Reiz mich nicht auf!

Die Mittelschule Osterhofen im Landkreis Deggendorf verpackt ihre Schülerinnen in unförmige T-Shirts.
Aber natürlich nur die, die zu “aufreizend” sind.
Eine Gastkolumne von Tia Berger


Frühmorgens um halb vier möchte man definitiv andere Dinge sehen, als das: Drei Mädchen im geschätzten Alter zwischen zwölf und sechzehn Jahren, aufgereiht wie die Orgelpfeifen, in unförmige T-Shirts gesteckt und präsentiert von einem grenzdebil grinsenden Erwachsenen, der mit angewinkeltem Arm den Fokus auf ebenjene Mädchen setzt.

In dem dazugehörigen Artikel von Antenne Bayern heißt es:

Wie kurz darf ein Rock sein? Wie tief darf ein Ausschnitt blicken lassen? Wenn die Temperaturen steigen, dann wird die Kleidung knapper und freizügiger. An der Mittelschule Osterhofen wird das nicht gern gesehen. Dort gibt es jetzt weite, bedruckte T-Shirts, die übergezogen werden können, wenn die Kleidung der Schülerinnen in den Augen des Lehrerpersonals zu aufreizend ist.

Aufreizend

Aufreizend… Das Wort hallt in meinem unterkoffeinierten Schädel wider, während ich mir die unverpixelten Gesichter der Mädchen noch einmal betrachte. Eigentlich, denke ich angewidert, fehlt da nur noch das große rote “A” auf der Brust. Damit auch gleich jeder weiß, was für sündige Schlampen an dieser Schule rumlaufen.

Womit wir schon bei dem Punkt wären, der mich so aufregt. Diese Art der “Uniform” stigmatisiert junge Mädchen. “Ihr wart böse! Ihr habt mehr Haut gezeigt, als ihr durftet! Hier, tragt dieses Shirt der Schande!” Jeder an dieser Schule wird sofort wissen, welches “Verbrechens” sich diese Mädchen schuldig gemacht haben. Mobbing dürfte vorprogrammiert sein. Und wenn wir schon einmal dabei sind: Wieviel Haut darf man eigentlich zeigen? Oder nicht zeigen, damit man als “Heilige” oder “Hure” kategorisiert wird? Wo wird da die Grenze gezogen? Messen die Lehrer nach, wie viel Quadratzentimer bedeckt sind? Und wie kommen Lehrer dazu in ihren Schülerinnen etwas anderes zu sehen, als junge Menschen, denen sie Wissen vermitteln sollen?

Gerade Pädagogen sollten wissen, dass man zwischen zwölf und neunzehn Jahren eine menschliche Katastrophe ist. Alles ändert sich, Hormone übernehmen die Steuerung, plötzlich sind da Körperteile, die man vorher nicht hatte. Mit diesem neuen Körper muss man erst einmal lernen, zu leben. Ihn anzunehmen. Ihn zu mögen. Und das ist in diesem Alter ein täglicher Kampf.

Falsches Zeichen

In dieser Unsicherheit einem Mädchen noch einzureden, dass ihr Körper gefälligst verhüllt werden muss, weil er andere “aufreizt”, ist ein völlig falsches Zeichen. Was mag in dem, ohnehin schon überforderten, Kopf eines jungen Mädchens vorgehen, wenn ihm klar wird, dass der weibliche Körper etwas ist, das man zu verbergen hat, wenn man “ein gutes Mädchen” sein will. Und ein gutes Mädchen hat man gefälligst zu sein, sonst …

Was sollen denn die Nachbarn sagen? Oder: “Wenn du vergewaltigt wirst, bist du selbst schuld!” Den Mädchen wird ein weiteres Mal eingetrichtert, dass “Frau sein” bedeutet, “Opfer” zu sein, “Objekt der Begierde” zu sein, “schuldig” zu sein. Das bleibt im Kopf. Es setzt sich fest und über die Jahre hinweg wird Frau sich immer wieder fragen, ob sie “angemessen” angezogen ist, oder korrekt agiert und nicht “zu fordernd” ist. So wird das nichts mit den selbstbewussten Frauen, die unabhängig ihren Weg gehen und sich einfach selbst lieben.

Weil sie es können.

Weil sie toll sind.

Sollten wir das nicht unseren Töchtern vermitteln?

Und sollten wir unseren Söhnen nicht vermitteln, dass Frauen kein Freiwild sind? Dass sie nicht das Recht haben, ein knappes Top als “Einladung” zu interpretieren? Aber statt Fortschritte zu machen, wird lieber der Rückschritt ins Mittelalter propagiert. Mädchen, die gerade versuchen mit diesem “neuen Körper” klarzukommen und ihre Grenzen austesten, werden von den eigenen Lehrern bloß gestellt und diffamiert. Man könnte die Mädels auch gleich über den Hof treiben und mit fauligen Tomaten bewerfen lassen. Für die Psyche ist das auch nicht schlimmer.

Bigotterie

Auf der einen Seite werden junge Mädchen also “angezogen”, während auf der anderen Gleichaltrige “ausgezogen” werden sollen. Schließlich geht ein Kopftuch ja gar nicht! “Das sexualisiert Kinder! Das ist pervers! Können sich die Kerle in dieser Kultur nicht zusammen reißen? Ein Mädchen kann schließlich tragen, was es will!!! Drölf!!” Die Bigotterie darin muss ich nicht erklären, oder?

Hier ein kleiner Hinweis für alle Befürworter dieser Stigmatisierung: Pubertierende haben das Recht, sich geschmacklos oder knapp anzuziehen. Nein, sie haben sogar die verdammte Pflicht, es zu tun! Man ist nur einmal sechzehn (oder jünger) und soll die grottigsten Modesünden mit machen, Punk, Goth oder Hipster sein und sich Lidstriche ziehen, die krumm, schief und dick sind wie Hochspannungsleitungen.

Das ist das Recht der Jugend.

Sie lernen es doch erst.

Das nennt man “seinen eigenen Stil finden”.

Ohne dass jemand den eigenen Körper zum “Reiz-Thema” erklärt.

Tia Berger

Tia Berger ist selbstständige Barhufpflegerin und Mitautorin der "Spiegelberg" Bände. Sie schreibt hauptsächlich über die dunklen Seiten der menschlichen Natur. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Autor und Referenten für Sucht- und Gewaltprävention, Alfred Berger, bemüht sie sich, den Menschen die Furcht vor sich selbst zu lehren

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