Männer und Frauen sind das nackte Grauen (2)

Ohne ein gehöriges Maß an Geduld und eine dicke Teflonschicht sollte man die Finger vom digitalen Flirten weglassen und das eingesparte Geld besser in ein Theaterabo investieren


Parshipen oder in der Kantine flirten?

Ich gewöhnte mir beizeiten ab, nach der Traumfrau zu suchen. Ich wollte nur eine, die kein Albtraum war.
© Charles Bukowski

Männer und Frauen passen Null zusammen. Auf jeden Fall nicht dauerhaft und schon gar nicht, wenn sie mit 45 die zweite Scheidung und fünfte Trennung hinter sich gebracht haben. Anstatt nun das Alleinsein zu genießen und endlich ohne familiäre Störgeräusche im Beruf durchzustarten oder sich ungestört neuen Hobbys zu widmen, begeben sich 80% der Kurzzeit-Einsamen sofort wieder auf die Partnersuche. Ohne Verschnaufpause melden sie sich – zumeist auf gut gemeinte Empfehlung einer Freundin hin: »Wie lange willst du solo bleiben? Denk dran: jünger wirst du auch nicht« – in einer Singlebörse an. »Wo sonst triffst du so viele Gleichgesinnte?« Von diesen Plattformen gibt es jede Menge im Internet. Sie locken mit Gratisschnupperangeboten, ködern mit einem schier unerschöpflichen Reservoir beziehungswilliger Mitglieder, versprechen schnelle Reaktionszeiten und raschen Erfolg. »Alle elf Minuten verliebt sich ein Single in Parship«. Na super; bloß ob sich der andere reziprok verknallt: dazu wird geschwiegen.

Die grundlegende Frage lautet: will ich mich aktiv in einem Forum ins Schaufenster stellen, oder vertraue ich lieber auf den Zufall und warte darauf, dass mir die Traumfrau/ der Märchenprinz im Sportstudio oder in der Eckkneipe über den Weg läuft? Die Meinungen sind gespalten, viele lehnen den digitalen Flirt ab, vertrauen auf die klassische Methode und baggern weiterhin die Arbeitskollegen in der Kantine an. Nicht wenige begeben sich jedoch mittlerweile in die Onlinebörsen, der Markt wächst rasant, umfasst alleine in Deutschland mittlerweile zwischen zehn und zwanzig Millionen User. Nicht alle Anbieter sind seriös, weshalb man vernünftigerweise Testergebnisse und Erfahrungsberichte studiert, bevor man sich für ein Portal entscheidet. Zur Auswahl stehen drei Kategorien:

• Kontaktanzeigen
• Partnervermittlungen
• Schmuddelkram: Seitensprungportale, schnelle Sexabenteuer u.ä.

Während es für die Kontaktanzeigen reicht, sich selber zu präsentieren, wird bei den Partnervermittlungen Wert auf den (pseudo-) wissenschaftlichen Anstrich gelegt: der Nutzer füllt einen ellenlangen Fragebogen aus, beschreibt sich darin minutiös und formuliert seine Wünsche. Anhand der Antworten filtert die schlaue Maschine im Hintergrund passende Profile aus dem Pool heraus und unterbreitet die dem Mitglied zwecks schneller Tuchfühlung. Ob diese Methode unterm Strich tatsächlich erfolgversprechender ist, als wenn der User aktiv stöbert: dazu existieren keine verlässlichen Statistiken. Die „akademische“ Recherche ist doppelt bis dreifach so teuer wie das gemeine Kontakten, weshalb 70% der Singles mit der zweitgenannten Möglichkeit Vorlieb nehmen, und ich im Folgenden von meinen Erfahrungen mit LoveScout24 & Collegen berichte.

Fürs Anlegen des Profils Zeit nehmen

Für die Anmeldung reicht ein Mailaccount. Man wählt ein Pseudonym – das nicht zu dämlich klingen sollte. Z.B. Rock’n’Rollforever –, und schon ist man drin. Also viertel drin; denn nun müssen ein Foto hochgeladen, ein Profil angelegt und ein paar Fragen beantwortet werden: „Stell dir vor, du hast ein spontanes Date bei dir zu Hause. Welches Gericht würdest du für sie kochen? Oder ist es doch besser, beim ersten Mal ins Restaurant einzuladen? Dann lieber zum Italiener, Asiaten oder doch was bodenständig Rustikales?“ Oder: „Ein Tag gemeinsam am Strand: womit würdest du deine Partnerin überraschen?“ Getoppt von: „Ein Trip durch die Wüste oder ein gemeinsames Wochenende im Club Med: wohin lädst du deine Traumfrau ein?“. Lass dir ruhig Zeit fürs Ausfüllen der Felder. Du solltest dich textlich von deinen Mitbewerbern abheben (ohne zu stark auf den Putz zu hauen). Für die Fotos gilt: die vom Profi gemachten hinterlassen einen besseren Eindruck als wacklige und schlecht ausgeleuchtete Selfie-Schnappschüsse.

Jetzt kann es eigentlich losgehen. Tut es aber nicht so richtig, weil die meisten Features in der Gratisvariante gesperrt sind. Was bringt es mir, wenn ich Profile durchscrolle, nach einstündiger Suche endlich fündig werde, jedoch der digital Angebeteten keine Nachricht schicken kann? Also muss ich mich für die PN-Funktion freischalten lassen. Die ist natürlich kostenpflichtig. Das System empfiehlt sofort das Upgrade auf die Vollversion. Ich kann dann noch mehr Bilder anschauen, darf in unbegrenzter Anzahl kontakten, die Moderation schlägt mir jeden Morgen fünf Traumfrauen vor, ich erhalte Einladungen zu Single-Events und ab 20 Uhr kann bilateral gechattet werden.

Bevor das Portemonnaie gezückt wird, ist es ratsam, ein paar Überlegungen anzustellen: bin ich überhaupt der digitale Flirt-Typ? Kann ich Absagen gut wegstecken? Wie ist es um meine Geduld bestellt? Suche ich was Dauerhaftes oder nur jemanden für den temporären Zeitvertreib? Bin ich, falls es ernst werden sollte, überhaupt in der Lage, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen? Wer hier 1x mit Nein antwortet oder von Anfang an den Erfolg bezweifelt, der sollte die Finger vom digitalen Parshipen weglassen und das eingesparte Geld besser in ein Jahresticket für die Oper investieren. Denn wie für jedes Abonnement gilt ebenfalls für dieses: die Ausgabe ergibt bloß dann Sinn, wenn man das Angebot auch intensiv und ohne Scheu nutzt.

Unabdingbar: Geduld, Teflon und Humor

Ohne Geduld und Teflonschicht wird man in einer digitalen Plattform nicht glücklich werden. Denn die häufigste Reaktion ist die Nicht-Reaktion. Die kann unterschiedliche Ursachen haben:
1 du bist vom Bild her (obwohl du das schönste von dir hochgeladen hast) einfach nicht ihr Typ
2 sie interessiert sich für 2m Riesen. Du misst jedoch mit Plateauabsätzen gerade mal 1.75
3 sie ist auf der Suche nach einem Ernährer. Du gibst als Beruf „freier Autor“ an, was sie wiederum mit Hungerleider gleichsetzt
4 sie lebt in Hamburg, möchte max. eine halbe Stunde pendeln. Du wohnst in Bonn
5 du verfasst grottenschlechte Anschreiben
6 du verwendest abgeschmackte Textbausteine, die nun wirklich auch die letzte Hinterwäldlerin schon ein Dutzend Mal gelesen hat
7 ihre Hobbys lauten: Free Climbing und Drachenfliegen. Du schreibst was von ins Kino gehen und zu Hause DVDs anschauen
8 sie erhält pro Tag 100 Mails und wirft 99 davon sofort in den Papierkorb
9 sie war das letzte Mal vor drei Monaten online
10 es handelt sich um ein Fakeprofil.

Übung macht den Meister. Nach dem 50sten fruchtlosen Kontaktanschreiben versteht man so langsam die Mechanismen der digitalen Balz, formuliert flotter, grenzt den Suchradius auf die eigene Region ein und konzentriert sich auf in etwa gleichaltrige Mitglieder, bei denen die gelisteten Freizeitaktivitäten zu den eigenen passen. Und plötzlich zappelt eines Morgens die erste Antwort im Postfach. Die kann durchaus ablehnend sein: „Danke für dein Anschreiben. Aber du bist vom Foto her nicht der Mann, den ich mir vorstelle“. Egal, endlich reagieren sie. Jetzt gilt es, am Ball zu bleiben: weiter die Profile durchforsten, Mails schreiben (in denen man tunlichst auf das eingeht, was die Damen veröffentlichen). Z.B. „Du schaust dir gerne Splatterfilme an. Toll! Ich liebe es, wenn Blut aus dem Bildschirm tropft“. Damit demonstrierst du zweierlei: (a) du hast ihren Text gelesen (b) du teilst ihre Vorlieben. Du solltest allerdings keine Seminararbeiten verfassen, denn: in der Kürze liegt die Würze. Die maximale Aufmerksamkeitsspanne beträgt 3 Twitter = 420 Zeichen. Halte dich daran, sonst schaffst du auch nicht das erforderliche Pensum. Nach wie vor gilt: 80% werden nicht reagieren, selbst wenn du einen von dir gesungenen, ihnen gewidmeten, Karaokesong per Videoclip verschickst. Beim restlichen Fünftel sind Absagen dabei. Faustregel: zehn Anschreiben abends raus, zwei Antworten am Morgen danach, davon eine positiv.

Hier ein paar Beispiele für weibliche Reaktionen:
• Ich bin jetzt ganz frech: weißt du, wie Küsse schmecken?
• Speziell von dir hätte ich mehr erwartet
• Schreibst du deine Mails bloß, weil dir langweilig ist, oder willst du eine Botschaft senden?
• Sind deine Bilder tatsächlich aktuell? Ich hasse Lügen!
• Ich bin ein sehr aktiver Mensch, liebe die Natur und besuche zweimal die Woche einen Sambakurs. Bevor wir beide unsere Zeit mit einem unnützen Treffen vergeuden, kläre mich bitte auf: bist du eher ein Nerd oder vllt doch der lebenslustige Typ, den ich mir erhoffe? Die Anmeldung im Tanzkurs ist zwar kein Muss; ich fänd’s aber schön, wenn wir dieses Hobby gemeinsam ausüben. Freue mich auf deine Antwort!
•  Männer ü50 sind schwierig. Entweder sind sie notorische Fremdgeher oder eigenbrötlerische Singles. Sie tragen komische Frisuren und neigen im letzten Lebensdrittel zu übertriebenem Hedonismus. Zudem lügen sie oft und urteilen vollkommen oberflächlich einzig nach Äußerlichkeiten
•  Schreiben ist kein ordentlicher Beruf
•  Du siehst aus wie ein Stubenhocker
•  Würdest du morgens früh um sechs spontan Blumen vor meine Haustür legen?
•  Wenn Schmetterlinge singen können. Ich lache gerne und viel. Morgens bin ich sofort bei 100 Prozent und freue mich darauf den Tag zu nutzen. Ich mag es gemeinsam mit Dir die Welt zu entdecken.

Sie nennen sich: Sommerbrise, Lotosblume, Freiwiederwind, Scherzkeks, Piratenbraut, Hexe64 oder Ichversuchsnochmal.

Nicht zu viel Zeit mit Hin- und Herschreiben verschwenden

Wenn du ihnen antwortest, bedenke zweierlei: (1) lass dir nicht zu viel Zeit dafür. Du bist nur einer von VIELEN, mit denen sie digital flirten. Spätestens übermorgen haben sie dich, dein schönes Bild und das intelligente Anschreiben schon wieder vergessen. (2) weise deutlich darauf hin, dass du dich zeitnah mit ihr unterhalten möchtest. Als recht praktikabel hat sich dieser Textbaustein erwiesen: „Ich bin hier, um reale Kontakte zu knüpfen und suche keine Brieffreundin. Lass uns telefonieren. Vielleicht schon heute Abend. Meine Mobilnummer lautet: 0183-xyxyxyx. Freue mich auf deine Stimme!“

Nun trennt sich sofort die Spreu vom Weizen: diejenigen, die gar nicht aus der digitalen Deckung kommen wollen, werden die Kommunikation an dieser Stelle abbrechen. Der Rest der Damen – die 50%-Faustregel passt immer – reagiert so: „Hervorragende Idee. Mittwoch, 20 Uhr klappt bei mir. Hoffe, das geht von der Zeit her für dich in Ordnung“.

In der Fortsetzung dreht sich alles ums Telefonieren mit einer Unbekannten, und was einem dabei so alles passieren kann

Die Topanbieter auf dem deutschen Markt heißen:
Kontaktanzeigen
(1) LoveScout24 (früher. FriendScout24): 6 Mio Mitglieder aus Deutschland
(2) Zoosk: 1 Mio aus Deutschland
(3) Neu.de: 6 Millionen (kooperiert eng mit LoveScout)
(4) DatingCafe: knapp 2 Mio
Partnervermittlung
(5) Parship: 5.2 Mio
(6) ElitePartner: 3.8 Mio
(7) eDarling: 2.8 Mio aus Deutschland

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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