Die Löwin und das „böse Mädchen“ – Eine Kolumne für Betty Davis

In seiner Hörmal-Kolumne erzählt Ulf Kubanke die bewegende Geschichte der bedeutenden Musikerin Betty Davis. Egal, welche Richtung Ihr hört: Diese Story müsst ihr lesen, diese Anspieltipps müsst ihr hören, wenn Ihr etwas Bahnbrechendes nicht verpassen wollt.


You said I was a witch!
(Betty Davis, „Nasty Gal“)

Kaum zu glauben – dennoch wahr: Ohne die gebürtige Betty Mabry, die auch als Fotomodel manche frühen optischen Glanzpunkt setzte, wäre die Geschichte der heutigen Populärmusik im Allgemeinen sowie die Geschichte von Fusion, Funk, Soul, Hardrock-Crossover oder Hip Hop im Besonderen eine deutlich ärmere. Auch Miles Davis “Bitches Brew”/”On The Corner”/“Get Up With It“ wären ohne den unterschätzen Einfluss dieser kompromisslosen Schönheit womöglich nie entstanden. Nebenbei verkörpert sie das Rolemodel der Frau als selbstbewusste Musikerin/Macherin, die sich simultan als machtvolles Sexsymbol (nicht etwa als machtloses Sexobjekt!) inszeniert.

Beschäftigt man sich ein wenig mit ihrerer Biografie, kommt eine erstaunliche Vielfalt zutage. Das Leben einer selbstbewussten Frau, die verstanden hat und Lust daran empfand, absolute Körperlichkeit als erotisches Lockmittel einzusetzen, während sie gleichzeitig mit musikalisch überbordendem Talent plus tonnenweise kreativer Substanz glänzt.

Die brillante Taktik: einerseits die Muse geben. Andererseits darauf achten, nie und nimmer auf das Klischee der “sexy Tussi” reduziert zu sein. Für Betty Davis kein taktisches Problem: Sie hat einfach alle gleichermaßen wahnsinnig gemacht. Mit Hendrix samt dessen Experience, Marc Bolan oder Sly Stone war sie eng befreundet. Affären gab es mutmaßlih mit Eric clapton oder Robert Palmer. Den damals unbekannten Commodores verhalf sie im Alleingang zum ersten Plattendeal, und Gatte Miles profitierte von der Heranführung an Jimi, Sly und Rock. Sie alle waren verrückt nach ihr; erlagen Körper wie Geist, Seele wie Aussehen, Erotik wie Intellekt. Eine Zauberin!

Die totale Alphafrau?

Ja!

Bereits vor dem ersten Date mit Miles Davis stellte sie unmissverständlich klar: “Ich mag vieles sein, aber sicher nicht (d)ein kleines Mädchen”. Das hat er wohl verstanden; zumindest zeitweise. Sie ist nicht nur die “Conditio Sine Qua Non” – die nicht hinwegdenkbare Ursache – für Fusion und “Bitches Brew”. Oh nein, es passiert sogar eine Aufnahmesession echter Betty Mabry/Davis-Songs; produziert von Miles/Teo Macero und eingespielt mit u.A. Teilen der Jimi Hendrix Experience aus dem Jahr 1968. Das ist im Grunde die wahre Geburtsstunde der Fusion, der totale Prototyp im Blackmusic meets Rock-Gewand.

Ihre regulären ersten drei Alben – “Betty Davis”/”They Say I’m Different”/”Nasty Gal”, erschienen zwischen 1973 und 1975 – sind nicht nur musikhistorisch essentiell. Die Songs gerieten schlichtweg überwältigend. Cracks wie Pointer Sisters oder Neil Schon (Journey, Bad English) rissen sich um die Zusammenarbeit. Die ebenso derbe wie verführende Mischung aus Kratzbürsten-Funk, kernigem Hardrock und groovy Soul lässt sogar Giganten wie Sly & The Family Stone oder die grandiosen Parliament/Funkadelic recht blass bzw unausgegoren aussehen. Betty D. Verströmt die berstende Energie eines One-Woman-Kraftwerks. Bis heute klingen diese über 40 Jahre alten Scheiben der Queen of Eruption modern, individuell und im Genre unerreicht.

https://youtu.be/mQILEYw66Rg

Sie ist die Mutter!

Ebenso ist Davis die erste ihrer Art. Eine Frau die nicht nur schreibt, mit einspielt und singt. Sie produziert den Löwinnenanteil des Materials auch gleich selbst und behält als erste Frau im Musicbiz die “full artistic control”. Letzteres lang vor Björk, Madonna etc.. Inhaltlich und als Pose tauscht sie einfach die Prämissen der Geschlechter und krallt sich ganz selbstverständlich die tonnangebende Position. Sie weiß um die Wirkung ihres Aussehens und wirft den Körper bereitwillig in die optische Waagschale. Bahnbrechendes sexy Coverartwork oder wilde Gigs im Neglige sind nur ein Bruchteil dieses Konzepts. Auch die Lyrics zeigen eine sexuell offensive Frau, die auf männliche Domänen pfeift und höchstselbst als „böses Mädchen“ den Anmacher gibt. Sie holt sich als echter Rockstar, was sie will und sie will verdammt nochmal alles! Was für ein Vorbild!

Jetzt mögt ihr fragen: Warum kennt man sie dann in der breiten Öffentlichkeit kaum, warum blieb ihr Werk Geheimtipp für Kenner und Genreliebhaber? Wo bleibt die Aufnahme in die Hall of Fame? Wo sind Grammys und Platinplatten?

Nun, manchmal reicht es einfach nicht, die Erste und Beste zu sein, nicht wahr? Manchmal genügt es nicht, sich die viel umworbene Kehrseite auf zu reißen. Manchmal benimmt sich das Leben eben wie ein verdammter Hurensohn.

Im Fall Betty Davis bewahrheitet sich die alte Bowie-Weisheit, wonach es im Showbiz ein Vorteil ist, immer der Zweite zu sein, der etwas macht, nicht der Vorreiter. Davis war ihrer Zeit anscheinend zu weit voraus. Die Türen öffnete sie zwar. Jedoch auschließlich für Nachfolger wie Grace Jone, Prince, Madonna, Björk etc. Ihr selbst jedoch blieb diese goldene Pforte verschlossen.

Die Gesellschaft besaß in den frühen bis mittleren Seventies längst nicht die Reife, eine mit so immensem Selbstwertgefühl ausgestattete Macherin zu ertragen. Die Frau als Genie? Schwierig! Die afroamerikanische Frau als Genie? No fucking Way! Zu schätzen wusste ihr Wirken kaum jemand. Davis steckte ein überkommenes Rollen- bzw. Weltbild in Brand als viele noch hinter dem Mond lebten. Verstörung und grober Hass war die Ernte. Ganz besonders schlimm waren torpedierende Anfeindungen von Rassisten, Puritanern und christlich angepinselten Klerikalfaschisten, denen “eine Schwarze, die in Lingerie auftritt” und ihr Ding so selbstverständlich macht wie ein weißes Rockidol, mehr als nur suspekt. Davis war für sie eine Gotteslästerung, eine “ihren Platz verlassende Negerin”, eine echte Hure Babylon.

Zur Krönung des Schlamassels ließ das mächtige Label ihre obig erwähnte Fusion-Platte als „zu unkommerziell“ unveröffentlicht im Giftschrank verdämmern. So blieb ausgerechnet diejenige, der die Musikwelt so viel Dankbarkeit schuldet, komplett auf der Strecke. Voller Grimm und Bitternis zog Davis sich vor Dekaden aus der Öffentlichkeit zurück.

Trotzdem ist die Story keine traurige Geschichte. Denn noch lebt sie. Und in den letzten Jahren konnte die mittlerweile weit über 70 Jährige beobachten, wie ihre vergriffenen Platten wiederveröffentlicht wurden, die mediale Anerkennung langsam sichtbar wurde. Sogar die verschollene 1968er Proto-Fusion-Scheibe ist vor kurzem als “The Columbia years 1968-1969” erstmals erschienen.

Manchmal muss man wohl einfach durchhalten, bis die Zeit reif ist. Denn wie heißt es so schön: „Böse Mädchen kommen überall hin“.

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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