Schreib’s mir hart und schnell …

Tina Schlegel berichtet über die Gefahren, die das Sich-in-eine-virtuelle-Person-Verlieben mit sich bringt und befürchtet, dass es mit der neuen Dating-Funktion von Facebook nicht besser werden wird


Das ist wieder so eine Überschrift, von der ich selbst nicht weiß, weshalb sie mir in den Sinn gekommen ist. Ist nach meinen letzten beiden Texten, wo sich je eine schöne Frau hingebungsvoll im Gender-Wahn fürs Foto räkelte und eine Dame halbnackt auf der Motorhaube eines Autos posierte aber irgendwie nicht ganz unpassend. Ha, apropos Foto: Die Bildauswahl zu dieser Kolumne bereitet mir jetzt schon Kopfzerbrechen … „Schreib’s mir hart und schnell“ – das Verlieben im digitalen Zeitalter, jetzt da Zuckerberg plant, auf Facebook eine Dating-Funktion einzuräumen. Ich habe diese Nachricht wie zahlreiche andere mit einem Lachen kommentiert und dem Satz, dass es das für viele ohnehin schon längst sei.  Nun frage ich mich, was sich ändern wird und viel wichtiger: wird es besser? Ist ja dank vieler Partnervermittlungsbörsen im Internet nicht ganz neu, dennoch glaube ich, Facebook hat hier als irgendwie „geschlossene Abteilung“ eine Sonderstellung. Aus mehreren Gründen.

 

Die Zeit der Wanderschnecke

Angeblich ist es der Zeitmangel, der so viele Menschen zu Partnervermittlungen treibt. Dass sie jetzt ihre Energie bündeln können und nur noch bei Facebook sein müssen, ist für manche gewiss von Vorteil. Facebook erfüllt dann einen weiteren Zweck, sogar offiziell. Allein ich fürchte, dass sich der Umgangston, der oftmals herrscht, auch in Liebesdingen einnisten wird, denn Facebook ist vor allem ein riesiger Beschleuniger – für Meinungen und Worte und Wutausbrüche – und eben auch für Liebesdinge. Alles geht hier schneller, wer länger dabei ist, merkt es selbst. Wenn er kompatibel ist, wird er selbst schneller, um mithalten zu können in der virtuellen Welt. Wer eher die Natur einer Wanderschnecke hat, der kommt irgendwann an den Punkt: „Wenn ich jetzt nicht das Bild von meinem Sonntagsfrühstück poste, dann kann ich es gleich bis zum nächsten Sonntag aufheben.“ So ist das, mit den Fotos vom Sonnenuntergang ebenso wie mit jenem Foto vom Croissant neben der Kaffeetasse bis hin zum schlauen Kommentar über Frau Nahles, dieser schreienden Hornisse. Nichts für ungut, aber seit ich sie kenne, ist sie mir zu laut. Hornissen an und für sich sind freilich beeindruckende Tiere, halt immer ein wenig auf Krawall gebürstet. Muss doch gar nicht sein, dieses ständige nach vorne und sich bemerkbar machen. Die Guten werden ja auch so gesehen.

Na egal, die Wanderschnecke also merkt, dass ihre eigene Zeit nicht reicht für Facebook und lehnt sich im besten Fall mit verschränkten Fühlern entspannt zurück. Ob sie jetzt ein Dating Portal besuchen wird? Sicher nicht, während sie bei Tinder etwa noch überlegt, wischen oder nicht, da hat der Betreffende sein Profil schon dreimal gelöscht und erneuert. Da vergeht selbst der Lust-gewilltesten Schnecke der Appetit. Die anderen, die Schnellen und Ehrgeizigen, die immer mithalten wollen und sich auch in der Kreisliga-Mannschaft des dörflichen Fußballvereins bis zum Beinbruch gegen andere Schienbeine geworfen haben, blicken gierig auf die Timeline und die Kommentarflut und bald vielleicht schon auf die Dating-Funktion. Dabei hat Facebook ja längst diese Funktion, die neue Freunde vorschlägt, die kann man ja auch schon „durchwischen“, vielleicht kann man sich demnächst nur bindungs- und/oder paarungswillige Freunde vorschlagen lassen?

Der neue Mut

Was mich beunruhigt ist die Tatsache, was Facebook aus vielen Menschen macht. Die virtuelle Distanz verleiht Mut und merkwürdige Sätze sprudeln aus so manchen heraus. Dabei ist es doch oft nur ein künstlich erzeugtes Selbstbewusstsein, eines, das die Komplexe im realen Leben nur vorübergehend verdrängen kann. Diese vermeintliche Möglichkeit mit allen und jedem in Verbindung sein zu können, Freunde zu sammeln und seine Meinung überall kundtun zu können, verleiht das Gefühl von Bedeutsamkeit. Vielen jedoch fehlt das Abstraktionsvermögen, dass es eine rein virtuelle Bedeutsamkeit ist und dass diese Bedeutsamkeit sich eher selten in das reale Leben zurückführen lässt, denn dort stehen sie ja alle wieder: die größeren und kleineren Probleme und Schwächen und alle freuen sie sich über die Rückkehr ihres Herren. Das wäre alles gar nicht schlimm, Schwächen gehören zu jedem Menschen dazu. Schlimm wird es nur, wenn jemand nicht zu ihnen stehen kann und kurz davor noch mächtig auf den Putz gehauen hat und einfach auch null Humor hat. Rein virtueller Mut ist Feigheit versteckt hinter einem Facebook-Account. Blindgänger im wahrsten Sinne des Wortes und nur daher am Rechner und mit der Welt verbunden, weil das Internet neutral bleibt und weder IQ noch Benehmen von Nöten sind, einen Anschluss zu erwerben.

Weltmännisch kommt sich heute vielfach der vor, der ein paar 1000 Freunde besitzt und regelmäßig für alberne Sprüche 100 Likes kassiert. Genau diese Typen glauben, jede Frau haben zu können. (Hier sei angemerkt, dass ich aus meiner Perspektive als Frau schreibe, mag andersherum auch gelten.) Das fängt mit dem Sammeln von „Freundinnen“ an und mündet bisweilen in Angebote wie: „Ich will Deine Stiefel lecken“ … Hm, denke ich mir, ok, aber lass mich vorher noch schnell auf den Reiterhof, damit es sich lohnt!“ Ich weiß nicht, ob diese Menschen in einer Kneipe je Erfolg mit solchen Sprüchen hatten, ich vermute eher nein, aber will mich da jetzt auch nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen.

Hoffnungslose Romantiker und letzte Worte

Und dann gibt es die anderen, die wunderbaren bis hoffnungslosen Romantiker, die ein winziges Foto sehen und darin ihre Traumfrau zu erkennen glauben, die auch nett sind und höflich und alles, die sich selbst aber so in ihre Idee vom anderen verlieben, dass dem gar keine Zeit bleibt überhaupt nur nach dem Namen zu fragen. Schon erfolgt die erste Liebeserklärung und das wiederholte Nachfragen, wann man denn nun endlich mal und überhaupt, wo doch alles so gut passe …  Was genau? In was verliebt man sich denn da überhaupt? In eine Idee, die eine Collage aus Schnappschüssen und bunten Sätzen ist. Und selbst wenn man dann telefoniert und sich sympathisch ist – fängt hier tatsächlich das Verlieben an und findet seine Fortsetzung im Sehen und Küssen? Manchmal vielleicht, manchmal stolpert das Gefühl irgendwo zwischen der Fantasie und dem Alltag, zwischen Unsicherheit und Erkenntnis. Eine Fortsetzung ist weder garantiert noch eine logische Konsequenz zum Verlieben in die Stimme des anderen am Telefon. Und wenn dann etwas schief geht oder nicht so funktioniert wie erträumt, dann ist die Enttäuschung riesig.

Den wild und ständig fliegenden Kuss-Smilies und Herzen folgt dann halt das „letzte Wort“ und dann das Entfreunden. Kennt man ja aus den Debatten auch schon. Zack und vorbei mit der Liebe, mit dem Streit, mit der Diskussion. Ich denke an das Duellieren unserer Vorfahren, dieses Lauern auf das Umdrehen, das Heben der Waffe, den ersten Schuss – heute: das böse, harte Wort des anderen, um dann ein noch böseres Hinterherzuschießen, um anschließend schnell die Verbindung zu kappen. Jetzt würde ich gern den Smilie setzen, der die Augen verdreht, aber naja, hier im Text, wär ja auch blöd. Es gibt ja auch noch Worte!

Inzwischen gibt es ja sogar die Snooze-Funktion bei Facebook, um den anderen stillzulegen (hab ich alles gelernt, man glaubt es nicht) – auch das ist im digitalen Zeitalter ungeheuer leicht und schnell erledigt. Alles geht so unheimlich leicht und schnell. Das letzte Wort behalten bekommt damit eine ganz eigene Dimension. Recht bekommt, wer technisch schneller handelt. Irgendwie allerdings liegt der Verdacht nahe, dass sich Charaktereigenschaften aus der realen Welt in der tatsächlich irgendwie geschlossenen Abteilung von Facebook schlichtweg potenzieren.

Bahnhof der verlorenen Herzen

Ich kann mich nicht in ein Foto verlieben. Es kann Interesse wecken, wie sich jemand darstellt, ob er über sich selbst lachen und auch mal fünfe gerade sein lassen kann, wie er in Konfliktsituationen reagiert, ob er beispielsweise Transferleistungen herstellen kann und nicht nur in schwarz-weiß-Kategorien denkt. Dann kann ich im besten Fall neugierig auf ein Telefonat oder gar ein Treffen werden. Immer unter dem Vorbehalt, dass es dennoch nicht funkt. So ist das nun einmal. „Ich bin verliebt“ ist dafür auch kein flotter Spruch, den ich mal eben von meinem Sofa aus poste, auch mehr als ein Post mit Herz oder sonst einem Emoticon, die uns alle doch ein wenig verschwenderisch mit unseren vermeintlichen Gefühlen umgehen lassen. Geht halt so easy, ich versteh schon. Ich muss übrigens gestehen, zweimal habe ich mich auf etwas eingelassen, das bei Facebook seinen Anfang nahm. Zweimal war es im Vorfeld sehr vielversprechend, weil die Gespräche ganz wunderbar waren, Telefonate bis nach Mitternacht, weil keiner den Hörer auflegen will. Der Nervenkitzel vor dem ersten Treffen, jeweils am Bahnhof – ein wunderbares Klischee, herrlich vorab am Telefon visioniert.

Einmal war das erste Sehen ein herber Rückschlag, trotz Foto, da passte nichts zusammen mit dem Gefühl, das ich in den Telefonaten aufgebaut hatte, ein schlimmer Moment, das andere Mal war sogar das Sehen schön, dennoch waren die Gefühle und Erwartungen  nicht in dem Tempo vereinbar, wie sie sich aufgebaut hatten. Das ist gar nicht so leicht, sich so kennenzulernen. Mit diesem Beschleuniger im Rücken, dieser Überholung der realen durch die virtuelle Welt. Facebook hat aus vielen Geschwindigkeitsjunkies gemacht, die Dating-Funktion wird das erst Recht nicht entschleunigen können; keine gute Basis für Gefühle.

Für Wanderschnecken ist da absolut kein Platz – bis die jedes Herzchen auf seinen Wahrheitsgehalt untersucht haben; ach, herrje … Und wie immer plädiere ich für eine große Portion Humor, Selbstironie sowieso und vor allem gute Musik, das rettet vieles!

Tina Schlegel

Die Kolumnistin Tina Schlegel ist Kulturjournalistin und Autorin. Für die Zeitung schreibt sie über die schönen Dinge im Leben – Kunst, Musik, Theater und Literatur. In ihren Romanen dagegen lotet sie die düstersten Abgründe der Menschen aus und erschrickt oft selbst beim Schreiben. Doch genau so muss es sein: Texte, die fesseln und nachhaltig im Gedächtnis bleiben oder wenigstens eine hübsche Idee wecken, können bleiben, alles andere kann weg, findet sie. Für die Augsburger Allgemeine schrieb sie eine wöchentliche Kolumne über das LiebesLeben einer Alleinerziehenden mit Kind, denn wer über sich selbst lachen kann, hat es grundsätzlich viel leichter im Leben. Nach rund 20 Umzügen quer durch Deutschland lebt sie heute mit ihrer Tochter und einer diäterprobten, aber dennoch übergewichtigen Katze im Unterallgäu und liebt das Leben schon sehr. Die Kolumne: Liebesgeflüster im Haifischbecken Seit sie von ihrer Zeitung für ihre Kolumne als „Alleinerziehende, die gerne denkt“ angekündigt wurde, überlegt Tina Schlegel ob das stimmt. Ihrer Chancen auf sozialen Anschluss hatten sich mit diesem Teaser in der Kleinstadt ohnehin erledigt, steht hinter dieser Beschreibung (gewissermaßen auf ihrer Stirn) doch eindeutig das Prädikat „kompliziert“, blieb also viel Zeit zum Nachdenken. Irgendwann aber lehnte sie sich zurück und gestand sich ein, ja, sie denkt ausgesprochen gern und ausführlich nach. Überraschend oft hat es mit Liebe zu tun, aber als Tochter eines Berufssoldaten und einer Friedensbewegungsaktivistin ist sie im politischen Diskurs groß geworden. Unpolitisch kann sie daher nicht einmal über Kitsch nachdenken … Oder doch? Tina Schlegel im Netz Tina Schlegel ist mit ihrer Autorenseite auf Facebook vertreten und kann selbstverständlich auch abonniert werden. Zwei Romane sind bislang von ihr erschienen: „Schreie im Nebel“ (Emons Verlag, Oktober 2015, ISBN 978-3-95451-723-7) und „Die dunkle Seite des Sees“ (Emons Verlag, April 2017, ISBN 978-3-7408-0078-9), zwei weitere Bücher sind für 2018 geplant.

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