Mission impossible – Integration?
Der dpa-Korrespondent Can Merey hat ein Buch über die langjährigen Bemühungen seines Vaters, Deutscher zu werden, geschrieben. Am Ende stehen Enttäuschung und die Frage, ob und ggf. wie Integration überhaupt gelingen kann.
Im Klappentext heißt es:
Tosun ist der Sohn eines Istanbuler Papierfabrikanten, im Herbst 1958 kommt der junge Türke nach Deutschland – noch vor den Gastarbeitern. Nach dem Studium heiratet er Maria, die von einem bayerischen Bauernhof stammt, und gründet eine Familie, in der nur Deutsch gesprochen wird. Tosun wird Manager in einer deutschen Firma und deutscher Staatsbürger. Er beginnt, auf Deutsch zu träumen, und sogar sein Gaumen passt sich deutschen Gepflogenheiten an: Er entwickelt eine Vorliebe für Schweinebraten und Weißbier. Doch heute, sechzig Jahre später, zieht Tosun eine ernüchternde Bilanz. Zwar hat er alles unternommen, um sich zu integrieren. Dennoch wurde ihm immer wieder bedeutet, dass er weniger wert sei als ein „echter“ Deutscher. Ganz anders erging es seiner Schwester, die damals in die USA auswanderte – und dort nie Diskriminierung erfuhr. Der Journalist Can Merey erzählt die Geschichte seines Vaters. Nach der Lektüre erscheint das Leben der drei Millionen Deutschtürken in neuem Licht – und die komplexe Beziehung Deutschlands zur Türkei.
Das Verhältnis zwischen Deutschen und Türken ist angespannt. Die aktuelle politische Lage macht es nicht leichter. Mit Argwohn und Verwunderung beäugen Deutsche insbesondere das Verhältnis von Deutschtürken, also deutschen Bürgern mit türkischen Wurzeln, zum türkischen Staatspräsidenten Erdogan. Schon der deutsche Begriff „Deutschtürke“ lässt vermuten, dass ein Deutscher mit türkischer Herkunft schlechte Karten im Hinblick auf die Akzeptanz seines Deutschseins haben könnte. Haben sie schon mal was von Deutschdänen, Deutschbelgiern oder Deutschitalienern gehört? Die Begriffe mag es geben, aber so leicht von der Zunge wie Deutschtürke gehen sie nicht.
Die Macht des Namens
Can Merey, deutscher Sohn eines ursprünglich türkischen Vaters und einer deutschen Mutter, bemerkt die seltsame Distanz, die alleine der türkische Klang seines Namens auslöst, auch heute noch. Wie bereits Hasnain Kazim , der ja nun ebenfalls ein Deutscher ist, wird auch er dafür gelobt, dass sein Deutsch so gut sei. Da kann man sich ja eigentlich nur an den Kopf packen, denn warum sollte das Deutsch eines deutschen dpa-Korrespondenten nicht gut sein? Es zu loben, wenn jemand seine Muttersprache perfekt beherrscht, ist schon eine Form von unterschwelligem Rassismus.
Merey geht der Frage nach, warum seinem Vater trotz aller erfolgreicher Bemühungen, wie perfekter Beherrschung der deutschen Sprache, des Abschlusses eines Studiums an einer deutschen Hochschule, langjähriger Managementtätigkeit für deutsche Unternehmen, er am Ende immer noch nicht wie jeder andere Deutsche behandelt wird. Nun, Tosun Merey jammert nicht, er gibt auch nicht „den Deutschen“ die Schuld, aber er ist erkennbar und nachvollziehbar enttäuscht, dass das Land, das er zu seinem gemacht hat und dessen Bräuche er – einschließlich Schweinebraten und Weißbier – nicht nur angenommen, sondern verinnerlicht und lieb gewonnen hat, ihn nach all der langen Zeit immer noch spüren lässt, dass er nicht wirklich dazu gehört.
Meine Naivität
Ich gestehe, dass ich mir über diese Problematik noch nie größere Gedanken gemacht habe. Ich hatte in meiner grenzenlosen Naivität angenommen, dass jemand der hier lebt und arbeitet, die Sprache spricht und die deutsche Staatsbürgerschaft hat, auch von allen als Deutscher angesehen und behandelt wird. Aber vermutlich sollte man nicht von sich selbst auf andere schließen. Alleine deswegen sind die Erfahrungen von Tosun und auch Can Merey lesenswert.
Neben den persönlichen Geschichten beschäftigt sich Merey aber auch mit anderen interessanten Aspekten im Zusammenhang mit der Diskriminierung von „Türken“, mit der politischen Situation in Deutschland und der Türkei und weiteren Themen.
Die Reaktionen auf Bewerbungen, die bei ansonsten identischer Qualifikation wahlweise mit einem deutsch klingenden oder türkisch klingenden Namen abgegeben wurden, sind beeindruckend eindeutig.
Verschlossene Türen
Auch ich war bisher eher der Meinung, dass Integration in erster Linie von dem Bewerber für die deutsche Staatsbürgerschaft erbracht werden müsste. Sprachkurs, Kenntnis der geltenden Gesetze und kulturellen Besonderheiten usw. Aber was nützt das alles, wenn die deutsche Gesellschaft das erfolgreiche Integrationsbemühen mit einem müden Lächeln abtut und den neuen Deutschen spüren lässt, dass er in ihren Augen der ewige Türke und ewige Gast bleiben wird. Die Türen bleiben verschlossen.
Vor diesem Hintergrund gelingt es mir auch wesentlich besser, die Faszination zu verstehen, die Erdogan auf viele Deutschtürkische – ich nenn die jetzt einfach künftig so, weil es ja Deutsche sind – ausübt. Er gibt ihnen das Gefühl der Anerkennung und der Wertschätzung, das sie hier in Deutschland offenbar vermissen. Das betrifft selbstverständlich nicht alle, aber doch eine ganze Menge.
Gespräche
Interessant sind auch die im Rahmen der Recherche für das Buch geführten Gespräche. So unterhielt sich Merey unter anderem mit seinem früheren Korrespondentenkollegen in Afghanistan, Armin-Paul Hampel , der zum großen Erstaunen des Autors mittlerweile Karriere in der AfD gemacht hatte und bis Januar 2018 Vorsitzender des Landesverbands der Partei in Niedersachsen war. Noch spannender das Gespräch mit dem deutschtürkischen Polizeibeamten Farih Sarikaya, der in die AfD eintrat, weil er dort eine Politik für Recht und Ordnung und die Unterstützung der Polizei erwartete. Ein halbes Jahr nach dem Gespräch mit Merey hat er die Partei wieder verlassen.
Beim Besuch seiner Tante, die wie der Vater die Türkei verlassen hatte, aber nach Amerika ausgewandert war, stellt Can Merey fest, dass der Migrationshingtergrund in den USA jedenfalls für die zweite und dritte Generation keine wirkliche Rolle mehr spielt. Das türkische „Blut“ ist hier eher eine exotische biografische Verzierung. Die Kinder und Enkel der Tante betrachten sich als Amerikaner und werden dort auch wie Amerikaner behandelt. Dass es in den USA keine Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe gibt, bedeutet das allerdings nicht. Warum das in Deutschland anders ist, kann auch Mereys Buch nicht erklären, es kann das Phänomen aber anhand zahlreicher Beispiele sichtbar machen.
Futter für Identitäre?
Vordergründig scheint dieses Buch den Integrationskritikern und Identitätsapologeten Futter zu liefern, die ohnehin der Meinung sind, dass Deutschsein etwas derart Herausgehobenes ist, dass es nur den durch viele Generationen Eingeborenen gelingen kann. Es wäre traurig, wenn das die Quintessenz des Buches wäre und dieses von Rechten als Beleg für die These genutzt würde, eine Intergration sei gar nicht möglich. Tatsächlich hält das Buch dem Leser den Spiegel vor und macht sehr nachdenklich, was den untergründigen Rassismus in der deutschen Gesellschaft angeht. Dachten wir nicht, das Nachkriegsdeutschland habe eine offene Gesellschaft entwickelt, fernab jedes Nationalismus? Dem scheint nicht so zu sein, auch wenn nur ein kleiner Teil am rechten Rand sein stereotypes „Ausländer raus“ brüllt. Diese vielleicht 10% am rechten Rand der Gesellschaft könnte man getrost vernachlässigen, wenn denn die anderen 90% anders denken und – was vermutlich noch viel wichtiger ist – anders fühlen würden.
Resignation
Man kann Tosun Merey schlecht vorwerfen, er habe es nicht lange genug versucht, als Deutscher angenommen zu werden. Aber seine Resignation kann man zum Anlass nehmen, sein eigenes Verhältnis zu Deutschen anderer Herkunft zu überprüfen, zu fragen warum die deutsche Zivilgesellschaft und auch der Staat sich im Gegensatz z.B. zu Amerika oder auch Kanada so schwer tun, neue deutsche Bürger wirklich als Deutsche anzunehmen und nach erfolgreicher Integration auch als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft zu betrachten.
Das Buch macht über weite Strecken fassungslos, weil es Deutschland erfolgreich gelungen ist, einen Deutschen letztlich aus dem Land zu treiben. Ganz ohne staatlichen Zwang, ganz ohne nachvollziehbaren Grund. War Tosun Merey zu empfindlich? Hätte er mit dem in Deutschland Erreichten nicht zufrieden sein können? Mag sein, dass er da eben noch deutscher ist, als er selbst vermutet hat. Es muss doch nicht alles perfekt sein.
Kein Jammerbuch
Nun glauben Sie bitte nicht, dass dieses Buch ein Jammerbuch wäre und der Autor im vorwurfsvollen Ton daherkommt. Nö, das tut er nicht. Das Buch ist humorvoll, unterhaltsam und aufgrund des hervorragenden Stils des Autors mit Genuss zu lesen. Es ist gerade keine plumpe Anklage gegen die deutsche Gesellschaft, sondern vielmehr der äußerst gelungene Versuch, sich dem Thema Integration einmal aus einem anderen Blickwinkel zu nähern. Wenn schon der gebildete, integrationswillige und integrationsfähige Ausländer nicht angenommen wird, woher sollte dann der mit weniger Talenten gesegnete „Gastarbeiter“ seine Motivation nehmen, sich bei uns wirklich zu integrieren? Wenn Kinder und Enkel von „Gastarbeitern“ sehen, dass sie und ihre Eltern auch nach vielen Jahren noch nicht wirklich akzeptiert und als eine Art minderwertige Bürger angesehen und behandelt werden, woraus sollten sie überhaupt noch eine Motivation entwickeln, Deutsche zu werden? Warum sollten sie dann nicht zu einem autokratischen Präsidenten fernab von Deutschland aufsehen, der ihnen Achtung verschafft und ihnen zumindest verbal Wertschätzung zukommen lässt und die Deutschen in die Schranken weist?
Ich habe mich als Mitglied einiger deutsch-türkischer Diskussionskreise immer wieder gefragt, warum manche Diskutanten mit türkischem Hintergrund häufig so erregt auf deutsche Kritik an Erdogan reagieren. Nach diesem Buch bin ich da deutlich schlauer. Es ist das Verdienst Can Mereys, mir hierfür die Augen geöffnet zu haben. Vielleicht war es von Vorteil, dass ich erst vor kurzem Hasnain Kazims Buch „Krisenstaat Türkei“ gelesen hatte, das nicht minder empfehlenswert ist. Die Kombination dieser beiden Bücher hat einiges an meiner Sicht über die Türkei, aber mehr noch meine Sicht auf Deutschland verändert. Dafür gebührt den Autoren mein Dank.
Can Merey wird ab 1. Juli die Leitung des Regionalbüros Nordamerika der Deutschen Presse-Agentur in Washington übernehmen. Ich hoffe sehr, dass er auch diese neue Erfahrung in einem weiteren Werk verarbeiten wird. Mindestens einen Leser hat er schon sicher.
Can Merey, Der ewige Gast
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(* empf. VK-Preis)Paperback, Klappenbroschur ISBN: 978-3-89667-605-4 Erschienen: 10.04.2018
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