Lasst uns teilen!
Macht das Teilen den Menschen erst zum Menschen? Andreas Weber will in seinem Buch „Sein und Teilen“ das Teilen attraktiv machen. Eine Rezension.
Wenn der Mensch nicht hungert, nicht Krieg und Not ausgesetzt ist, und wenn er nicht durch Naturkatastrophen, Missgeschick oder Bösartigkeit anderer um Hab und Gut gebracht ist, dann bleibt ihm doch eine große Sorge: sein eigentliches Leben zu verpassen. Manchmal, wenn wir kurz innehalten im Trott oder im Galopp des Alltags, dann fragen wir uns, ob wir unsere Lebenszeit nicht verschwenden, ob wir nicht den falschen Dingen nachjagen oder uns von den falschen Leuten treiben lassen. Und gerade in der modernen westlichen Welt, in der der Hunger und die existenzielle materielle Not selten geworden sind, verdächtigen wir die Ordnung der Gesellschaft selbst, daran schuld zu sein, dass wir ein falsches Leben führen, dass wir uns falsche Prioritäten vorgaukeln lassen und dass wir alle zusammen und jeder einzelne von uns in eine falsche Richtung rennen.
Andreas Weber geht in seinem Buch Sein und Teilen genau von dieser Zeitdiagnose aus. Unsere Welt sieht er von einem Kapitalismus beherrscht, dessen Devise ist „Teile nicht! Vernichte!“, wir leben seiner Meinung nach in einer „Gesellschaft zerstörerischer Egoismen“. Der Imperativ des Teilens ist für Weber zu einer „hohlen Phrase“ verkommen und durch den Imperativ des Raffens ersetzt.
Dem will der Autor etwas entgegensetzen. Er will das Teilen attraktiv machen, denn er meint, dass moralische Appelle nichts nützen. Stattdessen will Weber ein Umdenken in Gang setzen, das es attraktiv macht, dem Raffen und Vernichten zu entsagen und zu einem teilenden Sein überzugehen.
Man muss der fundamentalen Kapitalismuskritik nicht folgen um der empathischen Forderung nach einem Überdenken unserer Handlungsprinzipien etwas abzugewinnen. Das, was Weber hier im Kern diagnostiziert, haben schon Hegel und spätestens Marx als Entfremdung beschrieben, und Heidegger hat mit seinem Fragen nach dem „eigentlichen Seinkönnen“ in „Sein und Zeit“ eine analytische Beschreibung der defizitären Seinsmodi des modernen Menschen beigetragen. Vieles, nicht nur der Titel von Webers Streitschrift, klingt nach Heideggers Kritik der modernen Gesellschaft, die insbesondere im Spätwerk explizit geworden ist. Es ist erstaunlich, dass Weber zwar selbst im Titel seines Buchs auf Heidegger anspielt, diesen aber im ganzen Buch nicht erwähnt – vielleicht ein zeitgemäßes Zugeständnis eines Autors, der doch ganz unzeitgemäß erscheinen will.
Was hat Weber uns zu bieten, um das Teilen attraktiv zu machen? Sein Text ist ein Rundgang durch die Möglichkeiten des Teilens. Er beginnt mit der Einsicht, dass alles Leben ein Teilen ist, ein Geben und Nehmen. Dass jeder von uns Teil ist und nur in diesem Teil-Sein auch Selbst sein kann. Das ist zugleich schon die zentrale These, das wichtigste Argument Webers, das er im Verlauf seines Gedankengangs immer aufs Neue stützen und Untermauern möchte: Ein Individuum wird der Mensch nicht durch Abgrenzung und Unterscheidung, sondern durch Teilen und Integration. Sich als Teil eines umfassenden Ganzen zu verstehen, muss nicht bedeuten, in diesem Ganzen unterzugehen oder am Ende nur ein Rädchen im Getriebe zu sein, vielmehr kann dieses Selbstverständnis uns dazu bringen, ein wirkliches individuelles Selbstbewusstsein zu gewinnen.
Weber will uns ein Umdenken attraktiv machen, nicht aus einer moralischen Verantwortung heraus, sondern aus dem Argument heraus, dass jeden von uns das Teilen zu sich selbst bringt. Dazu muss aber das Denken selbst sich wandeln, es darf nicht bei der rationalen Logik beginnen, es muss beim Fühlen anfangen. Im Fühlen, sagt Weber, erfahren wir die Welt in existenzieller Betroffenheit. Fühlen ist „die eigentliche Realität des Lebendigen“ und „Lebendigsein heißt Wirklichsein“. Indem wir fühlen, kommen wir mit allem in Verbindung und gewinnen so unsere Identität.
Das mag etwas blumig klingen und es soll wohl auch so klingen. Man könnte die gleichen Gedanken wohl auch sachlicher ausdrücken, aber möglicherweise denkt Weber, dass er uns nur durch diese Sprache aus der Sachlichkeit des Effizenzdenkens herausreißen und in das Fühlen hineinziehen kann. Dafür wird jede Leserin und jeder Leser unterschiedlich empfänglich sein. Aber wenn man sich auf den Fluss des fühlenden Denkens bei Weber einlässt, und wenn man seine radikale Kapitalismuskritik teilt oder nachsichtig übersieht, hat man ein anregendes Buch vor sind, nach dessen Lektüre man durchaus einen anderen Blick auf sich selbst und das eigene Sein gewonnen hat.
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