Die Schwester des Mondes – Eine Kolumne für Stevie Nicks

Ulf Kubankes Hörmal-Kolumne mit einer Hommage an Stevie Nicks zu ihrem 70. Geburtstag.


Just like the white winged dove
Sings a song, sounds like she’s singing
Whoo, whoo, whoo!
(Stevie Nicks – „Edge Of Seventeen“)

Los Angeles Ende 1974: Die überarbeitete Kellnerin ist restlos bedient. Alle bereits greifbaren Pläne gingen schneller in Rauch auf als die im Mundwinkel hängende Zigarette. Sie sang im Vorprogramm von Jimi Hendrix und Janis Joplin. Das brachte keinen Schub. Ihr Debütalbum? Ein Flop sondergleichen! Der Plattendeal? Futsch! Nun schiebt sie seit gut einem Jahr Doppelschichten als Bedienung und Putzfrau, während ihr privater und musikalischer Partner im gemeinsamen, schäbigen Einzimmer-Appartment mit Pfeifferschem Drüsenfieber daniederliegt. Es bräuchte ein Wunder, die Karriere von Stephanie Lynn Nicks und Lindsey Buckingham zu retten.

Das Wunder heißt Mick Fleetwood. Auf der Suche nach einem passenden Tonstudio landet er im heute legendären Soundcity. Zum Beweis herausragender Klangqualität spielt Keith Olsen ihm das dort aufgenommene „Buckingham/Nicks“-Album vor. Der Fleetwood Mac-Chef zeigt sich höchst beeindruckt und ruft das Paar an. Kurz darauf ist die Band ihre Personalquerelen los und Stevie den lästigen Kellnerjob.

Kalifornien 2018: Zum 70. Geburtstag blickt Stevie Nicks auf eine einzigartige Laufbahn zurück. Mit Fleetwood Mac mutierte sie zum Weltstar. Solo setzt sie noch einen drauf. Nicks gilt als eine der wichtigsten Songwriterinnen aller Zeiten, popkulturelle Stilikone und Vorbild weiblicher Emanzipation im Showbiz. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Fleetwood zunächst nur an Buckingham interessiert war. Erst Lindseys „Nicht ohne meine Freundin! Beide oder keiner!“ bescherte der Band ihr ultimatives Gesicht. Mick: „Seit über 40 Jahren zieht sie mich damit auf.“

Wo liegt das Geheimnis dieser Alphafrau? Sicherlich in ihrer widersprüchlichen Mischung. Einerseits verkörpert Nicks das typische Westcoast- Mädchen von nebenan. Eine sexy Blondine, die jeder zur Freundin oder als Kumpel wollte, deren luftiger Folkpop immer haarscharft zwischen Tradition und Moderne wandelte. Daneben steht die mystische Zauberin mit wallenden Röcken, rauchigem Timbre und geheimnisvollem Charisma. Zwischen beiden Figuren springt sie nach Belieben hin wie her.

„Ihre Platten sind echt gut. Aber live haut sie einen um.“ sagt Jack Black zu Joan Cusack in „School Of Rock“. Diese Einschätzung trifft punktgenau ins Schwarze. Besonders deutlich hört man dies in „Rhiannon“. Während die Studiofassung jegliche Emotion häppchenweise portioniert, erstrahlt die Nicks-Komposition vom 1975er Album „Fleetwood Mac“ live in ungezügelt eruptiver Wildheit. Es bleibt ein Manko, dass man es im Studio oft weder in der Band noch solo verstand, diesen quirligen Geist adäquat aus der Flasche zu lassen. Nicht umsonst liegen diverse Fleetwood Mac-Alben mitlerweile in erweiterten Ausgaben vor, die Konzerte mit Stevie umfassen.

https://www.youtube.com/watch?v=py3w5fttedA

Welche Stücke braucht man unbedingt? Als weiteren, unverzichtbaren Höhepunkt empfehle ich „Sisters Of The Moon“ („Tusk“, 1980). Es unterstreicht, welch brillante Songwriterin Nicks ist, so sie sich in Form befindet. Letzteres ist zumindest solo keine Selbstverständlichkeit. Trotz großen Erfolges bieten Alben wie „The Wild Heart“ (1983) oder „Rock A Little“ (1986) so manchen Füllsong. Das kam nicht von ungefähr. Zeitweilige Abhängigkeit von Alkohol und Kokain forderte erheblichen Tribut. Stevies bester Freund, Tom Petty, erwies sich als rettender Engel. Als sie ihn bat, ihr ein paar Lieder auf den Leib zu schneidern, lehnte er ab. Stattdessen machte er ihr klar, wie gut sie wäre, wenn sie „von dem verdammten Zeug endlich loskäme“. Gern betont Nicks, die auch Ehrenmitglied von Pettys Heartbreakers war, wie dankbar sie ihm dafür sei. Beide arbeiteten bis zu seinem Tod mehrfach zusammen. Bester gemeinsamer Song ist sicherlich der Ohrwurm „Stop Draggin‘ My Heart Around“.

Selbiger stammt vom 1981er Solo-Debüt „Bella Donna“, ihrem Meisterwerk. Die Produktion setzt Passagen balladesker Intimität ebenso gelungen in Szene, wie Stevies rauhe Seite. Das Titelstück oder „Kind Of Woman“ fangen die ganze Intensität ihrer Bühnenpersönlickeit ein. Aller Spirit kulminiert hernach im rockenden Übersong „Edge Of Seventeen.“

Nicht minder souverän ist ihr Humor. Gefragt nach dem Gefühl des Alterns entgegnet sie: „Tja, momentan bin ich solo und führe keinerlei Liebesbeziehung. Aber ich bin optimistisch, dass sich das bis zum 75. wieder ändert.“

https://www.youtube.com/watch?v=Q2tMHY2NrBk&feature=youtu.be

 

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

More Posts

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert