Der Fremde und der Fluss des Wahnsinns – Zum 75. Geburtstag Robbie Robertsons

Sie kennen Robbie Robertson nicht? Doch, fast jeder hörte seine Musik – etwa als Begleiter Bob Dylans, Hitlieferant für Weltstars oder Filmkomponist etlicher Scorsese-Streifen. Zum 75 Geburtstag gratuliert Ulf Kubanke mit einer Hörmal-Kolumne.


Catch the blue train, look for me somewhere down the crazy river. (Robbie Robertson)

„Ich bin halb indianischen, halb jüdischen Ursprungs und dazu aus Kanada. Die besten Voraussetzungen, um in den USA Karriere zu machen.“ Trotz aller Ironie Robbie Robertsons: Er hat weit mehr vollbracht. Ohne ihn wäre die Musikwelt heute eine ärmere. Als Sohn einer Mohawk und eines jüdischen Spielers kann er ein Lied vom allgegenwärtigen Rassismus singen und tut dies auch. Mit Manischewitz warb sein Vater um die Hand der Geliebten. Die Mohikaner packten daraufhin tatsächlich die Friedenspfeife aus. Heraus kam eines der größten musikalischen Talente jüngerer Geschichte. In diesen Tagen wurde Robbie Robertson 75 Jahre alt.

Ich mache Musik, weil ich auf der Suche nach etwas bin. Hoffentlich finde ich es nie, sonst verlöre sich vielleicht der Drang, immer weiter zu machen.

Robertsons unablässiges Goldgräbertum förderte manches Nugget zutage. Mit The Band prägt er den frühen Roots-Rock der 60er bis 70er. Als Bob Dylans Begleitband gestaltet er bereits 1964/65 dessen Umstellung von akustischem Folk zu elektrischem Rock. Ohne Dylan schenkt Robertsons Truppe der Popkultur u.A. die Antikriegs- und Protesthymne „The Night They Drove Old Dixie Down“; vielen bekannt in der Joan Baez-Version oder als Juliane Werdings Abwandlung „Am Tag Als Conny Kramer Starb“ .

Robertsons ist gleichermaßen hochkarätiger Melodiefischer wie Geschichtenerzähler. Entsprechend gern nahmen Weltstars wie Aretha Franklin, Rod Stewart, Johny Cash, Diana Ross oder Ringo Staar dessen Songs auf. Die Kundenliste reicht bis zu Hardrockcombos Marke Def Leppard, die Fanliste bis zu den Nine Inch Nails. Als Produzent gestaltet er Alben von Hockkarätern wie Van Morrison, Neil Diamond oder Tom Petty.

Obwohl sein Name nicht jene glamouröse Berühmtheit der genannten Kollegen aufweist, kennt so gut wie jeder Filmfreund seine Musik. Nachdem Martin Scorsese 1978 den letzten Gig von The Band aufnahm, entstand eine tiefe Freundschaft und kreative Verbindung. So stammen große Teile in Scorseses Filmmusik aus Robertsons Feder. Von „Wie Ein Wilder Stier“ über „Casino“ bis hin zum „Wolf Of Wall Street“ hat der Kanadier mehr als nur ein Händchen im Spiel. Mitte der 90er wagt er sich mit dem Soundmeister von Massive Attack/Björk sogar an moderne Klänge, die er mit Musik der Native Americans verbindet.

Eine Platte steht im Zentrum. Die selbstbetitelte erste Solo-LP von 1987 vereint unter anderem Peter Gabriel, U2 oder Ivan Neville als willige Wasserträger. Sie alle werden Teil eines Welterfolgs, dessen kraftvolle Mischung aus raffiniertem Rock/Pop plus dezent eingewobenen indigenen Elementen zum Besten gehört, was die 80er hervorbrachten. Wer Robertsons Gitarre samt vielfältiger Soundideen hört, die er mit Kumpel Daniel Lanois produzierte, vernimmt einen Mann, der sich Gitarre und Piano rein autodidaktisch beibrachte, ohne je konventionelle Noten gelernt zu haben. Seine Stories schwelgen zwischen Realismus und Mystik, Historie und Gegenwart. „Die Musik taugt, wenn man es schafft, die Geister von Luft, Erde, Feuer und Wasser zu wecken und gleichzeitig zu besänftigen.“

Zwei Songs stechen heraus. „Somewhere Down The Crazy River“ schillert so bläulich wie Nächte im Mondlicht. Dazu untermalt pulsierende Percussion eine erotisch greifbaree Spannung. Der Fremde stranded zwischen Voodoo und Sex bei einer geheimnisvollen Frau namens Madame X und lässt sich hernach wieder treiben gleich dem Fluss.

Das zupackende Groovemonster „Testimony“ mausert sich zum Signaturlied, nach dem er Jahre später seine Autobiografie benennt.

Im Alter lässt Robertsos Intensität nicht nach. Für sein 2011er Werk „How To Become Clairvoayant“ schart er so unterschiedliche Freunde wie Trent Reznor, Tom Morello (Rage Against The Machine) und Eric Clapton um sich. Sie setzen die magische Geschichte um Madame X fort. Als intensiver Höhepunkt schält sich ein in sich ruhender, obschon dramatisch umspülter Tango heraus („Tango For Django“), den er Django Reinhardt widmet. Was für ein berückendes Juwel!

 

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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