Elvis Presley und die Unsterblichkeit
Eine Würdigung zum 40. Todestag
16. August 1977: Der Satz „Elvis hat das Gebäude verlassen“ geht um die Welt. Der King starb im Alter von gerade einmal 42 Jahren. Doch so endlich sein irdisches Gastspiel auf unserem Planeten auch war: So überirdisch ist seine popkulturelle Wirkung bis heute. Das ist beileibe keine Übertreibung. Weder Jimi Hendrix noch Jim Morrison oder Kurt Cobain – nicht einmal David Bowie – erreichen diesen Grad ewiger Verehrung. Wer hierfür einen Beweis braucht, denke nur an die weltweit flächendeckenden Generationen ganzer Heerscharen von Elvis-Imitatoren als ein Symptom unter vielen. Die Dimension der Bedeutung kann mithin gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Warum ist das so? Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Selten war jemand so sehr der richtige Mann am richtigen Ort wie Elvis Aaron Presley.
„Heartbreak Hotel“ – Der Anfang und das Ende
„Since my Baby left me I found a new place to dwell….“ Das Hotel der gebrochenen Herzen ist zu Beginn des Jahres 1956 zwar nicht seine allererste Single, wohl aber sein erster Übersong. Noch vor „Jailhouse Rock“ oder „Blue Suede Shoes“ entert das Stück Charts und Gesellschaft. Auch wenn die Nummer heutigen Ohren, die alles Hörbare und Unhörbare gleichermaßen gewohnt sind, wie netter, knuffiger Blues’n‘ Country-Rock erscheinen mag: Seine rammbockende und krustenbrechende Wirkung erschließt sich, sobald man diese Absteige der Einsamen aus seiner Zeit heraus betrachtet. Denn Mitte der 50er waren die USA von extremem Konservativismus geprägt. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung und Kennedys frischer Wind standen noch in den Sternen. Rassismus und Symptome der Apartheid waren allgegenwärtig, der kalte Krieg hatte Konjunktur und stärkte alle Nationalisten weltweit. Nicht zuletzt herrschte eine evangelikale Prüderie, deren bigotte Moralvorstellungen besonders die Jugend knebelte. Inmitten dieser sozial eher unattraktiven Suppe schlägt Presleys sexy Stimme samt des fetten Gitarrenriffs wie eine Bombe ein. Ein Weißer, der wie ein Schwarzer singt? Zu solch harten Klängen? Das war ebenso unerhört wie bis dato undenkbar. Die Provokation gelingt. Für Religiöse und Rassisten – was nicht nur dieser Tage oft dasselbe war – ist auf einmal der Teufel auf der Bildfläche erschienen. Bebop-Allujah, Baby! Noch schlimmer sogar: Macht der Leibhaftige doch ausgerechnet „diese Negermusik in aggressiv!“ Das Ausmaß des Kulturschocks war immens. In etwa vergleichbar mit einer Situation, in der bei einer Tagung des CSU-seligen, bavarisch-katholischen Heimatvereins statt Blasmusik eine satanische Grindcore-Blackmetal-Kapelle aufspielte. Doch den Kids gefällt es. Fast alle verlieben sich augenblicklich in den freundlichen Rebellen und dessen offensive Erotik. Sie küren ihn zum Superstar. Elvis revanchiert sich auf seiner ersten großen Tournee, indem er den Track jeden Abend spielt. Doch der Schlüsselsong ist nicht nur das Alpha, es verkörpert auch Presleys Omega. Kurz vor seinen Tod nimmt er es für die letzten Shows seines Lebens wieder ins Programm.
Der King und der Hochadel – Presley als Mysterium:
Manch schicksalhafter Umstand verschafft ihm Rückenwind bei der Krönung zum „King“. Man mag sich zunächst wundern und fragen, was es sei, dass ihn von den Kollegen abhebt. Denn zugestanden: Chuck Berry spielte einen härteren, kompromissloseren Sound, der Killer Jerry Lee Lewis spielte erheblich wildere Gigs. Beide jedoch hatten mit Skandalen zu kämpfen, die ihnen eine Dauerpräsenz im Mainstream unmöglich machte. Bill Haley? Der hatte im Grunde nur einen relevanten Song und sind wir ehrlich: Im Vergleich zu Kloppern wie „Jailhousse Rock“ wirkt „Rock Around The Clock“ sogar aus damaliger Sicht verglcihsweise brav und betulich. Zum Sexsmbol taugte Haley ohnehin nicht. Buddy Holly oder Eddie Cochran verstarben viel zu früh für eine große Karriere. So kann man den Faden beliebig weiterspinnen. Nur Presley zeigte die totale Präsenz von Radio bis Kinosaal. Er diente Backfischmädchen und halbstarken Rockerjungs ebenso als Projektionsfläche wie heimlich auch deren Müttern. Hinzu kommt Presleys privat eher schüchternes und zurückhaltendes Naturell. Bis zu seinem Tod wusste man kaum etwas über seinen Charakter, private Neigungen oder politische Ansichten. Man sah ihn nie auf Partys, Galas oder Empfängen. Die Öffentlicheit mied er jenseits der Auftritte weitgehend. Er war gleichzeitig überall und nirgends. Ein Phantom! Bessere Voraussetzungen zur Legendenbildung gibt es kaum.
„Flammender Stern“ – der unterschätzte Schauspieler:
Es ist ein beliebtes und gängiges Vorurteil, den Hollywood-Elvis als schmalzigen Schlagerpinsel ab zu tun. Und ja: Mit etlichen Auftritten in hanebüchenen Schnulzen hat er duraus sein Scherflein hierzu beigetragen. Doch es gibt durchaus gewichtige Ausnahmen, die lohnenswert sind. Der „Rhythmus Hinter Gittern“ etwa ist 1957 solch ein sehenswerter Moment. Doch sein mit Abstand bester Filmauftritt ist die Hauptrolle im Edelwestern „Flammender Stern“. Während in Hollywood das Genre weitgehend noch vom Zerrbild des „guten Weißen gegen bösartige, rothäutige Wilde“ geprägt war, zeichnet man hier ein progressiveres Gemälde. Presley spielt ein Halbblut, welches in keiner der beiden Gesellschaften heimisch ist, geschweige denn als vollwertiges Mitglied akzeptiert wird. Der Film ist seiner Zeit recht weit voraus und lebt zusätzlich von Presleys in jeder Sekunde greifbaren Leidenschaft für die Rolle.
Die Ed Wood-Connection –
Elvis schrägste Kollaboration:
Was hat Elvis mit Ed zu tun? Direkt gar nichts. Indirekt jedoch eine ganze Menge. Dolores Fuller ist der breiten Öffentlichkeit fast ausschließlich als Freundin Woods oder Schauspielerin in seinen Filmen ein Begriff. Viele erinnern sich an die Darstellung Fullers durch Sarah Jessica Parker in der Spielfimbio über Mr. „Plan 9 From Outer space“. Doch Fuller hatte weit mehr auf dem Kasten. Sie war eine echte Songwriterin. Angefangen mit „Rock-A-Hula Baby“ (Soundtrack für Presleys „Blue Hawaii“) schrieb sie Elvis zwischen 1961 und 1971 ein Dutzend Songs auf den Leib. Fuller darf man getrost als Synonym für Presleys Filmsongs betrachten.
Der Elvis-Tsunami – Das (Über)Maß aller Dinge:
Der Einfluss teilt sich in rein künstlerische und eher schräge Ströme. Letztere äußern sich in einem bizarren Untotenkult. Etliche Legenden bezeugen, dass er in Wahrheit noch lebe und wollen ihn gesehen haben. Eine Sekte verehrt ihn als Mischung aus Prophet und Gottheit. Ebenso ist Presley weit und breit der einzige Superstar, dessen Wohnadressen einen eigenen Wikipedia-Eintrag für seine Pilger bereit halten. Wer eine unterhaltsame Veralberung dieser manischen Auswüchse genießen möchte, dem empfehle ich den Spielfilm „Bubba Ho-Tep“ aus dem Jahr 2002. Bruce Campbell gelingt dort die Gratwanderung, das Andenken Presleys zu ehren und simultan die Kultisten gehörig auf die Schippe zu nehmen. Musikalisch jedoch könnte man eine Liste erstellen, die von hier zum Mond reichte. Kein Metal ohne Elvis? Nicht nur Ronnie James Dio wuchs mit den Songs des King auf und hatte zunächst eine Rock’n’Roll-Band als Teenager. Avantgarde? Experimentalrocker, Neoklassikkomponist und Velvet Underground-Ikone John Cale covert das „Heartbreak Hotel“ und interpretiert es als depressive Ballade um.
Punk und Hardrock? Horrorpunk-Erfinder Glenn Danzig (Misfits) führt den Beinamen „Evil Elvis“. Moderne Partyrocker Marke Volbeat schnappen sich ebenso ein Stück der illustren Epigonen-Torte. Stadion-Rock? U2 bzw. Bono ist großer Elvis-Fan und intoniert auf der 1992/93er „Zoo-TV“-Tour eine Gänsehautversion von „Can’t Help Falling In Love“. Postpunk? Der König der Dunkelheimer, Nick Cave, ist zeitlebens ein Presley-Jünger und vertont dessen Geburt 1985 mit „Tupelo“. Ein alttestamentarisches Inferno, deren Menschwerdung höchstens unter maximalem Schmerz möglich wäre. So gibt es am Ende kaum eine Richtung, die nicht zumindest ein wenig zur Kirche des King zählt. Am Ende landet jeder im „Heartbreak Hotel“. Auch Du?
Schreibe einen Kommentar