Das dritte Geschlecht
„Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) schützt die geschlechtliche Identität. Es schützt auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.“
So entschied das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 10.Oktober 2017, der vor einigen Tagen veröffentlicht wurde. Traurig, dass erst das oberste deutsche Gericht eine solche Selbstverständlichkeit deutlich machen muss. Traurig, dass die Zivilgerichte sich standhaft geweigert hatten, diese Selbstverständlichkeit selbst zu erkennen. Traurig, dass die Politik dieses Thema überhaupt nicht gesehen hat. Am traurigsten aber die Herrenwitz-artigen Kommentare zu dieser notwendigen und überfälligen Entscheidung in den sozialen Netzwerken.
So schrieb die Juristin Beatrix von Storch:
und dokumentierte damit, dass sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entweder nicht gelesen bzw. nicht verstanden hat oder einfach gerne dummes Zeug verbreitet. Vielleicht kommt „Herzogin“ ja davon, dass man über andere Menschen herzieht.
Denn was sollte es mit dem Willen zu tun haben, ob jemand intersexuell ist?
Das Problem
Aber der Reihe nach. Die Verfassungswidrigkeit des § 21 Absatz 1 Nummer 3 des Personenstandsgesetzes (PStG) war Gegenstand der Entscheidung. Danach wird zwingend das Geschlecht des Kindes im Geburtenregister beurkundet.
Damit wäre das Thema für den Stammtisch und die Storchengemeinde erledigt, denn nach deren Naturverständnis gibt es nur Männer und Frauen. Und wer Mann oder Frau ist „sieht man doch“. Nun ja.
So ignorant war aber nicht einmal der bisherige Gesetzesstand, der in § 22 PstG bereits davon ausging, dass die Zuordnung zu einem Geschlecht nicht immer möglich ist. In Absatz 3 heißt es:
(3) Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen.
Und das war der eigentliche Knackpunkt der Entscheidung. In den bisherigen Geburtenregistern wurde den intersexuellen Kindern überhaupt kein Geschlecht zugeordnet. Sie waren registermäßig geschlechtslos. Ein geschlechtliches Nichts.
Rund 160.000 Personen in Deutschland sind nach diesem Maßstab intersexuell. In deren allgemeines Persönlichkeitsrecht wird durch die geltende Regelung eingegriffen, da ihnen keine positive Geschlechtsbezeichnung – wie etwa inter oder divers – zugestanden wird.
Der Zuordnung zu einem Geschlecht kommt für die individuelle Identität unter den gegebenen Bedingungen herausragende Bedeutung zu; sie nimmt typischerweise eine Schlüsselposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die betroffene Person von anderen wahrgenommen wird. Die Geschlechtszugehörigkeit spielt in den alltäglichen Lebensvorgängen eine wichtige Rolle: Teilweise regelt das Recht Ansprüche und Pflichten in Anknüpfung an das Geschlecht, vielfach bildet das Geschlecht die Grundlage für die Identifikation einer Person, und auch jenseits rechtlicher Vorgaben hat die Geschlechtszugehörigkeit im täglichen Leben erhebliche Bedeutung. Sie bestimmt etwa weithin, wie Menschen angesprochen werden oder welche Erwartungen an das äußere Erscheinungsbild einer Person, an deren Erziehung oder an deren Verhalten gerichtet werden.“
Die Diskriminierung
Solange vom Stammtisch und vom Gesetzgeber nicht anerkannt wird, dass Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, dennoch ein eigenes Geschlecht haben und nicht etwas geschlechtslos sind, werden diese Menschen auch vor dem Gesetz diskriminiert. Gesellschaftlich werden sie das ohnehin.
Geschützt ist auch die geschlechtliche Identität jener Personen, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Diese Personen könnten ihre Persönlichkeit möglicherweise ungehinderter entfalten, wenn der geschlechtlichen Zuordnung generell geringere Bedeutung zukäme. Doch ist unter den gegebenen Bedingungen die geschlechtliche Zuordnung ein besonders relevanter Aspekt der fremden Wahrnehmung wie auch des eigenen Verständnisses der Persönlichkeit. Auch die beschwerdeführende Person betont die praktische Bedeutung der geschlechtlichen Zuordnung und macht geltend, dass die geschlechtliche Identität unter diesen Umständen konstitutiver Bestandteil ihrer Persönlichkeit sei. „
Gerade wenn das Personenstandsrecht eine Beurkundung des Geschlechts verlangt – was ja keineswegs zwingend sein muss -, kann es nicht richtig sein, dass Intersexuellen keine eigene Geschlechtsbezeichnung zugestanden wird. Männlich, weiblich, leer. Das sind die bisherigen Eintragungsmöglichkeiten.
Zuwenig meint das Gericht:
Durch den offenen Geschlechtseintrag würde nicht abgebildet, dass sie sich zwar nicht als Mann oder als Frau, aber auch nicht als geschlechtslos begreift, und nach eigenem Empfinden ein Geschlecht jenseits von männlich oder weiblich hat. Die „fehlende Angabe“ belässt es bei dem allein binären Grundmuster der Geschlechtszugehörigkeit und ruft den Eindruck hervor, dass die rechtliche Anerkennung einer weiteren Geschlechtsidentität nicht in Betracht kommt und die Geschlechtseintragung lediglich noch nicht geklärt, noch keiner Lösung zugeführt oder auch vergessen wurde.
Das Problem wäre keines, wenn der Gesetzgeber komplett auf die Registrierung eines Geschlechts verzichten würde. Macht er aber nicht. Offenbar hält er das Geschlecht für ein wichtiges, registrierungsbedürftiges Merkmal eines Menschen, das für die Beschreibung einer Person und ihrer Rechtsstellung wichtig ist. Deshalb hat auch die
personenstandsrechtliche Anerkennung der konkreten Geschlechtszugehörigkeit bereits für sich genommen eine Identität stiftende und ausdrückende Wirkung.
Wenn der Gesetzgeber also auf der einen Seite das Geschlecht einer Person für wichtig und sogar für identitätsstiftend hält, kann er nicht auf der anderen Seite hingehen und Personen, die nicht in das bisherige binäre System passen, eine positive Bezeichnung ihres Geschlechts verweigern.
„Fehlende Angabe“ ist kein Geschlecht. Durch die bisherige Regelung wird vielmehr so getan, als seien Intersexuelle geschlechtslos und hätten diesbezüglich überhaupt keine Identität. Der Personenstand eines Menschen ist kein überflüssiges Pilepalle, sondern nach der Wertung des Gesetzgebers vielmehr „die Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PStG)
Dass das Personenstandsrecht den Geschlechtseintrag fordert, den hier Betroffenen aber keinen dem Selbstverständnis gemäßen Geschlechtseintrag im Personenregister ermöglicht, trägt dazu bei, dass sie in ihrer individuellen Identität nicht in gleichem Maße und in gleicher Selbstverständlichkeit wahrgenommen werden und Anerkennung finden wie weibliche oder männliche Personen.
Und da liegt der harte Hund begraben, denn genau das geschieht in der Öffentlichkeit, wo Intersexuelle Gegenstand sexistischen Gespötts sind und als Menschen zweiter Klasse behandelt werden.
Die Lösungen
Intersexualität ist kein buntes Hirngespinst, sondern eine biologische Tatsache. Sie kann sich an den Chromosomen, den Hormonen oder den anatomischen Geschlechtsmerkmalen zeigen. Intersexuelle sind weder krank, noch abartig oder anomal. Sie sind lediglich anders. Wenn nun das Bundesverfassungsgericht diese einfache biologische Tatsache zum Anlass nimmt, dem Gesetzgeber aufzugeben, entweder eine dritte Geschlechtsbezeichnung aufzunehmen oder aber im Personenstandsgesetz komplett auf die Erfassung des Geschlechts zu verzichten, dann ist das eine folgerichtige Anpassung der Rechtslage an die Realität und nur die Umsetzung des Art. 1 GG, der allen Menschen die Achtung ihrer Menschenwürde garantiert.
Wenn dann aus einem bestimmten politischen Lager heraus gegen diese richtige und auch wichtige historische Korrektur polemisiert wird und ganz und gar unlustige Witze über Toiletten und Geschlechtsverkehr gemacht werden, dann sagt das mehr über die Ignoranz der entsprechenden Kommentatoren aus als über die Entscheidung.
Wenn ein Facebooknutzer im Zusammenhang mit dem Beschluss postet:
und 34 Leute das gut und 12 das lustig finden, dann kann man sehen, wie wenig Bereitschaft bei diesen Leuten besteht, die Probleme der Intersexuellen auch nur erkennen zu wollen. Ist ja nicht ihr Problem. Was wäre denn, wenn der lustige Poster selbst nicht wüsste, ob er ein Mann oder eine Frau wäre? Möchte er dann als Spottobjekt zum Abschuss freigegeben werden, über das man ungestraft blöde Witze machen darf? Was hat das dritte Geschlecht mit Genderwahn zu tun? Richtig: überhaupt nichts.
Wenn ein anderer meint:
Der lange Marsch ins Verfassungsgerricht. Grüne am Ziel: der Wahnsinn hat gewonnen. (Rechtschreibfehler aus dem Original, falls es denn einer war und der Schreiber nicht nur sein schnarrendes R in die Schriftsprache übertragen hat)
sei die Frage erlaubt:
Was daran ist Wahnsinn? Dass die Natur nicht nur weiblich und männlich entwickelt hat? Oder dass Menschen mit beiden Geschlechtern diskriminiert werden?
Andere schreien hilferufend nach Birgit und Klaus Kelle, als seien dies die Schutzheiligen der Binärgeschlechtlichkeit und könnten an dem Beschluss irgendetwas ändern. Nein können sie nicht und zumindest Birgit Kelle will das auch gar nicht. Sie hält die Entscheidung für fair.
Dieser Beschluss sollte für alle staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche ein Startschuss für eine allgemeine Akzeptanz der Intersexuellen sein. Vielleicht erkennt ja irgendwann auch der letzte dümmliche Witzemacher, dass er nicht besser oder wertvoller ist, wenn er genüsslich auf Minderheiten herumtrampelt, sondern ganz im Gegenteil eine arme Wurst, wenn er das braucht, um sich seiner eigenen Geschlechtsidentität zu versichern.
Dem Beschwerdeführer gratuliere ich ganz herzlich zu seinem Erfolg, der für viele Menschen ein Segen sein dürfte.
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