Irgendwer zahlt immer

In der belgischen Stadt Hasselt und im US-amerikanischen Seattle war Busfahren jahrelang kostenlos. Irgendwann konnten sich die Kommunen den Gratis-Nahverkehr nicht mehr leisten und es müssen wieder Fahrpreise gezahlt werden. Diese Erfahrungen sollten deutschen Politikern eine Warnung sein, die nun über kostenfreien Nahverkehr nachdenken.


Das belgische Hasselt ist nett. Es gibt eine Kathedrale aus dem 15. Jahrhundert, Fachwerkhäuser und Renaissancegebäude, außerdem hübsche Cafés und Teestuben. Hierzulande hört man jedoch wenig über die Hauptstadt der Provinz Limburg. Und wenn, geht es in um die lokale Verkehrspolitik. Im Jahr 1997 beschlossen Kommunalpolitiker, kein Geld mehr für das Busfahren zu verlangen. 2013 wurde das Experiment eingestellt, weil es sich nicht mehr finanzieren ließ. Nur Kinder, Jugendliche und Menschen über 65 fahren noch umsonst. Ähnlich endete ein Versuch im US-amerikanischen Seattle, einer nicht gerade armen Kommune. Weltunternehmen wie Boeing, Microsoft, Amazon und die US-Tochter der Telekom haben im Großraum Seattle ihren Sitz.

Dass nun hierzulande die Idee geboren wurde, den Nahverkehr kostenfrei zu machen, hielt ich zunächst für einen Aprilscherz. Der Blick auf den Kalender sagte mir aber, dass es noch zu früh für derlei Gags ist. Gewiss, Not macht erfinderisch, und die Politik sieht sich angesichts hoher Schadstoffwerte in den Großstädten unter Druck, sich etwas einfallen zu lassen. Dennoch wäre kostenfreier Nahverkehr im ganzen Land – mit Verlaub – eine grundfalsche Idee. Käme so ein Vorschlag aus einem der phantastisch reichen Stadtstaaten am Golf, würde ich das anders sehen. Bevor sie dort Skihallen oder Golfplätze in die Wüste setzen, sollen sie ihre Leute halt gratis Bus fahren lassen. In hiesigen Gefilden ist von solchem Überfluss aber nichts zu spüren – oder zumindest habe ich nichts davon mitbekommen.

Am Ende trifft es den Steuerzahler

Leider lassen sich die Gesetze der ökonomischen Schwerkraft weder durch guten Willen noch durch Parteitagsbeschlüsse außer Kraft setzen. Deshalb wäre kostenfrei eben nicht wirklich kostenfrei. Irgendwer zahlt am Ende immer. Und wenn Einnahmen aus den Ticketverkäufen wegfallen, dann zahlen eben nicht mehr die Nutzer, sondern die Steuerzahler. Und das sind keine fremde Wesen aus Berlin-Mitte oder vom Mars, Steuerzahler sind wir alle.

In Hamburg, wo bekanntlich seriöse Kaufleute zuhause sind, hat man nachgerechnet. Demnach nimmt der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) durch Fahrscheinverkäufe jährlich rund 830 Millionen Euro ein. Diese Mittel müssten bei einem Gratis-Angebot mutmaßlich von der Allgemeinheit aufgebracht werden. Die Summe entspräche laut einem HVV-Sprecher in etwa einer Elphilharmonie pro Jahr. Das prestigeträchtige Konzerthaus hat knapp 800 Millionen Euro gekostet. Und mit soviel Geld kann man im Jahr schon einiges anfangen. Man muss sich ja nicht immer einen neuen Kulturtempel hinstellen. In Krankenhäuser, Schulen oder in der Altenpflege wären die 800 Millionen per anno auch gut investiert.

Viele Kommunen sind klamm

Nun fällt die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in die Zuständigkeit der Kommunen. Viele von ihnen haben – euphemistisch gesagt – schon jetzt ziemlich viele Schulden. Den Stadtkämmerern bliebe wohl nichts anderes übrig, als auf freiwillige Leistungen zu verzichten, die Abgaben und Gebühren zu erhören oder den Druck nach oben weiterzugeben, das heißt, an die Länder und den Bund. Aber auch dort kommt das Geld nicht einfach aus der Druckpresse (so etwas macht man vielleicht in Venezuela; die „Erfolge“ der dortigen Politik dürften hinlänglich bekannt sein) und großartige Haushaltsüberschüsse gibt es seit Jahrzehnten nicht mehr. Die „Schwarze Null“  wurde als Errungenschaft gefeiert. Käme es tatsachlich zum Gratis-Nahverkehr, dürften Steuererhöhungen oder Einsparungen an anderen Stellen zumindest mittelfristig unvermeidbar sein. Zumal die Konjunktur – und damit auch die Steuereinnahmen – nicht ewig so robust sein werden, wie das aktuell der Fall ist.

Aber es ist nicht nur die Kostenfrage, die mich den kostenfreien Nahverkehr skeptisch sehen lässt. Ich finde das auch nicht gerecht. Steuererhöhungen träfen alle. Sowohl diejenigen, die in Großstädten wohnen und dort die meist vernünftigen ÖPNV-Angebote regelmäßig nutzen können, als auch die Bewohner der hintersten Winkel des ländlichen Raums, wo der Linienbus nur alle paar Stunden vorbeikommt und dann zig Runden dreht, bevor er irgendwann in der nächsten Kreisstadt ankommt. Und dass Mitterfirmiansreut oder Kakerbeck einmal ähnlich gut mit ÖPNV-Angeboten versorgt sein werden wie München oder Köln, kann man sich bei aller Phantasie nicht vorstellen.

Qualität des ÖPNV könnte sinken

Nun geht es mir wie dem Italiener aus der Cappuccino-Werbung – ich habe gar kein Auto – und nutze den Nahverkehr regelmäßig. Es gibt die Möglichkeit, relativ günstig ein Jobticket zu erwerben, und ich empfinde es als keineswegs als unverhältnismäßige Zumutung, den Preis dafür zu zahlen. Wenn Kinder, Rentner und Menschen ohne Arbeit einen Nachlass erhalten – oder wie in Hasselt gar umsonst fahren könnten-, dann würde ich das verglichen mit der „Freifahrt für alle“ für die sinnvollere Variante halten.

Andererseits gibt es einen bestimmten Menschenschlag, der den ÖPNV selbst dann nicht nutzt, wenn man ihm zur Fahrkarte noch Geld dazu schenken würde. So ist Autofahren in der Frankfurter Innenstadt meiner Meinung nach alles andere als vergnügungssteuerpflichtig, das S-Bahn-Netz in der Region dagegen ist großflächig ausgebaut. Dennoch pendelt ein Bekannter täglich mit dem PKW in die Mainmetropole. Er sagt, dass er keine „überfüllten Züge“ mag und mit dem Auto flexibler ist. Wäre das S-Bahn-Ticket kostenfrei, wären die Züge vielleicht noch voller, der Zustand der Wagen möglicherweise schlechter und es käme eventuell häufiger zu Zugausfällen. Leute wie mein Bekannter würden dann erst recht das Auto bevorzugen. Und viele, die sich mit SUVs, BMWs oder einem Mercedes durch die überfüllten Innenstadtstraßen zwängen, sicher auch. Einige andere Bekannte fahren Auto, weil sie vor der Arbeit ihre Kinder zur Schule bringen müssen und sie nach Feierabend vom Sport oder vom Musikunterricht abholen wollen. Für sie stellt sich die Frage, auf den ÖPNV umzusteigen, erst gar nicht.

Außerdem schätzt man, so meine Erfahrung, Dinge, die nichts kosten weniger wert als Sachen, die einen Preis haben. So war meine Schule unweit das Mains in Hessen gelegen, auf der anderen Flussseite begann Bayern. In Hessen waren die Schulmaterialien kostenfrei, was zur Folge hatte, dass ich mich nicht allzu sehr um deren Zustand sorgte. Für das Verhalten einiger meiner Mitschüler wäre das noch eine freundliche Umschreibung gewesen. Die Kinder von Bekannten aus Bayern mussten teilweise für ihre Schulmaterialien bezahlen. Es traf keine Armen, der Vater hatte einen guten Job bei der Stadt, außerdem betrieb die Familie im Nebenerwerb Landwirtschaft. Für Menschen mit weniger Einkommen gab es im Freistaat wohl Zuschüsse oder das Unterrichtsmaterial wurde in diesen Fällen kostenfrei gestellt. Immer, wenn ich auf der anderen Mainseite zu Besuch war, fiel mir auf, wie sorgfältig die Kinder ihre Schulsachen behandeln. Sie behandelten ihre Fibeln und Atlanten beinahe so gut, wie ich meine Disney-Taschenbücher, die ich mir vom Taschengeld absparen musste.

City-Maut wäre marktwirtschaftlicher

So fürchte ich, dass der Zustand von Bussen und Bahnen, für die man nichts bezahlen muss, vermutlich schlechter wäre als das momentan der Fall ist. Und das nicht nur, weil sich die Nutzer allzu sorglos verhalten könnten, sondern auch weil sich einige Einstellungen in den Verkehrsbetrieben ändern könnten. Man könnte dort auf die Idee kommen, auf so manche Investition zu verzichten oder sie etwas in die Zukunft zu schieben. Vielleicht würde der eine oder andere ÖPNV-Planer auch – sagen wir mal gelassener – reagieren, wenn Fahrzeuge defekt wären oder Fahrer wegen Krankheit zu Hause bleiben müssten. „Na dann fallen halt heute ein paar Bahnen aus, die Leute kostest es ja eh nichts“, wäre zumindest eine menschliche Reaktion.

Andererseits würde ich mich in einer kostenfreien ÖPNV-Welt mit Beschwerden über Missstände eher zurückhalten – frei nach dem Motto „Was kann ich denn erwarten, wenn es sowieso umsonst ist“. Preise motivieren Kunden schon, ihr Recht auf ordentliche Behandlung und vernünftige Leistungen einzuklagen. Und nichts trägt mehr zur Sicherung der Qualität einer Sache bei als konstruktive Kritik. Würde die Qualität des ÖPNV aber deutlich sinken, könnten sogar manche, die heute regelmäßig Busse und Bahnen nutzen, wegen des schlechter gewordenen Service aufs Auto umsteigen. Das Problem schadstoffbelasteter Innenstädte wird die Politik mit einem kostenfreien Nahverkehr deshalb eher nicht lösen.

London ist nicht untergegangen

Konsequenter wäre es, für PKW-Fahrten in den Innenstädten Tagesgebühren zu verlangen. So etwas wäre kein sozialistisches Teufelszeug, sondern eine viel marktwirtschaftlichere Lösung. In Europas Finanzmetropole London, nicht gerade die Hochburg alternativer Träumereien, gibt es das schon seit 15 Jahren. Zugrunde gerichtet hat es bislang weder die Stadt noch die Wirtschaft. Gerade weil ich von den Mechanismen des Marktes überzeugt bin, halte ich es für sinnvoll, für knappe Güter angemessene Preise zu verlangen. Und als solche kann man Verkehrsflächen und den Parkraum in manchen Metropolen durchaus betrachten.

Allerdings müsste sichergestellt sein, dass die Erlöse aus einer City-Maut sachgerecht in den ÖPNV oder in Park & Ride-Angebote fließen und nicht in den allgemeinen Haushalt. Zumindest langfristig wäre das für mich die nachhaltigere Option als Freifahrten für alle. Gerade in der Umweltpolitik sollte Nachhaltigkeit eigentlich hochgehalten werden.

 

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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