richter irgendetwas gehört habe.“
Oder eines Kollegen aus Düsseldorf, der dazu schreibt:
Ähnliches ist mir auch passiert. Regelmäßige Beiordnung in Jugendschöffensachen, bis der Tag kam, als ich dem Herrn Vorsitzenden (in einer Einzelrichtersache) deutlich „gebeten“ habe, meinen Mandanten, der ohnehin vor Nervosität keinen vernünftigen Satz sprechen konnte, nicht ständig zu unterbrechen, sondern ihn im Zusammenhang sprechen zu lassen. Gut, ich habe dann noch einen etwas patzigen Nebensatz angehängt, den ich mir hätte sparen sollen, aber ich war eben sehr genervt. Seitdem keine Beiordnung mehr und nicht einmal ein „Guten Tag“ auf dem Gang. Die Verhandlungen sind seitdem sind noch frostiger als ohnehin. Ich finde das Verhalten äußerst unprofessionell und kindisch.“
Zwei Beispiele von vielen, die aber klar machen, wo das Problem liegt.
Money. Money, Money
Verteidiger erhalten ja kein regelmäßiges Gehalt, sondern müssen sehen, dass sie genug zu tun haben. Gerade junge Kollegen tun sich da mitunter noch recht schwer, sich vom Vorsitzenden nicht einschüchtern zu lassen. Schlimm, aber durchaus nachvollziehbar, wenn der ein oder andere dann schon mal z.B.einen Befangenheitsantrag trotz Vorliegens der Voraussetzungen nicht stellt, weil er sich bei seinem „Brötchengeber“ nicht unbeliebt machen will.
Ein Kollege aus dem Ruhrgebiet schreibt:
Bei uns gibt es am AG eine Richterin, die einen ganzen Vormittag mit derselben Kollegin in 6-7 Sachen durch verhandelt und das regelmäßig!“
6 – 7 Sachen an einem Vormittag sind dann auch mit Pflichtverteidigergebühren ein anständiges Tageshonorar von 4-5000.–€, auf das niemand gerne verzichten möchte. Mag ja auch sein, dass die genannte Kollegin ganz toll ist, aber in der StPO steht nun nichts vom Highlander-Prinzip, wonach immer nur der gleiche Pflichtverteidiger ausgewählt werden darf.
Manche Beiordnungskritierien kommen dann auch eher zufällig zutage:
Mandant, den ich bereits mehrfach verteidigt habe, der 350 Meter von der Kanzlei wohnt, von Hartz IV lebt, keinen Führerschein oder Pkw hat, betäubungsmittelabhängig ist – dies ist dem Vorsitzenden alles bekannt – erhält einen Pflichtverteidiger beigeordnet, zu dem er 30 km anreisen muss. Dieser ist Fachanwalt für Insolvenzrecht und Versicherungsrecht. Ich telefoniere mit dem Kollegen und dieser stimmt auch sofort einer Umbeiordnung zu. Auf meine Bitte, ob er dies dem Gericht noch kurz schriftlich bestätigen könnte, antwortet er, dass dies nicht notwendig sei, er könne dies dem Richter am nächsten Tag beim Stammtisch gerne persönlich bestätigen, falls notwendig.
Ein anderer Kollege schreibt:
Man muss man nur brav zum inneren Kreis derer gehören, die an der jährlichen Karnevalsfeier des AG teilnehmen: Richter, Gerichtsbedienstete, Anwälte, Betreuer und deren Büropersonal. Bin neulich noch auf die Fresse gefallen bei einem Betreuer, dem gegenüber ich den Namen eines solchen Kollegen erwähnte, der als Anwalt und Berufsbetreuer die Strafverteidigung seiner Klienten auch gleich abgreift. Da wurde der Betreuer recht eindringlich: „Herr XY, wir sind hier alle per Du. Wir leben in derselben Stadt und wir feiern zusammen Karneval. Seien sie sich darüber im Klaren, dass wir uns alle kennen und man bestimmte Dinge nicht macht….“
Nun möchte ich einige wichtige Dinge nicht unterschlagen. Zum einen gibt es die vom Rechtsstaat und vom Wert einer effektiven Verteidigung überzeugten Richter, deren Souveränität es ihnen erlaubt, auch einen unangenehmen Verteidiger beizuordnen.
Und zum anderen gibt es auch durchaus viele Pflichtverteidiger, die in Pflichtsachen nicht anders verteidigen, als in Wahlmandaten und einen guten Job machen. Ob die das dann lange machen, steht auf einem anderen Blatt. Es gibt durchaus auch Wahlverteidiger, die weniger die Interessen des Mandanten als ihre eigenen im Auge haben. Den richtigen Verteidiger zu finden ist daher gar nicht so leicht. Und auch ein Wahlverteidiger kann ein Vollpfosten sein.
Ein Kollege drückte das so aus:
Den Wahlverteiderpfosten hat sich dann aber der Mandant rausgesucht – insbesondere ohne das Wissen um die Pfosteneigenschaft. Bei den Pflichtis, um die es hier geht, hat der Richter exakt diesen Pfosten bewusst aufgrund seines Pfostenseins ausgesucht. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Dennoch ist das ganze Auswahlsystem für Pflichtverteidigungen ein großes und überflüssiges Risiko für Vetternwirtschaft und – wie man hier im Rheinland sagt – Klüngel. Der Strafprozess beruht auf dem Prinzip der Waffengleichheit. Auf der einen Seite die Staatsanwaltschaft, die sich zwar als objektivste Behörde der Welt betrachtet, tatsächlich nun aber einmal als Ankläger auftritt und auf der anderen Seite der Angeklagte und sein Verteidiger. Dazwischen bzw. darüber, weil als Entscheider, das Gericht. Diese Waffengleichheit kommt aber gewaltig aus dem Lot, wenn auf der einen Seite des Duells ein Unbewaffneter erscheint oder einer, der nur mit Platzpatronen schießt.
Es ist ganz erstaunlich, dass dieses kranke Beiordnungssystem seit Jahrzehnten Bestand hat. Okay, die Verteidigten können in aller Regel die Qualität ihres Verteidigers nicht einschätzen. Das sind ja auch häufig Personen, die zuvor nie mit der Justiz zu tun hatten. Die „Profis“ unter den Angeklagten nennen meistens sofort ihren erwünschten Stammverteidiger oder haben genug zurückgelegt, um gleich mit einem Wahlverteidiger aufzulaufen; die wissen, wie der Hase läuft. Aber gerade die Neulinge unter den Angeklagten, die nicht einmal einen Anwalt, geschweige denn einen Strafverteidiger kennen, sind auf Gedeih und Verderb der Auswahl des Gerichts überlassen.
Versuchung
Und führe uns nicht in Versuchung, heißt es im Vater unser. Und hier ist es genauso. Sowohl Richter als auch Verteidiger werden durch dieses elende Auswahlrecht des Richters in Versuchung geführt. Das müsste aber gar nicht sein.
Richter reagieren häufig pikiert, wenn man sie direkt auf die Beiordnungshandhabung anspricht. Sie reden dann gerne von richterlicher Unabhängigkeit, in die sie sich nicht durch Listen und ähnliches Gedöns hineinreden lassen wollen. Okay, machen wir die Richter einfach noch etwas unabhängiger und nehmen ihnen diese Auswahl komplett ab.
Warum wird dieses Verfahren nicht in die Hände derer abgegeben, die ebenso als Organ der Rechtspflege tätig sind wie die Richter, nämlich die Rechtsanwälte. Was spricht dagegen, wenn sich interessierte Verteidiger bei den Rechtsanwaltskammer in Listen eintragen lassen, dabei zum Beispiel auch ihre Verteidigungsschwerpunkte mitteilen und die Anwaltskammer dann dem Beschuldigten eine Auswahl von geeigneten Verteidigern aus dieser Liste mitteilt und, falls der Beschuldigte sich dazu nicht äußert, per Losverfahren einen Verteidiger auswählt? Von den Listen könnte die Kammer sich im Rotationssystem bedienen. Klar kann der Beschuldigte dann auch an jemanden geraten, der ihn suboptimal verteidigt, aber das ist dann jedenfalls niemand, den der Richter selbst sich ausgesucht hat. Und es ist vor allem niemand, der in die Gefahr gerät, künftig nicht mehr berücksichtigt zu werden, wenn er dem Richter nicht nach dem Mund redet oder ihm in den Darm kriecht.
Die Strafverteidigervereinigungen haben im Mai 2018 ein Papier veröffentlicht, das umfangreiche Änderungsvorschläge enthält.
In der Vergangenheit ist einiges an der StPO herumgeschraubt worden, was die Rechte der Verteidigung und damit letztlich auch die Rechte der Beschuldigten beeinträchtigt hat. Weitere Einschränkung sind in Planung. Hier könnte der Gesetzgeber mit relativ einfachen Mitteln eine strukturelle Missbrauchsmöglichkeit zulasten der Beschuldigten beseitigen. Mein Wunsch an Justizministerin Barley ist es, sich dieses Problems einmal anzunehmen.
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