Gefährliche Öffentlichkeitsfahndung – Soko Schwarzer Block
Die Hamburger Polizei fahndet öffentlich über eine Internetseite nach 104 Personen, die im Zusammenhang mit den G20-Krawallen verdächtigt werden, Straftaten begangen zu haben. Ist das in Ordnung?
Öffentlichkeitsfahndungen sind grundsätzlich ein zulässiges Fahndungsmittel der Strafprozessordnung.
§ 131b
Veröffentlichung von Abbildungen des Beschuldigten oder Zeugen
(1) Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Beschuldigten, der einer Straftat von erheblicher Bedeutung verdächtig ist, ist auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wäre.
(2) 1Die Veröffentlichung von Abbildungen eines Zeugen und Hinweise auf das der Veröffentlichung zugrunde liegende Strafverfahren sind auch zulässig, wenn die Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere die Feststellung der Identität des Zeugen, auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 2Die Veröffentlichung muss erkennbar machen, dass die abgebildete Person nicht Beschuldigter ist.
(3) § 131 Abs. 4 Satz 1 erster Halbsatz und Satz 2 gilt entsprechend.
Öffentlichkeitsfahndungen sind also erlaubt, wenn es um die Identifizierung von Beschuldigten und die Aufklärung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung geht. Wir kennen das z.B. aus dem ZDF-Dauerbrenner „Aktenzeichen XY ungelöst“. Da wird allerdings meistens nach Mördern, Räubern, Vergewaltigern und ähnlichen Verbrechern gefahndet.
Alles Verbrecher?
Dass nach 104 Tatverdächtigen gleichzeitig mit einer Öffentlichkeitsfahndung gesucht wird, ist etwas völlig Neues. Sind das nun tatsächlich alles Schwerverbrecher?
Leider hat der Gesetzgeber bei § 131b StPO auf einen Katalog von Straftaten, bei denen diese Fahndungsmaßnahme erlaubt ist, komplett verzichtet und stattdessen den Begriff „Straftat von erheblicher Bedeutung“ als Tatbestandsmerkmal genannt. Das lässt reichlich Raum für Interpretationen. Einigkeit herrscht aber darüber, dass das Gewicht der Straftat so groß sein muss, dass der mit einer Öffentlichkeitsfahndung verbundene intensive Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der gesuchten Personen angemessen und verhältnismäßig ist.
Und da wird es dann schwierig. Betrachtet man die G20-Krawalle als Ganzes, dann war da strafrechtlich schon ordentlich was los. Ob nun aber die auf der Fahndungsseite der Polizei abgebildeten Personen alle wirklich Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen haben, kann man bezweifeln. Laut Staatsanwaltschaft geht es in der Mehrzahl der Fälle um gefährliche Körperverletzung, schweren Landfriedensbruch oder Brandstiftung. Ja, das sind erhebliche Straftaten.
Nehmen wir die Plünderung eines Supermarktes. Wer da die Schaufensterscheiben einwirft und den Laden leerräumt, begeht, sofern dies aus der allgemeinen Unordnung heraus geschieht, einen schweren Landfriedensbruch, der mit einer Mindeststrafe von 6 Monaten und einer Höchststrafe von 10 Jahren bestraft werden kann. Das ist sicherlich als Straftat von erheblicher Bedeutung anzusehen. Geht allerdings jemand in den bereits von anderen geplünderten Laden und nimmt sich da einen Müsliriegel mit, weil er Hunger hat, dürfte das für die nötige Erheblichkeit nicht wirklich reichen.
Einzelfallprüfung
Da es eben keinen festen Deliktskatalog gibt, muss bei jeder einzelnen verdächtigen Person eine strenge Einzelfallprüfung durchgeführt werden, ob gerade bei dieser Person wirklich gerechtfertigt werden kann, dass man den erheblichen Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht durchführt.
Denn die Veröffentlichung dieser identifizierenden Bilder stellt einen schweren Eingriff in die Rechte der dort abgebildeten Personen dar. Ob die wirklich Straftäter sind, steht ja gar nicht fest. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.
Es ist nicht zu unterschätzen, welche Auswirkungen eine solche Veröffentlichung für die einzelnen Personen haben kann. Nicht nur, dass sich diese Bilder vermutlich auf ewig im Internet halten werden – auch wenn die Polizei ihre Suche längst beendet und die Fotos gelöscht hat -, es besteht auch die Gefahr einer echten Menschenhatz, z.B. durch Rechtsextreme oder Hobbydetektive. Gerade hier bei den G20-Teilnehmern ist diese Gefahr besonders groß, da gewaltbereite Antiantifa-Kämpfer sich dieses Bildmaterial mit Sicherheit nicht entgehen lassen werden. Das Abfotografieren und Ausspionieren politischer Gegner mit dem Ziel, diese durch Bedrohung oder Gewalt mundtot zu machen, gehört zum Kerngeschäft solcher Gruppen. Hier liefert die Polizei das Material frei Haus.
Unbeteiligte
Auch für völlig unbeteiligte Menschen, die den Gesuchten lediglich ähneln, besteht eine erhebliche Gefahr, in die Ermittlungen hineingezogen oder zu Opfern von Extremisten zu werden. Blöd, wenn dann jemand zufällig an diesem Wochenende auch noch in Hamburg war, um die Oma zu besuchen oder wahlweise in den Puff zu gehen. Es ist ja nicht gewährleistet, dass jemand, der einen der Abgebildeten zu erkennen glaubt, dies nur brav der Polizei meldet.
Prantls Knüppel
Heribert Prantl nimmt in der Süddeutschen den ganz dicken Knüppel aus dem Sack und erklärt die Fahndungsmaßnahme zu einem rechtswidrigen Fahndungsexzess. Ob das nun wirklich rechtswidrig ist, kann ich mangels Kenntnis der jeweiligen dem Richter vorgelegten Ermittlungsakten nicht beurteilen. Ob Prantl Akteneinsicht hatte, weiß ich nicht, glaube ich aber nicht. Und noch entscheiden über die Rechtswidrigkeit von Maßnahmen die Gerichte und nicht die Presse.
Alleine dass es sehr viele Fotos auf einmal sind, macht die ganze Sache nicht zwingend rechtswidrig, wenn denn entsprechend viele Täter entsprechend viele Taten begangen haben. Kann ja nicht sein, dass eine Fahndungsmaßnahme alleine schon deshalb rechtswidrig wäre, weil es zu viele unidentifizierte Tatverdächtige gibt.
Ein mulmiges Gefühl
Gleichwohl beschleicht auch mich ein mulmiges Gefühl bei dieser Aktion. Dass ausgerechnet die Hamburger Polizei, die sich bei den Krawallen wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat, nun eine solche Massenfahndung startet, lässt schon den Verdacht entstehen, dass es hier eben nicht nur um Fahndung, sondern auch um andere Beweggründe gehen könnte. Spontan dachte ich an „Das Imperium schlägt zurück“.
Nun mag es ja ganz lustig sein, wenn gleich der erste identifizierte Verdächtige kein böser Linksextremist, sondern der Betreiber eines rechten YouTube-Kanals ist. Und der gibt nun zwar zu, in dem geplünderten Laden gewesen zu sein, bestreitet aber, dort etwas mitgenommen zu haben. Auf den veröffentlichten Videos sieht man auch nicht, dass er den Laden verlässt und folglich auch nicht, ob er da geplündert hat. Falls das stimmen sollte, wüchsen die Zweifel an der Gründlichkeit der von Polizei und Gericht vorgenommenen Prüfung bezüglich der Verdachtsmomente gegen die gesuchten Personen.
BILD hetzt
Dass die BILD die Fahndungsfotos nicht nur veröffentlicht, sondern zusätzlich noch mit überflüssigen sexistischen Kommentaren wie „Krawall-Barbie“ schmückt und alle Gesuchten pauschal als „G20-Verbrecher“ bezeichnet, war nicht anders zu erwarten. Selbst ein schwerer Landfriedensbruch ist ebenso wie eine schwere Körperverletzung nun mal – mangels einer Mindeststrafe von einem Jahr – kein Verbrechen, sondern nur ein Vergehen. Aber wer wird von einem Hetzblatt schon eine differenzierte und juristische korrekte Darstellung erwarten? Nö, BILD heizt eine Jagd auf die Gesuchten an und mischt dabei selbst kräftig mit.
G20-Verbrecher – Ihr kommt nicht davon.
Ein Medienereignis – „BILD sucht den Superverbrecher“ – , bei dem jeder mitmachen und sich als Held fühlen kann? Es fehlen nur noch Preise für denjenigen, der die meisten Verdächtigen identifiziert. Vielleicht programmiert auch jemand eine Fahndungsapp mit der die Fotos mit dem gesamten Bildbestand des Internets abgeglichen werden. Oder wie wäre ein eigener TV-Sender der rund um die Uhr Fahndungen liefert? Nicht alles, was technisch und medial möglich ist, darf auch rechtlich zulässig werden. Und auch das rechtlich Mögliche muss nicht immer um jeden Preis gemacht werden.
Unschuldsvermutung
Es ist ein eherner Grundsatz des Strafrechts, dass der Zweck nicht die Mittel heiligt.Strafecht ist angewandtes Verfassungsrecht.
Und es ist auch Bestandteil des Pressekodex, gegen den die BILD oft genug und offenbar lustvoll verstößt, dass die Unschuldsvermutung bei der Berichterstattung über Straftaten zu wahren ist. Aber wen kümmert das, wenn die Auflage stimmt?
In Ziffer 13 der Kodex heißt es:
Die Berichterstattung über Ermittlungsverfahren, Strafverfahren und sonstige förmliche Verfahren muss frei von Vorurteilen erfolgen. Der Grundsatz der Unschuldsvermutung gilt auch für die Presse.
Richtlinie 13.1 – Vorverurteilung
Die Berichterstattung über Ermittlungs- und Gerichtsverfahren dient der sorgfältigen Unterrichtung der Öffentlichkeit über Straftaten und andere Rechtsverletzungen, deren Verfolgung und richterliche Bewertung. Sie darf dabei nicht vorverurteilen. Die Presse darf eine Person als Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen hat. In der Sprache der Berichterstattung ist die Presse nicht an juristische Begrifflichkeiten gebunden, die für den Leser unerheblich sind.Ziel der Berichterstattung darf in einem Rechtsstaat nicht eine soziale Zusatzbestrafung Verurteilter mit Hilfe eines „Medien-Prangers“ sein. Zwischen Verdacht und erwiesener Schuld ist in der Sprache der Berichterstattung deutlich zu unterscheiden.
Davon ist bei der Bezeichnung „G20-Verbrecher“ im Zusammenhang mit den Fahndungsfotos nichts zu merken. Und spätestens da wird eine möglicherweise rechtmäßige Fahndungsmaßnahme der Polizei äußerst unappetitlich, ja geradezu ins Ekelhafte gewendet.
Alle abgebildeten Personen werden hier in den Überschriften des BILD-Prangers pauschal als Verbrecher bezeichnet; das bleibt hängen. Ob die Polizei oder die Richter , die die Fahndungsmaßnahmen ja erlaubt haben, mit solchen anheizenden Berichten gerechnet haben, weiß ich nicht. Im Rahmen künftiger Öffentlichkeitsfahndungen müssten sie bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit aber klar auf dem Schirm haben, dass den abgebildeten Personen aufgrund einer derartigen Berichterstattung schlimmeres Unheil droht, als durch ein Strafverfahren. Verbrecherjagd darf kein Volkssport werden.
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