Widerstand, Widerstand, Widerstand

Bei jeder Demonstraton von Besorgtbürgern schallt der Ruf nach Widerstand. Merkel muss weg, ist die Parole. Aber wie ist das eigentlich mit dem Recht auf Widerstand? Wann ist das gegeben?


Einer steht in Hamburg auf einer aus zwei Bierkisten improvisierten Bühne – obwohl er auch ohne die groß genug ist, um die überschaubare Menge der Demonstranten zu überragen. Ein begnadeter Kulturjournalist, früher Kulturchef des SPIEGEL und eine von wenigen Edelfedern im Land. Okay, nicht jeder, der gut schreiben kann, kann auch gut reden. Aber vielleicht liest er seine groß angekündigte Rede an das Volk auch nur etwas linkisch ab, damit er den Text posten kann. Die Rede tröpfelt so dahin. Bis zu dem Moment, wo die Menge beginnt, „Widerstand,Widerstand, Widerstand“ (ab 13:22)  zu skandieren. Da ballt auch er die Faust und ruft Widerstand ins Mikrofon. So leicht kann man Menschen glücklich und gleichzeitig Werbung für ein neues Buch machen.

Der nächste steht nicht auf zwei Bierkisten. ist auf einem selbst veröffentlichen Bild zu sehen. Mit nacktem Oberkörper steigt er wie ein nicht mehr ganz so junger Gott aus dem Wasser, hinter ihm ein graues Wolkenbild. Der Retter naht, oder so. Dazu textet er:

Als Waldgänger habe ich mich über Ostern in einen Teil Mitteleuropas zurückgezogen, der nicht in der EU ist: die Karpaten-Ukraine. Mit neuer Kraft geht’s wieder los!“

Ach ja, der Waldgang. Ernst Jünger. Der wird auch gerne genommen, wenn‘s wieder mal a bisserl Widerstand mehr sein darf. Hält Dr. Krah sich ernsthaft für einen Waldgänger? Widerstand im demokratischen Rechtsstaat? Vermutlich ja.

Zwei Menschen, denen man keine Dummheit unterstellen sollte. Und dennoch zwei, die mit dem Begriff des Widerstands hantieren, ohne ihn zu begreifen.

Aber nicht nur Rechte, Konservative, Reichsbürger, Nationalisten und Rassisten führen diese Parole im Munde. Das können auch Atomkraftgegner, Antifaschisten oder andere Gegenetwasseiende (das war für Clemens).

Widerstand ist hip

Widerstand ist in aller Munde, Widerstand ist hip, Widerstand klingt nach Heldentum. Der bringt Stimmung in die Bude.

Auch das Grundgesetz kennt das Widerstandsrecht. Art. 20 Absatz 4 GG lautet:

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Endlich mal etwas, was nur für Deutsche gilt, jubilieren die Rechtsausleger und träumen schon von Bürgerwehren unter dem flatternden GG-Banner, wahlweise in blau oder braun gegen herannahende Heerscharen marodierender Ausländermassen. Denn die gilt es ja offenbar aktiv zu bekämpfen, weil sie doch nur zu dem Zweck hierhin kommen, den deutschen Staat auszuplündern, sich wie die Karnickel zu vermehren, deutsche Frauen zu vergewaltigen, Männer zu hauen und mit Messern zu stechen und natürlich „die Scharia“ einzuführen. Die Vordenker mögen das ja eventuell ganz anders gemeint haben, aber das ist nun mal das, was bei ihren Widerstand-Fans angekommen ist.

Deutschland verschwindet in einer Masse wilder Islamisten, wenn wir nichts dagegen unternehmen

So werden wohl auch die beiden Uwes gedacht haben, als sie ihre Mordserie durchgeführt haben. Retter der Deutschen, verkannte Helden. Oder auch Anders Behring Breivik, der zwar nicht die Deutschen, aber dafür die echten weißen Norweger erhalten wollte und dazu erst mal jede Menge von denen ermordet hat. Das waren sowieso nur Linksgrünversiffte. Die müssen ja auch alle weg, damit der wahre Europäer seine Identität bewahren kann. Nebst Osterhasen und Heimatministerium.

Retter der Nation

Ja, es ist verlockend, sich unter der Fahne des gerechtfertigten Widerstands heldenhaft als Retter der Nation aufzuführen und um der guten Sache wegen hemmungslos erst zu hetzen und dann aufzuräumen. Jeder anständige deutsche Held hat sein Volk im Blut watend vor dem Verderben gerettet. Oder auch nicht.

Selbst weniger tatkräftige Zeitgenossen als die bereits tätig gewordenen Terroristen bilden sich ein, sie hätten ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht, Straftaten zu begehen, wenn dies nur Ausdruck ihres Widerstands gegen das selbst empfundene staatliche Unrecht ist.

Nein haben sie nicht!

Das Widerstandsrecht ist am 24.6.1968 im Zusammenhang mit der sogenannten Notstandsverfassung ins Grundgesetz aufgenommen worden. Es ist allerdings nicht dazu gedacht, sich je nach Interessenlage eben mal bei Bedarf mit Waffengewalt über die bestehenden Gesetze hinwegzusetzen, sondern es ist im Gegenteil dazu da, den Rechtsstaat zu retten, wenn dieser als solcher in ernsthafter Gefahr ist. Also nicht etwa, wenn einem ein Gesetz nicht gefällt, nicht mal wenn dieses verfassungswidrig sein sollte. Wenn ein verfassungswidriges Gesetz erlassen wird, ist das zwar nicht schön, leider auch nicht selten, aber auch nicht weiter tragisch. Passiert ja immer wieder. Dafür gibt es das Bundesverfassungsgericht, da braucht es keine brennenden Barrikaden oder tote Politiker.

Dasselbe gilt für falsche selbst verfassungswidrige Gerichtsentscheidungen. Auch gegen einzelne möglicherweise rechtswidrige Handlungen von Verwaltungsbeamten oder Polizisten ist erst mal der Rechtsweg zu beschreiten. Man hat ja auch noch ein individuelles Notwehrrecht gegen einen rechtswidrig handelnden Polizisten. Wenn man zu Unrecht von einem Staatsbediensteten mit dem Gummiknüppel „behandelt“ wird, ist das zwar schmerzhaftes Unrecht, aber nicht der Untergang der verfassungsmäßigen Ordnung, und es rechtfertigt garantiert keinen Bombenanschlag auf die nächste Polizei-Hundertschaft. Auch Michael Kohlhaas hatte Unrecht in seinem Wüten.

Es soll Gerechtigkeit geschehen, und gehe auch die Welt daran zugrunde!

gilt eben nicht.

Erst wenn offenkundig staatliches Unrecht systematisch ausgeübt würde und alle von der Rechtsordnung vorgesehenen rechtlichen Mittel so wenig Aussicht auf wirksame Abhilfe bieten, dass Widerstand das letzte verbleibende Mittel ist, um einer verfassungsfeindlichen Aktion wirksam zu begegnen, erst dann könnte man sich auf das Widerstandsrecht des Grundgesetzes berufen.

Das sah übrigens auch Ernst Jünger so, auch wenn der gerne missverstanden wird.

Im allgemeinen bilden die Institutionen und die mit ihnen verknüpften Vorschriften gangbaren Boden; es liegt in der Luft, was Recht und Sitte ist. Natürlich gibt es Verstöße, aber es gibt auch Gerichte und Polizei.

Wenn also dereinst die IS-Truppen in Bayern einmarschieren würden und die gerade amtierende Kanzlerin Käßmann ihnen zur Begrüßung nicht mit der Bundeswehr, sondern mit einer Kerze und einem Blumenstrauß entgegentreten würde. Ja, dann. Aber beides ist irreal. Nicht zu erwarten.

Kein Terrorstaat

Wenn der Staat in einem Maße von staats- und rechtsfeindlichen Figuren beherrscht würde, dass er selbst zum Terrorstaat mutieren und seine Instrumente nicht mehr im Sinne des Rechts greifen würden – ja, dann wäre Widerstand erlaubt. Allerdings ein riskantes Unterfangen, weil man nicht sicher sein kann, dass die neuen Herrscher für so viel Heldenmut empfänglich wären.

Der Versuch, einen Diktator und dessen System zu beseitigen, muss gelingen, sonst ist der Widerständler tot. Es wäre auch hilfreich, wenn der getötete Tyrann tatsächlich ein solcher wäre und nicht nur eine politisch unliebsame Gestalt. Tyrannentöter leben traditionell gefährlich. Man könnte es auch so formulieren: Solange die verfassungsmäßige Ordnung das Recht zum Widerstand garantiert, ist es garantiert nicht gerechtfertigt, von diesem Recht Gebrauch zu machen. Nach dem Zusammenbruch dieser Ordnung wäre das GG das Erste, was abgeschafft würde, einschließlich des Art. 20 Abs. 4. Der Widerstandsparagraf hat also eigentlich nur deklaratorischen Wert. Sieht halt nett aus. Vielleicht ist die Vorschrift aber auch nicht ungefährlich, weil sie den einen oder anderen auf dumme Gedanken bringen kann.

Nein, die Bedingungen für das Recht zum Widerstand sind eben nicht erfüllt, solange man sich mit Hilfe der Gerichte, Wahlen, Demonstrationen, Petitionen, Presse usw. legal gegen Missstände wehren kann. Solange man ungestraft sein Maul aufreißen kann, ist alles im grünen Bereich. Wenn die Regierung nichts tut, was einem gefällt oder tut was einem nicht gefällt, wählt man eben eine andere. So funktioniert Demokratie. Und nur, weil man mit seiner eigenen Partei keine Machtperspektive hat, ist das noch lange kein Grund für Widerstand.

Notwendige Widerstandshandlungen können sich gegen jeden richten, also nicht nur gegen einen „Angriff von oben“ durch bösartige Inhaber staatlicher Gewalt, sondern auch gegen einen „Angriff von unten“ durch Kräfte, die die freiheitliche Grundordnung abschaffen wollen. Hauptsache, das Objekt des Widerstandes unternimmt es ernsthaft, diese Ordnung zu beseitigen, z.B. im Wege eines Putsches. „Unternimmt es“ ist mehr als bloßes Wollen, da muss schon mehr passieren als große Willensbekundungen, Laber à la Reichsbürger oder Bierkistenreden vor einem Volk von unter 200 Leuten.

Natürlich ist es richtig und wichtig, wenn Bürger gegen Extremisten jeglichen „Widerstand“ leisten, auf die Straße gehen und ihren Unmut über deren rechtsfeindliche Gesinnung äußern. Dazu gibt es Demonstrationen oder auch andere dauerhafte Bürgerinitiativen. Das hat aber nichts mit dem Widerstandsrecht zu tun. Das ist normales, reifes Demokratieverständnis im Rahmen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Die gilt für jeden, auch wenn er Mumpitz brüllt oder lustige Schilder hochhält.

Für die Verfolgung von Straftaten sind die Polizei und die Justiz zuständig, weder die Bürgerwehr noch der Lynchmob. Erst wenn die Polizei das überhaupt nicht mehr hinbekäme oder gar selbst systematisch Unrecht beginge, wie es z.B. die Gestapo tat, wäre auch bewaffneter Widerstand gestattet. Eine Pflicht – wie man das dem berühmten – Brecht zugeschriebenen – Universalzitat

Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht

zu entnehmen können glaubt, kann Widerstand allerdings nie sein. Vielleicht moralische Pflicht, aber keineswegs rechtliche. Den Heldentod möchte die Verfassung nun niemandem verpflichtend zumuten.

Von einem rechtlosen Chaoszustand sind wir in Deutschland allerdings meilenweit entfernt, auch wenn es immer wieder zu Fehlern kommt, sei es durch Regierung, die Polizei, sei es durch die Justiz oder Geheimdienste, deren Aufgabe der Schutz der Verfassung ist. Einzelnes Fehlverhalten von Staatsbediensteten schafft noch keinen Unrechtsstaat und zielt auch regelmäßig nicht auf die Abschaffung der verfassungsmäßigen Ordnung.

Auch wenn Sie z.B. im Internet feststellen würden, dass Salafisten dazu aufrufen, Deutschland in einen islamischen Gottesstaat zu verwandeln oder heimatverbundene Freunde der deutschen Lebensart einen totalitären Überwachungsstaat herbeibeschwören, hätten Sie weder das Recht, sich einen Panzer oder ein paar Boden-Boden-Raketen zu kaufen und die von Ihnen ermittelte Zentrale der Salafisten eigenständig zu eliminieren, noch eine eigene Privatkampftruppe aufzubauen. Machen Sie einfach einen Ausdruck und schicken den Aufruf an die Staatsanwaltschaft. Das reicht.

Unterstützung der Staatsgewalt

Was denjenigen, die ständig von Widerstand faseln, vermutlich nicht ganz klar ist, ist die Tatsache, dass dieser verfasste Widerstand eben nicht der Abschaffung, sondern im Gegenteil der Unterstützung der Staatsgewalt dient, wenn diese nicht mehr in der Lage ist, die verfassungsmäßige Ordnung selbst aufrechtzuerhalten.

Diejenigen, die von Widerstand fantasieren, legen es häufig selbst auf eine Zerstörung der verfassungsmäßigen Ordnung an, ganz gleich, ob sie die Todesstrafe einführen oder den Sozialstaat, die Religionsfreiheit, das Demonstrations-, das Asylrecht oder andere Grundrechte abschaffen wollen. Aber auch gegen die kann das Widerstandsrecht nicht ins Feld geführt werden, falls jemand meint, denen ein paar aufs Maul geben zu müssen. Das mag zwar persönlich gut tun, bleibt aber illegal und strafbar.

Wenn Sie ein vom GG gedeckter „Widerständler“ sein wollten, müssten folgende Kriterien erfüllt sein:

Zunächst mal bräuchte es ein verbrecherisches Regime, das fundamentale Grund- und Menschenrechte völlig ungeschützt lässt oder selbst verletzt. Bei Nazideutschland war das offenkundig, in Nordkorea wohl auch, hier und jetzt eindeutig nicht, ganz gleich, was man von der GroKo oder einzelnen Ministern halten mag.

Alle legalen Mittel müssten ausgeschöpft und die Widerstandshandlung muss verhältnismäßig sein. Hitler und ein paar seiner Schergen wegzubomben wäre sicher okay gewesen, dazu in Berlin eine Atombombe einzusetzen und eine Million Zivilisten umzubringen eher nicht. Den verfassungswidrigen Gesetzen unserer Regierung konnte bisher problemlos mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts begegnet werden. Und das wird auch weiter funktionieren.

Der Widerstand darf nur um des Rechts willen und nicht zur Befriedigung persönlicher Interessen geleistet werden. Echte Helden handeln uneigennützig, jedenfalls sagt man das. Die wollen weder Bücher verkaufen, noch ihre Partei nach vorne bringen.

Den beiden Möchtegernwiderständlern vom Anfang der Kolumne gebe ich noch ein Zitat von Ernst Jünger mit auf den Weg:

Nicht nur vom Erhabenen zum Lächerlichen – auch vom Lächerlichen zum Furchtbaren ist nur ein Schritt.

Und für alle Besorgtbürger:

Der Mensch darf nie vergessen, daß die Bilder, die ihn jetzt schrecken, das Abbild seines Innern sind.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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